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Bilderverbot

Hello, Freunde der Augenlust,

Regierungskrise in Berlin. Nicht wegen Afghanistan, Syrien, Sotschi, NSA. Sondern wegen Augenlust.

Gesellschaften sind keine Maschinen, sondern Organismen, die aus der Summe aller kollektiven Projektionen ihrer Mitglieder zusammengesetzt sind. Sie haben kein selbstständiges Innenleben und verändern ihre Form, wenn die Mitglieder ihre Projektionen ändern.

Wie alle Schöpfungen des Menschen haben Projektionen die Eigenart, ihre Abhängigkeit von den Menschen zu leugnen. Sie tun, als seien sie selbständige Gebilde, die aus eigener Macht über sich bestimmen und auf gleicher Augenhöhe den Menschen gegenübertreten könnten. Ja, allzuoft treten sie als Götter auf, die den Menschen überlegen sind.

Und die Menschen beugen ihre Knie, obgleich sie wissen könnten, dass die selbsternannten Gottheiten ihre eigenen Kreaturen sind, die sich aus abhängig-geschaffenen in unabhängig schaffende Wesen verwandelt haben.

Ohne Einwilligung der Menschen, die verdrängt haben, dass sie diese Gebilde selbst erzeugten, wäre die trügerische Selbsterhöhung der Phantasiefiguren unmöglich. Dem Menschen treten seine eigenen Erzeugnisse als objektiv furchterregende HerrscherInnen gegenüber. Das ist der Prozess der Religionserfindung.

Das Werk des Menschen beherrscht den Urheber mittels der optischen Täuschungsfähigkeit, seine Phantasiefiguren in reale Wesenheiten zu transsubstantiieren, sie in höhere Substanz zu verwandeln. Im Abendmahl verwandelt der Priester Brot und Wein in Fleisch und Blut Christi. Natürliche Substanzen

verwandeln sich wunderbarerweise in Substanzen des Gottes.

Der Mensch beugt sich Wesen, die er für mächtiger hält als sich selbst, obgleich er sie erfunden hat. Wir könnten von der transzendenten Täuschung reden, einem Gegenstück zur optischen Täuschung. Irdisches wird transzendent, obgleich es seine irdische Qualität nicht abstreifen kann.

Diese Täuschungen sind unvermeidbar. Nur nachträglich kann man sie durchschauen und aufheben, wenn man die Eigenartigkeit des menschlichen Erkenntnisapparats durchschaut, der den Menschen zu foppen und zu „betrügen“ liebt – wenn der Mensch sich betrügen lassen will.

Warum will er sich von eigenen Machenschaften betrügen lassen? Er fühlt sich klein und schwach in der Welt und sehnt sich nach verlässlicher Macht und Größe, die er nur anbeten kann, wenn sie als unabhängige Größen daherkommen. Seine eigene Schaffenskraft muss der Mensch verleugnen, um sich die Illusion unabhängiger und mächtiger Götter zu verschaffen.

Indianer wissen genau, dass der Fisch sich nicht an der Stelle im Wasser befindet, die ihre Augen sehen, sondern ein konstantes Stück daneben. Instinktiv korrigieren sie die Täuschung ihrer Sehorgane, obgleich sie nie einen Kurs in Physik belegt haben. Nein, Sinnesorgane betrügen nicht bei der optischen Täuschung. Korrekt zeigen sie, was die Augen der Menschen ihnen mittels optischer Gesetze vermitteln.

Kennt der Mensch nicht die Gesetze der Optik, betrügt er sich selbst. Kennt er aber die Gesetze der Lichtbrechung in Wasser, kann er den unvermeidlichen Verzerrungswinkel seiner Daten herausrechnen und nachträglich korrigieren.

Beim transzendenten Verzerrungsfaktor müsste er genauso verfahren: die Götter, die ich anbete – müsste er sich sagen – sind meine eigenen Erfindungen. Suche ich Trost und Hilfe bei übermächtigen Kräften – kann ich mir selber vertrauen, denn diese Geschöpfe sind auf meinem eigenen Mist gewachsen.

Doch der Mensch vertraut sich nicht, er hat nur ein mangelhaftes Selbstbewusstsein. Anderen, fremden Geschöpfen traut er mehr als sich selbst. Die fremde Andersartigkeit der Götter benötigt er, um ihnen mehr zuzutrauen als seiner eigenen Nichtigkeit.

Nur eine selbstbewusste Menschheit, die keine Götter mehr produzieren muss, wird sich von ihnen lösen und sich selbst vertrauen, weil sie ihre eigene Stärke nicht verleugnen muss.

