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Tagesmail

Der fröhliche Tod

Hello, Freunde des fröhlichen Tods,

wären wir auf der indonesischen Insel Sulawesi, gäb‘s in Köln eine fröhliche Leich. An der Spitze des karnevalistischen Trauerzugs schritten heiteren Gemüts, geschmückt mit Blumen und Girlanden, die Spitzen der Regierung und verbreiteten „ausgelassene Freude“. Protestantisch verdüsterte, staatstragend erstarrte Gesichter wären nirgends zu sehen. Der Tod wäre kein Einwand gegen das Leben.

„Bei der Beerdigung nun, die wir in dem kleinen Örtchen Mengkendek zwischen Makale, der administrativen Hauptstadt der Region Tanah Toraja, und Rantepao, dem Touristenzentrum der Gegend, besuchen, wird die Verstorbene sehr feierlich, sehr ausgiebig und sehr fröhlich auf dem Weg ins Jenseits begleitet.“ (WELT)

Wären wir in Altgriechenland, sähen wir den Tod nicht als abschreckenden Sensenmann und Gerippe, sondern als „jugendlichen Genius mit gesenkter Fackel als Bruder des Schlafs“. Der Tod wäre kein Einwand gegen das Leben, keine Strafe für das verdammenswerte und fluchwürdige Dasein auf Erden.

„Damals trat kein hässliches Gerippe

An das Bett des Sterbenden: ein Kuss

Nahm das letzte Leben von der Lippe,

Seine Fackel senkt ein Genius.“ (Schiller)

Wären wir in China, würden wir rituelles Weinen und Wehklagen hören, persönliche

Gefühle wären tabu.

Da wir in Deutschland sind, müssen authentisch-scheinende Trauergefühle – die staatlich und privat verschmelzen müssen – das durch „unerwarteten, grausam-zufälligen und sinnlosen“ Tod gefährdete Gemeinwesen kitten und zusammenhalten. Der Tod ist kein Fall für den Neoliberalismus, der sich für grenzenlos und unsterblich hält.

Der Tod ist der Feind des Neoliberalismus. Außer der Sarg- und Beerdigungsindustrie nützt er niemandem. Sein Dax-Wert ist unterirdisch, seine Profitrate ein Desaster. Ein undynamischer und unflexibler toter Manager ist eine Beleidigung für alle rastlos agierenden Wirtschaftswachstumsvermehrer. Tritt der Tod heran, verstummen alle Tycoons – und rufen nach Väterchen Staat, den sie sonst in die Hölle verdammen.

Plötzlich darf der Staat intervenieren – wenn‘s um peinliche Grenzsituationen geht. Und der Staat interveniert. Mit pompösem Himmel- und Höllenaufwand zeigt er, dass er noch in der Lage ist, die seelischen Grundbedürfnisse seiner desolaten Untertanen mit öligem Abrakadabra zu befriedigen. Mit tatkräftiger Unterstützung einer klerikalen Leid- und Schmerzausbeutungsmaschinerie, die sich aalt in ihrer Ewigkeitskompetenz, schmerzlich-sinnlose Fragen in weihrauchgeschwängerten Sinnlosigkeiten zu ersticken.

Dieser Staat denkt nicht daran, mit wirtschaftlichen Dekreten getötete griechische Kinder, mit internationaler Hasspolitik in den Tod getriebene Flüchtlinge aus Syrien, mit westlicher Wirtschaftsdominanz ermordete afrikanische Jugendliche, durch unterlassene Hilfeleistung zum Verhungern verurteilte Mütter und Väter, durch westlich gelieferte Waffen durchsiebte Demonstranten und zivile Widerständler, zu betrauern.

Es gibt Tote erster und zweiter Klasse. Deutsche Tote sind exquisite Tote. Auf sie lauert ein Staat, der seine Regierungsfähigkeit längst an Wirtschaft und Klima-Schänder verraten hat und seine Legitimierung in Palliativ-Magie sucht: Heile, heile Gänschen, s‘wird bald widder guut.

Die einst sexuellen Kollektivorgien naturfreundlicher Völker sind zu kollektiven Trauerorgien verkommen, mit denen eine desorientierte Regierung ihre desorientierte Bevölkerung betrügt und diese sich betrügen lässt. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Mutter Merkel – eine eiskalte Wirtschaftserfüllerin – streckt Schwache und Ohnmächtige anderer Völker nieder und macht Eiapopeia bei ihren „richtigen Kindern“.

