Tagesmail vom 24.03.2025
Die ERDE und wir. LXIII,
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist’s!
Dich hab ich vernommen.
Mörike vernahm Harfentöne, heute hören wir nur noch Kriegsalarm.
Kann man sagen, die Aufklärung brach der staatlichen Religion den Rücken?
Fragen wir die Expertin:
„Doch Ende der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts begannen Fundamentalisten sich gegen die Übermacht des Säkularismus aufzulehnen und der Religion erneut eine Hauptrolle auf der Weltbühne zuzuweisen. Das gelang ihnen auf bemerkenswerte Weise. Die Religion ist wieder zu einer Kraft geworden, die keine Regierung ungestraft ignorieren konnte. Sie ist vielmehr ein wesentlicher Bestandteil der modernen Gesellschaft geworden und wird künftig zweifellos innen- und außenpolitisch eine bedeutende Rolle spielen. Sie ist eine Gegenreaktion auf die wissenschaftliche und säkulare Kultur, die zuerst im Westen aufkam, danach aber auch in anderen Teilen der Welt Fuß fasste.“ (K. Armstrong, Im Kampf für Gott)
Welche Botschaften aber haben die Kirchen für heute, für die Katastrophen, die uns bevorstehen?
Haben sie Mittel, um diese Desaster zu überwinden? Hatten sie jemals der Menschheit irgendwelche Schrecklichkeiten erspart?
Am 23. März 1933 versprach Hitler, sich für friedliche Beziehungen zwischen Kirche und Staat einzusetzen. Fünf Tage später widerrief der deutsche Episkopat seine früheren Verordnungen, in denen er den Beitritt zur NSDAP verboten hatte und forderte die Gläubigen zu Treue und Gehorsam gegenüber dem neuen Regime auf.
„In seinem Buch „Der Mythos des 20. Jahrhunderts“, forderte Alfred Rosenberg das „positive Christentum“. Es war die Rede von der Abschaffung des „jüdischen“ Alten Testaments, von einer Streichung „offenbar verstellter und abergläubischer Berichte“ des Neuen Testaments und von der „Errichtung einer deutschen Kirche.“ Den deutschen Katholiken schärfte man 1937 ein, dass es sündhaft sei, dem nationalsozialistischen Staat Widerstand zu leisten. Als Tausende von Deutschen, die sich den NS widersetzten, in Hitlers Konzentrationslagern zu Tode gequält wurden, als man die polnische Intelligenz niedermetzelte, als 100 000e von Russen sterben mussten, weil sie als slawische Untermenschen behandelt wurden und als man sechs Millionen Menschen hinmordete, weil sie Nicht-Arier waren, unterstützten Amtsträger der katholischen Kirche in Deutschland das Regime, das diese Verbrechen beging. Der Papst … schwieg.“ (Guenther Lewy, Die katholische Kirche und das Dritte Reich)
Gewiss, inzwischen sind die christlichen Kirchen und die Juden wieder aufeinander zugegangen und haben biegsame Konkordienformeln gefunden, um den Frieden der Offenbarungs-Religionen zu propagieren.
Schließlich müsse das Wort nicht wortwörtlich ausgelegt werden, wenn man nach Belieben Eiapopeia predigen will.
Heute wird viel gegen Antisemitismus gekämpft – als Gewalttaten zurecht. Unfehlbare Ferndiagnosen auf bloßen Verdacht sind eines Rechtsstaates unwürdig. Theologisch weiß heute niemand mehr, woher Antisemitismus kommt und ob er identisch ist mit dem Hass gegen die Israelis, die die Palästinenser aus ihrem ursprünglichen Gebiet vertrieben, um ihr archaisch-biblisches Land wieder zurückzuholen.
Seitdem die USA sich mit dem modernen Judentum verbanden, um die beiden auserwählten Staaten kämpferisch zu verbinden, ist Israel vor dem Hass der Welt geschützt.
