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Die ERDE und wir. LXXXI

Tagesmail vom 02.06.2025

Die ERDE und wir. LXXXI,

„Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen,
Bilde mir nicht ein, ich könnt was lehren,
Die Menschen zu bessern und zu bekehren,
Mich plagen keine Skrupel, noch Zweifel,
Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel
Dafür ist mir auch alle Freud entrissen.“

An die Lehrer der Republik: doziert ihr in euren Germanistik-Klassen, dass wir nichts lernen können, wenn wir Faust als Vorbild nehmen?

Bringt ihr euren Schüler-Innen bei, Faust zu bewundern, während dieser sagte, dass er gar nichts zu lehren habe?

„Zwar bin ich gescheiter als alle die Laffen,
Doktoren, Magister Schreiber und Pfaffen,
Mich plagen keine Skrupel, noch Zweifel –
Dafür ist mir auch alle Freud entrissen –
Dass ich nicht mehr mit saurem Schweiß
Zu sagen brauche, was ich nicht weiß.“

Ihr wollt doch gebildete Menschen ins Leben entlassen? Euer hochgerühmter Goethe aber hielt nichts von eurer Bildung, die gar keine sei?

„O glücklich, wer noch hoffen kann,
Aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen!
Was man nicht weiß, das eben brauchte man,
Und was man weiß, kann man nicht brauchen.“

Das eben seien Widersprüche, mit denen man pfleglich umgehen müsse?

Jetzt fehlt nur noch der Begriff Dialektik, dann ist die deutsche Widerspruchsideologie perfekt. Doch Vorsicht, nicht in allen Dingen war der Frankfurter einer Meinung mit dem Schwaben.

„Denn ein vollkommner Widerspruch
Bleibt geheimnisvoll für Kluge wie für Toren.
Mein Freund, die Kunst ist alt und neu.
Es war die Art zu allen Zeiten,
Durch Drei und Eins und Eins und Drei
Irrtum statt Wahrheit zu verbreiten.
So schwätzt und lehrt man ungestört:
Wer will sich mit den Narrn befassen?
Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.“

Wer weiß denn heutzutage noch, dass die Dreieinigkeitslehre dem logischen Satz widerspricht: eins und eins ist zwei und nicht drei?

Schon gemerkt, dass diese Sätze Goethes die Beerdigung der scharfsinnigen Logik der Aufklärung waren? Nicht in allen Dingen war Goethe einer Meinung mit Hegel.

Goethe, das blendende Genie der Deutschen, dem man auch heute noch unbedingt nacheifern müsse?

Nein, deutsche Germanisten verstehen nichts mehr von ihren bewunderten Klassikern, sonst wären sie keine strunzdummen Neoliberalen. Man kann ja gierig sein, wie ausgehungerte Wildtiere im vertrockneten Urwald, aber man kann die Gier nicht zur Tugend erklären, wenn man vergessen hat, was diese überhaupt ist.

Kein Wunder, dass Börsenmatadore mit Faust nichts mehr anfangen können. Gewiss, Bildung ist gut fürs Geschäft, wenn man weiß, dass Gebildete leichter verführt werden können als zinsfeste Sparkassenleiter.

Trumps Verachtung der Wahrheit, behauptet der SPIEGEL, sei die Ursache, warum das amerikanische Licht der Welt die Genies der Welt düpieren muss. Nicht die Wahrheit der ungläubigen Welt. Sondern die jenseitige Wahrheit, die alles überrage, was es auf Erden gibt. Die Wahrheit des Drüben stellt alle irdische Wahrheit in den Schatten. Trump verachtet die Genies der Welt, weil sie die göttliche Wahrheit verachten und ihre eigene an deren Stelle setzen.

Genie? War das eine Imitation der Antike – der Inbegriff des Guten, Wahren und Schönen?

Nein, nicht bei den „klassischen Genies“ der Deutschen. Da war Genie keine Nachbildung von moralischen Schönheitsanbetern. Die Deutschen kannten nur die Märchen und Sagen des vorklassischen Mythos.

