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Die Arroganz der Macht

Hello, Freunde des Sports,

der sich aus der Demokratie verabschiedet hat. Er lehnt es ab, sich weiterhin von Politik beschmutzen zu lassen. Sport muss rein bleiben von Ausdünstungen der Realität:

„Wir halten es für falsch, Sport und Politik miteinander zu vermengen – ständig muss der Sport für irgendwas herhalten. Entscheidend war für uns, dass in Sotschi derzeit keine Gefahr für die Sportler besteht. Die Paralympics sind der große Lebenstraum der Athleten, diese Chance darf man ihnen nicht einfach nehmen. Außerdem können sich die Sportler jetzt vor Ort eine eigene Meinung bilden.“ (TAZ-Interview)

Die Liste der von Politik gereinigten Sonderbereiche wächst.

1) Die Wirtschaft hat Politik wegen kontraproduktiver Störungen schon lange entlassen. Das Ziel der konjunkturfördernden „Ausdifferenzierung“ ist die Reduktion des Staates auf Hartz4-Niveau mit berufsbegleitenden Perspektiven im Müllentsorgungs- und Straßenreinigungsbereich, sowie in staatlichen Pflegeheimen – sofern Merkel & Gabriel die notwendige Empathie für Kranke und Alte aufbringen. Notfalls helfen psychologisch begleitete Umschulungsprogramme, speziell für alltagsuntauglich gewordene Spitzenschwadroneure.

2) Die Kirchen stehen außerhalb alles Irdischen. Die Tarife für ihre caritativen ArbeiterInnen handeln sie nicht mit Gewerkschaften aus, sondern erbitten sie von Gott. Ihre Pädophilen kommen nicht vor ordinäre Gerichte, sondern werden von Gott amnestiert. Ihre kapitalistischen

Zockerbetriebe und goldenen Badewannen sind himmlische Sonderanfertigungen.

3) Nun also der Sport, der sich neben Wirtschaft und Kirchen nicht länger schämen und sich auch selbständig machen will. Für den Sport ist Politik nur dazu da, teure Stadien und Wettkampfstätten aus dem Boden zu stampfen und Drogen zur Verfügung stellen, die sich allen Kontrollen entziehen. Der Status pädagogischer Vorbildlichkeit des Spitzensports für Kinder und Jugendliche bleibt unangetastet.

Es gibt noch viele Anwärter auf die Liste staatsfreier Institutionen. Nicht nur vereinzelte kommunale Betriebe – zuständig für Wasser- oder Stromversorgung – sind durch PPP (Private Public Partnership) privatisiert: die gesamte Beamtenschaft, inklusive Geheimdienste und Polizei, hat längst die Schnauze voll, den Weisungen unqualifizierter Hobbypolitiker zu folgen und will komplette Selbststeuerung.

Das Fernziel ist klar: wahre Demokratie ist vollständige Unabhängigkeit aller Demokraten – von sich selbst. Der Sozialismus hat den Kapitalismus durch untergründige Infiltrierung besiegt. Engels Prophezeiung hat sich bewahrheitet: der Staat stirbt ab. Die nächste evolutionäre Stufe der Demokratie muss eingeläutet werden. Volksherrschaft ist, wenn das Volk entscheidet, dass es nichts mehr zu entscheiden hat. Es lebe die autonome Anarchie der Endsieger der Geschichte.

Was ist der Unterschied zwischen Franzosen und Deutschen? Während Bernard-Henry Lévy auf dem Majdan-Platz in Kiew eine feurige Ermunterungs- und Dankesrede an die tapferen Ukrainer hält, hält Schröder eine mutige Rede, dass er vor Putin niemals eine mutige Rede halten wird. Wo fand noch mal die Französische Revolution statt? In Hannover kann es nicht gewesen sein.

Von wem stammen die folgenden Sätze?

„Ihr habt allein oder nahezu allein Janukowitsch in die Flucht geschlagen. Ihr habt mit einer großen Völkern würdigen Selbstbeherrschung der Tyrannei eine historische Niederlage bereitet. Ihr seid nicht nur Europäer, ihr seid die besten Europäer. Europäer seid ihr ohne Zweifel durch die Geschichte, aber nun auch durch das vergossene Blut. Europäer seid ihr ohne Zweifel, weil ihr Söhne Voltaires, Victor Hugos und Taras Schewtschenkos seid, aber auch weil zum ersten Mal hier auf dem Majdan junge Menschen mit der Europafahne in den Händen gestorben sind.“ (FAZ)

Die Franzosen haben es leicht. Sie haben Voltaire und Victor Hugo. Was haben wir? Peter Sloterdijk.