Der Staat kohabitiert mit einer bedenkenlosen Kirche, die innerlich triumphiert, wenn die gegängelte Bestie Mensch ohne priesterlichen Segen nicht über die Runden kommt. Das haben sie nun davon, wenn sie äußerlich satt wurden, aber innerlich am Hungertuch nagen. Gott ist tot, doch in Not- und Todfällen wird er umstandslos zur Auferstehung genötigt, damit seine Diener nicht ihre Milliarden Kirchensteuern verlieren.

Die demoskopische Symbiose aus Merkel & Mehrheit ist zur folie à deux geworden. Man könnte sich in einer ruhigen Minute – die es nicht geben darf, wofür sorgfältig eintrainierte ADHS-Kohorten der Medien sorgen – mal fragen, warum die Deutschen auf eine perfekt agierende Magd Gottes hereingefallen sind?

a) Weil sie in Grenzsituationen indirekten Kontakt mit dem Himmel benötigen. Den gewährt ihnen gnädig eine mit himmlischen Mächten vertraute Pastorentochter, die ihre Durchhaltequalitäten im atheistischen Sozialismus bewiesen hat. Einen direkten Kontakt mit den Oberen Regionen: das lehnen die ach so aufgeklärten deutschen Christen ab. Das wäre ja noch schöner, selbst die Knie zu beugen. Doch gut ist es, zu Hause ein frommes Mütterchen zu wissen, das die wilden, auf die Schnauze gefallenen Kinder ins Gebet einschließt.  

b) Weil sie gar nicht wissen, was eine wahre Christin ist. Kohl und Strauß waren angepasste Ministranten, aber das Gegenteil frommer Väterfiguren. In charismatischer Führungsqualität könnten sie Merkel nicht das Wasser reichen. Abgesehen von der frommen Königin Luise – die allerdings nur die zweite Geige in Preußen spielte – dürfte Merkel die erste Vertreterin einer auratischen Magd-Machiavellistin in Europa sein.

Da Deutsche Christen sein wollen, vom Christentum aber keine Ahnung haben, können sie per definitionem nicht wissen, was eine genuin christliche Politik ist. Von Kindesbeinen an hat die Pastorentochter das himmlische Manna bei ihrem geliebt-gefürchteten Kanzelvater inhaliert. Von der Kanzel zur Kanzlerin war‘s nur ein Katzensprung. Bravourös hantiert sie mit allen Finessen der christlichen Antinomie, der paradoxen Doppelrede, der frei flottierenden Widersprüche, der biblischen Dialektik: allen Deutschen ist sie untertan, um alle Deutschen zu beherrschen.

Damit ist sie allen simplen christlichen Politikerkollegen, die vor Kraft nicht laufen können und dies trümpelhaft der ganzen Nation vermitteln, um Welten überlegen. Die Männer ihrer Entourage sind derart trostlos, dass Mütterchen sich gelegentlich zu langweilen scheint, weil sie keine ernst zu nehmenden Gegner hat.

(Für Hinterwäldler: eine Magd Gottes ist das Gegenteil einer Feministin. Die Epoche des Matriarchats wurde von Männern gekillt, als sie die Hochkultur mit Männerreligionen erfanden und das Weib zur Männin erniedrigten.)

c) Weil Deutsche in der Not ihre weltlichen Lust-Säue verlassen und zum alleinseligmachenden Vater zurückkriechen. Es gibt nur ein Gleichnis, das in die dumpfen Seelen der Deutschen schlüpfen konnte: das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Hier werden alle deutschen Männeraugen feucht, wenn Vater den Versager in die weit geöffneten Arme schließt, um ihn sogleich dem zweiten braven Sohn vorzuziehen. Scheitern lohnt sich bei Väterchen Schöpfer. Ein biblischer Gott kann es nicht lassen: immer muss er eine Kreatur gegen die andere ausspielen – um alle Kreaturen zu beherrschen.

Um die vielschichtige Strategie von Mütterchen Merkel zu decouvrieren, müssen wir bei – Bismarck, dem neuen Heros der deutschen Herrenmenschen, nachschauen. Der Blut & Eisen-Koloss war ein Christ vom Scheitel bis zur Sohle. Seine Leitdevise lautete:

„Der Staatsmann kann nie selbst etwas schaffen – er kann nur abwarten und lauschen, bis er den Schritt Gottes durch die Ereignisse hallen hört – dann vorspringen und den Zipfel des Mantels halten.“

