Kategorien
Tagesmail

Die ERDE und wir. LXXVII

Tagesmail vom 19.05.2025

Die ERDE und wir. LXXVII,

gäbe es Götter, würden deutsche Machthaber sie in den Orkus schicken.

Wohlwollende Götter wollen nämlich nichts anderes als das Glück der Menschen.

Glück aber besteht aus Muße. Was aber ist Muße?

Muße ist das Gegenteil all dessen, was heute als Arbeit gilt. Arbeit als ruhelose Hetze, die die nationale Wirtschaft vorantreibt, um rivalisierende Nationen – selbst diejenigen, die als Freunde gelten – gnadenlos in den Schatten zu stellen.

Steigt das Glück der Menschen mit dem Anwachsen ihrer mühseligen Arbeit und der Steigerung ihres Reichtums?

Diese Frage interessiert keinen Deutschen, der das Volk mit Arbeitspflichten drangsalieren kann.

Wurde Exkanzlerin Merkel zu Beginn einer neuen Regierungsepoche gefragt, was der Hauptzweck ihrer neu gewählten Regierung sei, gab es nur eine Antwort: das Wirtschaftswachstum fördern.

Das ist das Niveau der BILD-Zeitung:

„Deshalb hat Schwarz-Rot jetzt primär drei Aufgaben: erstens Wirtschaft, zweitens Wirtschaft, drittens Wirtschaft.“ (BILD.de)

Um die Deutschen zur Arbeit zu nötigen, brauchten Schröder und Merkel dringend die Gasleitungen Putins, den sie deshalb zu ihrem Freund erklärten. Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft ist die Übersetzung des religiösen Mottos: wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen.

Das wiederum ist die Übersetzung des alttestamentarischen Gebots:

„Weil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen –, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. 18 Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. 19 Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde wirst, davon du genommen bist. Denn Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück.“

Eine Lobpreisung der bäuerlichen Urarbeit, die fähig ist, sich von der Natur zu ernähren, sind diese Worte gewiss nicht. Im Gegenteil. Von Anfang an gilt Arbeit als Fluch und Strafe, selbst in unseren fortgeschrittenen Zeiten, in denen Arbeit in der Natur vor allem durch Maschinen getätigt wird.

Bis zum heutigen Tag ist der Fluch-Charakter der Arbeit unaufhebbar. Der Einsatz endloser Maschinenheere sollte diesen Charakter verjagen – doch das Gegenteil ist eingetreten.

Jetzt kommt die Dummheit pur der Moderne zum Vorschein: überintelligente Maschinen sollen die strafbesetzte Arbeit abschaffen; doch was predigen die Politiker? Arbeiten, Arbeiten, Arbeiten.

Wozu erfinden sie im Schweiß ihres unterintelligenten Gehirns ununterbrochen neue Intelligenzbestien, die es aber nicht im Geringsten schaffen, das Elend der fluchwürdigen Staubarbeit zu überwinden?

Maschinengenies sind Genies in allen menschlichen Dingen, nicht nur in der Arbeit, sondern auch in der Neugestaltung ihres tief beschädigten sozialen und psychischen Lebens:

„Eigene Theorien über die Grundlagen des Menschseins hat Zuckerberg auch fürs Private. Zum Beispiel erklärte er kürzlich in einem Interview, dass viele von uns dringend künstliche Freunde brauchen. Knapp zwei Jahre später war Zuckerberg dann so sicher, dass die Zukunft im »Metaversum« liegt, also in virtuellen Welten.“ (SPIEGEL.de)

Mit anderen Worten; die Sieger der Zukunft schaffen das menschliche Universum ab und ersetzen es durch ein künstliches Metaversum.

Niemand weiß genau, was ein Metaversum ist, umso interessanter und attraktiver scheint es zu sein.

Ab der Einführung des Neoliberalismus durch Schröder, den Freund eines Völkerverbrechers, gibt es keine deutsche Regierung mehr, die sich vom biblischen Fluch der Arbeit lösen wollte. Gleichgültig, ob sich die Machthaber christlich nennen oder nicht.