Die Propagandisten der Ultras verstanden es, jeden Hass gegen diese Symbiose als Antisemitismus zu diskriminieren. Niemand weiß heute, was der ursprüngliche Antisemitismus ist. Es genügt, wenn man alttestamentliche Fromme mit modernen Israelis identifiziert.
So entstand der Bruch zwischen dem religiösen Westen und dem Judentum – und den vielen „Reichen des Bösen“ in der ganzen Welt.
Die Spaltung war das Werk der neu erwachten Fundamentalisten, die jedes biblische Wort wörtlich nahmen und die ganze Welt zur Hölle wünschten, wenn sie ihnen widersprach.
„Das Ergebnis war, dass alle Fundamentalisten die toleranten, weitherzigen, mitfühlenden, versöhnlichen Lehren ihrer jeweiligen Religion verwarfen und stattdessen eine Theologie des Zorns, der Feindschaft und der Rache kultivierten.“ (Armstrong)
Auf diesen Gefühlsausdünstungen der wortwörtlichen Bibelausdeutung wuchert der menschenfeindliche Kapitalismus der amerikanischen Reichen und ihre Bereitschaft, alles Unerwünschte in der Welt mit Waffengewalt aus dem Weg zu räumen. Auch wenn man dabei lügen und betrügen muss, dass sich die Balken biegen. Wenn es um das Heilige geht, zählt keine Moral mehr.
Welche Moral?
Im Abendland stritten zwei Jahrtausende lang die heidnische Moral der Griechen und die Offenbarungsmoral der Juden und Christen. Unvereinbarkeiten und Kompromissformeln erzielten endlose Fragmente des Miteinander und Gegeneinander.
Wenn heute Moral diffamiert wird, ist es stets die Moral der Heiden. Die Machthaber von heute sind nicht nur unterirdisch vom Geist der biblia sacra geprägt. Amerikanische Fundamentalisten verleugnen die biblischen Wurzeln des Antisemitismus und beschuldigen alle politischen Gegner Israels des Antisemitismus.
Die Deutschen bleiben – nicht nur in militärischer Hinsicht – unerwachsen und denken, was Washington denkt.
Die amerikanischen Fundamentalisten fahren auf zwei Spuren, die sich völlig widersprechen. Auf der einen Seite lassen sie alle Widersprüche zu den Ultras unter den Tisch fallen, auf der anderen aber sind sie von „heiliger Wut“ erfüllt.
Die Juden, sagen sie, hätten sich den Titel des Auserwählten Volkes unrechtmäßig von der arischen Rasse angeeignet und jetzt auch noch das Heilige Land gestohlen.
Die amerikanisch-israelische Verbindung ist an Heuchelei nicht mehr zu überbieten. Denn die Amerikaner warten darauf, dass alle Juden sich zum Christentum bekehren, um Armageddon zu überleben.
„Das glückliche Ende hängt von der Bekehrung der Juden ab. Diese aber kann nur stattfinden, wenn die Juden im Besitz des gesamten Landes sind, das Gott ihnen geschenkt hat. „Mit anderen Worten, diese Christen unterstützen die Juden, um sie abschaffen zu können.“ (Eric Laurent, Die neue Welt des George W Bush)
Der unerträgliche Streit, wer ein wahrer Antisemit ist und wer nicht, hat mehrere Ursachen, die alle verdrängt werden.
„Das Unrecht, das den Palästinensern tagtäglich angetan wird durch die israelische Besetzung ihrer Gebiete, ist ein täglicher Verstoß gegen das Prinzip der Gleichheit, das doch zur Basis der Demokratie gehört.“ (Emmanuel Todd, Weltmacht USA)
Wo befindet sich der Hauptkonflikt zwischen dem Heuchelbündnis USA-Israel auf der einen – und dem Rest der Welt auf der anderen Seite?
Der Hauptkonflikt liegt „im Verlust einer universalistischen Betrachtungsweise, der verhindert, dass die USA die Welt vor dem Hintergrund von Gleichheit, Gerechtigkeit und Verantwortung wahrnehmen.“(ebenda)
Gleichheit und Gerechtigkeit entstammen der heidnischen Ethik der Altgriechen. Sie sind die wahren Bürgen einer rationalen Demokratie.
