Kategorien
Tagesmail

Die deutsche Armutslegende

Hello, Freunde der Aufseher,

der Bischöfe also, der Hüter und Schützer.

„Es soll nun der Bischof unbescholten sein, Mann nur einer Frau, nüchtern, besonnen, ehrbar, gastfrei, geschickt zum Lehren, kein Trinker, kein Raufbold, sondern freundlich, nicht streitsüchtig, nicht geldgierig. Ein Mann, der seinem eigenen Hause gut vorsteht, der seine Kinder in Gehorsam hält mit aller Ehrbarkeit, nicht ein Neubekehrter, damit er nicht aufgeblasen wird und dem Gericht des Teufels anheim fällt. Er soll aber auch ein gutes Zeugnis haben von denen, die draußen sind, damit er nicht der Schmähung anheim fällt und der Schlinge des Teufels.“ (1.Tim. 3,2 ff)

„Der Bischof soll unbescholten sein als Haushalter Gottes, nicht anmaßend, nicht jähzornig, kein Trinker, kein Raufbold, nicht schändlichen Gewinn suchend, sondern gastfrei, ein Freund des Guten, besonnen, gerecht, gottesfürchtig, enthaltsam, festhaltend an dem der Lehre entsprechenden Wort, damit er imstande sei, auf Grund der gesunden Lehre sowohl zu ermahnen als auch die Widersprechenden zu überführen.“ (Titusbrief, 1,7 ff)

Da muss es fidele Säufer und Schläger unter den Bischöfen gegeben haben, dass der Völkermissionar energisch werden musste. Weinsäufer aus der Pfalz und Biersäufer aus Bayern scheiden schon mal aus.

Ansonsten müssen alle Bischöfe der katholischen Kirche, Papst inbegriffen, sofort vom Heiligen Geist entlassen werden. Dem paulinischen Anforderungsprofil genügen sie nicht. Sie sind nicht Mann einer Frau, halten ihre Kinder nicht

in aller Ehrbarkeit, sondern verleugnen ihre ehebrecherisch in der Sakristei gezeugten Bälger, bezahlen zumeist nicht mal Alimente. Sie haben kein gutes Zeugnis von denen, die draußen sind, sondern nur von ihren eigenen Schäfchen. Inzwischen nicht mal von ihnen.

(Am liebsten loben diejenigen, die sich religiös unmusikalisch nennen, es sich mit den Kirchen aber nicht ganz verderben wollen – aus neurotischen Rückversicherungsgründen. Man weiß ja nie, ob an dem Ganzen nicht doch was dran ist. Zu dieser Kategorie gehören viele Gottlose wie Habermas, der erste Aufklärer des Landes, der der Aufklärung gar nichts zutraut und das Geschäft mit der Moral den Aufsehern, Hütern und Schützern des Glaubens überträgt. ER, der Denker, braucht natürlich keine Kirchenmoral, aber dieser randalierende Pöbel …: dem muss man mit der bewährten Drohmoral von Oben die Hosen stramm ziehen.)

Es gibt die Kategorie der linken, weltläufigen Katholiken, die gar nicht daran denken, jeden Sonntag zur Messe zu gehen, es aber für wichtig halten, aus vornehmer Distanz ihre Hand über die Kirche halten. Nein, nicht über die Kirche, sondern über das Urevangelium oder das, was sie dafür halten.

Im Zweifel wird die Kirche – nein, auch nicht die Kirche insgesamt, sondern nur herausgepickte Irrläufer – zum Abschuss freigegeben, weil man zwischen Urbotschaft und degenerierten Popen, Wasserpredigern und Weinsäufern, selbstverständlich zu unterscheiden weiß.

Für diese Salonjesuaner muss die Kirche im Dorf bleiben. Also sucht man sich einen Sündenbock aus, der den Fehler beging, seine Fehler nicht unter Verschluss zu halten.