Merkel hat keine Utopie ihres politischen Tuns. Schlecht und recht verwaltet sie das Irdische im Auftrag des Herrn. Die Menschheit ist verloren, niemand kann sie retten. Ein Rettungsversuch wäre schon Aufstand wider Gott. Wenn sie am Jüngsten Tag vor ihrem himmlischen Vater steht, wird sie demütig unter sich blicken und sagen: „Wir sind unnütze Knechte (und Mägde); wir haben nur getan, was wir zu tun schuldig waren.“

Vor wenigen Jahren noch galt sie als zögerlich und unschlüssig. Das war die Phase ihres Lauschens und Abwartens, bis sie herausgefunden hatte, wie der Laden läuft. Ist sie unsicher, wartet sie ab, woher die Schritte Gottes – oder der demoskopischen Umfragen – zu kommen scheinen. Von den Optionen ihrer Fachleute scheidet sie die extremen sofort aus. In die gemäßigten legt sie die Diagonale und entscheidet stets unter dem Gesichtspunkt des „Prophete links, Prophete rechts, Magd Gottes in der Mitten.“

Eigene Anschauungen, durch gründliches Studieren und Lernen angeeignet, besitzt die Physikerin nicht. Sie orientiert sich in traumhafter Sicherheit am Durchschnitt der Meinungen ihrer Berater und Politkollegen. Sie ist das Gegenteil einer Intellektuellen. Dass ihr Physikstudium bei deutschen Journalisten als Ausweis ihrer „Nüchternheit und rationalen Objektivität“ gilt, beweist den Selbsthass der Politologen und Soziologen.

Nach dem Motto Francis Bacons muss Physik den Gesetzen der Natur gehorchen – um sie zu beherrschen. Politik aber bezieht sich auf menschliche Dinge, die nicht vollständig determiniert sind. Da sie theologisch über eine vollständige Weltanschauung verfügt, den Marxismus als weltliches Denkgebäude verachten gelernt hat, ist für Merkel alles Philosophieren nichts als Geschwätz und Haschen nach Wind. Ihre „Nüchternheit“ ist die Hausbackenheit einer familiären Frömmigkeit, übersetzt in triviale Alltagssprache.

Was die Sphäre ihrer ecclesiogenen Losungen – nicht zu verwechseln mit gesundem Menschenverstand, den sie allerdings zu kopieren versucht – übersteigt, wird von ihr als Männergeschwall betrachtet und abgelehnt. Mütterchen ist fürs Praktische zuständig. Während die Herren der Schöpfung ins Blaue schwadronieren, sorgt sie im Verborgenen für vollendete Tatsachen. Sie versteht es meisterhaft, konkurrierenden männlichen Meisterstrategen das Gefühl zu vermitteln, ihnen unterlegen zu sein, ihren grandiosen Entwürfen zu folgen, während sie das Publikum längst für ihre unvergleichlichen Mütterkünste eingenommen hat.

Genervt hat Gabriel schon jetzt, zwei Jahre vor der nächsten Wahl, jede Hoffnung auf einen potentiellen Sieg aufgegeben. Am liebsten würde die trostlose SPD die GROKO als Dauerregierung in der Verfassung verankern. Moppel-Ich Gabriel kann sich gar nichts Schöneres vorstellen, als den sanften Direktiven von Mütterchen unauffällig Folge zu leisten.

Wenn Merkel seine Politik als eigene verkauft, wie er dreist behauptet, die Proletenpartei dennoch nicht die geringste Chance gegen die Kanzlerin zu haben scheint – was, um Gottes Willen, bleibt der SPD noch übrig? Der freiwillige Konkurs einer Partei, die sich in 100 Jahren oft genug selbst verraten hat. Tschüss, Proleten, die ihr längst keine mehr seid.

Die Deutschen erkennen nicht, dass Merkel‘sche Demut die paradoxe Maskierung ihrer eisernen cupido dominandi (Herrschaftswillens) ist. Nach allen maskulinen He-Man-Eitelkeiten und Grobheiten der Oggersheimer Provenienz entdeckten die Deutschen ihr Bedürfnis nach gesitteten Manieren und uneitler, leise schurrender Effizienz. Wie wohltuend für unsichere Gemüter, als die aufstrebende Merkel als hässliches Ossi-Entlein den manikürten und gestylten Wessis das Gefühl der leicht errungenen Überlegenheit vermittelte. Niemand traute es ihr zu – und schon hatte sie ihre schärfsten Rivalen kalt gestellt.