Kunst hatte bei ihnen nichts mit Politik zu tun. Als die deutschen Bewunderer der Französischen Revolution mit Schaudern bemerkten, dass ihre Landsleute unfähig wären, die Metropolen der Macht anzuzünden, nahmen sie Reißaus und flohen ins Reich des Schönen.

Aus Politik wurde Ästhetik und verschwand fast ein halbes Jahrhundert von der Bühne, bis Bismarck das Deutsche Reich aus der Taufe hob und zur Macht in der europäischen Mitte erhob.

Aus diesem Grund wurde Genie ein subjektiver Begriff aus dem Regellosen und Unüberprüfbaren:

„Die Revolution der Kunstauffassung zu Beginn der Goethezeit zeigt sich zunächst in der Umkehr aller Werte, die mit der Paradoxie beginnt, die wahre Kunst sei nicht Kultur, sondern Natur. Nicht hohe geistige Kultur, sondern starkes inneres Leben sei für den Dichter wesentlich, weder eine umfassende Bildung seines Geistes und seines Geschmacks, sondern erfahrenes Leben und angeborenes Genie. … Ihr höchstes Ideal ist der natürliche Mensch: der ungebildete, d. h. unverbildete, unmoralische, lebensvolle, der geschmacklose, ungeschminkte, kurz, der naive, kraftvolle, urwüchsige Mensch, der nicht vernunftgeformt ist, sondern unmittelbar aus der Fülle des Herzens kommt.“

Das ist der Umschwung von rationalistischer zu irrationalistischer Kunstbewertung, der Ausdruck einer grundsätzlich veränderten Kunstauffassung. Die Kunst ist, ihrem Wesen nach kein Mittel zu irgendeinem noch so erhabenen Zweck, sondern eine einmalige, unvergleichliche Offenbarung.

Für Hamann, den Begründer der Gegenaufklärung war Genie göttliche Inspiration. Es leistet nicht das Berechenbare, sondern das Unberechenbare. Ihr Irrationalismus sei eine starke Abneigung gegen jede verstandesmäßige Aufklärung des ästhetischen Wesens. Das organisierende Prinzip des künstlerischen Rohstoffs der Natur ist nicht die Vernunft, sondern die gesamte innere Welt. Nicht Vernunft, sondern das gesamte Leben des Künstlers ist die Quelle der künstlerischen Synthesis. Kunst ist keine Nachahmung, sondern die Wiedergeburt der Natur aus dem Leben des Künstlers. Der Mensch steht dem Kunstwerk nicht mehr kritisch gegenüber, sondern “einfühlend“.

„Damit tritt nun dem Dogmatismus der Aufklärung, der die Gültigkeit objektiver Normen behauptete, ein grundsätzlicher Relativismus gegenüber: dem Gedanken von der Gebundenheit der Kunst an objektive Gesetze und klassische Ideale – der Gedanke von der Freiheit der Kunst zur Offenbarung individuellen Lebens.“

Jetzt aber, an dieser Stelle wird’s doch politisch:

„Ist die letzte Konsequenz der rationalen Kunstauffassung der künstlerische Kosmopolitismus, so folgt aus der irrationalen Kunstauffassung der künstlerische Nationalismus. Und dem übernationalen Kunstideal der Aufklärung tritt in in der Sturm-und Drang-Bewegung folgerichtig die Forderung nach echter deutscher Art und Kunst gegenüber. Es ist eines jener Zeugnisse, in dem die Wandlung vom „Objektivismus“ der Aufklärung zum Subjektivismus von Natur und Kunst sehr klar zum Ausdruck kommt.“ (alle Zitate aus H. A. Korff, Geist der Goethezeit)

Das war der Abschied vom europäischen Aufbruch, weg von der Adels- und Popenherrschaft, aber auch weg von der kategorischen Vernunft der Aufklärer, in rasendem Tempo zu den Kriegszeiten der Nation, in denen Bismarck die Macht in Europa übernahm.

Das war der Abschied vom beginnenden Universalismus des demokratischen Westens und hin zum nationalen Egoismus der Völker.