Natürlich wissen religiös angehauchte „Salonmarxisten“, dass alle Prediger Sünder sind vor dem Herrn. Das war noch nie ein Problem. Schließlich ist der Herr für die Sünder gestorben und nicht für die Gerechten, die in Feuilletondeutsch immer die Selbstgerechten genannt werden. Weil sie die Unverschämtheit besitzen, selbst herauszukriegen, was sie für gerecht halten. Und diese Moral aus eigenen Kräften leben wollen. Es ist für sie keine Pflicht, sondern selbstgewählte Lust.

Dieselben linken Kommentatoren scheuen sich nicht, an anderer Stelle den kategorischen Imperativ oder den Appell Kants zu zitieren, dass jeder Mensch mit eigenem Kopf denken und seine Moral selbst begründen müsse. Kants gesamte Philosophie war eine Aufforderung zur Selbst-Gerechtigkeit. Auto-nom ist selbstbestimmt: das eigene Selbst bestimmt über den Nomos, das Moralgesetz.

Wer seine Moral nicht auf seinem eigenen Selbst, seiner eigenen Vernunft aufbaut, kann bei bestem Willen kein selbst-bestimmter Mensch sein. Er ist nicht autonom, er ist hetero-nom, fremdbestimmt.

Weltläufige Edelschreiber haben weder ein Problem mit Kant, noch mit der Fremd-gerechtigkeit der Christianer, die jedes Selbst mit der Taufe ertränken müssen. Luther sprach vom Ersäufen des alten Adam. Der war das Selbst der Menschen. Ab der Taufe oder der Wiedergeburt muss das Selbst ans Kreuz genagelt werden. Das Ich wird dem Gläubigen entfernt, an seiner Stelle wird der Erlöser eintransplantiert. Der erlöste Mensch ist der heteronome Mensch, der von Gott oder sonstigen Mächten Herumkommandierte.

Der amerikanische Soziologe David Riesman unterschied zwischen traditionsgeleiteten, innengeleiteten und außengeleiteten Menschen. Der Mensch, der sich kritiklos einer Tradition unterwirft, ist auch ein außengeleiteter. Er fragt sich nicht, ob die Werte der Tradition die seinen sind. Erst wenn er sie durchdacht und gut geheißen hätte, wäre er ein innengeleiteter, autonomer Mensch.

Für weltläufige deutsche Christianer alles kein Problem, sie verbinden elegant Feuer und Wasser, Tod und Teufel, Jaja und Neinnein. Schließlich sind Deutsche geborene Dialektiker. Hegel verspeiste am liebsten die Widersprüche und machte aus ihnen schwäbische Spätzle. Unausrottbare Widersprüche gibt es für deutsche Denker nicht. Und wenn doch, werden sie als Salz in der Suppe für unvermeidlich und gut erklärt: „Der Mensch ist kein ausgeklügelt Buch, er ist ein Wesen in seinem Widerspruch.“

Vernunft und Glaube, Kant und Ratzinger, Aufklärung und Predigt, Autonomie und Heteronomie: alles Jacke wie Hose. Da wird Armut gepredigt, gleichzeitig das Wirtschaftswachstum für alternativlos erklärt.

Den Gottlosen soll die Butter vom Brot genommen werden, indem man in eigener Regie die sündigen Seelenhirten in den Senkel stellt. Für solche Petitessen braucht man keine Religionskritiker mit „anti-katholischem Furor“, wie Heribert Prantl in der SZ formulierte, wobei er sich schon sehr tolerant vorkam, dass er die Antikatholen nicht in Bausch und Bogen vom Tisch des Herrn wischte. Wahre Christen kennen keinen Furor, gerade ihren schärfsten Kritikern begegnen sie mit Sanftmut und Lindigkeit. (Heribert Prantl in der SZ)

