Tagesmail vom 12.05.2025
Die ERDE und wir. LXXV,
man muss nicht katholisch sein, um den weltpolitischen Charakter des neuen Papstes mit Erstaunen wahrzunehmen.
Obwohl amerikanischer Herkunft, wird Leo XIV. vom ersten Tage an zum Gegenbild Donald Trumps. Obgleich von theokratischer Unfehlbarkeit, unterstützt er von Anfang an universell-humanistische Werte, die von den neuen Weltherrschern in Washington geschmäht werden.
Der allmähliche Verfall trumpistischer Werte hinterlässt Zeichen der Hoffnung in der Welt.
Zwischen Pakistan und Indien scheint es doch keinen Krieg zu geben. China gibt sich zwar als Verbündeter Putins, will aber dennoch die Beendigung des Krieges mit der Ukraine. Inzwischen verhandeln die beiden Riesenmächte über die Berechtigung der Zölle.
Putin will sich persönlich mit Selensky treffen, um über Frieden zu sprechen.
In Europa gibt es erstaunliche Bilder zu sehen: von den EU-Mächtigen Macron, Tusk, Starmer und dem neuen deutschen Kanzler Merz, die wie eine fröhlich scherzende Jugendgruppe in der Bahn nach Kiew fahren, um, im Einklang mit Gastgeber Selensky, die Bedingungen für einen dauerhaften Frieden mit Moskau auszuhandeln.
Dass die EU nach einer langen Epoche der Unbeweglichkeit sich wieder regt, ist das Zeichen einer Wiederauferstehung, an die man lange Zeit nicht glauben mochte.
Kann es sein, dass wir in eine Zeit der Katharsis hineingeraten, die unsere uralten Verschmutzungen der Natur und der Menschheit zu säubern beginnt?
Merkwürdigerweise ist es der amerikanische Präsident, der mit seinen Brachialmethoden viele Dreckecken aufgedeckt und die Menschheit – unwillentlich – ermuntert hat, sich ans Werk einer globalen Säuberung zu machen.
Trump will eine bessere Welt, aber keine humanere. Seine Ziele sind geprägt von Money und Macht. Die Erfolgreichen sollen Gewalt über den Globus erhalten und die Erfolglosen ins Dunkel stoßen. Es gibt nur wenige Erwählte, die er für fähig hält, zu einer von Energie strotzenden Weltelite zu gehören.
Erstaunlich, dass die antiken Vorbilder Trumps – die er auf keinen Fall kennen will – wortwörtlich das propagieren, was er heute mit der Peitsche in der Hand nachäfft.
Der athenische Trump hieß Thrasymachos und wird noch heute in den Etagen der Gebildeten gepriesen. In Deutschland gab es vor Zeiten den Liberalen Ralf Dahrendorf, der als EU-Kommissar das Lob des Thrasymachos anstimmte.
Hierzulande wurde das nicht zur Kenntnis genommen. Man sah nur einen Freiburger Professor, dem es gelang, den „Positivismusstreit“ zwischen Popperianern und Anhängern der Frankfurter Schule wie Adorno und Habermas zu entfachen.
Der akademische Streit endete im Nirwana. Die Gründe der Erfolglosigkeit wurden bis heute nicht erforscht, Deutschland versank im Wirtschaftswunder und hat bis heute alle Kultur in den Mülleimer gekehrt.
Kultur ist Verstehen der eigenen Persönlichkeit und der Welt. Verstehen heißt weder Verändern noch Domestizieren. Aber es hilft beim Verändern, wenn man unter unbekannten Erfahrungen leidet.
Verstehen gilt heute nichts mehr. Die Heroen der Gegenwart wollen nicht verstehen, sondern durch Fortschritt verändern.
