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Deutsch-jüdische Symbiose in der Sackgasse

Hello, Freunde der deutsch-jüdischen Symbiose,

schon da beginnt der Selbstbetrug, denn Sym-biose heißt Zusammen-Leben. Die Symbiose aber führte zum Zusammen-Sterben. Indem die einen die anderen mordeten und von Dritten selbst getötet wurden. Heute ist die deutsch-jüdische Symbiose als Zusammenleben scheinbar wieder hergestellt – indem sie Dritte sterben lässt.

Wer mit dieser deutsch-jüdischen Symbiose in Berührung kommt, lebt gefährlich. Die deutsch-jüdische Symbiose ist heute zur entente mortale, zur tödlichen Kumpanei zu Lasten Dritter geworden.

Frau Merkel ergötzt sich – wie einst ein väterlicher Freund Bayreuths – an berauschenden Wagner-Klängen, während nur eine gute Flugstunde weit entfernt Kinder zerfetzt und getötet werden, deren Ermordung sie mit dem Satz absegnete: die Sicherheit Israels sei ein Teil der Staatsraison der Bundesrepublik.

Alles nur Zufall, die Geschichte wiederholt sich nicht, hören wir von Gelehrten, die der allmächtigen Zeit ins Herz geschaut haben und vor festlich gestimmtem Publikum solche Sätze absondern: „Die Geschichte beschert uns keine eindeutigen Ratschläge. Sie gibt nur rätselhafte Orakel auf.“ (Clarks Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele)

Nun orakeln sie wieder über einen „Krieg aus Versehen“. Sie werden beim Orakeln doch nicht schon wieder schlafwandeln? Orakel sind geheimnisvolle Göttersprüche, die der Mensch enträtseln muss, um seinen Seelenfrieden zu gewinnen. Sollten wir

solche Sprüche nicht Götterflüsterern überlassen und stattdessen den Versuch unternehmen, unsere Menschensprüche auf Vernunft zu überprüfen?

Sokrates‘ Enträtselung des Orakels von Delphi war identisch mit der Erkenntnis seiner Vernunft, die er schon vor dem Orakelspruch praktizierte. Woraus wir entnehmen: Götter haben nur eine einzige Existenzberechtigung: wenn sie die Vernunft des Menschen unterstützen.

Raison heißt Vernunft, Staatsraison müsste demnach die Vernunft des Staates sein. Ist es vernünftig, die Unvernunft eines fremden Staates blind abzusegnen?

Merkel sprach von einer besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels. Wenn Deutsche Verantwortung übernehmen, wird’s zappenduster. Bei ihnen heißt Verantwortung, dem Gott antworten, wenn er im Jüngsten Gericht die Großen NSA-Bücher öffnet. Da es keinen Gott und kein Jüngstes Gericht gibt, kann es für Deutsche keine Verantwortung geben. Sie übernehmen Verantwortung, indem sie alles lassen, wie es ist.

Nehmen wir einmal an – was niemals passieren darf: der Staat Israel wäre so gefährdet, dass die Bewohner in alle Welt flüchten müssten: wer wäre an der Zerstörung des jungen Staates schuld? Nur die friedensunfähigen Juden? Deutsche, Amerikaner und Europäer wären alle in gleichem Maße mitschuldig – und das sind wir.

Die deutschen Eliten haben alle Verantwortung in pathetischem Wortschwall erstickt. Sie sind untergeschlüpft und lassen denken. Was sie zu tun und zu denken haben, wird direkt aus Jerusalem in die Machtzentralen der BRD importiert. Jeder Ungehorsam gegen Jerusalem wird hier mit der Allzweckwaffe Antisemitismus niederkartätscht. In blinder Wut haben sich deutsche Nichtjuden und Juden zusammengeschlossen, um den wachsenden Ungehorsam an der Basis in die Knie zu zwingen. Kaum beginnt ein Krieg in Nahost, schießt der Antisemitismus dämonisch aus dem Boden, der sich hinterlistig als Kritik an Israel ausgibt.

Schon ist von neuem und nie da gewesenem Antisemitismus die Rede. Die Eliten der BRD schließen sich zusammen, um dem immer ultrareligiöser werdende Regime in Jerusalem ihren Kotau zu bekunden und der eigenen ungehorsamen Bevölkerung Judenhass zu bescheinigen. Antisemitismus-Röntgenologen der exquisiten Art durchschauen von weitem die neuesten Verkleidungskunststücke des uralten Giftes.