Schaut man genauer hin, lauten auch die Generalparolen der neuen Regierung:

Rottet die Philosophen aus, sie sind Taugenichtse, die auf Kosten ehrlicher Staubarbeiter vor sich hindösen, ihre ach so überflüssigen Bücher von der KI verfassen lassen, sinnlose Preise einheimsen und sich wahrhaft genial vorkommen.

Das Ganze nennen sie Muße, ein Wort, das heute kaum noch vorkommt und höchstens vertuschen will, dass man nichts Schweißtreibendes zu tun hat.

Also ran an das Philosophen-Lexikon:

„Muße ist bei Platon die Voraussetzung für Philosophie, damit sich die Seele befreit von den Forderungen des Leibes, in die Schau der Dinge versenken kann – und stellt so das Bild höchster Vollendung dar. Philosophen sind in Freiheit und Muße aufgewachsen. Geschäfte und Dienstleistungen sind Sache der Banausen.“ (alle Zitate aus dem Historischen Wörterbuch der Philosophie)

„Banause ist ein abwertender Begriff für Menschen, die keine freie Kunst oder Wissenschaft ausüben, sondern nur für Geld arbeiten.“

Mit diesen Worten ist die Moderne gerichtet. Denn wer arbeitet heute noch ohne Geld und Entlohnung?

Würden Platon und Aristoteles heute wieder auferstehen und könnten unser tolles Zeitalter besichtigen, wäre ihr Urteil von schreckenerregender Aufrichtigkeit: ach, du fortgeschrittene Moderne, du bist dabei, die letzte Epoche vor dem Untergang der Menschheit zu vollbringen.

Diese ist nicht mehr der Wahrheit verpflichtet, sondern arbeitet durch Zertrümmerung der Natur und kokettiert ständig mit planetenvernichtenden Waffen.

Jetzt komm mal runter, du Möchtegern-Philosoph. Dein Gegacker vom Weltende hält uns nur davon ab, am nächsten Straßenrand ein hübsches Bäumchen zu pflanzen, um die Staubwolken in der Stadt ins Nirgendwo zu pusten.

Vorsicht, du philosophischer Antiphilosoph: merkst du nicht, dass das Gärtchen um deine Villa schon längst am Vertrocknen ist? Du willst ja nur, dass ich den Menschen nicht die Wahrheit sage, damit sie die staubverseuchten Intelligenzheuchler nicht ins Metaverse verscheuchen.

Langsam, Genosse, noch waren wir nicht fertig mit der Definition von Muße.

Muße gedeiht nur in der Polis, der demokratischen Erfindung heidnischer Athener. Die Frommen jenseits des Meeres setzten alles daran, die Herrschaft des Volkes in die eines unfehlbaren Gottes zu verschandeln.

Wir Modernen bilden uns ein, einen genialen Kompromiss aus Demokratie und Theokratie gefunden zu haben. Diese Genieleistung ist unrettbar suizidal, wetten, dass?

Nur eine freie Polis gewährt Muße, nur wer Muße gewährt, schenkt Glück. Glück ist das Ziel jeder vernünftigen Lebensweise auf Erden. Das wird heute bestritten, so einfach könne man es sich nicht machen. Die Realität sei ein unentwirrbares Gespinst aus Komplexität und Intransparenz.

Und das ist gut so. Sonst kämen die größten Taugenichtse der Republik und würden die milliardenschweren Wirtschaftstyrannen mit Zorn in den Stillen Ozean kippen.

Wir können kein wahres Glück erleben, solange wir an fremdbestimmte Maloche gekettet sind, der wir nicht entfliehen können – ohne zu verrecken.

Es stimmt ja gar nicht: nicht Arbeit an sich ist entwürdigend, sondern fremdbestimmte Handlangerei an der Kette von Geldgierigen.

Nur freie Muße gewährt das Glück auf Erden. Muße ist keineswegs Nichtstun, das zur Langweile verpflichtet. Muße ist symbiotisches Atmen mit der Natur, um zu erkennen, was ist, um zu erfahren, was man in der Natur tun kann, um die Wahrheit ausfindig zu machen.

Ja, gewiss doch, Herr Nachbar, alles Begriffe, die dich zur Schnappatmung bringen. Solange du aber krampfhaft nur an die nächsten Brötchen denkst, wirst du keinen einzigen Gedanken an die realistische Ermöglichung des Glücks aufbringen.

