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Tagesmail

Der Mensch

Hello, Freunde des Menschen,

„Ist das alles, das Versprechen, die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen?“

Fragt die ZEIT den Podemos-Chef Pablo Iglesias.

Solche Fragen sind der Untergang des Abendlandes oder die Selbsthinrichtung der Medien. Lebten wir nicht bereits im Garten des Menschlichen, wenn der Mensch im Mittelpunkt der Politik stünde?

Mensch im Mittelpunkt, heißt: jeder Mensch steht im Mittelpunkt. Nicht der geniale, mächtige oder reiche, sondern jeder Mensch. Was soll es mehr geben als den Menschen? Soll Gott im Mittelpunkt stehen?

Demokratie ist Herrschaft des Volkes, Volk die Gesamtheit aller Menschen.

Medien stellen kindische Fragen in herrischem Ton. Kindisch ist nicht kindlich, sie stellen sich dumm. Die dummen Frager aber wissen besser Bescheid als die eingebildeten Antworter, die von den herrischen Dummen vorgeführt und entlarvt werden sollen.

Vorführen heißt nicht kritisieren. Kritisieren setzt eine eigene Meinung voraus. Meinungen aber dürfen objektive Tagesbeobachter nicht haben – oder nicht zeigen. Natürlich haben sie eine Meinung, die sie aber nicht zur Debatte stellen dürfen. Statt auf gleicher Augenhöhe miteinander zu streiten, erleben wir pathologische Rollenspiele von Herren und Knechten. Der dumme Knecht muss beweisen, dass er klüger ist als sein besser wissender Herr.

Interviews sind feudale Verfallsformen des demokratischen Streitgesprächs, mit dem Gleichberechtigte um Wahrheit zu ringen hätten. Ist der Befragte mächtig, muss

der Tagesbeobachter sich glücklich schätzen, ein Interview erhalten zu haben. Ist er weniger mächtig als der Schreiber für Hunderttausende, muss er sich selber glücklich schätzen, seine Stimme in die Öffentlichkeit transportieren zu dürfen.

Die gegenseitige Einschätzung der Macht merkt man dem Frage-Antwort-Spiel als typische Atmosphäre an. Sie reicht vom untergründigen Entschuldigen bei Mächtigen: „Verzeihen Sie, dass wir solche Fragen stellen müssen, selbstredend sind wir ganz anderer Meinung“, bis zum höhnisch-gelangweilten Abfertigen eitler Möchtegernwürstchen, die sich mit ihren Parolen überschätzen. Medien haben die Rolle der Priester übernommen. Nach oben zu Gott – oder der Obrigkeit – buckeln sie, ihre Gemeindeschäfchen treten sie.

Als Gutenberg die Druckerpresse erfand – die die Chinesen schon lange vor ihm erfunden hatten –, und das Wort Gottes als vielfältig gedrucktes Buch unter die Leute kam, beendete Luther das priesterliche Monopol, die Bibel zu lesen und zu verstehen. Der Mensch musste lesen können, damit er unmittelbaren Kontakt mit dem Heiligen Geist herstellen konnte. Die Papisten wurden aus dem Weg geräumt, jeder mündige Christ wurde unmittelbar zu Gott.

Als die Druckerpresse politisch wurde, bildete sich eine neue Priesterkaste, die sich privilegiert fühlte, ihre Meinungen dem Volk per Gazetten unter die Weste zu jubeln: die Journalisten. Wie Priester ermächtigten sie sich, zwischen Oben und Unten zu vermitteln. Bis zum heutigen Tage maßen sich die Edelschreiber an, die unfehlbaren Dolmetscher zwischen Mächtigen und Ohnmächtigen zu spielen.

Seitdem das Internet allen BürgerInnen die Möglichkeit gibt, ihre Meinungen in die Öffentlichkeit zu senden, haben Algorithmen die Rolle Luthers übernommen. Jeder mündige Demokrat ist unmittelbar zum Volk. Vermittler? Überflüssig. Die Journalisten wurden ihres angemaßten Privilegs durch das elektronische Netz beraubt – und kämpfen nun wie die Berserker gegen den mündig gewordenen Pöbel, der sie als priesterliche Vermittlungskaste nicht mehr benötigt.