Und sie sind zugleich die Fundamente der UNO-Konvention nach dem zweiten Weltkrieg, um alle Völker der Welt einander rechtlich gleichzustellen.
In den ersten Jahren der Nachkriegszeit funktionierte die Gleichstellung der Völker, und das weltpolitische Klima verbesserte sich zusehends.
Doch spätestens ab Reagan wurde die internationale Gleichheit fallen gelassen und das Motto: „Wir sind die wahren Auserwählten“ verhalf Amerika zu einem Sonderstatus – dem Sonderstatus der Israelis gleichgestellt.
Seit diesem Verrat am Prinzip des Universalismus können die erwählten Völker tun und machen, was sie wollen: sie haben immer recht.
Da mag Israel der Völkerrechtsverletzung angeklagt werden: das schert Netanjahu keinen Deut. Der künftige Kanzler Merz spielt sogar mit dem Gedanken, den Völkerrechtsverbrecher nach Deutschland einzuladen. Sollte es dann zu Gewaltakten kommen, werden die Übeltäter allesamt Antisemiten sein.
Mit ihrer partikularen Politik sind die USA und Israel dabei, das Grundgerüst der Weltpolitik zu zerstören. Es herrschen jetzt zwei Prinzipien der rechtlichen Beurteilung. Universalistische Völker werden nach gleichen Prinzipien beurteilt, die auserwählten hingegen können tun und machen, was sie wollen: sie unterliegen nur heiligen Geboten.
„Die Vereinten Nationen müssen als Vertretung einer bestimmten Weltanschauung … die Institution werden, die weltweit für Ausgleich sorgt.“ Das bedeutet, Washington und Jerusalem fühlen sich keinem Volk dieser Welt, keiner UNO rechtlich verantwortlich: nur sich selbst. Sie allein sind die „unverzichtbaren Nationen der Weltpolitik“. Das ist ein Rückfall der Weltpolitik ins theokratische Mittelalter.
Oder mit anderen Worten: „im Weißen Haus und in Jerusalem geht der Geist der Unfehlbarkeit um.“ (Morris Berman, Finstere Zeiten für Amerika) Die Unvereinbarkeit von Fundamentalismus und Demokratie unterhöhlt auch die international anerkannten Rechte amerikanischer Gefangener. Nicht nur werden die Menschenrechte einiger Gefangener unterhöhlt, sondern auch das gesamte Fundament der amerikanischen Demokratie.
„Inhaftierung ohne Gerichtsverhandlung, Verweigerung eines Rechtsbeistands, jahrelange Verhöre in Isolationshaft – dies ist die gängige Praxis in den USA.“
Auch Edelmann Barack Obama ließ in Guantanamo Verhöre mit Foltermethoden durchführen.
Wo steht die Menschheit? Ist ihr Fortschritt auch ein moralischer und humaner? Wer die Entwicklung von Silicon Valley beobachtet, wird das Gegenteil behaupten.
Natürlich werden wir den Fortschritt der KI-Maschinen mit Leichtigkeit beherrschen, wie man uns ständig mitteilt. Nur was, wenn wir ständig mehr unter die Despotie der Maschinen geraten?
Angeblich wollen wir immer humaner werden, damit der Fortschritt uns nicht über den Kopf wächst.
Wie aber sollen wir dann das Buch von John Gray verstehen, in welchem er für die Abkehr vom Humanismus plädiert?
„Demgegenüber plädiere ich in diesem Buch für eine Abkehr des Menschen von seinem Solipsismus. Wir können die Welt nicht retten, doch das ist kein Grund zu verzweifeln. Sie muss nicht gerettet werden. In einer von ihnen selbst geschaffenen Welt werden Menschen zum Glück niemals leben.“ (Von Menschen und anderen Tieren, Abschied vom Humanismus)
Lasst uns wie die wilden Tiere werden. Dann werden wir täglich humaner – bestätigt Trump jeden Tag aufs Neue.
Fortsetzung folgt.