Es ist nur ein kleiner Schritt von der passiven zur aktiven Steinigung. Matthias Matussek hat sich gerade als erster passiver Steinwerfer-Taliban des deutschen Katholizismus enttarnt, schon greift er selber zu den Steinen. Nein, zu einem Riesenstein, zu einem Gebirge an apokalytischem Mühlenstein.

Vorbild Matusseks ist der Engel der Offenbarung: „Und ein starker Engel hob einen Stein auf gleich einem großen Mühlstein, warf ihn ins Meer und sprach: So wird die grosse Stadt Babylon mit einem Schwung weggeworfen werden, und sie wird nicht mehr zu finden sein.“

Der WELT-Schreiber wirft seinen Riesenstein nicht ins Meer, sondern auf das heidnische Brasilien, das sich sündigen Lüsten und fluchwürdiger Weltfreude ergibt. Die Welt vergehet und ihre Lust, aber die gläubige WELT bleibet in Ewigkeit. „Daher nannte man das Grab der Lüstlinge die „Lustgräber“, weil man dort die Leute begrub, die lüstern gewesen sind.“

Matussek hasst ein Land irdischer Sinnlichkeit, das es wagt, seine erzwungenen katholischen Riten abzulegen und zurückzukehren zum Candomble, dem Glauben seiner afrikanischen Vorfahren. Diese hundsföttischen Sexanbeter haben all ihre demokratischen Tugenden vergraben, um Göttin Baubo und dem Gott Phallus zu dienen. Sie haben vergessen, „dass sie gegen den Verfall der Zivilgesellschaft protestiert haben und vor allem dagegen, dass ein großes Versprechen gebrochen wurde: das einer korruptionsfreien Regierung.“

Was tun sie statt Demonstrieren und Messe feiern? Hier „gilt der alleinige Ehrgeiz der Schönheit, der Überwältigung durch Schönheit. Hier schwinden die Sinne, hier gehen die Augen über, hier macht der Kopf Pause, und die Bauchgegend übernimmt. Deshalb werden den Besuchern neben den Texten der Sambas und Fächern auch Kondome (3) ausgehändigt sowie Portionen an Gel lubricante, Gleitcreme (2). Die Frauen erhalten ein Preservativo feminino. An alles ist gedacht in diesem bis ins Absurde gesteigerten übersexten Körperreigen.“ (Matthias Matussek in der WELT)

Matussek hasst nicht nur Homo-, sondern auch alle Heterosexuellen, die das Ave Maria vor dem heiligen Akt vergessen. Er hasst alle Völker, die nicht – wie die Deutschen – ihre demokratischen Bürgerpflichten perfekt erledigen. Wenn viele Völker in sinnlicher Ekstase übereinander herfallen, muss Gott Feuer und Schwefel vom Himmel regnen lassen. „Denn wir werden dieses rassisch vermischte Land verderben, weil lautes Geschrei über es vor den Herrn gekommen ist. So hat der Herr beschlossen, das Land der Heiden und Sünder zu verderben.“

Dank der Aufmerksamkeit des Sohnes der Kirche, des frommen Steinewerfers Matthias Matussek, der mit dem goldenen Lamm am vatikanischen Ehrenband – wahlweise dem Bambi – geehrt werden soll.

Von deutschem Boden soll kein Krieg mehr ausgehen? Er geht schon wieder aus – mit unheilsprophetischen Worten, die dem brasilianischen Sodom und Gomorrha Tod und Teufel an den Hals wünschen. Es steht zu befürchten, dass die braunen Satansbraten den Deutschen sogar den Weltmeistertitel im Fußball vor der Nase wegschnappen werden.

Gewalt liegt in der Luft. Im globalen Dorf werden die Messer gewetzt. Netanjahus Geduld mit Obama ist vorüber. Über seinen englischen Sprecher – Lord Weidenfeld – lässt er den Versager im Weißen Haus prophylaktisch absetzen. Obama – so der joviale Lord – ist kein Führer der westlichen Welt mehr. Er beschädigt mit seiner Lauheit das amerikanische Ansehen in der ganzen Welt und biedert sich bei den bösen Iranern an – auf Kosten Jerusalems.

