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Deutsche Schwarmintelligenz

Hello, Freunde der Schwarmintelligenz,

dass riesige Fisch- und Vogelschwärme sich bewegen können, als ob sie ein einziger Organismus wären! Die Deutschen können das auch. Ihre Tierart ist noch nicht festgestellt, wie ihr Lieblingsphilosoph Nietzsche feststellte.

Er irrte, wie in vielem: Die Deutschen sind überhaupt keine Tiere, sie haben‘s noch nicht mal zu Menschen gebracht. Tiere sind ausgereifte Lebewesen, die allen Menschen überlegen im Einklang mit der Natur sind.

Jede Nation, die eine gefestigte Struktur hat, kann schwarmintelligent – oder schwarmdement sein. Struktur ist der Charakter der Nation, der sich über viele Jahrhunderte gebildet hat.

Wer die Geschichte der Amerikaner kennt, kann nicht überrascht sein, dass sie regelmäßig Charismatiker ins Weiße Haus schicken, die in ihrer Regierungszeit zu Normalmenschen geschrumpft werden. Gelegentlich zu Scharlatanen oder Psychopathen.

Als Obama noch als Charismatiker galt, waren im ganzen westlichen Kapitalismus charismatische Führerpersönlichkeiten gefragt. Jetzt sieht er ziemlich gerupft aus und darf nicht mal rauchen, weil er Angst vor der muskelbepackten Michelle hat. Wie‘s der mediale Schwarmopportunismus nun mal will, spricht niemand mehr vom Charismatiker, der das Haus durch die Hintertür verlassen hat. Es betritt der erfolgreiche Psychopath die Bühne der Eitelkeit. Liest man die Beschreibung eines Psychopathen, kann man

kaum einen Unterschied zum Charismatiker feststellen.

„Sie sind selbstsicher, schieben nichts auf, fokussieren sich aufs Positive, nehmen Dinge nicht persönlich und machen sich keine Vorwürfe, wenn etwas nicht geklappt hat. Sie bleiben cool, wenn sie unter Druck stehen. Sie sind furchtlos, charmant und gewissenlos.“ (SPIEGEL-Interview von Bärbel Schwertfeger)

Einen Unterschied gibt’s aber doch: solange sie von ihrem heiligen Geist nach oben geweht werden, sind sie Charismatiker. Stürzen sie vom Himmel, sind sie gefallene Engel, Teufel – oder Psychopathen.

Weibliche Charismatikerinnen gibt’s natürlich nicht. Sie federn nicht die Treppe hoch, sind schlecht angezogen, reden bieder wie Ortsvorsitzende der SPD, haben keine Visionen, sind aufreizend gewöhnliche Menschen, die nebenbei nur deutsche Wahlen gewinnen.

Diese Einschätzung kommt ausgerechnet von Frauen, die es nur zu Tagesschreiberinnen gebracht haben und Charisma stets mit Phallus in Armani assoziieren. Das Weib steht für Normalität, für das unscheinbare Erhalten der Brut, für das unansehnliche Heimchen am Herd.

Der Mann muss extraordinär sein, um die Gesetze der ordinären Normalität zu brechen. Man könnte von mutwillig herbeigeführten Katastrophen sprechen, die die „schöne Gewohnheit des Lebens“ zerstören. Der schmucke Mann in Uniform ist für den heroischen Krieg, die abgehärmte Frau für die Ruinen.

In ihrer ungewöhnlichen Normalität – die im maskulinen Überlebenskampf der Rankingstars und Erfolgshaie flächendeckend ausgerottet werden soll – entwickelt die Kanzlerin eine machtgestützte Materfigur, an der sich viele künftige Frauengenerationen orientieren könnten. Bislang konnten Frauen nur durch sexy Aura ins Schlaglichtgewitter oder ins Bettchen amerikanischer Präsidenten hüpfen. Nun kommt das deutsche Gegenmodell in biderben Hosenanzügen. Es ist die unberührbare Matrone mit dem Mädchenlächeln.

Liebwerte Schwestern, es wird spannend. Der Kulturkampf ist eröffnet. Ein deutsches Heimchen am Herd ohne jegliche Fähigkeit zur Psychopathin wird zur Weltpolitikerin Nummer Eins. Womit das ganze abschätzige Geschwätz über deutsche Heimchen sich als subversive Machopropaganda entlarvt hat.