Wehret den Anfängen? Unbedingt. Doch Anfänge sind Anfänge, sind mögliche Anfänge. Ob sie sich zum politisch relevanten Judenhass entwickeln, muss sorgsam beobachtet werden. Es gibt keinen Automatismus zwischen schwer erkennbaren Symptomen und offenen Untaten.

Vieles muss man betrachten wie in einer Psychoanalyse. Ist ein Patient in der Lage, seinen Todeswunsch hinter vielen Verdrängungen zu erkennen und hat sein Selbstbewusstsein sich so weit entwickelt, dass er diesen unliebsamen Affekt „gestehen“ kann, ist ein riesiger Fortschritt in seiner therapeutischen Selbsterkundung eingetreten. Je mehr er sich dieses asoziale Bedürfnis bewusst machen kann, je weniger ist er von seinem Unbewussten gezwungen, den eingeklemmten Affekt durch unkontrollierbare Taten zu befreien.

Wo Es war, soll Ich werden. Das gilt auch für die Selbsttherapie der Gesellschaft, auch wenn das therapeutische Setting in geschützter Zweisamkeit fehlt.

In einer freien Gesellschaft gibt’s keine Arbeitsteilung zwischen perfekten Therapeuten und nachreifenden Patienten. Jeder mitdenkende Demokrat muss beide Funktionen erfüllen. Er muss seine noch immer vorhanden möglichen Antisemitismus-Reste in sich aufspüren, sich bewusst machen und damit dem Handlungszwang entziehen.

In der öffentlichen Auseinandersetzung müssen wir uns aus Solidaritätsgründen auf mögliche Überreste unserer über Jahrhunderte lang vergifteten christlichen Seele hinweisen – ohne den anderen gleich als Neonazi an den Pranger zu stellen. Erst muss jedem die Möglichkeit gegeben werden, Stellung zu beziehen.

Nicht jedes Samenkorn wird zur giftsprühenden Pflanze. Das meiste verdorrt, wenn es das Licht der Öffentlichkeit erblickt hat – vorausgesetzt, die Gesamtatmosphäre der Gesellschaft ist intakt genug, solche notwendigen Reflexionen zuzulassen. Das ist ein schwieriger Prozess, gerade für jüdische Mitbürger, die noch immer unter ihren Ängsten leiden.

Wann haben wir es mit gutartigen, wann mit malignen Prozessen zu tun? Verhindert der öffentliche Diskurs solche therapeutischen Effekte, steht es schlecht um die aufklärungsallergische Gesellschaft. Es gibt keine intellektuelle und emotionale Aufklärung, ohne dass wir uns gegenseitigen Schutz mit deutlich redender und dennoch nicht sofort zuschlagender Rückmeldung gewähren.

Noch immer ist die deutsche Gesellschaft traumatisiert. Die Ängste der Opfer verstehen sich von selbst. Über die Ängste der Täter, ihre noch immer nicht verarbeiteten kriminellen Ressentiments unverstellt wahrzunehmen, um sie absterben zu lassen, wird in Deutschland so gut wie nicht gesprochen. Alles aber, was unter Tabuzwang steht, bleibt potentiell gefährlich.

Es war ein Riesenfehler, alle Aspekte des antisemitischen Syndroms zu tabuisieren und den geringsten Bruch des Tabus als flagranten Antisemitismus zu dämonisieren. Eine Gesellschaft mit Tabus ist eine kranke Gesellschaft. Bewusstes und öffentliches Reden macht frei.

Intakte Demokratien sind in sich therapeutische Kollektive – oder sie sind keine Demokratien. Es ist Unsinn, Streitigkeiten auf dem Forum als aseptische und emotionslose akademische Dialogpredigten zu zelebrieren. Der Kopf ist schnell, die bodenständigen Gefühle sind störrisch und lassen sich nicht über Nacht eines Besseren belehren.

Eine tolerante Gesellschaft muss bei aller authentischer Offenheit Geduld miteinander aufbringen. Gerade in Antisemitismus-Fragen bleiben Fallbeil-Verurteilungen kontraproduktiv. Deutschland hat eine schlimme Vergangenheit. Glaubt irgendjemand, dass die Aufarbeitung der Verbrechen und der langen Vorlaufgeschichte der Verbrechen ein Zuckerlecken sein kann?

