Tagesmail vom 21.02.2025
Die ERDE und wir. LIV,
Zweitausend Jahre sind vergangen und wieder liegt eine hochintelligente Erdbevölkerung zertrümmert am Boden.
Hat sie ihr Klassenziel erreicht?
Welches Klassenziel?
Womöglich besaß sie eines vor vielen, vielen Jahren. Heute ist jedes Ziel aus dem Kanon des Wünschenswerten gestrichen: immer weiter, immer weiter, niemand weiß, wohin.
„Ach! Ein wissenschaftlicher Mann sollte keine Wünsche haben, keine Neigungen – ein bloßes Herz aus Stein.“ (Darwin)
Wissenschaftler sind wie Medienschreiber: beobachten und notieren, was ist. Niemals aber, was sein sollte.
Das sieht man an den jetzigen Wahlen in Deutschland. Sie sind fast belanglos. Wer immer gewinnt, er muss den Karren dorthin schieben, wohin er schon immer hingeschoben wurde. Radikale Abweichungen oder Gesinnungsänderungen – ausgeschlossen.
Aus dem Streit, was sein sollte, müssen sich „objektive“ Schreiber raushalten. Doch woher kommt es dann, dass sie zurzeit einen endlosen Trubel über die kleinste Differenz zwischen den Parteien entfachen müssen?
Sie organisieren nicht enden wollende Streitgespräche, um zu zeigen, was die Rivalen denken und wohin sie wollen sollten.
Streitgespräche? Die kann man nur führen, wenn man sich gegenseitig überprüfen will. Prüfen in welcher Hinsicht? In dem, was ist oder in dem, was sein sollte?
Prüfen, was ist, nennt man heute Faktencheck. Eigentlich ist das die Sache der Naturwissenschaften: dreht sich die Erde um die Sonne oder umgekehrt?
Seitdem diese quantitativen Überprüfungen solche gigantischen Erfolge erzielen, sind sie zum eindeutigen Vorbild aller Tatsachenüberprüfer geworden: sie sind die objektivsten und neutralsten aller Beobachter.
Die Überprüfbarkeit aller Tatsachen ist die Exzellenz der Naturwissenschaften. Aber nur im Bereich des Ist. Streitgespräche im Bereich des Politischen und Moralischen fallen in den Bereich des Sollens.
Mit welchen scheinbar unfehlbaren Methoden sind die Medien imstande, das Reich des Sollens zu überprüfen? Sie stellen harte Fragen nach den Fakten, die von den Politikern geäußert werden.
Damit aber verlassen sie das Gebiet des Ist; heimlich sind sie ins Gebiet des Sollens ausgewichen. Und jetzt kommt die Crux: im Bereich des Sollens gibt es keine objektive Wissenschaft. Hier gibt es nur Philosophie. Und hier müssen wir sagen: im Bereich des Sollens gibt es keine objektive Prüfmethode.
Es gibt nur mögliche Annäherungen, indem jeder seine Argumente gegen die des Anderen in den Kampf schickt. Entscheidend ist die Folgerichtigkeit der logischen Begründungen und die Authentizität der sie begleitenden Wünsche und Erfahrungen: wollen wir wirklich so leben wie die Geldgierigen, die keine Rücksicht nehmen auf die Erfolglosen? Nicht doch lieber wie die Einfühlsamen, die allen Menschen ein angstfreies Leben wünschen?
Ein wünschenswertes Leben ist subjektiv. Politik ist die Summe aller subjektiven Wünschbarkeiten – die sich in hohem Maße widersprechen können, weswegen die Kunst der Politik darin besteht: wie lassen sich die Widersprüche vereinbaren – oder noch tiefer – gibt es Methoden, die wahren Wünsche des Menschen, unabhängig von Geld- und Machtgier, durch echte Debatten herauszukriegen?
In echten Debatten muss jeder seine Argumente gegen diejenigen seines Gegners in den Kampf schicken. Argument gegen Argument. Und keineswegs: Fragen gegen Fakten, wie es die gegenwärtigen Medien endlos präsentieren. Das bleibt im oberflächlichen Bereich des Ist.
Ginge es nur um Fakten, wären demokratische Wahlen ein Kinderspiel. Da es um die Selbsterforschung vieler Menschen geht, sind echte Wahlen ein komplexes Ding.
Es kann also nicht darum gehen, Fragende auf die eine Seite zu stellen, die so tun, als ob sie die Wahrheit der Fakten gepachtet hätten und auf die andere Seite die Suchenden und Irrenden.
In echten Streitgesprächen stehen sich auf beiden Seiten Suchende, Wissenwollende, Irrende und Versöhnliche gegenüber. Es gibt Wahrheiten im Politischen, aber keine Methode, diese Wahrheiten irrtumslos zu erkennen. Die Streitenden müssen die Geduld aufbringen, die Qualität ihrer Argumente im Kampf mit anderen Argumenten selbst zu entdecken und allen Beteiligten die Gelegenheit zu geben, die Umsetzung ihrer Gedanken in gelebtes Leben zu überprüfen.