Frauen: werdet Hüterinnen des Lagerfeuers und ihr seid für den Überlebenskampf unter Männern und sonstigem charismatischem Gesindel bestens präpariert. Seht ihr nicht am Horizont in rosenfingriger Morgenröte die uralte Epoche des Matriarchats wieder heraufdämmern? Also heißet uns hoffen. (Genaueres siehe in Aschenputtel, dem Wunschmärchen der Deutschen.)

Schwarmintelligenzen funktionieren nicht durch Ukas des Zaren. Einzelwesen reagieren gleich, weil sie die gleiche Philosophie haben. Auweia, jetzt gibt’s wieder totalitäre Prügel. Wer sich anähnelt in der Wahrheitssuche, wer von anderen lernt, ist bereits verdächtig. Wenn Merkel von ihren Gegnern lernt, klaut sie deren Themen.

Erkennen, gemeinsam lernen, das ist im Bereich der Politik erbauliches Flunkern. Ist Schwarmintelligenz nur das biologische Beschönigungswort für nivellierte Gesellschaft, für faschistische Gleichschaltung? War das Dritte Reich eine schwarmintelligente Gesellschaft?

Hier stoßen wir auf eine der vielen schizophrenen Schaltstellen unserer Gesellschaft. Wenn zwei Menschen sich wortlos verstehen, gelten sie als empathisch und aufeinander eingespielt. Wenn viele sich wortlos verstehen, sind sie eine geschlossene Horde. Ja, eine stalinistische Betongesellschaft.

Gewisse, in verborgenen Nischen der Gesellschaft noch sporadisch vorkommende Krawallos erkennen eine Harmonie am endlosen Palaver, das von morgens bis abends auf Autopilot geschaltet ist. Da kannst du kommen, wann du willst, der angstfreie Diskurs höret nimmer auf. Ohne Krach keine Idylle.

Das ist die angelsächsische Form einer liberalen Gesellschaft, in der jeder gegen jeden antritt, damit jeder für alle da ist und die Gesellschaft blüht und gedeiht und das englische Empire begründet werden kann.

Der deutsche Mensch will Eintracht, die angelsächsische Natur weiß es besser. Sie will Zwietracht – aber nur um der allerhöchsten Eintracht willen. Wobei niemand weiß, wann diese ultimative Einheit je eintreten wird. Spätestens im Himmel wissen wir Näheres und werden es der Welt mitteilen.

Nehmen wir einmal wahnwitzigerweise an, die Menschheit lebte in Frieden und Freuden auf Erden, solange es der Erde gefällt. Lebte sie dann in der Wahrheit? Hätte sie das Ei des Kolumbus gefunden? Hier schreien die Konfliktliberalen auf, die immer unterwegs sein müssen und nie das Ziel erreichen dürfen. Nicht, dass sie kein Ziel hätten. Ihr Ziel ist nur das Unterwegssein. Wahrheit gibt es für sie ohnehin nicht – außer in wachsenden Zahlen des BIPs.

Ist es nicht seltsam, dass die Ideologie des ständigen Unterwegssein von jener Insel kommt – die neulich von Putin in schändlicher Weise als unbedeutende hingestellt wurde –, auf der der Satz gilt: my home, my castle? Nehmen die insularen Nomaden ihre Burg auf den Rücken und wandern wie Panzerechsen rund um den Planeten?

Das Unterwegssein ist natürlich eine Metapher fürs ewig wandernde Volk Gottes durch die Heilsgeschichte bis zum Jüngsten Tag. Die Konfliktliberalen kann man in zwei Untermengen teilen:

a) die Frommen, die unterwegs sein wollen, um eines Tages anzukommen. Aber nicht auf Erden, sondern im Jenseits. Auf Erden haben sie keine bleibende Stadt. Das Ziel ist für sie alles, das Unterwegssein nur die Pflicht vor der Kür.

b) die weniger Frommen – wie Dahrendorf und die Edelliberalen – haben den Satz nie richtig verstanden und deshalb das Unterwegssein zum Ziel erklärt. Edelliberale erkennst du an dem forschen Satz, dass es nichts Langweiligeres gebe als das Paradies. Das sagen sie am liebsten am Swimming Pool auf einer wunderschönen Südseeinsel.