Die Sünden unserer Väter prägen noch heute die Stimmung der deutschen Streitszenerie. Die permanent lauernde Gereiztheit der Opfer, das feige Abducken der sich philosemitisch camouflierenden Täter: das ist die Normalität der gegenwärtigen Gesamtatmosphäre.

Zwischen diagnostischer Klarsicht und therapeutischer Geduld herrscht eine Dauerspannung, die man nicht ignorieren darf. Ja, die Deutschen haben viel Erinnerungsarbeit geleistet, man kann ihnen nicht vorwerfen, sie seien untätig gewesen. Doch noch mehr ist zu tun.

Das 12-jährige Desaster dauerte nicht 12, sondern 1200, ja 2000 Jahre. Die ganze europäische Geschichte des christlichen Glaubens, der mit Antisemitismus identisch ist, müssen wir Revue passieren lassen und verstanden haben.

Die unmittelbare Vorlaufgeschichte der NS-Zeit begann mit der Abwendung Deutschlands vom Westen in der Epoche der Romantik. Nicht mal deutsche Professoren kennen den Unterschied zwischen Hegel und Kant, den Schellingbrüdern und Lessing.

Deutschland will seine illustre Ahnengalerie der Dichter und Denker wieder rückhaltlos bewundern. Wer sich als Weltmeister der Gegenwart sieht, will auch Weltmeister seiner Vergangenheit sein. Überall sind Weißwascher unterwegs, um uns mit tiefenporig-gereinigten Biografien unserer Genies zu delektieren.

Die deutsche Seele ist müde geworden, sie will nicht länger die versteckten Kloaken und Leichenkammern ihres nationalen Gebäudes erschnüffeln, wiederholen und durcharbeiten. Es muss einmal genug sein mit den Erinnerungszwängen.

Doch wann ist genug? Wenn nicht nur die unmittelbaren Folgen der Katastrophe, sondern auch die weit entfernten als Kollateralschäden derselben wahrgenommen und dem kollektiven Gedächtnis inkorporiert werden. Dazu gehört der unlösbar scheinende Nahost-Konflikt.

Die Deutschen machen es sich zu leicht, sich mit der Seite ihrer Opfer und jetzigen Sieger des Konflikts zu solidarisieren. Und die Opfer der Opfer sich selbst zu überlassen. Das ist ein Faustschlag gegen die geringste Form der Humanität. Soll niemand von Antisemitismus reden, der nicht gewillt ist, von Antihumanismus zu sprechen. Es gibt keine minderwertigen Menschen, es gibt keine zweitklassigen Opfer. Humane Moral ist universell und erträgt keine Ausnahmen.

Ja, den Israelis ist in aller Schärfe vorzuwerfen, dass sie aus Opfern zu Tätern wurden. Gemach, nicht zu Tätern der nationalsozialistischen Kategorie. Und dennoch zu Tätern. Innerlich empfinden sich noch viele als aktuelle Opfer der Deutschen, ohne zu realisieren, dass sie längst dialektisch zu Tätern wurden. Von Hegel könnten sie lernen, dass nichts invariant bleibt, wenn es nicht von wachem Bewusstsein begleitet wird. Die besten Vorsätze, alles perfekt zu machen, sind in der Gefahr, bei kleinsten Rückschlägen und Misserfolgen ins Gegenteil zu kippen.

Seit Platon kennen wir den Effekt des Umschlagens ins Gegenteil. Als leidenschaftlicher Jünger des Sokrates begann er und als Urfaschist, der seine geliebte Polis aus Ungeduld zwangsbeglücken wollte, endete er. So in Israel, das als hochgemute, zionistisch-sozialistische Gesellschaft begann und heute in eine uralte intolerante Zwangsbeglückungsreligion zurückgefallen ist.

Israel ist eine blutjunge Republik, die ihre Anfänger-Fehler macht. Und nicht zu knapp. Doch welche politische Neugründung in der Moderne blieb ohne verheerende Anfangsfehler? Die Gräueltaten der Französischen Revolution sind bekannt, ebenso die Auslöschung der Urvölker in Nord- und Südamerika, die Versklavung der afrikanischen Völker und die vielen Untaten der weißen Christen, die in aller Welt mit Blutströmen für ihren liebenden Heiland Mission trieben.