Jesaja hat den Spuk der ordinären Gottwerdung durchschaut und verhöhnt die selbstgeschaffenen Götzen und Idole der Heiden:

„Er geht frisch daran unter den Bäumen im Walde, daß er Zedern abhaue und nehme Buchen und Eichen; ja, eine Zeder, die gepflanzt und die vom Regen erwachsen ist und die den Leuten Brennholz gibt, davon man nimmt, daß man sich dabei wärme, und die man anzündet und Brot dabei bäckt. Davon macht er einen Gott und betet’s an; er macht einen Götzen daraus und kniet davor nieder. Die Hälfte verbrennt er im Feuer, über der Hälfte ißt er Fleisch; er brät einen Braten und sättigt sich, wärmt sich auch und spricht: Hoja! ich bin warm geworden, ich sehe meine Lust am Feuer. Aber das übrige macht er zum Gott, daß es ein Götze sei, davor er kniet und niederfällt und betet und spricht: Errette mich; denn du bist mein Gott! Sie wissen nichts und verstehen nichts; denn sie sind verblendet, daß ihre Augen nicht sehen und ihre Herzen nicht merken können, und gehen nicht in ihr Herz; keine Vernunft noch Witz ist da, daß sie doch dächten: Ich habe auf den Kohlen Brot gebacken und Fleisch gebraten und gegessen, und sollte das übrige zum Greuel machen und sollte knieen vor einem Klotz? Er hat Lust an Asche, sein getäuschtes Herz verführt ihn; und er wird seine Seele nicht erretten, daß er dächte: Ist das nicht Trügerei, was meine rechte Hand treibt?“ (Jes. 44,14 ff)

Selbstgemachte Götter waren heidnische Götter, die nichts taugten. Der biblische Gott musste ein fremder Gott sein, dessen Dasein nicht von Menschen abhing, sondern aus eigener Machtvollkommenheit existierte. „So spricht der HERR, dein Erlöser, der dich von Mutterleibe hat bereitet: Ich bin der HERR, der alles tut, der den Himmel ausbreitet allein und die Erde weit macht ohne Gehilfen.“

Es ist, als ob Jesaja den griechischen Philosophen Xenophanes gelesen hätte und seinen eigenen Gott vor der Kritik des heidnischen Religionskritikers bewahren wollte. Der Vorsokratiker hatte den Menschen genau dies vorgeworfen: dass sie ihre eignen Machwerke zu Göttern gemacht hätten:

„Hätten die Rinder und Rosse und Löwen Hände wie Menschen,

Könnten sie malen wie diese und Werke der Kunst erschaffen,

Alsdann malten die Rosse gleich Rossen, gleich Rindern die Rinder

Auch die Bilder der Götter, und je nach dem eigenen Aussehn

Würden die leibliche Form sie ihrer Götter gestalten.“

Der Gott der Hebräer war, als Antwort auf die Götter der Heiden, das Produkt einer höheren Reflexionsstufe. Der wahre allmächtige Gott konnte kein Geschöpf des Menschen sein.

Doch die Aufdeckung einer Täuschung ist noch lange nicht der Beweis der eigenen Wahrheit. Wer fremden Trug durchschaut, besitzt noch nicht den Wahrheitsbeweis der eigenen Aussage. Die Kritik eines Fehlers ist noch lange nicht die Lösung des Problems.

Der Erfolg des biblischen Gottes in der Welt – in Form der drei Monotheismen –, beruht auf der Garantieerklärung, dass er keine windige Erfindung des Menschen, sondern eine eigenständige Machtperson sei, Schöpfer Himmels und der Erden und somit auch der Menschen. Gott hat den Menschen erschaffen, nicht der Mensch den Gott.

Das klingt eindrucksvoll und kommt den innersten Bedürfnissen der Menschen entgegen – sich nicht selbst zu einem Gotteserfinder zu erheben und damit dem Produkt der eigenen Täuschung anheim zu fallen. Aber auch diese Behauptung ist nur eine Behauptung, die geglaubt werden muss. Auch dieser Gott ist nur eine Erfindung des menschlichen Gehirns, wenngleich nicht so einfach zu durchschauen wie die kindlichen Götter der Heiden.

Ob als Erfindung in erster oder zweiter Potenz: Gott bleibt das Erzeugnis der Menschen. Wenn Menschen einen Gott als psychische Stütze benötigen, um das Rechte zu tun, kann es keine sinnvollen Einwände gegen selbstgemachte Götter geben. Wie man einen Hobel benutzt, um Bretter zu bearbeiten, so benütze man einen instrumentellen Gott, um sein Schicksal selbst zu gestalten.

Am besten wäre es, wenn der Mensch wüsste, dass er sein göttliches Instrument sich selbst zu verdanken hat, um Vertrauen in die eigene Stärke zu gewinnen.

Wir befinden uns im Bereich philosophischer Religionskritik. Ganz anders die notwendige Kritik konkreter Religionen und Götter, deren Eigenschaften in heiligen Schriften vorliegen.

Abstrakte oder erdachte Götter sind nicht identisch mit spezifischen Göttern historischer Glaubenssysteme. Der Gott der Bibel ist nicht identisch mit dem Gott des Xenophanes:

„Ein Gott ist unter den Göttern und unter den Menschen der größte,

Nicht an Gestalt vergleichbar den Streblichen noch an Gedanken.

Ganz ist Auge, ganz Ohr und ganz Gedanken sein Wesen.

Immer am gleichen Ort verharrt er ohne Bewegung

Und es kommt ihm nicht zu, bald dahin, bald dorthin zu gehen.