Der heutige Rückfall vieler UNO-Völker in den Separatismus erwählter Staaten ist eine Abkehr von der Idee der Demokratie.

Demokratien können nur dann die Gleichheit aller Menschen behaupten, wenn alle Menschen tatsächlich gleich behandelt werden. Die Würde des Einzelmenschen ist überall gleich. Unterschiedliche Würdebegriffe kann es nicht geben.

Die Europäer hatten den großen Vorzug, in der Renaissance von der Philosophie der Antike umfassend belehrt zu werden. Dazu gehörte vor allem die stoische Rechtsphilosophie, die im Hellenismus begann und im Römischen Reich zur grandiosen Wirklichkeit wurde.

Der aufkommende Geniegedanke zerbrach nicht nur alle rational sein wollenden Vorschriften der politischen Emanzipation. Er beugte sich auch keinen Lehrern und Gelehrten, die alles besser wissen wollten.

Jedes Genie war einzigartig (individuell) und vertrat die Einzigartigkeit seiner Meinungen. Belehrungen konnte es hier keine geben. An dieser Stelle entstand die Kampfformel vom hybriden Moral-Besserwisser.

Der Subjektivismus war keine Erfindung der Franzosen in der Nachkriegszeit (in der Postmoderne), sondern eine Wiederaufnahme des romantischen Subjektivismus, der keine Energie mehr hatte, den Universalismus der Revolution und der Aufklärung durch die Kriege der Nationalstaaten hindurchzutragen. Der schreckliche Gipfel dieses Verfalls war nicht nur das Aufkommen des darwinistischen Rassegedankens, sondern er endete im barbarischen Rausch des Dritten Reichs.

Wenn wir heute nicht aufpassen, könnte uns eine Wiederholung dieser inhumanen Entwicklung überwältigen.

Die Europäer verloren den Glauben an die logische Konsequenz ihrer Ideen und ihrer Taten.

Wenn aber die logische Konsequenz von eins und eins nicht zwei ist, beginnt der Untergang in den Faschismus:

„Mussolinis berühmter Ausspruch: „Hüten wir uns vor der Todesfalle der Konsequenz“ könnte als Motto all derer gelten, die inmitten unberechenbarer Strömungen ihre Pläne in die Tat umsetzen wollen. Kurz vor dem Krieg erklärte ein britischer Minister: „Wir stehen zu unseren Verpflichtungen, doch ist uns klar, dass die Welt nicht still steht.“ Lies. „doch behalten wir uns vor, sie nicht einzuhalten, sollten sich die Umstände ändern.“ Wenn Männer des Geistes sich einer Philosophie verschreiben, die sich damit brüstet, nur umstandsbedingte Wahrheiten gelten zu lassen, dann frage ich, ob sie nicht damit die Charta ihres Standes zerreißen und ihre Annullierung verkünden“. (Julien Benda, Der Verrat der Intellektuellen)

In Deutschland ist der Trend zum Kompromiss zur zweiten Religion geworden. Nicht die eigene klar konturierte Meinung, die sich mit konkurrierenden Meinungen den öffentlichen Streit liefern muss, welche von ihnen die wahre ist, darf das Ziel der Politplanung sein, sondern nur noch die lädierte Form des Kompromisses.

„Der große Geist hat mich verschmäht,
Vor mir verschließt sich die Natur.
Des Denkens Faden ist zerrissen,
Mir ekelt lange vor allem Wissen.
Laß in den Tiefen der Sinnlichkeit
Uns glühende Leidenschaften stillen!
In undurchdrungnen Zauberhüllen
Sei jedes Wunder gleich bereit!
Stürzen wir uns in das Rauschen der Zeit
In’s Rollen der Begebenheit!
Da mag denn Schmerz und Genuß,
Gelingen und Verdruß,
Mit einander wechseln wie es kann;
Nur rastlos bethätigt sich der Mann.“

Nein, nicht rastlos und genial, Mister Faust, sondern vernünftig und menschenfreundlich muss eine neue Weltpolitik werden, wenn sie die Menschheit retten will.

Fortsetzung folgt.