„Obamas übereilter Rückzug aus Afghanistan, Verteidigungsminister Hagels Entschluss, die Armee auf ihr Vorweltkriegsniveau zu reduzieren, der „Ruck“ der Wehr- und Außenpolitik in Richtung Ostasien, aber vor allem die Nicht-Intervention in Syrien haben alte Alliierte vor den Kopf gestoßen und drohen Änderungen auf dem diplomatischen Schachbrett zuungunsten der westlichen Alliierten mit sich zu bringen.“ (Lord Weidenfeld in der WELT)

Auch der russische Autokrat Putin müsste mal eins in die Fresse kriegen, wenn sich selbst wohlwollende Interpreten wie Gernot Erler oder Alexander Rahr von ihrem Schützling schwer enttäuscht zeigen. Wer soll die eurasischen Abgründe des unberechenbaren Kontinents ausloten, wenn selbst profunde Russland-Exegeten beim Zähmen und Verstehen des russischen Bären versagen?

Wieder einmal hat Deutschland versagt, dem flachen Westen die Mysterien des Ostens zu offenbaren. Das Land in der Mitte versteht immer weniger: vom Westen wie vom Osten. Es lässt sich von den Machtblöcken einquetschen und hat seinen eigenen Weg verloren – den es nie hatte.

O armes Mütterchen Deutschland, wohin des Wegs in all deinem vergänglichen Reichtum? Da stehst du am Wegesrand und weißt nicht, wo dir der Kopf steht.

Merkel hat keinen Kopf und keine Utopie. Gesenkten Hauptes werkelt sie vor sich hin. Energisch weigert sie sich, über den Tellerrand hinauszugucken und die Richtung anzugeben.

Doch Hilfe naht, Amerika kennt den Weg: „Wir wiegen uns in dem Glauben, die Zeiten hätten sich geändert, die alten Tage der willkürlichen Machtherrschaft seien vorbei. Doch sobald wir unseren Wohlstand, unsere Sicherheit, unsere Macht gefährdet sehen, tun wir alles, um diese zu verteidigen. Der Mensch ist kein Moraltier, sondern ein Machttier, und seine Politik ist keine Moralpolitik, sondern Machtpolitik. Egal, wie er sie tarnt. Vieles wird sich auf dieser Welt ändern – das nicht.“ So schreibt Eric T. Hansen in der ZEIT.

Der neue Kurs ist der alte amerikanische: Erneuerung durch Gewalt.

So Henry Adams, als er die pazifistischen Gedanken Jeffersons versenkte. In den Indianerfeldzügen der Puritaner habe diese Devise die Hauptrolle gespielt. Der Krieg mache Männer zwar brutal, aber auch stark und entfalte Eigenschaften, auf die man im Lebenskampf nicht verzichten könne.

Oliver Wendell Holmes bekannte, der Bürgerkrieg habe ihm die Augen fürs Leben geöffnet. Wenn alle Werte rundum zusammenbrächen, gäbe es noch immer das erhebende Schauspiel, wenn ein Soldat in blindem Gehorsam sein Leben wegwerfe.

Die New York Sun hielt den diplomatischen Dienst für einen kostspieligen Humbug, der niemandem nütze. Pazifistische Strömungen seien Stimmungen des fin de siecle und zeugten von Blutarmut. Amerika könne sich nur durch einen großen Krieg erneuern. Krieg sei die moralische Medizin, das Purgativum einer sündigen, überzivilisierten Welt.

Der Schriftsteller Frank Norris verherrlichte in seinen frühen Werken die Gewalt. Die Angelsachsen müssten sich von Zeit zu Zeit auf die Socken machen und neue Grenzen suchen, um sie heldenhaft zu überschreiten. Andere Völker werden ihnen blind folgen.

Vorbild des amerikanischen Soldaten war der mittelelterliche Ritter, der im Dienst des Himmels das weltliche Schwert betätigte. Im Frieden verliere der Mensch seine Tugenden und seinen Edelmut.

In seiner „Geschichte der nordamerikanischen Kultur“ schreibt Gerd Raeithel: „Eine amerikanische Spezialität scheint es gewesen zu sein, Gewalt anhand mittelalterlicher Vorbilder zu verklären.“ Der fromme Ritter, der Gralssucher, der Kreuzzügler: sie alle verdienten Bewunderung, weil sie höhere Ziele verfolgten und irdischen Freuden entsagten, um das göttliche Recht auf Leiden wahrzunehmen.

Theodore Roosevelt glaubte an die Überlegenheit der Angelsachsen und deren Fähigkeit, andere Völker zu regieren. Er bewunderte die Schriften Rudyard Kiplings und verteidigte den Primat der christlichen vor den barbarischen Ländern.

