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Die ERDE und wir. LXXI

Tagesmail vom 28.04.2025

Die ERDE und wir. LXXI,

Gibt es unfehlbare Menschen? Ja, wenn der Herr ihnen Unfehlbarkeit verleiht: doch nur ex cathedra – wenn sie direkt in seinem Auftrag handeln.

Zu den Unfehlbaren gehören der inzwischen verstorbene katholische Papst – und der noch teuflisch lebendige Herrscher Amerikas namens Donald Trump.

In deutschen Gazetten werden beide als unversöhnliche Gegner bezeichnet, ja, der Mann aus dem Vatikan wird als Segen für die Welt betrachtet, weil er in vielen Grundfragen das Gegenteil zu Trumps Weltzerstörungspolitik darstellte.

Schaut man genauer hin, zerplatzt der Schein des erhofften Widerspruchs, denn beide gehorchten dem Geist der Unfehlbarkeit. Mag der Inhalt ihrer Weltpolitik oft anders gewesen sein, handelten sie dennoch im selben Geist:

„Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in aller Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. 14 Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er’s nehmen und euch verkündigen.“

Die TAZ wird nicht müde, zwischen den beiden Herren einen Abgrund zwischen Gott und Teufel zu sehen. Würden sie ihre Zeitung genauer lesen, müssten sie zur Kenntnis nehmen, dass viele Amerikaner es anders sehen:

„Für viele von ihnen ist Trump eine Art Erlöser geworden, der das Königreich des Herrn auf Erden jetzt und sofort zu errichten bereit ist. So waren christlich nationale Gruppen maßgeblich am Sturm auf das Kapitol 2021 beteiligt. Ihre Flagge mit einer grünen Tanne auf weißem Grund wehte durch den besetzten Parlamentssaal. Zuvor waren sie tagelang um das Regierungsviertel gewandert wie die Israeliten um Jericho, deren Mauern daraufhin einstürzten. Was genau Christentum in diesen Zeiten bedeutet, liegt wiederum ganz in der Deutungshoheit von Trump, der sich selbst als den „Auserwählten“ bezeichnet. Christlich ist demnach alles, was Trump tut.“
Die Journalistin Katherine Stewart, Autorin eines Buches über christlichen Nationalismus, schreibt: „Ziel der christlichen Nationalisten ist es allein, die Demokratie auszuhöhlen, bis nichts mehr übrig ist als ein dünner Deckmantel für eine scheinheilige Elite, deren Macht durch nichts mehr in Schach gehalten wird.“ (TAZ.de)

Trumps Unfehlbarkeit hat das Ziel, die ganze Welt zu erobern und gehorsam unter die Theokratie Washingtons zu stellen.

Was will der Vatikan? Unklar. Einerseits gilt für ihn: mein Reich ist nicht von dieser Welt. Andererseits war der Papst ein Freund der Armen und Elenden. Das biblische Wort: Macht euch die Erde untertan, galt nicht mehr für die Gläubigen, der Vatikan schloss sich der ökologischen Rettung der Natur an. Die jetzige Welt ist ein Reich der Sünde und muss abgelöst werden von einem neuen Reich am Ende der Geschichte.

Trumps Unfehlbarkeit ist Unberechenbarkeit in gigantischer Machtfülle. Was auch immer er tut und sei es noch so widersprüchlich: es ist göttlich unfehlbar.

Die vatikanische Unfehlbarkeit widerspricht der christlichen Lehre, die eigene Botschaft aus der unfehlbaren Schrift abzuleiten. Zwar handelt der Katholizismus nicht im Geiste Luthers, der unmissverständlich gesagt hatte: das Wort, sie sollen lassen stahn.

Diese wörtliche Bibeltreue gilt selbst für die Evangelischen schon lange nicht mehr. Spätestens seit dem theologischen Romantiker Schleiermacher muss das Wort einem unbestimmten Gefühl weichen: dem „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“.

Dieser Verwässerung der Interpretation folgten auch die Katholiken und bestimmten allmählich selbst, was die Schrift den Gläubigen zu sagen hat. Während der bayrische Theologe auf dem Papstthron noch ziemlich „lutherisch“ dachte, war der Argentinier wesentlich lässiger oder freier in seinen Verstehens-Maximen. Seine persönliche Botschaft war sozialer und ökologischer als die der ultrareichen Natur- und Menschenzerstörer. Biblisch „korrekt“ im Ursinn der Auslegung war das natürlich niemals.

Im amerikanischen Bible Belt herrscht zwar noch immer das altlutherische Motto: das Wort, sie sollen lassen stahn. Doch die Majorität der Frommen hat sich längst von solchen Geboten gelöst und folgt ihren immer subjektiver werdenden emotionalen Gefühlen.

Es herrscht ein teuflisches Gewirr in der Frage, wie man die Schrift denn nun korrekt oder schriftgemäß auslegen soll.

