Tagesmail vom 13.06.2025
Die ERDE und wir. LXXXIII,
Si vis pacem, para bellum, wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg?
Das ist kein Friedensspruch. Denn er beginnt mit dem Wörtchen: wenn. Wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg – wenn aber nicht, was dann?
Ein wirklicher Friedensspruch hieße: wolle den Frieden. Wer wirklich Frieden will, will ihn immer. Denn Frieden auf Erden muss bedingungslos sein.
Was aber, wenn wir einen Frieden wollen, unsere Nachbarn aber nicht?
Muss man dann zum Krieg rüsten?
Rom wollte Herrscher sein über die bekannte Welt, aber nicht in kriegerischen Dauerverhältnissen, sondern im Frieden als Normalzustand.
Was, wenn Putin Deutschland angriffe – müssten friedenswillige Deutsche dann zur Waffe greifen, um ihre Freiheit zu verteidigen?
Nein. Sie könnten sich sagen: lass den Psychopathen seine verletzte Ehre wiederherstellen, bis er wieder zu sich kommt, dann werden die unübertrefflichen russischen Großmütter dafür sorgen, dass er reumütig in seine Heimat zurückkehrt.
Kennt ihr nicht die Philosophie der Großmütter? Nein, sie haben nicht studiert, doch intuitiv kennen sie die Grundlagen des Friedens:
„Zu diesen Friedensleitungen der Zivilisation gehören nicht nur die einfachen Normen von Moral und Gerechtigkeit, sondern auch die Gleichheit aller vor dem Gesetz, die Rechte und Freiheiten der Persönlichkeit. Dabei handelt es sich um eine Freiheit, die sich auf die menschliche Vernunft, auf die humanistischen Vorstellungen von den Rechten der Persönlichkeit im Zusammenleben mit anderen Menschen stützt, um eine Freiheit, die nichts gemein hat mit Anarchie, mit eigennütziger und zerstörerischer Willkür. Deshalb verbindet sich diese Auffassung von der Freiheit organisch mit den Ideen der Gemeinsamkeit und der Gemeinschaft.“
Großmütter können so gewandt nicht formulieren. Doch wenn sie einen schlauen Enkel haben, der macht das stellvertretend für sie.
Dieser Enkel hieß beispielsweise Michail, der als Mann das unvergleichliche Buch schrieb:
„Mein Manifest für die Erde. Jetzt handeln für Frieden, globale Gerechtigkeit und eine ökologische Zukunft.“
Michail wusste, wie man Frieden schaffen kann. Heute weiß das niemand mehr, vor allem nicht die Deutschen, die nur Weltmeister im Bruttosozialprodukt werden wollen und den minderwertigen Bauernsohn längst in ihrem Gedächtnis begraben haben.
„Der Umbau der russischen Gesellschaft setzte dem Wettrüsten und damit der Spaltung der Welt in zwei Lager ein Ende und eröffnete so die Möglichkeit einer echten Zusammenarbeit über die Schranken hinweg.“
Wie redet man hingegen in Deutschland über die russischen Verhältnisse, die heute gewiss nicht mehr so sind, wie Michail sie geplant und begonnen hatte?
„Hinter Stegner und Mützenich versammeln sich primär Ruheständler, in der Liste dominieren diejenigen, die schon a.D. sind. Diese Männer weigern sich einzusehen, dass die Rezepte von 1975 heute nicht mehr hilfreich sind. Statt die Gegenwart zu analysieren, beschwören sie eine Vergangenheit, die es so nie gab. In gewisser Weise ist das ein verschrobener Boomer- oder Rentnerklub. Im Kalten Krieg war die späte Sowjetunion eine Macht, die den Status quo in Europa erhalten wollte. Doch Putins Russland ist eine aggressiv-revisionistische Macht, die mit Angriffskriegen versucht, ihr früheres Imperium wiederherzustellen. Insofern sehe ich in dem »Manifest« einen Text von Funktionären, die nicht gelernt haben, historisch-kritisch zu denken. Mützenich und Stegner waren ja in der Ukraine und sind offensichtlich empathielos. Sie verweigern diesem traumatisierten Volk, das seit drei Jahren unter diesem Angriffskrieg Putins leidet, ihre Solidarität. Ich war selbst gerade in Kyjiw und saß mehrere Nächte im Bunker. Wie man davon nicht beeindruckt werden kann, verstehe ich nicht. Es sind Terrorangriffe mitten in Europa. Als Historiker kann ich ihnen empfehlen: Lesen, lesen, lesen. Es gibt ausgezeichnete Bücher über das imperiale Russland und seine jahrhundertealten Tendenzen zu Aggression und Krieg. Wer die Geschichte Russlands kennt und auch verstanden hat, der würde vermutlich nicht solche Papiere schreiben.“ (SPIEGEL.de)
Was ist ein – selbsternannter? – Ost-Experte? Einer, der mehrere Nächte in Kyjiw im Bunker saß und sich dann einbildete, Empathie zu haben mit den Ukrainern, indem er sich mit ihnen über-identifizierte?