Zur Manifest Destiny – zur offensichtlichen Bestimmung – der angelsächsisch-teutonischen Rasse gehöre das Recht der Amerikaner, ihre Macht auf außeramerikanische Regionen auszudehnen. Die Zeit dränge, so Roosevelt, der Westen müsse in die brachliegenden Räume der Welt eindringen und die Barbaren mit den Errungenschaften der angloteutonischen Klasse bekannt machen:

„Politische und militärische Missgriffe seien wegen der moralischen Rechtschaffenheit der amerikanischen Nation ausgeschlossen. Erst nach dem Kampf käme der Friede, der feigen und furchtsamen Gemütern für immer versagt bliebe.“

Eric T. Hansen weist den Weg des Westens unmissverständlich in Unvernunft, Rücksichts- und Kompromisslosigkeit:

„In Europa bilden wir uns ein, die Welt funktioniere auf der Basis von Vernunft, Rücksicht und Kompromissen. Der russische Präsident Putin zeigt uns, dass es nicht so ist.“ Weil Putin der Vernunft absagt, bleibe dem Westen nichts anderes übrig, als Gewalt mit Gewalt zu beantworten:

„Und weil wir uns nicht eingestehen wollen, dass Machtpolitik kein Ding der Vergangenheit ist, wissen wir auch nicht mehr, damit umzugehen. Jetzt steht die EU am Scheideweg: Hat sie den Mumm, Machtpolitik mit Machtpolitik zu begegnen? Oder verkriecht sie sich wieder in den alten Mustern, wie die Deutschen im Kalten Krieg?“

Damals gab es in Deutschland nur Friedensdemos und pazifistisches Salbadern. Die Europäer, vor allem die hasenfüßigen Deutschen, müssten wieder lernen, dass Macht nur durch Macht gezähmt werden kann.

Die Nachkriegsepoche mit Friedensgesängen unter den Völkern ist vorbei. Europa und der Westen gehen entschlossen in die Zukunft – durch Rückschritt in die Vergangenheit.

„Es sei die Pflicht der Amerikaner“, so Präsident McKinley, „andere Völker – wie damals die Filipinos – zu erziehen, emporzuheben, zu zivilisieren, zu christianisieren und durch Gottes Gnade mit ihnen als unseren Nächsten, für die auch Christus gestorben ist, das Beste zu tun, das wir können. Wir müssen unserem Blut gehorchen und neue Märkte und wenn nötig, neue Gebiete in Besitz zu nehmen. Nach dem unendlichen Plan des Allmächtigen müssten niedergegangene Zivilisationen und verfaulende Rassen zugunsten der höheren Zivilisation des edleren Menschentyps verschwinden“, zitiert William Fulbright in seinem selbstkritischen Büchlein „Die Arroganz der Macht“.

Wer solche Kreuzzüge führen will, braucht das Gefühl, zu den Guten zu gehören. Prompt stellt sich Georg Seesslen in der TAZ die Frage: „Sind wir die Guten?“ Seine Antwort ist typisch deutsch und miesmacherisch: „Die Antwort auf die Frage jedenfalls ist fast immer: ja. Und sie ist immer gelogen. Erwachsenwerden beginnt mit der Erkenntnis, dass es keine ehrliche Antwort gibt.“

Natürlich gibt es eine ehrliche Antwort, die weder eine eitle Selbstaussage noch eine dogmatische Fremdaussage sein kann. Die Aussage muss das Ergebnis eines Streitgesprächs zwischen Selbstbild und Fremdbild sein. Vorbildlich durchgeführt in der Verteidigungsrede des Sokrates.

Wenn Deutschland vom calvinistischen Amerika, das gerade die Friedensepoche der Nachkriegsepoche abschüttelt, wirklich lernen will, muss es lernen, Macht mit gutem Gewissen auszuüben. Deutsche, skandiert morgens und abends beim Gebet:

„Wir, Herr, sind die Guten. Zeig uns den Weg, wie wir das auch den Ungläubigen zeigen können. Notfalls auch mit Gewalt. An erster Stelle den russischen Möchtergernweltführern. Dann sofort den gelben Schlitzaugen. Diese verruchten Heiden beginnen aufsässig und frech zu werden.“

Fulbrights wohltuend vernünftiges und amerikakritisches Buch erschien im Jahre 1966. „Eine Haltung aber, das halte ich für gewiss, ist heute vor allem nicht vertretbar – nämlich die Arroganz der Macht, die Neigung großer Nationen, Macht mit Tugend und große Verantwortung mit einer universalen Mission gleichzusetzen.“

Auch das ist Amerika.

Welchem Amerika will Europa folgen: Eric T. Hansen oder J. William Fulbright?