Der frühere Kampf zwischen Lutheranern und Papisten wurde zum Kampf zwischen Shitstormern und Lügenpresse. Die Edelschreiber halten sich für unersetzlich beim Berichten und Kommentieren, die kantische Menge, die nur noch mit dem eigenen Kopf denken und der eigenen Hand schreiben will, wird immer allergischer gegen die Papisten des unfehlbaren Worts. Das Volk hat es noch nicht gelernt, seine Meinung in disziplinierten Formen zu äußern. Es erbricht sein Unbewusstes – die verdrängte Jauchegrube jahrhundertealter klerikaler Über-Ich-Tyrannei – allzu oft in ungefilterter Form ins öffentliche Netz.

Das Unbewusste einer christlichen Drohkultur ist keine Idylle. Und dennoch muss man sagen, der Shitstorm ist eine Übung in Ehrlichkeit – auch wenn er zum Abgewöhnen klingt. Das meiste ist ungefährlich und muss nicht zum Nennwert ernst genommen werden.

Wenn allerdings die weitere Entwicklung der Republik die Eliten immer mehr stärken und die unteren Klassen immer penetranter – siehe Pegida – zum Sündenbock der ganzen Gesellschaft erklären sollte, anstatt vor der eigenen Türe zu kehren, könnte aus folgenlosen Ehrlichkeitsübungen ein giftiger Sud entstehen, der seine Hassparolen als politische Handlungsanweisungen missbraucht.

Das öffentliche Netz als Agora der Zukunft ist einer Therapie vergleichbar, in der ein Patient sein gewachsenes Selbstbewusstsein in einer Atmosphäre des Vertrauens benutzt, um sein Es zu lüften, damit er es beherrschen lernt. Im Unterschied zur Therapie aber ist die Öffentlichkeit kein reiner Ort des Urvertrauens. Hass könnte Gegenhass und eine verhängnisvolle Gewaltatmosphäre erzeugen.

Statt Contenance zu bewahren, begehen die Medien den verhängnisvollen Fehler, ihre bedrohte Unersetzlichkeit im Spiegel pöbelhafter Verleumdungen bestätigt zu sehen. Ihre eigenen, aktiven Diffamierungen und Demütigungen der unteren Klassen mit Hilfe gelehrter und undurchschaubarer Begriffe sehen sie nicht. Bürgerliche Medien verfügen über gesittete Umgangsformen, doch ihre verdrängten Emissionen vergiften die Welt. Shitstormer sind Rüpel, die auf verquere Weise an die Ehrlichkeit des Wortes glauben.

Die ZEIT: „Demokratie oder Barbarei, wir oder die Apokalypse – diese Rhetorik haben auch schon andere politische Kräfte bemüht. Was ist neu an Podemos?“

Geht es noch dümmer im deutschen Geniekult? Jeder muss die Welt neu erfunden haben, bevor er politisch tätig wird?

Wenn eine Demokratie verfällt: müsste sie durch Redemokratisierung nicht therapiert und erneuert werden? Erneuert durch die uralte Idee der Demokratie?

Muss Menschenwürde nicht ununterbrochen geschützt und im Kampf gegen Menschenfeinde rehabilitiert werden? Oder sollen wir sie von der politischen Agenda streichen, weil sie uns zum Gähnen bringt?

Die Moderne hält nichts von Wahrheit, das Neue aber ist für sie blanke Wahrheit, das Alte satanische Lüge. Indem sie das Neue anhimmeln, haben die Medien sich der linearen Heilsgeschichte unterworfen, in der das Neue die Befehlsausgabe Gottes in der Form taufrischer Offenbarung ist. Wahrheit wurde dem Diktat der Zeit unterworfen. Zeitlose Wahrheiten sind in Europa so beliebt wie VW-Vehikel in Amerika.

Die Säkularisation hat die Moderne nicht entchristlicht, sondern die Glaubenswahrheiten des Christentums in allgemeine Zeit- und Machtstrukturen verwandelt. Man muss heute nicht mehr glauben, um fleischgewordenen Dogmen dennoch ausgeliefert zu sein. Marx dachte, Religion überwunden zu haben, doch sein Optimismus ist nichts als Heilsgeschichte. Das Reich der Himmel wurde zum Reich der Freiheit. Der revolutionäre Fortschritt ins Bessere ist die unaufhaltsame Heilsgeschichte, in der erwählte Proleten ins Paradies, verworfene Ausbeuter in die Hölle wandern. Auch die Medien sind folgsame Schüler des linearen Heils, wenn sie das Neue als pure Wahrheit, das Alte als Lügengespinst definieren.

