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Die ERDE und wir. III

Tagesmail vom 12.08.2024

Die ERDE und wir. III,

eine atemberaubende Wolke der Völkerverständigung stieg auf in der Stadt der Freiheit, Geschwisterlichkeit und Gleichheit, flog über alle Länder hinweg, um sich jenseits der Meere ein neues Zentrum zu suchen.

Die Menschen waren außer sich und jubelten sich in einen humanen Rausch, der kein Lebewesen auf diesem Planeten unberührt sein ließ.

Schaut, zu welchen Wundern die Menschheit fähig war, die sich aus allen Ecken und Enden der Welt versammelt hatte, um den Wettbewerb friedlich miteinander zu zelebrieren.

Kein Wettbewerb, um Kriege zu führen, sondern den Agon des Friedens.

Es war noch nicht alles perfekt. Das Publikum jubelte bei nichtswürdigen Rekorden: wer weiter sprang, in der Luft wirbelte und schneller das Zielband riss.

Wie man die Natur schützt, die Menschen zueinander bringt: darüber gab es keinen Jubel. Hier muss die Spätgeburt der Evolution sich noch zum echten friedensliebenden Wesen entwickeln.

In allen Dingen wollen die Menschen über ihre Konkurrenten triumphieren, nur nicht in den Disziplinen kosmopolitischer Fürsorge.

Denn sie ertragen es nicht, in Dingen der Erkenntnis und Wahrheitsliebe ihren Mitmenschen unterlegen zu sein. Die äußerste Form der Eitelkeit ist ihre Abweisung jenes Wissens, das den Frieden der Menschheit garantieren könnte.

Wie Nietzsche den Sokrates verfluchte, so verdammt die Postmoderne alles, was nach gemeinsamer Erkenntnis und emotionaler Herzenswärme klingt.

„Der Poststrukturalist Roland Barthes wendet sich im Rahmen seiner Kritik am Logozentrismus auch gegen die sokratische Mäeutik; er sieht in der Vorgehensweise des Sokrates das Bestreben, „den anderen zur äußersten Schande zu treiben: sich zu widersprechen.“ (Wikipedia.org)

Auf der Suche nach demokratischem Zusammenleben musste der Agon sich bemühen, das Menschenfeindliche auszuradieren und das Friedliche zu erproben.

Da war zuerst die Übertragung des im Wettstreit wirksamen Prinzips der individuellen Höchstleistung aus dem Bereich des Spiels in den Ernst des Lebens: „Immer der erste zu sein und voranzustreben den anderen“.

Auf allen Gebieten des Zusammenlebens hatten die Menschen den Wettbewerb eingeführt, um die überkommenen Herrschaftsstrukturen zu schleifen.

„Der Übergang von der Natural- zur Geldwirtschaft führte vielfach zur Verschuldung, ja Versklavung des Kleinbauerntums und damit zur Erhebung gegen den Großgrundbesitz, der noch in den Händen des Adels war. Nicht mehr die vornehme Abstammung, sondern der Reichtum an mobilem Besitz wird jetzt ausschlaggebend für Geltung und Ansehen: „das Geld, das Geld macht den Mann“.“

An die Stelle des Schwerts traten Geld und Eigentum. Der kommende Agon ist kein Kampf der Körperkraft mehr, sondern des handelsmäßigen Profits.

„Der Agon, die Schule individueller Leistungsfähigkeit, zunächst zum Erweis körperlicher Tüchtigkeit und Gewandtheit, wird auf das geistige Gebiet übertragen, und an den großen panhellenischen Festen tritt neben die Athleten und Wagenlenker der Dichter und Sänger.“

Wie kommen wir zum Frieden und zur Gerechtigkeit? Das war die zunehmend aktuelle Frage der in allen Gebieten erwachenden Griechen.

„Nicht gleich anfangs zeigten die Götter den Sterblichen alles,
Sondern sie finden das Bessere suchend im Laufe der Zeiten.“

Allwissende Götter bevorzugen die Offenbarung, deren göttliche Stimme immer gilt. Philosophierende Menschen wissen, dass sie Zeit benötigen, um ständig hinzuzulernen. Das geht nicht ohne kritische Selbstprüfung und klingt nach Poppers Falsifikationsregeln. Nur was widerlegt werden kann, kann auch wahrheitsfähig sein.

In einer echten Volksherrschaft kann alles gedacht werden, aber nur, um vom gesamten Volk überprüft zu werden. Vorläufig wahr ist dann, was im Streit der Politiker ausgiebig überprüft wurde und nicht widerlegt worden ist.