Doch das ist nicht nur Sache der Auslegung, sondern des Inhalts der Schrift selbst, der sich in allen Dingen widerspricht. Hier liest man die Einzelbefehle zum Leben der Irdischen, dort die generellen Imperative, die nicht die geringsten Ausnahmen kennen:

„Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst? Spricht etwa ein Werk zu seinem Meister: Warum hast du mich so gemacht? 21 Hat nicht der Töpfer Macht über den Ton, aus demselben Klumpen ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollem Gebrauch zu machen? 22 Da Gott seinen Zorn erzeigen und seine Macht kundtun wollte, hat er mit großer Geduld ertragen die Gefäße des Zorns, die zum Verderben bestimmt waren, 23 auf dass er den Reichtum seiner Herrlichkeit kundtue an den Gefäßen der Barmherzigkeit, die er zuvor bereitet hatte zur Herrlichkeit.“

Der Mensch hat nichts zu sagen und nichts zu deuteln, Gott entscheidet alles in Allmacht und Allwissenheit. Nur wenn der Papst von diesem Herrn eine irdische Unfehlbarkeit erhält, kann er sich auf Gottes Willen berufen.

Beim Begräbnis in Rom waren zwei Päpste präsent: der tote Katholik und der springlebendige Amerikaner, der davon träumt, zu seinen amerikanischen Würden die der katholischen Weltkirche hinzuzufügen.

Mag die Welt über dieses Ansinnen heute noch den Kopf schütteln, so wird sie schon in wenigen Jahren sehen, wie Donald zum cäsaropapistischen Allherrscher der Welt aufsteigen wird.

Jetzt aufpassen: Cäsaropapismus war dereinst der Titel des russischen Zaren und wird vermutlich zum künftigen Titel eines gewissen Wladimir Putin, dessen Machtträume immer identischer werden mit denen seiner zaristischen Vorläufer.

Wir sehen: je mächtiger und geringer die Anzahl der Weltherrscher, je mehr ähneln sie sich.

Eins ist klar: bleibt ein erfolgreicher Weltherrscher übrig, wird er sich – Gott nennen. Jetzt leben wir noch in einer polytheistischen Phase mit vielen Göttern, doch der Trend geht eindeutig in Richtung Monotheismus.

Das sind luftige Spekulationen, wirst du sagen? Keineswegs, wenn wir davon ausgehen, dass die Phasen der Weltgeschichte sich solange wiederholen werden, bis sie sich in Wohlgefallen auflösen werden.

Was ist das irdische Wohlgefallen der Menschheit? Die athenischen Erfinder der Demokratie sprachen von Humanität, von Wohlgefühl. Diese Begriffe sagen der modernen Welt immer weniger. Denn diese dümpeln noch immer im Abfallgewässer des Christentums, welches sich eines künftigen Tages in Armageddon in Nichts auflösen wird.

In der Heilsgeschichte der Erlöser hat Gott das alleinige Sagen. Die Geschichte Europas nennt Wilhelm Nestle „Vom Mythos zum Logos“.

Gewiss, auch die lineare Heilsgeschichte der Erlöser kennt einen Mythos, aber im Gegensatz zu dem der Heiden haben die Menschen im Mythos des Allmächtigen nichts zu sagen.

Mit anderen Worten, im Mythos der autonomen Heiden gibt es einen lebhaften Kampf zwischen Mythos und Vernunft. Wer einmal aufmerksam zur Kenntnis genommen hat, wie der heidnische Mythos funktioniert, wird kaum widersprechen, wenn wir sagen, das ähnelt der Aussage Freuds: wo Es war, soll Ich werden.

Es ist Mythos, Ich ist Logos. Ein Über-Ich kann es nicht geben, denn das wäre identisch mit jenem Gott, den die autonome Menschheit für immer verabschieden würde. Davon träumt die Geniehorde des Silicon Valley, doch wie das Ganze aussehen soll, wissen sie selbst nicht.

Von Musk hören wir nur, dass er um den Fortbestand der technikunfähigen Menschheit fürchtet. Weshalb er höchstpersönlich die Frauen dieser Welt beglückt, um eine existenzfähige Zukunftsgemeinde zu züchten.

Der Mythos der Erlöser ist der undurchdringliche Wille des Allmächtigen, der zwar einige Andeutungen in der biblia sacra niedergelegt hat, aber sich keineswegs gebunden fühlt, diesen Prophetien zu folgen.

Im Gegensatz zum Jenseits-Mythos der Erlöser ist der Mythos der griechischen Aufklärer auf dem Weg zur Demokratie die schwierige Arbeitspflicht der Irdischen, dem Unbewussten des Menschen sein politisches „Ich“ zu entlocken.

Nestle: „Die Durchdringung von Logos und Mythos stellt sich in doppelter Weise dar: das einemal steht der Verstand im Dienste der mythenbildenden Phantasie, das andermal die Phantasie im Dienst des verständigen Denkens.“

Man könnte auch sagen: der Mythos der Heiden ist das unbearbeitete, noch wirre Geschenk der Natur an den Menschen, der mit Hilfe seiner wachsenden Vernunft die versteckten Fähigkeiten der Natur entfalten soll.