Auch den Israelis muss man die Möglichkeit geben, ihre jetzigen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Einsicht und Wiedergutmachung aufzuarbeiten. Jedes Volk hat seine eigene kontaminierte Geschichte. Niemand fängt jungfräulich am Punkt Null an.

Das israelische Volk hat eine ungeheure Geschichte mit einer weltprägenden Religion zu tragen, die mit allen möglichen Kollateralfolgen erst mal zu durchschauen ist. Schon die Beziehung der Juden zu ihrer Religion ist schwankend und unstet. Sind sie eine Rasse, sind sie eine Religion?

Natürlich sind sie keine durch Geburt prädestinierte Religion. Sind wir denn im Mittelalter? Jeder Mensch hat sich selbst zu entscheiden, welche Religion oder Philosophie er für sich wählt. In dieser Hinsicht gibt es keine jüdische Religion. Die Religion der Juden ist die Religion jener Vorfahren der heutigen Juden, die diese Religion geprägt haben.

Einen religiösen Sippenzwang gibt es nicht. Jeder kann jüdisch, muslimisch, atheistisch oder buddhistisch werden, wie es ihm entspricht. Für die Gräuel des Alten Testaments ist kein lebender Jude verantwortlich zu machen. So wenig wie heutige Nordamerikaner für den Völkermord ihrer Vorfahren an den Indianern. Allerdings ist von ihnen zu verlangen, dass sie diese Vergangenheit nicht aus falscher Pietät verleugnen. Und praktische Versöhnungsarbeit an der Urbevölkerung leisten.

Ja, den Deutschen ist in aller Schärfe vorzuwerfen, dass sie ihre Versöhnungsarbeit mit ihren jüdischen Opfern auf Kosten unbeteiligter Dritter erbringen. Das ganze palästinensische Volk wurde zum Folgeopfer der deutsch-jüdischen Täterkoalition. Noch einmal: nicht Täter auf der gleichen Ebene und dennoch Täter. Aus falschen Wiedergutmachungsgründen sind die Deutschen überidentisch mit ihren Opfern geworden und haben nicht bemerkt, dass jene längst ihre Unschuld verloren haben.

Indem sie die Verbrechen ihrer Opfer nicht kritisieren, werden sie zu unfreiwilligen Kollaborateuren. Sie machen sich mitschuldig an allen Verbrechen, von denen sie sich nicht energisch distanzieren. Stellvertretend agieren sie ihre noch immer vorhandenen inhumanen Aggressionen aus, indem sie sich mit den Israelis blind solidarisieren. Ihre Weste bleibt weiß, weil sie die Rolle der vorbildlichen Vergangenheitsbewältiger spielen, ohne zu sehen, dass ihre servile Bravheit und Korrektheit die Kehrseite ihrer blutigen Kumpanei ist.

Die deutsch-jüdische Symbiose versucht die Lasten ihrer gemeinsamen Vergangenheit aufzuarbeiten, indem sie ihre Täter-Opfer-Identität zu Lasten Dritter kanalisiert. Die Palästinenser haben niemandem etwas zu Leide getan. Ihre Gewalttaten sind Notwehrreaktionen, die als solche von keinem Völkerrecht verboten sind. Was nicht bedeutet, dass Hamas inzwischen nicht auch das Völkerrecht bricht.

Doch man muss zwischen primären Untaten und Reaktionen unterscheiden. Die alles entscheidende Ersttat ist die imperiale Landnahme der Israelis, die sich aus religiösen Gründen für befugt halten, das Land der anderen nach Belieben zu besetzen und die besiegte Bevölkerung zu unterdrücken und zu drangsalieren. Den Vorwurf des Antisemitismus setzen sie systematisch ein, um jegliche Kritik in Deutschland mit härtesten Bandagen zu unterdrücken.

Ein kleines Gedankenexperiment genügt, um das wahre Ausmaß des deutschen Antisemitismus zu erahnen. Gesetzt, Israel würde sich seit dem 6-Tage-Krieg in humaner Vorbildlichkeit zu seinen arabischen Nachbarn verhalten – fast der ganze jetzige Antisemitismus-Spuk wäre mit hoher Sicherheit nicht entstanden.