Alle abendländischen Geschichtstheorien sind christlich-jüdischer Herkunft. Karl Löwith hat die Reihenfolge der Heilsgeschichten bis Heidegger kritisch gesehen, Jacob Taubes sieht sie voller Bewunderung und Anbetung:

„Der Sieg der Ewigkeit vollzieht sich auf dem Schauplatz der Geschichte. Wenn am Ende der Geschichte die Zeit, der Fürst des Todes, unterworfen ist, so tritt die Endzeit ein. Das Ende der Zeit ist die Vollendung, da die Ordnung der Zeit aufgehoben ist. Vom Weg der Geschichte her gesehen, ist das Ende ein zeitliches Ende. Von der Fülle der Voll-endung her gesehen, ist dieses zeitliche Ende Ewigkeit. Die Zeit trägt in sich das todbringende Prinzip. Die Zeit ist nicht der Ort des Lebens, sondern trägt in sich den Pesthauch des Todes und stößt das Leben in die Scheol der Vergangenheit hinab. Erst in der Ewigkeit am Ende der Zeit, da die Vergänglichkeit selbst vergeht, besiegt die Ewigkeit das tödliche Prinzip der Zeit. Die Welt ist das Gegengöttliche und Gott ist das Gegenweltliche. Indem Gott in der Welt erscheint, ist er für die Welt neu.“ (Abendländische Eschatologie)

Indem die Medien das Neue suchen und das Alte abstoßen, erweisen sie sich als getreue Jünger des Evangeliums, die den Spuren Gottes in der Zeit folgen. Indem er sich unberechenbar den Seinen offenbart, schafft er permanent Neues, das im Pesthauch der Zeit teuflisch und alt wird. Medien sind nicht der menschlichen und natürlichen Wahrheit verpflichtet, sondern den Offenbarungen des Himmels, die alle irdischen Wahrheiten zuschanden machen.

Die lineare Zeit der Heilsgeschichte ist unverträglich mit der Natur-Zeit der Griechen, die eine zyklische Wiederkehr des Gleichen ist. Der Geist des Glaubens zerstört die Geistlosigkeit der Natur. „Natur bannt alles Geschehen in den Kreislauf von Blühen und Welken. Die Götter der Natur sind die Baale, und der heiligste der Baals-Götter ist Dionysos. In der ewigen Wiederkehr des Gleichen herrscht der Eros, der oben und unten einander nähert und den Kreis der Natur rundet. In der einsinnig unumkehrbaren Zeit herrscht der Geist, der vorwärts strebt. Wenn aber die Zeit als Kreislauf oder als Kreis von Kreisen angeschaut wird, ist ihr Wesen nicht offenbar. Denn es ist das Wesen der Zeit, vorwärts zu gehen, unumkehrbar auf das Neue hinzustreben, nach dem Wozu fragen. Mit der Frage nach dem Wozu ist der Kreis der Natur grundsätzlich gebrochen und das Gefüge des ewig Wiederkehrenden gesprengt.“ (Ebenda)

Erlösungsreligion ist der Todfeind der Natur, indem sie die weibliche Natur einem männlichen Schöpfer unterstellt, der sie aus dem Nichts zaubert und ins Nichts verschwinden lässt.

Der europäische Feminismus – im Gegensatz zum amerikanischen – scheut die Auseinandersetzung mit der Religion wie der Teufel das Weihwasser. Die europäische Frau, sie mag so emanzipiert sein, wie sie will, bleibt dem Gott der Männer untertan, der sie als Bringerin des Todes und der Sünde verwirft. Die Frau ist das Alte, das durch den Fortschritt der Kultur und der Technik überflüssig gemacht werden soll.

Die Heilsgeschichte ist die lange Schwangerschaft des Gottes, der den minderwertigen alten Menschen verwandelt in den vollkommenen neuen. Die Heilsgeschichte brütet den Menschen aus und entbindet am Ende den vollkommenen Mann, der identisch ist mit seinem Gott.

Zumeist haben die abendländischen Geschichtstheorien drei Zeitalter gemäß der heiligen Dreieinigkeit: die Epoche des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Welche sich verwandeln in die Epoche des Kindes, des Jünglings und des Greisen. Hegel dekretierte die Vollendung der Geschichte im Greisenalter der Menschheit. In Berlin erlebte die Heilsgeschichte ihren Höhepunkt und ihren Abschluss.