Doch jetzt tut sich was. Die bayrische CSU ist zwar keine musterliberale Partei, dennoch gibt es Reste der liberalitas bavariae (der bayrischen Liberalität) und auf die wollen wir uns beziehen. Also sagte Seehofer im heimischen Wahlkampf: Bayern ist die Pforte zum Paradies – und kein liberaler Bayer hat widersprochen. Der jungliberale Lindner wird sich überlegen müssen, ob er mit solchen Paradiesvögeln in Lederhosen jemals wird koalieren können – wenn seine Partei den Kopf wieder aus dem Wasser gestreckt hat.

Eine Schwarmintelligenz ist eine utopische Gesellschaft in gleicher Wahrheit, Frieden und Eintracht. Womit klar ist, dass eine Gesellschaft nur schwarmintelligent sein kann, insofern sie sich der Pforte zum Paradies nähert. Altliberale könnte man so definieren: sie müssen ihr ganzes Leben lang sich wandernd dem paradiesischen Ziel nähern, dürfen es aber nie erreichen.

Ist das nicht mehr als seltsam? Der kategorische Imperativ Dahrendorfs lautet: Begib dich auf den Weg an ein Ziel, aber wehe, du erreichst es. Das gehört zum großen Bereich abendländischer „Double Binds“. Das sind in sich widersprechende Imperative, die etwas anordnen, was sie sogleich widerrufen. Tu etwas. aber wehe, du tust es. Werde glücklich, doch wehe, du wirst es. Wandere dem größtmöglichen Glück entgegen – also dem Paradies –, doch wehe, du willst das Paradies erreichen. Das ist die angelsächsische Form der lebenslangen Konkurrenz, die nie zur Ruhe kommen darf.

Die Amerikaner sind weniger gehemmt mit dem Paradies. Ihr Gründungsmythos ist bis heute die Legende, dass sie im neuen Kontinent ins Land Kanaan gekommen sind. (Land Kanaan war das Paradies der Urhebräer, ein Land, wo Milch und Honig fließt.)

Die Amerikaner sind überzeugt, dass sie einem paradiesischen Ziel entgegen wandern, das sie längst erreicht haben. Am Anfang musste man noch ein paar störende Heiden wegräumen, danach das unentwickelte in ein entwickeltes Paradies verwandeln. Gottes Verheißung eingetroffen, biblisches Gebot erfüllt. Der Messias darf kommen.

Dieses Ankommen passt den europäischen Liberalen nicht ins Konzept, weshalb sie zögern, den amerikanischen Kapitalismus Liberalismus zu nennen.

(Der Begriff Neoliberalismus ist völlig zwiegespalten, was deutsche Wirtschaftsjournalisten, die in jeder Talkshow sitzen, zu wissen nicht nötig haben. Rüstow nannte Amerikaner wie Milton Friedman, die heute als Neoliberale gelten, Paläoliberale, also Steinzeitliberale. Diesen raffgierigen und staatsschwächenden Neoliberalismus wollte Rüstows Neoliberalismus mit starkem Staat und gerechtem Markt bekämpfen.)

Man könnte den american way of life als zielführenden paradiesischen Liberalismus bezeichnen, den europäischen Altliberalismus als zielgehemmten, lust- und paradiesfeindlichen Liberalismus. Als Paradiesglauben, der den Glauben an das Paradies verloren hat.

Der europäische Altliberalismus steht ständig auf dem Gas – und gleichzeitig auf der Bremse. Kein Wunder, dass man mit solchen Fahrkünsten kaum vom Fleck kommt und dem amerikanischen, ungehinderten Schnelligkeitsrausch nichts entgegen zu setzen hat.

Zwanghafte Zielgehemmtheit oder Lustangst ist für Freud eine Neurose. Warum merken die Liberalen nicht, dass sie eine neurotische Horde sind? Weil Massenneurose vor Einzelneurose schützt. Wenn alle verrückt sind, merkt der Einzelne nicht, dass auch er meschugge ist. Neurose ist Abweichung von der Norm. Ist die Norm aber selbst verrückt, wäre der Neurotiker der einzige Gesunde und Normale.

