Tagesmail vom 24.02.2025
Die ERDE und wir. LV,
Kaum gewählt, schon ist CDU-Merz „jetzt der wichtigste Mann Europas“.
SPIEGEL:
1. „Die Aufgabe des Kanzlers Merz wird es sein, das Vertrauen in die politische Mitte wiederherzustellen und mehr noch: in das System an und für sich, in die Überlegenheit der liberalen Demokratie gegenüber autoritären Ansätzen.“
2. „Friedrich Merz muss künftig zwei Rollen ausfüllen, er muss nicht nur Kanzler sein, sondern zugleich eine Art Präsident im Kanzleramt, der gegen den großen Frust im Land anredet, um Vertrauen wirbt, wieder so etwas wie Zusammenhalt herstellt, ein Stück von jenem Grundkonsens, der diese Republik über Jahrzehnte getragen hat.“ (SPIEGEL.de)
ad 1: Schon wieder das unausstehliche Tremolo: links, rechts, Mitte. Werft diese Verwirrbegriffe in die Tiefen des Ozeans, entzieht ihnen das Leichengift, damit riesige Wassermassen nicht zum Grab endlos vieler Meeresbewohner werden.
Eine Mitte gibt es auch nicht, sondern nur falsche Kompromisse, die immer wieder auseinanderfallen, ja auseinanderfallen müssen, denn sie haben keine Gemeinsamkeiten, sondern nur scheinbare Ähnlichkeiten.
Kein Mensch kann Vertrauen in eine trügerische Mitte herstellen. Jeder Demokrat ist selbst zuständig für sein Denken, Fühlen und Handeln. Vertrauen wächst in der Familie, in der die Kinder ihre ersten Erfahrungen sammeln. Spätere Erfahrungen hängen von primären Grunderfahrungen ab. Hier muss man sagen: demokratische Fähigkeiten wachsen in der Kinderstube – oder gar nicht.
Merz & Co sind Spiegelbilder der Gesellschaft, nicht umgekehrt. Wie Gesellschaften sind, so sind auch ihre Repräsentanten. Außenseiter bestätigen die Regel – kritische Positionen werden mit Dankbarkeit bestätigt oder mit Hass verabscheut.
Wäre Sokrates nicht verurteilt worden, hätte die athenische Demokratie reelle Überlebenschancen gehabt. Nicht Trump hat die amerikanische Gesellschaft verwüstet, sondern die verwüstete amerikanische Gesellschaft hat ihn im fundamentalistischen Glaubenssumpf gezeugt. Erst wenn dieser ausgetrocknet wird, kann man wieder Anfänge der wunderbaren Natur entdecken.
ad 2. In Nachkriegsdeutschland gab es nie einen demokratischen Grundkonsens, nur das ängstlich bangende Imitieren eines Siegervorbildes, repräsentiert durch eine – schuldlos scheinende – Großvaterfigur, die sich mit der abendländischen Erlöserreligion verband und von „Gott“ oder „unseren abendländischen Werten “ sprach, wenn er seinen persönlichen Willen meinte.
Diesem Schema entsprachen alle CDU-Kanzler, die – ohne göttliche Allwissenheit im Rücken – nie die unsägliche Tätergesellschaft zur Raison gebracht hätten. Die schnellen Wirtschafts- und Fußballwunder waren für die Deutschen eher höhere denn selbsterarbeitete Wunder.
Und jetzt: wieder Warten auf Godot – oder Warten auf den Himmel, an den man glauben, aber den man nie erwähnen darf.
In einer vitalen Demokratie bestimmt das Volk die Grundemotionen, als auch die in Praxis übersetzten Gedanken. Was müsste das für ein religiöser Heros sein, der es schafft, ein ganzes Volk in sein privates Paddelboot zu setzen und es dorthin zu steuern, wohin die Menschen nie wollten.
Das Abendland besteht aus zwei Grundelementen: einer Erlöserreligion, die den Menschen das Denken und Tun abnimmt (bei Luther, nicht bei Calvin oder den Katholiken) – und dem griechischen Geist der Selbstbestimmung.
Diese beiden Grundelemente sind in keinem Punkt vereinbar – obgleich sie scheinbare Ähnlichkeiten aufweisen: beide wollen den Menschen ein glückliches Leben ermöglichen; die Griechen durch selbstbestimmtes Lernen und autonomes Denken, die Priester durch gehorsamen Dienst an der himmlischen Erlöserbotschaft.
Warum können diese beiden Botschaften nie vereinbar sein? Antwort:
„… soviel der Himmel höher ist denn die Erde, so sind auch meine Wege höher denn eure Wege und meine Gedanken denn eure Gedanken.“
Der Mensch ist zu gering, als dass seine Werke mit denen des Schöpfers zu vergleichen wären.