Thrasymachos „erklärte das Gerechte für den Vorteil des Stärkeren und zwar will er das zunächst so verstanden wissen, dass jede Regierung … die Gesetze auf den Vorteil der herrschenden Klasse zuschneidet. Jeder Mann, der zu Großem fähig sei, müsse auch mehr Vorteile haben und diese „im Widerspruch zum Recht“ anwenden. Ja, das Leben des Ungerechten sei besser als das des Gerechten, die „vollendete Ungerechtigkeit“ sei nützlicher als die vollendete Gerechtigkeit, die traditionelle Gerechtigkeit sei nichts als „anständige Einfalt“, die Ungerechtigkeit aber sei „Wohlberatenheit.“ Die Stärkeren seien fähig, Unrecht im großen Stil zu begehen und Städte und Völker zu unterwerfen. Thrasymachos geht aus von der Politik und gelangt wie diese zur allgemeinen Folgerung, dass das Leben des Ungerechten dem des Gerechten vorzuziehen sei.“ (Nestle)
Und doch gibt es einen Unterschied zwischen Thrasymachos und Trump. Die Gleichgültigkeit der antiken Götter gegenüber dem Treiben führte zum antiken Atheismus.
Die modernen Übermenschen aber sind, wie Trump, keine Gottlosen, im Gegenteil. Sie fühlen ihre Machtergreifungen zumeist unterstützt von ihrem christlichen Gott. Die Auserwählung der Wenigen ist heute kein frommes Ereignis mehr, sondern ein ökonomisches. Früher wählte Gott die Seinen durch deren Frömmigkeit aus, heute durch deren ökonomische Erfolge. Man könnte sagen, Kapitalismus sei die Übertragung vorbildlicher Frömmigkeit in vorbildliche Geld- und Machtgier.
So weit haben wir’s heute gebracht, keinen Millimeter weiter.
Das soll der riesige Fortschritt sein, den die Menschheit hinter sich gebracht hat?
Mager!
Der technische Fortschritt ist nur das äußerliche Mittel, um den erwünschten Fortschritt zu materialisieren.
Was wäre denn echter Fortschritt?
Das Näherkommen der Wiederkunft des Herrn, die Annäherung an das Ende der Geschichte, verbunden mit dem letzten Rechtsspruch über jeden Einzelnen.
„Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sich setzen auf den Thron seiner Herrlichkeit, 32 und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, 33 und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken. 34 Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! 35 Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. 36 Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen. 37 Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben? Oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? 38 Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen? Oder nackt und haben dich gekleidet? 39 Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? 40 Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. 41 Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! 42 Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. 43 Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht. 44 Dann werden auch sie antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient? 45 Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.“
Warum dieses lange Zitat? Um der Gesellschaft endlich mal zu verklickern, dass die Zeit geschlagen hat. Unsere Krisen sind Krisen der allerletzten Zeit. Danach wird Zappenduster sein, der technische Fortschritt landet in der Hölle.
Das ist nämlich der gigantische Widerspruch zwischen den Mächtigen der Welt, die sich heute im himmlischen Sinn für vorbildlich halten und jenen, die am Ende der Geschichte entweder ins ewige Leben oder in die ewige Verdammnis kommen. Stellen wir uns Trump vor, der heulend zu Gott fleht, nicht in die New Yorker Slums verdammt zu werden.
Die Moderne imitiert nur. Wir wiederholen die Konflikte zwischen alttestamentarischen Juden und aufgeklärten Hellenen.
„Dem griechischen Überlegenheitsgefühl mit seinem Gegensatz zwischen „Hellenen“ und „Barbaren“ stand auf jüdischer Seite ein – für die Antike einzigartiges – Erwählungsbewusstsein gegenüber, das in dem Gegensatz zwischen „Israel“ und den „Völkern der Welt“ zum Ausdruck kam.“ (Hengel)
Ein wichtiger Erwählungsspruch der Juden lautete:
„Drei Lobsprüche muss man an jedem Tage sprechen: Gepriesen sei Gott, dass er mich nicht als Weib erschaffen hat. Gepriesen, dass er mich nicht als Unwissenden geschaffen hat. Gepriesen, dass er mich nicht als Goj geschaffen hat: denn alle Gojim sind wie nichts vor ihm.“ (Hengel, Juden, Griechen und Barbaren)
Was hat das mit der Gegenwart zu tun? Dieser Erwählungsglaube allein macht das schreckliche Kriegsverhalten Netanjahus und seiner Leute unmissverständlich klar. Da hilft kein diplomatisches Gesäusel mehr, die Ultras Israels kennen ihr Ziel und werden es mit äußerster Brutalität verfolgen. Nur sie sind die Erwählten: ihr Tun ist vom Himmel gesegnet.