Merkel versichert ihrem Volk: alles im grünen Bereich – selbst wenn die Kacke am Dampfen ist. Weil alles in Gottes Händen liegt. Mag alles noch so dicke kommen, aus Gottes Regiment können wir nicht fallen. Merkel trägt den Zipfel von Gottes Mantel wie eine Monstranz vor sich her. Ihre politischen Ziele sind bescheiden, ja, es gibt sie gar nicht, also können sie nicht widerlegt werden.

Merkel kennt nur eine einzige Aufgabe: den irdischen Saftladen mit Biegen und Brechen ans Ziel zu geleiten. Das Schiff, das sich Gemeinde nennt, muss durch viele Stromschnellen und an vielen Untiefen vorbei ins vorgegebene Endziel gesteuert werden. Ohne Eigenmächtigkeiten, ohne ungehorsame Eitelkeiten.

„Nicht dass wir von uns aus tüchtig wären. Etwas zu denken aus uns selbst heraus, sondern unsere Tüchtigkeit stammt von Gott.“ „Denn Gott ist es, der in euch das Wollen und das Vollbringen wirkt um seines Wohlgefallens willen.“ „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr. Sondern so hoch der der Himmel über der Erde ist, soviel sind meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanke höher als eure Gedanken.“

Merkel vermittelt den Deutschen das Gefühl absoluter Sicherheit, die nicht von ihr, sondern vom himmlischen Vater garantiert wird. Sie glaubt für alle, betet für alle und handelt stellvertretend für alle. Die Deutschen müssen es nicht zugeben – ja, es würde sie peinlich berühren –, dass sie diese von Oben autorisierte Sicherheit für ihr Seelenheil auf Erden und im Himmel brauchen.

Merkel spürt die Feigheit derer, die fromm sein und dennoch große Skeptiker sein wollen und stellt sich pro nobis als Mittlerin ins Jenseits zur Verfügung. Sie kennt die Schwächen ihrer Pappenheimer und schaut in berechnender Schonung über sie hinweg.

Die Deutschen dürfen wieder nationalistisch auf andere Völker herabschauen – Gott und seine Magd vergeben ihnen. Sie müssen nicht selber denken und schon gar nicht selbständig handeln. Es herrscht Urvertrauen in Mütterchen, das sich draußen in der Welt für die Ihren bis zur physischen Erschöpfung abrackert – und dennoch nicht ins altbekannte Opfergehabe deutscher Mütter verfällt. Innerhalb weniger Stunden kann sie regenerieren und unbefangen lächeln, als sei ihr im Traum die Botschaft des Engels zuteil geworden: das ist meine Magd, an der Ich mein Wohlgefallen habe.

Warum gibt es keine Debatten mehr? Weil Mütterchen sie für Geschwätz hält. Warum gibt es keine Alternativen mehr? Weil Mütterchen den direkten Draht nach Oben besitzt. Warum sind die Deutschen so in Mütterchen verknallt? Weil sie ihnen das Gefühl vermittelt, die Besten und Tüchtigsten zu sein. Ruhe sanft, Deutschland. Mütterchen wacht über dir.

Auch in Katastrophen, die die Deutschen nicht verstehen. Ein Flugzeug fiel vom Himmel. Warum? Seltsame Frage. Weil Technik nie unfehlbar, der Mensch nie perfekt sein wird?

Mit solch trivialen Antworten können sich Erben religiöser Dauergrübler und Tiefendenker nie zufrieden geben. Also verbündet Mütterchen sich mit den Seelenhirten, die im Auftrag Gottes und des Staates die ultimative Antwort geben dürfen: Ignoramus et ignorabimus, wir wissen es nicht und werden es niemals wissen.

Doch nun das Entscheidende. Die Antwort gilt nicht als klägliche Unwissenheit. Sie ist umgeben vom Flair des Unumstößlichen und dogmatisch Unfehlbaren. Mit dem Segen der Offenbarung wissen die Deutschen, dass sie nie etwas wissen können – also dürfen sie getrost zum Glauben greifen.

Es ist ein ultimativer Entscheid, der an das Volk der Nichtmehrdenker und Kaumnochgrübler ergeht. Gefragt und gezweifelt wird nur noch, wenn die funktionierende Welt brüchig geworden ist. Wenn sich ein Riss im Gemäuer aufgetan hat und der stets geahnte Schlund ins Abgründige nicht mehr zu verbergen ist.

Der Neoliberalismus kennt keinen Tod. Der technische Fortschritt schon gar nicht. Tritt er dennoch mit ungeheurer Wucht vor die Augen der Todlosen, schlägt die Stunde jener, die mit der Gewalt des unfehlbaren Gottes das Unerklärliche – unerklärlich sein lassen. Dies aber in der Autorität des Endgültigen und Abgeschlossenen. Hat Rom gesprochen, ist die irritierende Chose vom Tisch.