(Weshalb Botho Strauß als abweichender „Idiot“ den Anspruch erhebt, einziger Normaler unter lauter Verrückten zu sein. Nach Freud und Fromm könnte er theoretisch Recht haben.)

Deutschland ist keine Utopie, seine Schwarmintelligenz muss erhebliche Mängel aufweisen. Doch eine Hölle ist Deutschland auch nicht. Ein bisschen schwarmintelligent muss das Land also sein. Sagen wir so, Deutschlands Schwarmintelligenz muss hohe Dosierungen an Schwarmdummheit in sich haben.

Womit wir endlich am Wahlergebnis angekommen wären. Wie können die Deutschen so neurotisch sein, dass sie wie auf Zuruf immer denselben Schrott wählen? Ein Ergebnis, mit dem niemand was anfangen kann?

Genau genommen ist eine deutsche Wahl eine Wahlverweigerung. Die Deutschen denken nicht daran, zu wählen, wie man in einer stabilen Demokratie wählen sollte: die Guten an die Macht, die Versager in den Orkus. Die Deutschen wählen immer Patt und werfen den ganzen Bettel den Parteien vor die Füße. Macht was draus oder lasst es. Wir wollen mit euren Machtspielchen nichts zu tun haben.

Dies ist eine tiefenpsychologische Deutung der Politik, also eine Blasphemie in den Augen knochenharter Faktenanalytiker, die die Wahl für einen rationalen und ziemlich bewussten Vorgang halten. Für „Positivisten“ gilt nur, was man mit Zahlen und Daten belegen kann. Nur: warum beweisen sie nichts?

Sie haben nicht mal Hypothesen des gesunden Menschenverstands. Jede Mutter wüsste Bescheid, wenn ihr trotziger Knabe rein zufällig immer dann Schnupfen und Ohrensausen bekäme, wenn er zum ungeliebten Klavierunterricht muss. Die Deutschen haben ihr kollektives Unbewusstes abgeschafft. Sie ticken wie berechenbare Algorhitmen, die sich hin und wieder ein Räuschlein erlauben.

Noch niemandem scheint aufgefallen, dass deutsche Wähler brav ihr Kreuzchen machen, doch immer so, dass rein zufällig ihr Wunschergebnis rauskommt. Sie sprechen wie Pilatus: wir waschen unsere Hände in Unschuld. Wir haben unsere Schuldigkeit getan, der Rest ist euer Problem, ihr Mächtigen.

Wie kann man mit Hilfe der Wahl einen Wahlboykott organisieren? Mit demokratischen Prozeduren unterlaufen die Deutschen ihre Demokratie, die sie so schmählich behandeln, weil man sie ihnen dereinst als Beglückungsgeschenk aufs Auge gedrückt hatte. Dafür rächen sie sich in hinterhältiger Schülerkorrektheit, die in Wirklichkeit Trotz und larvierte Aufsässigkeit ist.

Darf man das Volk kritisieren? Muss der Wille des Souveräns nicht unantastbar sein? Wer das Volk nicht kritisiert, nimmt es nicht ernst. Seit jeher ist es ein ungeschriebenes Gesetz der Medien, den großen Lümmel in Watte zu packen. So viel hielten die Medialen vom Publikum, dass sie es nicht für kritikwürdig hielten.

Jetzt rächt sich das lächerliche Tabu. Die überbehüteten und nicht ernst genommenen Demokraten schlagen zurück und machen Dienst nach Vorschrift: hier das Kreuzchen und lasst uns in Ruh.

In Berlin beginnt das beliebte Speeddating, das Flirten jeder Partei mit jeder Partei. Wer ist der schönste Koalitionspartner im ganzen Land? Alle Kandidaten in einer Reihe aufstellen: Mutter wählt den liebsten Sohn. Jetzt muss sie endlich Farbe bekennen, wer ihr geheimer Favorit ist. In aller Öffentlichkeit muss sie zeigen, auf welchem Kind ihr Auge wohlgefällig ruht.

Eine der schlimmsten Qualen aller Deutschen ist die Frage: welches Kind ist der Liebling der Eltern? Weiß doch jeder, dass die alltägliche Sympathieverteilung nur Heuchelei ist. Irgendwann verraten sich die Alten. Dann kommt die schreckliche Wahrheit auf den Tisch: deinen Bruder, den erfolgreichen Manager, hab ich schon immer mehr gemocht als dich, du Versager. Das Kain-und-Abel-Spiel spielen die Deutschen am liebsten.