Man schont die Urbotschaft, indem man die Kirche angreift. Man schont die Kirche, indem man einzelne Irrläufer angreift. Um welchen Irren geht’s gerade? Um folgenden Bischof: Dieser Bischof verachtete die Weimarer Republik. „Er schätzte das Militär und trauerte dem Kaiserreich nach. Für Adolf Hitler fand Faulhaber oft lobende Worte. Nach dem misslungenen Attentat Georg Elsers 1939 schrieb er dem Diktator gar ein Glückwunschtelegramm. Und im Dom ließ er ein „Te Deum“ für ihn beten – ob aus taktischen Überlegungen oder aus Überzeugung, ist unklar.“

Aus taktischen Gründen lässt ein Kardinal ein Te Deum anstimmen? War sein Glaube selbst eine Taktik, um auf Erden klerikale Macht auszuüben? Unklar war gar nichts. Die deutschen Bischöfe waren zu 99% mehr oder minder begeisterte Hitlerfans. Die Begeisterung ließ erst nach, als der Führer systematisch pädophile Priester in aller Öffentlichkeit an den Pranger stellen ließ – um sich den Vatikan völlig gefügig zu machen.

99% aller evangelischen und katholischen Theologen – von den 110% ihrer Schäfchen gar nicht zu reden – waren überwältigt vom Wehen des Heiligen Geistes, wie der fromme und fanatische Nazi C. F. von Weizsäcker in den 60er Jahren erklärte. Doch nicht die Rolle der beiden Kirchen, nicht das eschatologische Credo der Nationalsozialisten, identisch mit der Lehre der Kirche, wird angegriffen, sondern einer aus der frommen Meute dingfest gemacht – um den Rest des frommen Vereins zu schützen. Rein zufällig hat‘s diesmal den Münchner Kardinal Faulhaber getroffen.

Was? O Pardon, daneben gegriffen. Ich wollte doch auf einen lebenden Limburger zu sprechen kommen, der zum einzigen Sünder des deutschen Katholizismus ernannt wurde – um von anderen Bischöfen und Kardinälen abzulenken. Der Mann mit der exzellenten Badewannenkultur und dem feinsinnigen Gespür für Denkmalspflege – wie der flotte Medien-Prinz Jakob Augstein dem Professor für Theologie bescheinigte – wird zurzeit stellvertretend für den luxuriösen deutschen Katholizismus hingerichtet.  (Jakob Augstein im SPIEGEL)

Schon vergessen? Der zurückgetretene Papst war ein deutscher, der sich mit allen prächtigen Gewändern schmücken ließ, um seine Aura der ganzen Menschheit zu vermitteln. Es ist sicherlich erfunden, dass der Nachfolger bei seiner Thronbesteigung dem Zeremonienmeister zugeraunt haben soll: der Karneval ist vorbei.

Die Deutschen bringen es fertig, dem neuen Renault-Franziskus zuzujubeln – ohne ihren deutschen Mercedes-Ratzinger mit einer einzigen Silbe zu kritisieren. So der BILD-Korrespondent in Rom, bis gestern ein Bewunderer Benedikts, heute ein glühender Bewunderer dessen Nachfolgers.

Natürlich ist die Bewunderung des Armendarstellers keine Kritik am Vertreter der ecclesia triumphans. Deutsche Dialektiker stecken solche Kleinigkeiten weg und gehen zur Tagesordnung über: der grenzenlosen Bewunderung aller Macht und Herrlichkeit in Ewigkeit Amen.

Um sich Selbstkritik zu ersparen, hat sich der deutsche Katholizismus nun wortlos darauf geeinigt, einen durchschnittlichen, aber PR-doofen Theologen rauszugreifen, um ihn dem neuen Stellvertreter als Kollektivopfer anzubieten. Oh, heiliger Franziskus, du siehst, wir bereuen unseren armen-feindlichen Kurs und werden zukünftig dafür sorgen, dass der Reichtum des deutschen Katholizismus – immerhin der reichsten Kirche der Welt – nie mehr so obszön nach außen dringt.