Zumeist haben die frommen Gelehrten die Weisheiten der Heiden für niedere Zwecke benutzt. Doch ab der Renaissance wurde der falsche Friede torpediert. Spätestens in der Aufklärung war es aus mit falschen „Mitten und Kompromissen“. Die Kritik der Heiden raste hemmungslos gegen das Heilige. Eine CDU wäre hier so lächerlich gewesen wie eine Demokratie, die von Einzelnen emotional und intellektuell hätte bestimmt werden können.
Merkwürdig, dass die CDU-Matadore nie von ihrem Glauben sprechen, geschweige von der christlichen Geprägtheit ihrer „Mitte-Politik“. Selbst fromme Kanzlerinnen flüstern gelegentlich von ihrem privaten Glauben, doch was die Grundsätze ihrer christlichen Politik angeht, da hören wir nichts.
Warum eine christliche Politik die entscheidende „Mitte-Partei“ der BRD sein konnte, hing mit der beruhigenden Wirkung eines Gottes zusammen, der weit in die Tiefe der Geschichte zurückgedrängt wurde, um die Menschen in ihrem alltäglichen Leben nicht zu behelligen.
Deutschlands Mitte sollte ein Kompromiss aus kühlem Distanz-Glauben und fortschrittlicher Vernunft sein. Doch so, wie es keinen Kompromiss aus Glauben und Nichtglauben geben kann, so kann es auch keinen aus Kompromiss und Mitte geben. Entweder – oder, dann schlägt Gott zu.
Nehmen wir als Beispiel die Franzosen, die die früheste und schärfste Aufklärung und somit die schärfsten Angriffe gegen die „Popen“ durchgeführt haben.
Kein Wunder, dass in diesem scharfen Klima auch die „Gegenaufklärung“ bleihaltig war. Einer der hitzigsten Gegenaufklärer war Joseph de Maistre:
„Die Französische Revolution besitzt einen satanischen Charakter, der sie von allem, was man bisher gesehen hat und vielleicht auch von allem, was man noch sehen wird, unterscheidet.“
„Wahnsinnige, Narren, Verbrecher haben die Französische Revolution und die neue Verfassung geschaffen.“
„Die Französische Republik ist wesenhaft schandbar, elend, es findet sich nichts Großes in ihr, nicht einmal ihre Siege.“
„Die Revolution, dieses Werk schwarzer Magie, diese Produktion des Teufels, ist mit allen Mitteln des Kriegs, des Schwertes zu vernichten. De Maistre versteht seine Schriften als Schwertlehre. Er selbst ist ein gelehriger Schüler des Terreur, der Schreckensmache der Revolution, die er bekämpft.“
„“Der Krieg ist göttlich“, er ist das vorzügliche Mittel der Vorsehung, um ihre Ziele durchzusetzen. De Maistre bekennt sich zum Kriegsgott des Alten Testaments und des Islams. In der ganzen Natur herrscht das Gesetz des Tötens, herrlich, groß und furchtbar. So vollzieht sich ohne Unterlass das große Gesetz der gewalttätigen Zerstörung aller lebenden Wesen. Die ganze Erde, ständig mit Blut getränkt, ist nichts als ein riesengroßer Altar, auf dem alles lebt, geopfert werden muss, ohne Ende, ohne Maß, ohne Zögern, bis zur Verzehrung aller Dinge, bis zur Ausmerzung des Bösen, bis zum Tod des Todes.“
„Der Krieg ist also göttlich in sich selbst, denn er ist ein Gesetz der Welt. Gott ist immer mit den stärkeren Bataillonen. Das rechte Töten steht nur den Rechten zu: das Töten der Rebellen, der Anderen, ist Mord.“
„De Maistre hasst Griechenland. Dieses Griechenland war die Verzauberin der Nationen. Sind wir nicht durch Griechenland immer noch Heiden? Die Griechen sind von Anfang an Häretiker, in der Politik, in der Philosophie, in der Religion. Besessen vom Dämon des Hochmuts, des Disputs, haben die Griechen schon in den ersten Jahrhunderten die Kirche zerrüttet.
De Maistre sieht in „Griechenland“ sein gehasstes französisches 18. Jahrhundert, er sieht in seinem 18. Jahrhundert alle Laster der Griechen blühen: Zuchtlosigkeit, Anarchie, Willkür, das Leben der Literaten. Es sind die „bösen Philosophen“ , diese Intellektuellen, die mit ihrem verderblichen Glauben „der Mensch ist gut“ die Revolution vorbereitet haben.“
„De Maistre: der Mensch ist schlecht, deshalb bedarf er einer Regierung, einer Zuchtrute, einer harten Herrschaft.“
De Maistre vertritt ein pessimistisches und nihilistisches Menschenbild; dieses wird im 19. und 20. Jahrhundert zum Fundament aller totalitären Ideologien, kirchlichen und faschistischen Systeme.