Wenn das Unglück der Gegenwart nur vom zwanghaften Malochen für wenige Groschen abhängt, wären dann nicht alle Kinder und Obdachlosen, die nichts verdienen, glücklich?

Nein, schon mit den ersten Lebensjahren werden Kinder an die Abitur-Schlingen des Erwachsenenlebens gekettet, und somit von der selbstbestimmten Möglichkeit des Glücksfindens ferngehalten. Ein Bildungsforscher:

„Jugendliche müssten viel unnötigen Stoff lernen, kritisiert er – und ihre Eltern hingen zu oft am Smartphone. Kaum ein Schüler ist völlig unbeeinträchtigt. Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg oder übermäßiger Social-Media-Konsum führen zu Belastungen. Klassen werden eher größer als kleiner, da ist es unmöglich, jedes Kind im Blick zu haben und zu verstehen, was es braucht. Dazu kommt: Ein Teil der Eltern ist vollkommen durchgeknallt und respektlos gegenüber den Lehrern. Unser Schulsystem ist nicht kinderfreundlich. Akademiker mit fachspezifischem Hintergrund legen fest, was Kinder und Jugendliche alles wissen müssen. Politik und Verbände fordern immer noch mehr Fächer. Sehr zugespitzt formuliert: Das Abitur definiert, was ich wissen muss, um den Anforderungen des Bildungsbürgertums zu genügen und dort mitreden zu können.“ (TAGESSPIEGEL.de)

Stets erscheinen die neuesten Pisa-Jäger und erforschen bei den Kindern, was sie selbst für notwendig halten, um andere Nationen zu überflügeln. Da sie politisch saudumm sind, ist ihnen entgangen, dass die neue Weltpolitik – eine Politik globalen Friedens – durch ewige Konkurrenzen nur zerrüttet wird, bevor sie überhaupt entstehen kann.

Die Genies in Silicon Valley wissen alles über das Universum, aber fast nichts über humane Lebensverhältnisse auf Erden. In Mathe und Physik waren sie blendend, im sozialen Leben ein Desaster.

Tyrannen sorgen nicht dafür, dass in ihrem Reich Muße entstehen kann. Erst als die theokratischen und feudalen Tyrannen des Mittelalters von der beginnenden Aufklärung verscheucht wurden, hätte die Wiederbelebung der Muße eintreten können.

Aber nein: die äußeren Tyranneien mit Kreuz und Schwert wurden ersetzt durch viel größere Tyranneien, geprägt durch neue Technik und den Irrglauben an einen ziellosen Fortschritt.

Nun sind wir gefangen im Käfig der Algorithmen.

„Mit der Neuzeit beginnt die Muße ihren Vorrang als Bedingung des freien Denkens an die Arbeit abzugeben. Die Aufklärer waren nicht nur Befreier, sondern sorgten auch für das Gegenteil: sie verbannten die Menschen an die Ketten ihrer übermenschlichen Maschinen, für die sie ein fremdbestimmtes Salär kassieren müssen.“

Das ist alles fremdbestimmtes Tun, aber keine freie Muße.

Marx war so in die Arbeit vernarrt, dass er behauptete, der „wahre, weil wirkliche Mensch, geht als Resultat seiner eigenen Arbeit hervor.“

Das Sein bestimmt das Bewusstsein? Wie könnte dann der bewusste Mensch sich selbst hervorbringen? Oder legte der Großrevolutionär keinen Wert auf das emanzipierte Subjekt?

Im Christentum erschuf Gott den Menschen, bei Marx ist er es selbst, der sich zum Dasein bringt. Mit Gott hat Marx auch die Natur verschwinden lassen. Religion ist Opium des Volkes, Marxismus ist Opium der Proleten. Allmählich verschwinden die Proleten und niemand weiß, warum.

Muße ist der Kern aller springlebendigen Kultur.

Wie können wir heute noch auf eine Kultur hoffen, wenn sie von unseren maschinellen Killern schon lange systematisch entsorgt wird?

Solange wir die obszöne Macht der Mußefeindschaft nicht zum Teufel jagen, werden wir kein Deut in der Welt ändern.

Fortsetzung folgt.