Natürlich werden wir an unserem Lebensstil nichts ändern, uns aber bessere Medienberater zulegen, damit unser gottgegebener Reichtum dem armen Frommen kein Ärgernis mehr bietet.

Hatte Benedikt in seiner letzten Freiburger Rede – vor geladenem Elitenpublikum – nicht gemahnt, die Kirche müsse auf Macht und Reichtum verzichten und sich auf den eigentlichen Auftrag des Verkündigens und Seelsorgens konzentrieren? In Kirchenkreisen genügt es, einen frommen Wunsch geäußert zu haben – schon ist der Wunsch zur Wirklichkeit geworden und die Kirche an Haupt und Gliedern reformiert. Wenn aber nicht, liegt es an der unvermeidbaren Sünde des Menschen.

Es ist üblich geworden, die Praxis der Kirche mit ihrer Theorie zu vergleichen und siehe: keine gemeinsame Schnittmenge. Was für eine heuchlerische Kirche aber auch!

An diesem Schwachsinn merkt man die progressive theologische Verblödung der Neugermanen, ein pädagogisches Meisterwerk des staatlich verordneten Religionsunterrichts. Die Kirche ist sehr wohl mit sich im Reinen, wenn Theorie und Praxis sich bei ihr widersprechen. Sie muss sich widersprechen, denn ihre heiligen Schriften widersprechen sich. Die Kirche erklärt den ständigen Widerspruch und ist wieder mit sich identisch.

Die Erklärung des Widerspruchs ist das Hauptgeschäft der Kirche: wir sind allzumal Sünder und ermangeln des Ruhms. Wären Theorie und Praxis der Frommen identisch, bräuchten sie keinen Heiland, der für ihre Widersprüche – sonst Sünden genannt – sterben müsste.

So war die Kirche von Anfang an eine uneinnehmbare Burg. Sie sündigte, was das Zeug hielt, büßte und bereute, was das Zeug hielt. Das war‘s: der Sünder wird vollkommen nicht durch gute, sondern durch böse Werke, die er auf dem Altar des Herrn beweint und bedauert. Die Kluft zwischen Worten und Taten wird von der Heilstat des Erlösers überbrückt.

Heute weht ein anderer Wind aus Rom. Der verfettete deutsche Katholizismus muss eine Kursänderung anbieten, damit er nicht bedeutungslos wird. Also opfert er einen Freund der eleganten Architektur und ist schwupps schon wieder auf dem neuen Zeitgeistkurs: diesmal die Sache mit den Armen.

Nun haben wir einen guten und einen bösen Kommissar. Der hässliche Deutsche muss stellvertretend für alle Sünden der Deutschen ans Kreuz geschlagen werden, damit der gute Argentinier die Leuchtkraft der Kirche unter Beweis stellen kann. In einer Milliardenkirche gibt’s immer wieder mal zwei Gute. Wenn die ins rechte Licht gerückt werden, hat die Kirche ihre Zeugen des Glaubens.

„Lebe in Armut für die Armen, verkündet Papst Franziskus. Das Gebaren des Bischofs Tebartz-van Elst stellt dieses Programm in Frage und verstärkt die Wut gegen die katholische Kirche.“ So schreibt Prantl, sonst zuverlässiger Rechtskommentator, der im Nebenberuf die Sache der Kirche verteidigt.

Lebt der Papst in Armut? Weil er keine roten Schuhe und keinen deutschen Mercedes mag, muss er schon ein Obdachloser sein? Hat er die Absicht, die prunkvollsten heiligen Gebäude der Welt einem russischen Milliardär zu verkaufen? Bezieht er eine schlichte Mietwohnung im Armenviertel von Rom?

Überhaupt: seit wann ist die biblische Botschaft eine Botschaft der Armut? Die Deutschen sind nicht mal fähig, das amerikanische Christentum zur Kenntnis zu nehmen, welches das genaue Gegenteil predigt. Ulrike Herrmann schreibt zwar, Max Weber mit seiner Calvinismus-Kapitalismusthese „sei widerlegt“, doch auf die unendlich vielen biblizistischen Rechtfertigungen des Moneymachens geht sie mit keinem Sterbenswörtchen ein.