Empathie haben heißt, den anderen verstehen, indem man sich selbst versteht. Heißt nicht, sich restlos mit dem anderen zu identifizieren, sondern ihm bei Meinungsverschiedenheiten klar die Meinung zu sagen. Empathie ist kritisch-verständnisvolle Teilnahme.
Die Deutschen sind mittlerweile so gehirnlos geworden, dass sie die schlichtesten Gedanken des Zusammenlebens nicht mehr kapieren.
Die „wahren“ Deutschen verspotten ihre Landsleute, die Russland verstehen wollen, als „Russlandversteher, als „Russlandfans“ – (SPIEGEL). Wer Putins Abstieg von Michails Niveau in das Verderben eines schrecklichen Kriegs zu verstehen versucht, wird als „anti-amerikanisch“ ausgeschlossen.
Dass das Land der Täter seine amerikanischen Befreier achtet und verehrt, ist löblich. Dass es aber den Niedergang dieser einst vorbildlichen Demokraten partout nicht sehen will und es weiterhin blind in den Himmel hebt, ist ein Skandal.
Deshalb spalten die Deutschen noch immer die Welt in den guten Westen und den bösen Osten. Die Perestroika hatte diese Spaltung überwunden, jetzt kommen die Silicon-Valley-Bewunderer und beten Amerika noch immer an, indem sie die „russische Seele“ verfluchen. Die Friedensarbeit der Völker seit 50 Jahren war für die Katz.
Washington fürchtete, die vorbildliche Friedensarbeit Michails könnte die führende amerikanische Rolle in der Welt in den Schatten stellen und den Nationen der Welt ein führendes Vorbild werden.
Diese Angst des Westens begann bereits 1904, als der „britische Vater der Geopolitik, Sir Halford Mackinder, den Verdacht äußerte, dass „eine russisch-deutsche Allianz oder ein sinojapanisches Reich in die Lage kommen könnte, die Welthegemonie zu erkämpfen.“
Das wäre das frühzeitige Ende der amerikanischen Vorherrschaft gewesen. Also setzten sie – nach dem Sieg über die Deutschen im zweiten Weltkrieg – alles daran, dass die russischen Mitsieger „Gottes auserwählte Nation“ nicht ausstechen konnten. Was geschah?
„Mochten die Herzten der Amerikaner dem sympathischen Michail G. zufliegen, Reagans Leute sorgten dafür, dass die Perestroika scheiterte. Eines ihrer Ziele bestand darin, die Sowjetunion wirtschaftlich zu isolieren. … Im Rahmen eines solchen stillen Wirtschaftskriegs ließ sich Saudi-Arabien überreden, sein Öl billiger anzubieten. Diese Preissenkung im Jahre 1985 kostete den Ölexporteur Sowjetunion Milliardenbeträge. Noch nannte Michail das Bestreben illusorisch, „den Sozialismus mit Hilfe des Wettrüstens zu schwächen, um ihn später beherrschen zu können.“ Doch inzwischen sind sich die Politologen in Ost und West darüber einig, dass der Rüstungswettlauf zwischen der NATO und den Warschauer-Pakt-Staaten ihm das Rückgrat gebrochen hat.“ (Raeithel, Geschichte der nordamerikanischen Kultur)
Für Washington aber wurde es noch bedrohlicher – durch die moralische Vorbildlichkeit Moskaus:
„Eine Friedensinitiative von Michail G. weckte in Bush die Befürchtung, die Kontrolle über den Gang der Dinge könne ihm entgleiten. Er und sein Verteidigungsminister Dick Cheney hatten sich schon bald auf einen Konfrontationskurs festgelegt und zeigten keine Bereitschaft, die Kriegsmaschine anzuhalten.“ (ebenda)
Der Osten unter Michail G. war dabei, zur führenden humanen Weltmacht zu werden, während Amerika unter den Bushs im heuchlerischen Verderben hinabsank.
„Die USA waren ein Staat, der seine Interessen finessenreich und notfalls mit Gewalt durchsetzte. Der amerikanische Kongress hat fünfmal den Krieg erklärt, aber insgesamt 130 mal setzten die jeweiligen Präsidenten Kampftruppen ohne Kriegserklärung ein, um das „informelle Imperium“ zu verteidigen. In der Regel intervenierten die USA zugunsten von Regierungen, die nicht repräsentativ waren für ihr Volk. Eigentlich handelte es sich um staatlich geförderten Terrorismus.“ (ebenda)
Wenn Putin die Krim erobert, gibt’s im Westen ein Geschrei, wenn die USA den Irak erobern, ist das hierzulande demokratische Notwendigkeit. Seitdem misst der Westen – darunter Deutschland – mit zweierlei Maßstäben. Sie halten es für ehrenhafte Treue, seine Helden immer in rosigem Licht zu sehen, seine Feinde in Düsternis zu versenken.