Beides haben die Deutschen bereits hinter sich gebracht. Jetzt wissen sie nicht, wo sie stehen und unterwerfen sich der Heilsgeschichte der Amerikaner. Merkel hatte keine Mühe, das sozialistische Christentum ihres Vaters mit dem neoliberalen Christentum des Dabbelju Bush zu vertauschen. Beide sind Varianten der abendländischen Heilsgeschichte.

Die Formel „Mensch im Mittelpunkt“ ist vieldeutig. Sie kann nicht bedeuten, dass der Mensch das Zentrum des Universums oder die Mitte der Natur ist. Der Mensch ist die Krone der christlichen Schöpfung, nicht der König der Natur und ihrer Geschöpfe. Unter der Perspektive der Natur ist er ein gleichberechtigtes Wesen unter gleichberechtigten Lebewesen. Leben im Einklang der Natur ist die Fähigkeit, von der Natur zu leben, doch nicht so, dass sie irreversibel beschädigt wird. Was der Mensch nimmt, hat er gleichwertig zurückzugeben.

In der Erlösungsreligion wurde die Welt um des Menschen willen erschaffen. Um des Mannes willen. Um des erwählten Mannes willen. Die ganze Schöpfung hat keinen anderen Sinn als den Mann zum Gott werden zu lassen. Die Frau ist nur ein notwendiges Übel.

Warum gibt es keine geschlechterspezifischen Umfragen, in welchem Maß die Frauen den technischen und ökonomischen Fortschrittswahn der Männer für richtig halten? Wetten, dass die Majorität der Frauen den Schwachsinn als Schwachsinn bezeichnen würde?

Die gesamte Weltpolitik der Gegenwart ist angewandter Anthropozentrismus. Der Mensch krönt sich zum Mittelpunkt der Erde. Master of Universe sind jene Superreichen, die die finale Bestimmung des Mannes bereits erreicht haben. Sie können nicht mehr übertroffen werden.

In demokratischer Politik, der Gestaltung der menschlichen Welt nach menschlichen Maßstäben, muss der Mensch im Mittelpunkt stehen und nicht Macht, Reichtum und Ehre. Alles Unrechttun kommt von falschen Zielvorstellungen des Menschen.

„Das Unrechttun hat seinen Grund im Trachten nach äußeren Gütern wie Reichtum, Macht und Ehre. Das sind die Güter, die die Welt für wertvoll hält. Wer aber für seine Seele sorgen will, der strebt stattdessen nach Wahrheit und Besonnenheit. Wer die Einsicht in den Wert wahrer und falscher Güter gewonnen hat, der ist der „wissende Mensch“. Dieser kann gar nicht anders als diesem Wissen entsprechend zu handeln, weil er sich sonst selbst schaden würde. Das Handeln ist abhängig von der Erkenntnis.“

Das sokratische Menschenbild, der wissende Mensch, ist das absolute Gegenbild zum modernen Anthropozentristen, der um falscher Güter willen die Natur versenkt und seine eigene Existenz aufs Spiel setzt. Warum bemerkt er sein wahnsinniges Spiel nicht? Weil er glaubt. Er glaubt, dass sein irdisches Ende der Beginn seiner eigentlichen, überirdischen Existenz sein wird.

In der griechischen Philosophie beginnt das Selbstbewusstsein des Menschen, der sich der Tradition entgegensetzt und nur für richtig hält, was er selbst bedacht und erfahren hat. Götter, Bräuche, und überlieferte Sitten werden als Autoritäten weggefegt. Der Mensch erkühnt sich, auf eigenem Fundament zu stehen. In der griechischen Aufklärung sehen wir die Heraufkunft der menschlichen Autonomie, die ohne demokratische Polis nie zustande gekommen wäre.

Aufklärung und Demokratie wurden zu siamesischen Zwillingen. Beide können nur zusammen überleben. Wenn Demokratie verfällt, kann sich keine Aufklärung halten. Wenn Aufklärung diffamiert wird, wird Demokratie diffamiert.

Diesen Doppelverfall erleben wir heute. Wir werden die Demokratie nur durch die Autonomie des menschlichen Denkens zurückerobern können. Wenn beide Zwillinge darben, kehrt triumphierend die Religion zurück.

Als die winzige athenische Polis in sich zerfiel und sich der Großmacht der Römer ergeben musste, gelang es der Philosophie, die naiven römischen Soldaten in erstaunlichem Maße von ihrer geistigen Überlegenheit zu überzeugen. Die Verlierer besiegten die Sieger. Doch nur in der Blütezeit der römischen Macht. Als diese zu erstarren und zu vergreisen begann, drangen orientalische Erlösungsreligionen ins Imperium, zersetzten in zäher Missionsarbeit den sterbenden Riesen und übernahmen am Ende die Herrschaft über das ganze römische Reich.