Ja, alle Gewalttaten gegen Menschen sind schrecklich. Was in Frankreich, in Ungarn passiert, ist nicht hinzunehmen. Doch bloße Scheinempörung der Eliten ist reine Heuchelei, wenn nicht das einzige Mittel eingesetzt wird, um diese Vorgänge von vorneherein zu verhindern: die unzweideutige Kritik der Europäer an den Untaten der Israelis. Viele Anteile des jetzigen Hasses auf der Straße sind Empörungsgefühle gegen die europäischen Regierungen, die nicht einmal in der Lage sind, die geringsten Sanktionen gegen das Netanjahu-Regime zu beschließen.

Verglichen mit Lieberman und Netanjahu ist Putin ein Waisenknabe. Amerika und Europa gestatten sich Heuchelorgien, wenn sie Israel das wahllose Abschlachten Unschuldiger gestatten, bei Putin jede Mücke zum Elefanten aufblasen. Erneut unterlässt der Westen keine Gelegenheit, sich im Rest der Welt durch doppelte Moral immer unglaubwürdiger zu machen.

In Nachkriegsdeutschland mussten die Sieger den Besiegten das Einmaleins eines demokratischen Humanismus beibringen. Das ging nicht ohne vorübergehende Entmündigung der überlebenden NS-Bevölkerung. Erst die jungen Generationen warfen sich mit Leidenschaft auf alle Erkenntnisse und moralischen Errungenschaften der westlichen Demokratien.

Unter den alliierten Erziehern waren auch viele zurückgekehrte Juden, die ihren Beitrag leisteten, um das Volk der Schergen wieder in die Reihen der gesitteten Völker zurückzubringen. Es entstand eine Schicht intellektueller jüdischer Lehrer und Erzieher. Erich Fromm, Bruno Bettelheim, Herbert Marcuse, Adorno & Horkheimer, Fritz Stern und viele andere, denen die Deutschen außerordentlich viel zu verdanken haben.

Ohne deren Schriften hätte es keine 68er-Bewegung gegeben, ohne 68er-Bewegung hätte es keine Intensivierung der Aufarbeitung der Vergangenheit gegeben. Micha Brumlik, Dan Diner, der junge Henryk Broder haben erkenntnisreiche Bücher geschrieben, ohne die es nicht möglich gewesen wäre, die deutsche Vergangenheit aus verschiedener Sicht kennen zu lernen. Wer konnte es den überlebenden Juden verdenken, dass sie auch polemisch und angriffslustig waren?

Diese im besten Sinne aufklärende Epoche dauerte bis etwa in die 80er und 90er Jahre. Dann kippte die Atmosphäre allmählich in eine Art repressive Gedankenkontrolle um. Jeder kleinste gedankliche Widerstand wurde von den jüdischen Intellektuellen mit dem Antisemitismus-Vorwurf geahndet. Aus Lehre und Aufklärung wurde zunehmend eine Art kollektiver Gedankenkontrolle.

Die deutschen Schüler antworteten mit verdeckten antisemitischen Affekten – oder mit deutscher Untertänigkeit, die sie als Philosemitismus deklarierten. Die asymmetrische Lehrsituation verwandelte sich nicht in einen gleichberechtigten Dialog, sondern schuf unaufrichtige Gefühlsverdrängungen auf der deutschen und verhärtete, verbitterte Kontrollzwänge auf der jüdischen Seite.

Das ist unsere gegenwärtige Situation. Der völlig unbegriffene Nahost-Konflikt schafft vollends eine zunehmend vergiftete Gesamtstimmung der Bevölkerung. Die deutsch-jüdische Symbiose ist in einer Sackgasse gelandet.

Die Deutschen müssten lernen, freimütig ihre Meinung zu sagen – auch wenn es dafür Dresche gibt. Die Juden müssten lernen, Kritik an ihrer unfehlbar scheinenden Position zu akzeptieren, wohlwissend, dass die Gefahren eines bedrohlichen Antisemitismus sinken, je mehr alle Beteiligten in unverstellter Echtheit miteinander umgehen können.

Im Mittelpunkt des Denkens von Martin Buber stand der Dialog. Sein Hauptwerk trägt den Titel „Ich und Du“.