Von wem sind die folgenden Reden?
„Es ist bekannt, dass die Problematik der internationalen Sicherheit bedeutend breiter ist als die Fragen der militärpolitischen Stabilität. Dazu gehören die Beständigkeit der Weltwirtschaft, die Überwindung der Armut, die ökonomische Sicherheit und die Entwicklung des Dialogs zwischen den Zivilisationen. Dieser allumfassende, unteilbare Charakter der Sicherheit drückt sich auch in seinem Grundprinzip aus: „Die Sicherheit des Einzelnen – das ist die Sicherheit aller“. Wie sagte doch Franklin Roosevelt schon in den ersten Tagen des II. Weltkrieges: „Wo auch immer der Frieden gebrochen wird, ist er gleichzeitig überall bedroht und in Gefahr.“ Nebenbei gesagt, lehrt man uns – Russland – ständig Demokratie. Nur die, die uns lehren, haben selbst, aus irgendeinem Grund, keine rechte Lust zu lernen.“
Das war der entscheidende Satz: „Nebenbei gesagt, lehrt man uns – Russland – ständig Demokratie. Nur die, die uns lehren, haben selbst, aus irgendeinem Grund, keine rechte Lust zu lernen.“ (Putins Münchner Rede)
Das war der entscheidende Unterschied zwischen Michail G. und Wladimir P. Während letzterer, als er noch in Deutschland weilte, sich vorgenommen hatte, vom Westen zu lernen, wurde er, als er in Moskau an die Macht kam, immer mehr von seinen Freunden enttäuscht. Bis er die Hoffnung aufgab und den Westen für einen irreparablen Heuchelverein hielt. Erst dann begann er seinen eigenen gewalttätigen Weg.
Diese biographische Entwicklung will der Westen nicht verstehen. Dass auch Politiker Menschen sind, die ein verzwicktes Innenleben haben, das zu einer verzwickten Machtpolitik führen kann, das ist für gierige Ökonomen ein Welträtsel.
Und von wem ist die folgende Rede?
„Russland hegte gegenüber Deutschland immer besondere Gefühle. Wir haben Ihr Land immer als ein bedeutendes Zentrum der europäischen und der Weltkultur behandelt, für deren Entwicklung auch Russland viel geleistet hat. Kultur hat nie Grenzen gekannt. Kultur war immer unser gemeinsames Gut und hat die Völker verbunden. Heute erlaube ich mir die Kühnheit, einen großen Teil meiner Ansprache in der Sprache von Goethe, Schiller und Kant, in der deutschen Sprache, zu halten.“
Ebenfalls von Putin, gehalten im Deutschen Bundestag. Und dieser Mann soll ein geborener Bösewicht sein, der den Westen hasst? Absurd.
Wer Frieden will, muss immer Frieden wollen. Das geht nur, wenn man alle Menschen und Völker für gleichberechtigte, friedensfähige Wesen hält. Natürlich ist das nicht immer der Fall, weswegen es unbedingt notwendig ist, eine friedliche Weltpolitik zu betreiben, von der auch unfriedliche Zeitgenossen angesteckt werden können.
Das geht nicht von heute auf morgen, weshalb es lange Zeit dauern kann, bis eine friedliche Utopie zur Realität wird.
Die Friedensinitiative der SPD wird als lächerliche Vergangenheitsbewunderung alter Männer verlacht, die es nicht schaffen, dem besinnungslosen Lauf der Zeit zu folgen.
Wer Frieden will durch Vorbereitung zum Krieg, mag das tun. Er riskiert bei Niederlage die Vernichtung seines ganzen Landes.
Wer Frieden will durch Verstehen seiner Feinde, riskiert – bei einstigen Michail-Jüngern – höchstens vorübergehend seine Freiheit – die er aber wieder zurückerobern kann durch Friedensgespräche mit seinen Beherrschern.
Wie viele Deutsche sind nach Russland gefahren, um Gespräche mit russischen Großmüttern zu führen?
Im deutsch-französischen Freundschaftsvertrag sprachen Gemeinde-, Vereins- und Schul-Vertreter miteinander – mit dem Ergebnis, dass heute ein Krieg zwischen Paris und Berlin ausgeschlossen scheint.
Frieden ist ansteckungsfähig. Doch nur, wenn man nicht ängstlich und ohne Selbstbewusstsein durch die Geschichte huscht.
Friede sei mit euch: verabschiedet sich ein uralter Mann.
Fortsetzung folgt.