Rom wurde zur Zentrale des Papstes, der seine Macht in den folgenden Jahrhunderten über ganz Europa verbreitete. Das Christentum eroberte die Welt. Es gelang den Frommen, ihren Glauben in kreativer Genialität zu konkretisieren: sie erfanden schreckliche Waffen, rafften unendlichen Reichtum zusammen und verbreiteten ihre politische Macht über viele Völker der Erde.

Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele. Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr denn ein Reicher ins Himmelreich. Wir spüren die Reste der übernommenen sokratischen Tugend: Unrecht erleiden ist besser denn Unrecht tun. Doch die Einfügung hellenischer Weisheit in die apokalyptische Heilsgeschichte verwandelte den sanftmütigen Sokrates in den jesuanischen Pantokrator, den Master of Universe, der alle Menschen richten wird. Die Seinen beruft er zu ewigen Freuden, die Verworfenen verurteilt er zu ewigen Leiden.

Als in der Frühzeit des Christentums der angekündigte Messias nicht erschien, reagierten die Apostel in genialer Weise, indem sie predigten: Das Himmelreich ist bereits inwendig in euch. Wartet auf niemanden, Gott ist präsent in eurer Seele. Der allmächtige Gott nahm Wohnung im Innern der Gläubigen. Schon jetzt auf Erden verschmolzen Mensch und Gott.

Doch Gott, das innerliche Licht, blieb nicht innerlich. Er entäußerte sich und ward zur äußeren politischen Macht. „Das innerliche Licht einer ecclesia spiritualis (einer geistigen Kirche) aber brennt die Mauern der äußeren Institutionen nieder. Das innerliche Licht wird zur verzehrenden Flamme und wandelt sich in ein Feuer auf Erden.“ (Taubes)

Der gotterfüllte Mensch schwingt sich auf zum Herrn über die Welt. Das Subjekt, bei den Griechen abhängig von der objektiven Welt, macht nun die Welt von sich abhängig. „Während im Mittelalter, das philosophisch im Schatten der Griechen stand, die Erkenntnis sich nach den Gegenständen richten musste, ist es der Grundsatz der Neuzeit, dass sich die Gegenstände nach der Erkenntnis des Subjekts richten müssen. Das kopernikanische Menschentum versteht die Welt nicht mehr als unabhängig vom erkennenden Subjekt, sondern begreift die Welt als sein eigenes Produkt“.

Bei Kant beginnt es, im deutschen Idealismus erreicht die Gigantomanie des Ichs ihren Höhepunkt. Die wirtschaftliche und technische Gigantomanie der Amerikaner wäre ohne den Größenwahn der deutschen Philosophie undenkbar. Was die Deutschen in der Nachkriegszeit von den Amerikanern übernahmen, sind die materiellen Kindeskinder ihrer eigenen Denkungsart. Bei Kant hatte der subjektive Wahn in der Erkenntnistheorie begonnen: „Ein Objekt kann vom Menschen nur insofern erkannt werden, als es von ihm selbst erzeugt worden ist.“

Der christogene Anthropozentrismus versteht die Welt, weil er sie selbst aus Nichts herstellt. Die Welt ist sein eigener Wille, seine eigene Vorstellung. Indem er sich selbst versteht, hat er die Welt längst verstanden. Die Welt ist Abdruck seiner eigenen Gottähnlichkeit.

Hier endet die Geschichte vom selbstbewussten Europäer, dessen ursprüngliche Autonomie durch die siegende Religion gefangen genommen und degradiert wurde zur Theonomie des unvergleichlichen und einmaligen Mannes.

Wir aber müssen zurück zum autonomen Menschen, der sich als Teil des Kosmos verstand und nicht als Krone einer illusionären Schöpfung. Es ist kein Zurück. Weder gibt es ein Vorwärts, noch ein Zurück. Weder ist Zeit linear, noch hängt Wahrheit von Offenbarungen der Geschichte ab.

Die Wahrheit sagt immer dasselbe. Es gibt nur ein wirkliches Unglück und das ist: schlecht oder ungerecht zu handeln. Und nur ein wirkliches Glück: gut oder gerecht zu handeln.“

Das Einfache aber ist das Schwierigste.