Aus diesem Ziel machen sie kein Geheimnis. Schon immer propagierten sie theologisch: wir sind die Söhne des Lichts, die anderen die Söhne der Finsternis.
Doch die Welt nimmt solche biblischen Sprüche nicht mehr ernst. Sie hat die Frömmigkeit in hohle Sprüche verwandelt.
Das ist der Vorteil der wirklich Frommen, die ihre innersten Motive offen darlegen können, ohne zu befürchten, dass die ungläubige Welt ihnen auf die Schliche kommt.
Israel betreibt eine schreckliche Verdrängungs- und Vernichtungspolitik gegenüber den Palästinensern. Doch mit politisch-instrumentalisierten Holocaust-Argumenten dämonisiert es alle Kritiker zu Antisemiten, die es vollständig negieren kann.
Holocaust ist ein Erinnerungstag an ein fürchterliches Volksverbrechen der Deutschen.
Er ist keine Ermächtigung, gegen internationale Universalgesetze zu verstoßen.
Deutschland, das Land der Täter, muss in der Tat loyal gegen Israel sein. Doch diese Loyalität darf nicht das Unrecht Israels gegen andere Völker rechtfertigen.
Deutschland hat seine ungeheure Schuld noch nicht bewältigt. Sonst würde es sich nicht genötigt fühlen, seine Schuld zu kompensieren durch Unterstützung neuer israelischer Verbrechen.
Margot Friedländer, die wunderbare Überlebende des Holocaust, sagte den Deutschen: Seid Menschen. Nicht Juden, nicht Auserwählte, nicht Bevorrechtete, sondern nur: seid Menschen.
Das haben die Antisemitismus-Jäger im Auftrag Netanjahus noch immer nicht verstanden: sie sind nur entsetzt über die Untaten der Nichtjuden. Von Verstehen kann keine Rede sein. Wie könnten sie aus der Entfernung wissen, von welchen Motivationen antijüdische Gewalttäter angetrieben werden.
Die Analyse antisemitischer Kriminaltaten ist auch keine Wissenschaft, wie einige Linke behaupten. Sie hat nur etwas mit Verstehen zu tun. Wir müssen unsere Vergangenheit verstanden haben, um die Untaten der Nazis nachzuvollziehen – und nicht mehr zu wiederholen.
Zum Schluss ein vorbildlich verstehendes Zitat aus einem Kommentar von Juliane von Mittelstaedt im SPIEGEL:
„Seit über zwei Monaten lässt Israel keine Lebensmittel, keine Medikamente und keinen Treibstoff in den Gazastreifen. Kinder sterben an Unterernährung. Währenddessen bombardiert Israel so erbarmungslos wie selten zuvor in diesem Krieg. Schutzlose Menschen werden in ihren Zelten zerfetzt. Allein in der vergangenen Woche starben Dutzende durch Bomben auf eine Schule und ein Restaurant, das auch als Suppenküche diente. Auch Kinder waren unter den Toten. Damit es keine Missverständnisse gibt, führte Finanzminister Smotrich noch aus: Israel werde den Gazastreifen vollständig zerstören und entvölkern, spätestens in einem halben Jahr könne man dann den Sieg erklären. Es braucht schon lange keine fein ziselierten völkerrechtlichen Abhandlungen mehr, um zu dem Schluss zu kommen, dass Israel Kriegsverbrechen begeht und das Völkerrecht bricht. Diese Regierung hat alle Hemmungen verloren. An ihrer Spitze steht ein Premierminister, der um sein politisches Überleben kämpft und zu allem bereit ist. Seine Regierung ist in großen Teilen ultranationalistisch und rechtsextrem, bekämpft die demokratischen Institutionen im eigenen Land. Wie will diese Bundesregierung jetzt noch ernsthaft Einfluss nehmen? Denn ohne Druck und Drohungen wird es ja nicht gehen, mit Bitten und Mahnungen ist bei Netanyahu nichts zu erreichen, das musste schon Trumps Vorgänger Joe Biden feststellen.“ (SPIEGEL.de)
Fortsetzung folgt.