Die Deutschen heiligen die Armut, um ihre eigene arme Herkunft als die wahre Auserwähltheit gegen die protzenden Amerikaner abzuheben. Sie wollen die Ersten sein im Himmelreich. Nur die Letzten und Ärmsten können im Himmel die Ersten und Reichsten sein.

Wie bitte? Die Reichsten? Ja, die Reichsten. Im Himmel liegen alle Schätze des Universums zum Gebrauch der instrumentell armen Deutschen. Die nicht anders nach Reichtum gieren als die Amerikaner, nur eine andere Methode bevorzugen, um an die unverrottbaren ewigen Schätze im Jenseits ranzukommen.

Ihre Armut ist die Methode des prophylaktischen Leids, um durch Kreuz zur Krone zu kommen. Selig sind, die hungern und dürsten, sie werden im Himmel mit allem reichlich gesättigt werden. Wie reich es im Himmel aussieht, siehe Offenbarung des Johannes 21,11 ff. Das sind wahre Reichtumsorgien, die sich mit Gold und Geschmeide überhäufen.

Die kollektive Armutslegende der Deutschen ist nichts als eine nationale Demutsattitüde, um sich von reichen Neocalvinisten narzisstisch zu unterscheiden. Selig sind die Armen im Geiste – heute würden wir von fehlendem Selbstbewusstsein reden –, damit Gott der alleinige Wohltäter sein kann.

Warum wird von Augstein, Prantl & Co nie die Forderung erhoben, die Kirche müsste ihre finanzielle Ausbeuterei des Staates einstellen? Wenn man sieht, wie sie den Parteien keine Steueränderung um Cents durchgehen lassen, ist es trostlos, wie dieselben Schreiber der Kirche alles durchgehen lassen. Sie wollen gar keine Änderung der Kirchen. Man braucht sie, wie sie sind, um den Deutschen Geborgenheit und das Gefühl der Überlegenheit über den Klerus zu bieten. Die miserable Kirche ist dazu da, den Deutschen das wohlige Gefühl zu vermitteln, die besten und verständnisvollsten Jünger Jesu in der Welt zu sein.

Wir kommen hier an dieselbe Stelle, an der die Vorkriegsdeutschen die „verjudete Kirche“ ablehnten, um ihren Wunschjesus zu preisen. Die absurde Verherrlichung der Armut, die angeblich im Neuen Testament stehen soll, ist eine heimliche Ablehnung des Alten Testaments, in dem, nach Sombart und anderen NS-Ideologen, die Juden ihren raffgierigen Mammonismus religiös formuliert hatten. Die Juden sind das genaue – aber nie genannte – Gegenstück zum arm-seligen Neuen Testament, von denen die Christen sich vorbildlich unterscheiden wollen.

Nirgendwo im Neuen Testament wird Reichtum verboten. Die Reichen sollen nur ihrer Pflicht nachkommen und Brosamen unter den Armen verteilen. Nur jene Form des Reichtums wird verurteilt, die den Himmel mit Mammon erobern will. Jeder Reichtum ist gottgefällig, der sich nicht selbst zum Gotte macht.

Seligkeit per Reichtum, das wäre Werkgerechtigkeit, gegen die Luther gewütet hat. Die Menschen sollen mit leeren Händen vor Gott treten: geistig, geistlich und materiell. Dann wird Gott sie in sein superreiches Reich aufnehmen. (Reich kommt von reich!)

Die Deutschen haben bis heute nicht verstanden, dass es nicht die eine Kirche gibt, sondern derer mehrere. Der leidenden und armen Kirche – ecclesia patiens – steht die siegende und triumphierende Kirche gegenüber, ecclesia triumphans. Wer viele Kirchen zur Auswahl hat, wähle jene, welche am besten zum Zeitgeist passt. Die Kirche ist vollkommen, auf falschem Fuß kann sie nicht erwischt werden.