Doch langsam; Popper denkt nur an theoretische, kausal determinierte Hypothesen: solange diese nicht widerlegt sind, gelten sie als wahr. Was aber ist mit Lebenswahrheiten, die im Labor nie widerlegt werden können?

Ihre politischen Hypothesen etwa wollen die Menschen nicht falsifizieren, sondern durch lebendige Politik verifizieren: sind Kriege bessere Friedensstifter als mühsame Verhandlungen? In Gesprächen müsste der Gegner verstanden, aber nicht verständnislos abgeurteilt werden. Der eigene Standpunkt darf erst am Ende der Gedankenkette zur Geltung kommen.

Verstehen z.B: die Europäer den „Kriegsverbrecher“ Putin; wissen sie, von welchen Motiven er getrieben wird – oder sehen sie nur sein schreckliches Morden der Menschen? Beides müsste streng getrennt werden.

Jeder Bösewicht ist ein Mensch, jeder Mensch verstehbar – was nicht bedeutet, dass man seinem Handeln zustimmen muss. Trump ist ein mephistophelischer Feind der Vernunft; weiß man, wie er dazu geworden ist? Welche Politik er damit verfolgt? Menschen hat man umso besser verstanden, je mehr man ihr Handeln im Großen und Ganzen vorhersehen kann.

Wer seine Gegner nicht verstehen kann, weiß auch nichts über sich selbst. Feindliche Motivationen im selben sozialen Raum hängen immer diametral zusammen. Ist der eine klug und weise, muss sein Feind das Gegenteil tun.

Poppers Demokratieverständnis ist zu einseitig von der determinierten Wissenschaft geprägt. Eine vernünftige Partei will ihr Programm nicht zuschanden machen, wenn sie an die Regierung kommt, sondern es zur vollen Vitalität entfalten und alle Hindernisse beiseite räumen. Das politische Leben ist kein steriles Labor, in dem verschiedene Lebensweisen experimentell überprüft werden können.

Die selbstkritische Kunst des Demokraten besteht darin, genau zu überprüfen, ob seine eigenen Prinzipien lebensfähig sind oder ob es an den Einstellungen der Gegner liegt, warum seine eigenen Maximen scheitern. Eine schwierige Lebenskunst.

Die Hauptfehler des normalen Demokraten bestehen darin, die Fehler der Polis dem Tun der Anderen zuzuschreiben und den Erfolg dem eigenen.

Sich klar zu machen, dass man selbst immer schuldig sein kann, ist verdammt schwer, zumal in Gesellschaften, in denen religiöse Schuld seit Jahrhunderten den Einzelnen eingebleut wird.

Bei Gorgias, dem Wanderlehrer, wird der Agon zum Friedensmittel. In Paris ist viel Frieden zwischen den Athleten gestiftet worden. Wie lange aber diese Friedensstimmung anhält nach den Wettkämpfen, weiß niemand.

Es war vor allem ein Fest für die Sieger. Doch was wird aus den Verlierern?

„Die Judokämpferin und deutsche Fahnenträgerin bei den Spielen in Paris geriet nach ihren zwei olympischen Bronzemedaillen 2021 in Tokio in eine depressive Phase. Wagner spricht öffentlich über ihre Probleme – ebenso wie eine wachsende Zahl von Athletinnen und Athleten: Turnerin Simone Biles etwa, Sportschützin Nina Christen oder Schwimmstar Michael Phelps. Sie fühlten sich teils schon im Kontext des Großereignisses Olympia traurig und ausgebrannt, oder sie vermissten nach den Wettbewerben Sinn und Ziel in ihrem Leben. Schwimmer Phelps hatte gar Drogenprobleme und Suizidgedanken.“ (SPIEGEL.de)

Hier ist die Friedensfähigkeit der Athleten schon so weit fortgeschritten, dass ihre Depressionen nach der Niederlage nicht mehr in Rachegelüste umschlagen.

Es scheint, als ob die Atmosphäre der „großen Politik“ aus Gehässigkeit und Aggression umgeschlagen ist durch den plötzlichen Stimmungswechsel im amerikanischen Wahlkampf:

„»Es herrscht große Erleichterung«, sagt auch Michael Steele, der Ex-Parteichef der Republikaner, im Sender MSNBC. »Ich muss nicht länger in der dystopischen Welt leben, die Donald Trump geschaffen hat.« Zum neuen Vibe gehört auch das Bekenntnis zu Harris’ markanter Lache, über die sich die Republikaner bisher echauffiert haben. »Ich nenne sie ›Laughing Kamala‹«, höhnte Trump noch im Juli. »Habt ihr gesehen, wie sie lacht? Sie ist verrückt.« Das zieht nun nicht mehr.“ (SPIEGEL.de)

Sollte das Ganze nicht nur ein glücklicher Zufall sein, sondern das Ergebnis einer an Erbitterung übersättigten Öffentlichkeit, sind die Epochen der einst unterirdischen, dann durch Trump hemmungslos entblößten Boshaftigkeit keine Zufälle mehr, sondern das Ergebnis eines unerwarteten kollektiven Motivationswandels.