Was geschieht, wenn Steinreiche kraft der Macht ihres Geldes die Regierungen ihrer Staaten erringen? Wird ein Volk oligarchisch Regierter glücklicher und lebensfähiger als ein Volk gleichberechtigter Demokraten? Oder vermehrt sich das Elend einer Nation, wenn nur wenige ihre Ziele erreichen – auf Kosten der vielen, die fast nichts erreichen?
Wir sehen: echte Demokratien sind gigantische Experimente, die auf der Suche sind. Auf der Suche nach dem besten Leben. Zuerst müssen sie sich einigen, was sie für das beste Leben halten, dann müssen sie ihre Ideen so adäquat in die Realität überführen, dass alle Beteiligten in einem Mindestmaß zufrieden sein können und keine Gewalt-Anstrengungen mehr übernehmen müssen, um ihre Unzufriedenheit auf Kosten anderer los zu werden.
Zum ersten Mal erleben wir heute in den Tagen der Weltkrise, dass ein sogenannter Weiser namens Sokrates in der Öffentlichkeit genannt wird. Die Krise der Menschheit käme dadurch zustande, dass man die Lehren des Sokrates brachial vergessen hätte.
Was aber ist Weisheit? Sind Experten weise? Dann wäre es einfach, sie als Politiker zu wählen – und alles wäre paletti?
„Denn von Weisheit kann ich nicht die geringste Spur in mir finden. Was meint er also damit, wenn er mich für den Weisesten erklärt?“ „Und was ist das für eine Weisheit? Vielleicht nichts anderes als schlichte Menschenweisheit … Die vorhin von mir genannten Männer dagegen dürften wohl Vertreter einer Weisheit sein, die über menschliches Wissen hinausgeht; ich wüsste keine treffendere Bezeichnung dafür.“ (Verteidigungsrede des Sokrates)
Das Orakel von Delphi hatte Sokrates zum weisesten aller Menschen ausgerufen, doch Sokrates konnte dieses Lob nicht auf sich sitzen lassen. Den vielen Menschen, die sich einbilden, etwas zu wissen, fühlte er sich zwar überlegen, aber wodurch?
„… jener bildet sich ein, ungeachtet seiner Unwissenheit, etwas zu wissen, während ich, meiner Unwissenheit mir bewusst, mir auch nicht einbilde, etwas zu wissen. Es scheint also, ich bin doch noch um ein kleines Stück weiser als er, nämlich um dies: was ich nicht weiß, das bilde ich mir auch nicht ein, zu wissen.“
Jesus, der Gottessohn, hat sich Sokrates zum Vorbild genommen. Durch Lehren seiner göttlichen Weisheit will er die Menschen ins himmlische Glück führen. Seine Predigt ist nichts als die Offenbarung eines allwissenden Gottes.
Sokrates` Weisheit hingegen ist nur seine eigene, die er durch Denken und Überprüfen herausgearbeitet hat. Aber worin besteht sie? Sie besteht darin, zuzugeben, dass wir nichts wissen – und an diesem Punkt beginnen müssen.
Mögen kluge Menschen vieles wissen, eines wissen sie bestimmt nicht: ihre Weisheit kann niemals die Weisheit vieler Menschen werden, wenn diese nicht bereit sind, von vorne zu beginnen, um alle Klugheiten von Grund auf streitig zu überprüfen.
Genau dies geschieht nicht in unserer Demokratie. Schon gar in Zeiten der Wahl, wo die Kandidaten nur auf ihre Formeln abgefragt werden – ohne diese mit den Meinungen der Fragenden zu konfrontieren.
So wird die Wahl zu einem quizartigen Abfragespiel: wer weiß denn sowas? Streiten aber ist nicht abfragen, sondern das Überprüfen wichtiger Politmeinungen. Alle Kandidaten haben dieselbe Pflicht, ihre Streitgegner in die Mangel zu nehmen wie umgekehrt. Meinungen sind keine Guthaben, die man im Tresor aufbewahren und nach Belieben wieder rausholen kann.
Was hat Trump mit Sokrates zu tun? Von außen mag es Ähnlichkeiten geben, von der Substanz her handelt es sich um das absolute Gegenteil. Trump zertrümmert alles, um die Weltherrschaft zu erringen, Sokrates erkennt die zertrümmerte und gefährdete Demokratie, weshalb er die Athener zum Neuanfang bewegen will: zum Neuanfang im autonomen Denken und Handeln.