Die Kirchen, gewitzt und machterfahren, haben speziell ausgebildete Task-Force-Medien eingerichtet, die jeden drohenden Skandal durch blitzschnelle Interventionen austreten, bevor er zum gefährlichen Flächenbrand werden kann. Dazu zählt Günter Jauch, der ein reißerisches Talkthema ankündigt, die richtigen scheinkritischen Leute dazu einlädt – und schon ist der Brand ausgetreten. In Medienkreisen spricht man unverhohlen von Feuerwehrmaßnahmen per Scheinkritik.

Da wird nicht über Christentum geredet, nicht über Kirche im Allgemeinen, nicht über die Geschichte der Kirche, sondern über einen belanglosen Hanswurst in Talar. (Jauch schwimmt persönlich in Geld – doch seine Tarife verrät er nicht, obgleich er auch von öffentlich-rechtlichen Kanälen gemästet wird –, spendiert als frommer, weltläufiger Katholik großzügig seinen Zehnten und hat mit dem Kapitalismus seinen Frieden geschlossen.)

Deutschland ist eines der reichsten Länder – mit einem der schlechtesten Gewissen der Welt. Eigentlich müsste das Land mitten im Winter in Jesussandalen daherkommen, damit es seinem religiösen Über-Ich genügt. Doch der Geist ist willig, das Fleisch aber gottlob schwach. Um das notorisch schlechte Gewissen zu bekämpfen, brauchen die Deutschen eine kollektive Armutslegende, in der sie sich projektiv spiegeln und jesuanisch bewundern.

Wenigstens in ihrem religiösen Wunsch-Ich wollen sie gerecht sein, damit die Welt sie bewundern müsste, wenn die Welt sie denn kennen würde. Aber ach, die Welt will sie nicht kennen. So bleibt Deutschland das verkannteste Wohltäterland der Erde. Noch immer würden sie die Welt liebend gern erlösen, doch ach, die Welt will kein zweites Mal auf deutsche Art erlöst werden. Bitte, dann hat‘s die Welt eben nicht besser verdient.

Von welchem Armengenie sind die folgenden Zeilen:

„Wenn du eitel bist, ein Karrierist, ambitioniert, wenn du es magst, gelobt zu werden, oder dich gerne selbst lobst, weil du glaubst, perfekt zu sein: Gib Almosen, und das wird deine Heuchelei heilen.“ (Annette Langer im SPIEGEL)

Wie vielen Karrieristen, Machthabern und Politikern hat der neue Wanderprediger im Vatikan bereits die Hand geschüttelt? Wie ambitioniert musste er selbst sein, um Papst zu werden? Wird Heuchelei durch Almosen geheilt? Sind alle Eltern, die ihre Kinder loben, Anstifter zur Heuchelei? Sind alle Ratschläge, sich durch gegenseitiges Lob zu akzeptieren und zu bestärken, windige Einfälle des Teufels? Luther hätte von Ablasshandel und Werkerei gesprochen.

Doch, höret, in den Worten des Franziskus verbirgt sich ein geheimer Aufruf zur theologischen Revolution, neben der selbst Luthers Reformation verblasst. Wenn Loben giftige Heuchelei ist, darf man den Schöpfer höchstselbst nicht mehr anerkennen und loben. Denn es bestünde die Gefahr, Ihn überheblich und narzisstisch zu machen.

Wenn Merkel schon keine alte Selbstgefällige sein darf, wie dürfte man den Herrn der Heerscharen zum eitlen Alten verführen? Ach, vorbei die schönen Zeiten, als wir den Choral mit Zymbeln und Posaunen schmettern durften:

„Lobe den Herren,
den mächtigen König der Ehren,
meine geliebete Seele,
das ist mein Begehren.
Kommet zuhauf,
Psalter und Harfe wacht auf,
lasset den Lobgesang hören!“