Zwischenruf: „Um 1960 sahen deutsche katholische Theologen in der Vernichtung der Menschheit durch die Atombombe einen Akt göttlicher Erbarmung und in der Zustimmung zur Anwendung einen Akt franziskanischer, christlicher Liebeserfüllung – hier stehen sie in der Nachfolge de Maistres.“
„Von diesem de Maistre führt eine breite Straße zur „Action Francaise, zum Faschismus, zur Rechtsdiktatur des 20. Jahrhunderts. Der Papst muss unfehlbar und souverän sein. Der Papst ist der einzige und letzte Hort gegen die Revolution.“ (alle Zitate in Friedrich Heer, Europa, Mutter der Revolutionen)
Nun müsste der Sinn der vielen Zitate klar geworden sein. De Maistre, hasserfüllter Gegner der Aufklärung und des Selbstdenkens, ist das große Vorbild des gesamten modernen Rechtsrucks.
Kein Trump, kein Musk, keine biblischen Fundamentalisten, keine Wähler Trumps, ohne Gegenaufklärer vor 250 Jahren.
Auch in Israel gibt’s jene ultrarechten Gegenaufklärer, die die zionistischen Atheisten und Aufklärer mit brutaler Gewalt einschüchtern und zum messianischen Glauben zwingen wollen.
Der Schriftsteller Amos Oz erzählt in einem seiner Bücher eine angsterregende Begegnung mit ultraorthodoxen Frommen in einem Bezirk Jerusalems – nachdem die Frommen einen Sieg über die Säkularen errungen hatten:
„Und während er durch die Straßen eines ultraorthodoxen Viertels wanderte, empfand Oz angesichts der Vitalität des Charedi-Judentums beklemmende Furcht und Hilflosigkeit. „Aber du wirst dir auch keine heimliche Bewunderung für die unerschöpfliche Lebenskraft dieses Judentums erlauben dürfen, weil es anschwillt, sich aufbläht, deine geistige Existenz bedroht und an den Wurzeln deines Daseins nagt, um zu guter Letzt das Erbe anzutreten.“
Säkulare Israelis, scheint es, fürchten ebenfalls die Vernichtung und empfinden irrationale Angst, wenn sie mit ihren religiösen Feinden konfrontiert werden. Das eigentliche Ziel ihres Kults ist die Vertreibung der Araber, um danach die säkularen Juden zu unterdrücken und uns alle unter die Brutalität ihrer falschen Propheten zu zwingen.“ (In Karen Armstrong, Im Kampf gegen Gott)
Woher kommt die Macht der Ultrafrommen über Israel? Von ihrem Glauben, die Erlösung der ganzen Welt sei abhängig von der Erlösung Israels. „Die Erlösung der Welt ist von der Erlösung Israels abhängig. Daher rührt unser moralischer, geistiger und kultureller Einfluss auf die ganze Welt. Ausgehend vom Volk Israel, das sein gesamtes Land besiedelt, wird sich der Segen auf die ganze Menschheit erstrecken.“ (ebenda)
Auch die USA sind getrennt in Fundamentalisten – und säkulare Vernunftdemokraten. In den letzten 4 bis 5 Jahrzehnten haben die Bibelgläubigen Amerika zurückerobert und die Wahl Trumps ermöglicht.
Was sich da in Amerika ereignete und noch immer ereignet, verstehen die Deutschen nicht, sie glauben sich von allem Bibelglauben befreit.
Deshalb verstehen sie auch nicht die unbegreifliche Machtergreifung Trumps. Vielleicht verstünden sie es, wenn sie das Manifest der Fundamentalisten gegen den säkularen Humanisten zur Kenntnis genommen hätten:
„ER leugnet die Gottheit Gottes, die göttliche Eingebung der Bibel und die Göttlichkeit Jesu Christi:
leugnet die Existenz der Seele, des Lebens nach dem Tode, der Erlösung und des Himmels. Der Verdammnis und der Hölle.
leugnet den biblischen Schöpfungsbericht: glaubt, dass es keine absoluten Werte gibt, weder Recht noch Unrecht.
setzt sich ein für die gleichmäßige Verteilung des Wohlstands in Amerika, um Armut zu verringern und Gleichheit herzustellen.
glaubt an die Kontrolle der Umwelt, die Kontrolle der Energie und deren Beschränkung.
glaubt an die Abschaffung des amerikanischen Patriotismus und an das System des freien Unternehmertums, an Abrüstung und an die Schaffung einer sozialistischen Weltregierung.“ (in Armstrong)
Wie könnte Merz eine Regierung bilden mit dem Ziel der Gerechtigkeit, der ökologischen Klimareinheit und der Gleichheit aller Menschen?
Fundamentalisten aller Länder könnten auf die Idee kommen, ihm den Schädel zu spalten.
Fortsetzung folgt.