Die Allianz aus Staat und Glauben sorgt für jene Seelenentlastung, die die Menschen benötigen – um morgen erneut ein Flugzeug zu besteigen und business as usual zu betreiben. Der ehrgeizige Staat, in Konkurrenz mit allen Staaten, braucht gut funktionierende Malocher. Dafür sorgen Himmel und seine Stellvertreter.

Böckenfördes Diktum, dass der säkulare Staat ohne religiöse Grundwerte vor die Hunde gehe, muss sich beweisen. Sollte Demokratie die Gemeinschaftsform autonom handelnder Menschen sein – sie ist es –, ist Deutschland von der Demokratie noch weit entfernt. Was wir haben, ist eine Theokratie oder Thanatokratie, die Notzeiten voraussetzt, um ihre Nützlichkeit zu beweisen. Also muss Not regelmäßig hergestellt werden, damit Gott und Tod ihr Regiment offenbaren können.

Der Staat soll sich nicht ins Private einmischen. Dem Einzelnen soll er nicht vorschreiben, wie er sich ernähren, mit welchem Vehikel er fahren und wie er seine Kinder erziehen soll. So die Meinung über den Staat, solange die Gesamtmaschine funktioniert.

Kaum kommt sie ins Stottern, maßt der Staat sich an, seinen Untertanen Trauer, seelischen Schmerz und Leid zu verordnen. Mit Hilfe eines Klerus, der sich kannibalisch von den Wunden und Schwächen der Menschen ernährt, kompensiert er seine eigenen Schwächen. Eine schreckliche Kumpanei der Despoten über die unsterbliche Seele und den sterblichen Leib.

Was wird in der unfröhlichen Trauerfeier in Köln zu hören sein? Mensch, werde wesentlich? Nein, Mensch, ergib dich dem Willen der Geschichte, der Heilsgeschichte oder den Gesetzen der allmächtigen Wirtschaft.

Was hingegen sagte Perikles in seiner berühmten Totenrede zu den Bürgern von Athen?

„Unsere Stadt steht der Welt offen; wir vertreiben nie einen Fremdling. Wir sind frei, genauso zu leben, wie es uns gefällt, und doch sind wir immer bereit, jeglicher Gefahr ins Auge zu sehen. Ein athenischer Bürger vernachlässigt die öffentlichen Angelegenheiten nicht, wenn er seinen privaten Geschäften nachgeht. Wir betrachten einen Menschen, der am Staate kein Interesse hat, nicht als harmlos, sondern als nutzlos. Und obgleich nur wenige eine politische Konzeption entwerfen und durchführen können, so sind wir doch alle fähig, sie zu beurteilen. Wir halten die Diskussion nicht für einen Stein des Anstoßes auf dem Wege der politischen Aktion, sondern für eine unentbehrliche Vorbereitung zum weisen Handeln. Wir halten das Glück für die Frucht der Freiheit und die Freiheit für die Frucht der Tapferkeit. Die Tugend beruht zu allererst darauf, dass man den anderen respektiert. Jeder Mensch ist eine kleine Welt für sich selbst. Wir sollten unser Äußerstes tun, um denen zu helfen, die Unrecht erlitten haben. Die Armut einer Demokratie ist besser als die Wohlhabenheit, die angeblich mit der Aristokratie oder der Monarchie verbunden ist, ebenso, wie die Freiheit besser ist als die Sklaverei. Der Weise gehört allen Ländern an, denn die Heimat der großen Seele ist die ganze Welt.“

Solange die Trauer der Deutschen nur überirdische Illusionsklänge hervorbringt und nicht zur Einsicht führt, dass der mündige Mensch Bürger der ganzen Welt ist, für die er sich verantwortlich fühlt, weil sie die Heimat aller Menschen ist – solange sind die Toten des Flugzeugabsturzes vergebens gestorben.

„Obwohl die Geschichte keinen Zweck hat, können wir ihr dennoch unsere Zwecke auferlegen, und obwohl die Geschichte keinen Sinn hat, können wir ihr einen Sinn verleihen.“ (Popper)

Wahre Trauer führt nicht zur Verbitterung und zur Abkehr von der Welt. Seine Lebensbilanz nannte Alfred Grosser: „Die Freude und der Tod“. Kein Toter ist tot, wenn wir ihn nicht aus unserer Erinnerung streichen.