Trump zerschlägt alles, was ihn auf dem Weg zur Weltmacht behindert. Genau hier müsste die kritische Welt den amerikanischen Autisten ins Abseits stellen und sich fragen: an welchen Punkten sind wir eingeschlafen und begnügen uns jetzt mit den Dummheiten eines Berserkers?
Hier wäre Trump fällig, denn seine Hauptwaffe war bislang das Geld und die Macht einer autistischen Nation: Make Amerika great again. Dieser Slogan ist das Verhängnis von Auserwählten, die nicht mehr wissen, was sie denken sollen – außer dem hybriden Motto: wir sind die Größten auf Erden.
Würden Trump und Musk sich auf der ganzen Welt durchsetzen, wäre die Existenz der Menschheit gefährdet. Musk würde die Menschenrasse in Algorithmen zerschlagen, Trump sie zu Knechten und Sklaven der Superreichen erniedrigen.
Mit anderen Worten; alle Demokratien wären hin-fällig, das Schicksal der Welt würde von Geld & Macht bestimmt. Wir hätten eine Despotie der Habenden. Ja noch mehr, da die Habenden den Segen des amerikanischen Gottes hätten, wäre die Gelddespotie eine Theokratie. Man sehe nur, wie die Frommen ihren Herrn segnen, um den Cäsaropapisten ins Amt zu begleiten.
Demokratie ist die Erfindung Athens. Deshalb heißt der Urahne Trumps – Thrasymachos. Thrasymachos ist der Gegner des Sokrates.
Ein moderner Befürworter des Thrasymachos ist Ralf Dahrendorf, der in seinem Buch „Pfade aus Utopia“ einen Aufsatz geschrieben hat: „Lob des Thrasymachos, Zur Neuorientierung von politischer Theorie und politischer Analyse.“ Kein Zufall, dass der später zum englischen Lord ernannte Professor Mitglied der FDP war, die heute nichts anderes mehr zu bieten hat – als Hayeks Neoliberalismus, der nichts ist als die Verwandlung der Thrasymachos-Ideologie in moderne Ökonomie.
In der Auseinandersetzung zwischen Thrasymachos und Sokrates hat der Letztere bei dem Lord die schlechteren Karten:
„Sokrates war der erste Funktionalist; denn er beschrieb die Gerechtigkeit als einen Zustand, in dem jeder tut, was er tun soll. Dies ist offenkundig ein unseliger Zustand: eine Welt ohne Rebellen und Eremiten, ohne Wandel und ohne Freiheit. Aber glücklicherweise waren weder Sokrates noch seine vielen Nachfahren in der Lage, die Gesetze zu machen, nach denen sie und wir leben. Auch … mögen sie daher eines Tages noch einsehen, dass solche Konkurrenz der Vielfalt die Bedingung der Möglichkeit sowohl der wirklichen Welt als auch der rationalen Erklärung ihrer Ereignisse ausmacht. Gerechtigkeit liegt daher eher im ständig sich wandelnden Resultat der Dialektik von Herrschaft und Widerstand als in einem allem Wandel entrückten Zustand unbewegter Institutionen.“
Auf Deutsch: nur regelmäßiges Zertrümmern alles Erreichten macht Fortschritt, nicht aber die Suche nach wohligem Behagen, das am Fortschreiten durch Kaputtmachen und Zertrümmern keine Freude hat.
„Höre, sagt Thrasymachos, ich behaupte, das Gerechte ist nichts anderes als der Nutzen des Stärkeren. Warum lobst du mich nicht? Du willst nicht.“
Trump will von der Welt gelobt werden, weil er durch fruchtbares Zerstören eine neue Welt, ja eine heilige Welt, hervorzaubern kann.
Die Athener kannten zweierlei Naturrechte: das Naturrecht der Starken und das der Schwachen. Sokrates war Verfechter der Schwachen, Thrasymachos der Starken.
Die nach-perikleische Demokratie war den Starken ein Verhängnis, sie sei nur auf „den Vorteil der schwachen Leute“ eingestellt. Bereits Gorgias, Lehrer des Thrasymachos, hatte seinen Schülern den Willen zur Macht eingepflanzt. Denn das liege in der Bestimmung seiner Rhetorik: „über andere zu herrschen“.
Das war das Credo eines Starken: „Ich will dem Volke feindlich gesinnt sein und, so viel ich kann, zu seinem Schaden beitragen.“
Menon, Schüler des Gorgias, zog aus dessen Lehre die Konsequenz „eines Immoralismus, der alle sittlichen und religiösen Schranken niederreißt“. (alle Zitate in Nestle, Vom Mythos zum Logos)
Hier erkennen wir Trumps Ideologie, eine Neufassung der antiken Rhetoren. Rhetorik war die damals phänomenale Kunst der Überredung der Massen durch zweideutig-verführerische und hinterlistige Phrasen.
In diesem Fach sind Trump & Co noch immer unüberbietbare Weltmeister.
Fortsetzung folgt.