Die sokratische Mäeutik ist der pädagogische Versuch, mit Hilfe logischer Fragen die Naturvernunft der Menschen bloßzulegen. Sokrates muss nichts lehren, er muss den Menschen anregen, sein eigenes Potential selbst aufzudecken.

Mythos und Logos sind keine Feinde, sondern Verbündete im Status des gegenseitigen Bearbeitens. Wenn der Versuch des gegenseitigen Erkundens gelingt, wird am Ende des Geschichtsprozesses die menschliche Vernunft und deren Utopie eines humanen Weltreichs stehen.

Doch der Mythos gibt nicht einfach nach, wie wir sehen, wenn wir sogleich den Verlauf der Weltgeschichte betrachten.

Nachdem es den Athenern trotz vieler Widerstände gelungen war, eine Vernunftherrschaft zu etablieren, gab es den ersten Höhepunkt einer menschenfreundlichen Geschichte.

Dennoch gab sich der Mythos nicht einfach geschlagen. Die Empörung der traditionellen Altathener war stark genug, um gegen die „modernen Besserwisser“ anzutreten und die ärgerliche Fremdherrschaft der Neunmalklugen allmählich zu ruinieren.

In diesen Abschnitt gehört die Anklage gegen den alles besser wissenden Sokrates, der allerdings nicht müde wurde zu behaupten, gar nichts zu wissen, auch wenn das Orakel von Delphi verkünden ließ, er sei der Klügste unter den Menschen.

Was war das vorläufige Zwischenergebnis des Kampfes zwischen Mythos- und Logos-Fans?

In den Worten des Aristoteles:

„Aristoteles erkennt einen solchen „von Natur königlichen Mann, der sich selbst Gesetz ist und keiner Staatsordnung unterworfen werden kann, ebenfalls als Ideal an, das aber bei der generellen Unvollkommenheit der menschlichen Natur höchstens in seltenen Ausnahmefällen wirklich vorkommen wird, weshalb ihm in der Regel der Gesetzesstaat vorzuziehen sein wird. Denn das „Gesetz ist ohne Leidenschaft“. Wer daher das „Gesetz herrschen lässt, lässt Gott und die Vernunft herrschen; wer aber einen Menschen herrschen lässt, der fügt das Tier hinzu.“

Wir sehen, die beste Demokratie wäre eine vor Leben sprudelnde Gemeinde, in der jeder Mensch die vernünftigen Grundprinzipien in sich hätte, ohne voluminöse Gesetzeswerke mit sich herum zu schleppen, um zu beweisen, dass er richtig handelt.

Wie ein normaler Mensch zwei und zwei im Kopf zusammenrechnen kann, so kennt er die Regeln einer Demokratie in- und auswendig, um seine Anliegen rechtmäßig zur Abstimmung zu bringen.

In der Anklage gegen Sokrates kippte die positive Entwicklung der Vernunft. Der Mythos hatte sich zurückgekämpft, weshalb die tiefen Denker sich noch mehr anstrengen mussten, um ihre Ethik noch gründlicher zu durchdenken.

Nestle formuliert:

„Was bisher durch äußere Einrichtungen, durch Autorität und Gewohnheit geregelt worden war, das Leben des Einzelnen und der Gesamtheit, das musste nun in einem neuen Grunde, im Innern des Menschen selbst verankert, die Normen des Daseins mussten, unbeschadet aller neuen Erkenntnisse, aus dem gottverwandten Menschengeist abgeleitet werden. Das war die große Aufgabe der neuen Zeit, an deren Lösung die kommenden Jahrhunderte arbeiteten.“

Nach entsetzlichen Kämpfen mit dem intoleranten Christentum in der europäischen Geschichte erreichte die Entwicklung der Vernunft in der UNO-Erklärung den Höhepunkt des bisherigen Logos.

Doch jetzt geht’s wieder bergab. Der Mythos rumort und fordert seine alte Herrschaft zurück. Der Gott des Nichts ist dabei, blindlings um sich zu schlagen:

Weh! Weh!
Du hast sie zerstört
Die schöne Welt,
Mit mächtiger Faust;
Sie stürzt, sie zerfällt!
Ein Halbgott hat sie zerschlagen!
Wir tragen
Die Trümmer ins Nichts hinüber,
Und klagen
Über die verlorne Schöne.

Jetzt heißt es erneut zu bedenken: der Logos hat noch nicht gewonnen: der zurückgekehrte Mythos ist dabei, ihn gefährlich zu drangsalieren.

Liebe Menschen, der Kampf ist nicht hoffnungslos. Im Verlauf der Geschichte hat die menschliche Vernunft bewiesen, wozu sie fähig ist. Sie ist zum LOGOS fähig.

Fortsetzung folgt.