Amerika ist nicht nur ein Hort statischer Hassgefühle, sondern ein Raum der Auseinandersetzung, in dem alle Gefühle durch öffentliche Auseinandersetzungen durchmischt und somit verbessert wurden.

Bei Gorgias ist der Agon zum Frieden gereift:

„Wichtig ist hier, dass der Friede als der natürliche, gesunde, normale Zustand erscheint, der Krieg als das Unnatürliche, Krankhafte, Abnorme gebrandmarkt wird. … Die politische Idee des Panhellenismus erweitert sich zu einer allgemeinen Betrachtung von Krieg und Frieden, die zur Verwerfung des Kriegs zum Preis des Friedens als solchen führt.“ (alle Zitate bei Nestle, Vom Mythos zum Logos)

Gorgias war auch Rhetor, seine Redekunst konnte gelegentlich dem Zwecke dienen, sein Publikum in die Irre zu führen.

„Ein Spezialfall dieser Lehre von der berechtigten Täuschung ist ihre Anwendung auf die Künste. Durch diese Wendung vom Ethischen zum Ästhetischen wurde er Begründer einer neuen Wissenschaft, der Ästhetik. Hier werden jene Künste geboren, die im Abendland zu den höchsten gerechnet werden.“

Nietzsche war ein Verächter des Sokrates, er war ihm zu moralisch. „Sokrates habe den rednerischen Wettkampf zum Streitgespräch verharmlost.“ Verharmlosungen waren nicht gerade die Leidenschaft Zarathustras.

Da Nietzsche jede Moral ablehnt, kann es für ihn auch keinen Agon geben, der das Gute predigt. Alles ist erlaubt.

„So erscheint der Kampf als das Heil, die Grausamkeit ist die Spitze des Lebensjubels.“

Wenn alle Kriterien des guten Agons verloren gehen, gibt es keinen Wettkampf mehr, der moralisch okay wäre. Der kapitalistische Wettkampf kennt keine Täuschungsverbote im Verkaufen seiner Produkte. Wer nicht aufpasst, ob er betrogen wird, geht in die Irre.

Im Kapitalismus gibt es nur agonale Regeln, die nach Belieben täuschen und betrügen können. Hier liegt das Grab jedes ernstzunehmenden Agons.

Wenn nicht alle Zeichen trügen, beginnt in Amerika eine neue politische Epoche: die Epoche der Lachenden. Natürlich kann man auch künstlich lachen. Wir werden schnell erfahren, ob die Lachenden auch die Moralischeren sind.

Das gläubige Amerika kennt den Satz der Bergpredigt im Lukasevangelium:

„Wehe euch, die ihr jetzt lacht. Denn ihr werdet trauern und weinen.“

Trump kann überhaupt nicht lachen. Höchstens zynisch grinsen. Ein befreiendes Lachen ist ihm fremd.

Was erwartet uns in nächster Zukunft? Wenn Harris/Walz ihr fröhliches Lachen aufrechterhalten können, wird es eine neue politische Atmosphäre in der Weltpolitik geben.

Doch wichtiger als einige Spitzenpolitiker sind die Menschen auf der Straße, in den USA freilich wird hier ein Problem entstehen. Lachende Politiker sind keine gehorsamen Gläubigen, die ihr Leben betrauern müssten.

Alles, was das Leben fröhlich macht, ist strikt verboten:

„Wehe euch, die ihr jetzt satt seid, denn ihr werdet hungern. Wehe euch, ihr Reichen, denn ihr habt euren Lohn dahin.“

Wissen die neuen Politiker, dass sie das Leben ihrer Wähler nicht froh machen dürfen? Und wenn doch, dass das Himmlische Gericht auf sie wartet? Die christliche Botschaft will das irdische Leben der Gläubigen nicht selig machen. Im Gegenteil.

„Fühlet euer Elend und trauert und weinet. Euer Lachen verkehre sich in Trauer und eure Freude in Niedergeschlagenheit.“

Was werden die beiden Politiker tun, wenn sie in einem Gottesdienst mit einer Predigt über diese Verse konfrontiert werden? Amerika kennt die Bigotterie, einerseits das Evangelium zu predigen, andererseits das Gegenteil zu tun. Es wird spannend.

Fortsetzung folgt.