Und wie sieht‘s aus bei der SPD? Sie ist wie ein Jungmann, der nicht erwachsen werden darf und die Rolle des Juniorpartners spielen muss. Jedem Beobachter, der keine Tomaten auf den Augen hatte, war klar, dass die Proleten alles unternahmen, um ja nicht an die Macht zu kommen. Sie hassen die Macht, sie wollen keine Verantwortung. Das soll Mutter tun. Sie ist reif, jede Kritik prallt an ihr ab.

Die SPD verhält sich wie jener gekränkte Knabe, dessen Lieblingsspruch war: geschieht meinen Eltern ganz recht, dass ich mir die Finger erfriere; hätten sie mir doch Handschuhe geschenkt. Man muss sich selbst bestrafen und leiden, um die Eltern zu bestrafen. Wieder einmal konnte bedauerlicherweise die SPD nicht die Macht erringen. Nun geschieht‘s Muttern ganz recht, dass sie unter den Versagern wählen muss.

Selbst der sonst so nüchterne Egon Bahr scheint die Logik der Demokratie nicht verstanden zu haben, wenn er in BILD schreibt, dass jede Koalition eine moralische Niederlage der Parteien wäre, da sie ein Stück ihres Programms aufgeben müssten.

„Es gibt keine Koalition zwischen ihnen, die nicht das Problem stellt, dass jede von ihnen ein Stück Glaubwürdigkeit aufgeben müsste. Jede von ihnen müsste also Vertrauen brechen, das sie in den neuen Bundestag getragen hat.“ (Egon Bahr in BILD)

Weiß Bahr nicht, dass jede Partei ihre demokratische Souveränität auch durch pragmatische Kompromissfähigkeit beweist? Warum machen Parteien haltlose „Versprechungen“, wenn sie sie im Falle einer Koalition nicht halten können? Warum sagen sie nicht schlicht: absolut verlässliche Versprechungen können wir nur machen, wenn wir die absolute Macht erringen. In jedem andern Fall müssen wir untereinander kungeln, was allerdings nicht ehrenrührig ist, sondern unerlässlich für die Stabilität der Demokratie. Unsere Versprechungen gelten nur unter der Bedingung alleiniger Verantwortung.

Wissen dies die Wähler nicht, die man für dumm verkauft, wenn man ihnen haltlose Versprechungen macht? Leider spielt das Parteivolk das alberne Spiel mit, wenn es bei Koalitionsverhandlungen in lutherischer Pose auf Reinheit seines politischen Credos pocht.

Die SPD ist zerrissen zwischen dem eiskalten Machiavellismus eines Schröder und der Gesinnung idealer Gerechtigkeit, die jetzt und hier erfüllt werden muss. Dabei kann jede Partei nur versprechen, möglichst viel aus Koalitionsverhandlungen herauszuholen. Das utopische Ziel ist über Nacht unerreichbar. Das Resultat der Verhandlungen kann niemand vorhersehen.

Als einzig vertretbare politische Haltung des Demokraten kennt Pragmatiker Bahr nur die absolute Kompromisslosigkeit. Fasse es, wer es fassen kann.

Die Deutschen machen Demokratiespielchen. Wollen wir Demokratie im Sandkasten spielen? rufen sie sich zu. Kommt, wir tun, als wählten wir, wählen aber nicht. Kommt, wir tun, als schlössen wir Kompromisse, schließen aber keine. Kommt, wir tun, als könnten wir alle miteinander koalieren, koalieren aber nicht mit allen. Kommt, wir tun, als redeten wir miteinander, doch wir wissen schon jetzt, dass die Gespräche nichts bringen werden.

Mit Schmuddelkindern koalieren wir in Ewigkeit nicht – und wenn die ganze Demokratie dabei kaputt ginge. Was interessiert uns Demokratie? Dann spielen wir ein anderes Spiel.

Demokratie ist sowieso ein langweiliges Spiel. Kommt, wir wählen einen Führer und spielen Faschismus. Dann können wir uns tot schießen.