Mühelos schwingt er das All mit seines Geistes Vermögen.“

Der Grieche hat sich diesen Gott erdacht, der biblische Gott macht sich durch Offenbarung erkenntlich. Ohne Kritik des Offenbarungsbuches kann der Gott der Bibel nicht kritisiert werden. Bei Xenophanes gibt es keine Erleuchtung von oben, hier muss jeder seinen eigenen Kopf benutzen.

Was den biblischen Gott charakterisiert, kann rational nicht ausgedacht werden. Um sein Wesen kennen zu lernen, muss man seine Heilstaten zur Kenntnis nehmen, die in seinem Buch beschrieben werden.

In der heutigen gedankenfreien Debatte um Gott wird zwischen Gott und Gott kein Unterschied gemacht. Doch ein deistischer Gott ist kein theistischer oder pantheistischer Gott. Der Gott des pietistischen Matthias Claudius ist nicht der Gott des Pantheisten Goethe. Spinozas Gott ist nicht der Gott seiner Väter. Der Gott Schillers – „überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen“ – ist nicht der Gott Lavaters. Hölderlins Christus ist nicht der Christus des Neuen Testaments.

In jeder Debatte um Gott muss zuerst geklärt werden, um welchen Gott gestritten werden soll. Philosophische Götter lassen sich durch Argumente beweisen oder dementieren, auf jeden Fall wollen sie vom Menschen erkannt werden. Der biblische Gott entzieht sich jedem Erkanntwerden mit furchterregendem Donnerspruch.

Wer etwas erkennen will, muss sich ein Bild von dem machen, was er erkennen will. Sei es in mythischen Bildern, abstrakten Gedanken, physikalischen Gesetzen oder in mathematischen Gleichungen. Das Bild, das man sich von etwas macht, muss experimentell mit der Wirklichkeit verglichen werden, damit eine hypothetische Behauptung bestätigt oder widerlegt werden kann.

Vom biblischen Gott darf man sich kein Bild machen. „Du sollst dir kein Bildnis noch Gleichnis machen, weder dessen, was oben im Himmel, noch dessen, was in den Wassern unter der Erde ist.“ Jahwe will nicht erkannt oder durchschaut, er will angebetet werden.

Wer durchschaut wird, ist nicht mehr furchterregend gefährlich. Man kann sich seiner erwehren. Wenn Wissen Macht ist, hat jener Macht über Gott, der Wissen über Ihn hat. Der biblische Gott will unerkennbar bleiben. Er entzieht sich der Denkkraft des Menschen, somit dessen kritischen Fähigkeiten. Bilderverbot ist Erkenntnisverbot.

Was hat das Ganze mit der Regierungskrise und dem Fall Edathy zu tun?

Der Mensch ist Ebenbild Gottes. Darf man sich ein Bild von ihm machen, wenn man ihn erkennen will? Darf man Gott schauen, wie er ist? Darf man den Menschen schauen, wie er ist?

Im Fall Edathy geht es um Schaulust. Der Mensch will den Menschen in seiner Nacktheit schauen. In seiner Nacktheit sieht man den Menschen, wie er ist, unverhüllt von künstlichen Überdeckungen und Täuschungsversuchen. Nacktheit war die Wirkung des Sündenfalls. „Da gingen den beiden die Augen auf und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren.“

Jemanden in seiner Nacktheit sehen, heißt, ihn in seiner Schwäche und Schutzlosigkeit erblicken. Nacktheit ist die Blöße des Menschen, die er bedecken muss, um nicht schwach und schutzlos zu scheinen.

Die Regierungskrise ist die Krise einer Gesellschaft, die sich im Prinzip christlich versteht. Krisen eines lebendigen Organismus entstehen – nicht anders als psychosomatische Krankheiten beim einzelnen Menschen – am schwächsten Teil dieses Organismus. Ein religiöser Organismus kann nur religiöse Krisen produzieren. Wo ist die schwächste Stelle des christlichen Organismus der Deutschen? Im puncto puncti der gläubigen Gesellschaft.

(In pụnc|to pụnc|ti, hinsichtl. des wichtigsten Punktes, d. h. der Keuschheit [lat., „im Punkte des Punktes.])

Der angreifbarste Punkt der pornoüberfluteten Gesellschaft ist ihre desolate Beziehung zu Eros und Sexualität. Wenn sie wirklich christlich wäre, dürfte sie dann so sexualisiert sein? Enthüllt die sexuelle Bilderschwemme nicht ihre abgrundtiefe Glaubensschwäche – oder die Hauptsünde der Gesellschaft wider den Geist der Keuschheit und Enthaltsamkeit?

Edathy ist nicht nur Pfarrersohn, er ist ein schwuler Pfarrersohn, dazu ein halber Ausländer. Für deutsche Verhältnisse der Inbegriff eines Sündenpfuhls, ein teuflischer Stachel im ehrbaren Fleisch der frommen GroKo und einer Nation, die sich überwiegend religiös versteht. Der psychosexuelle Überbau der Gesellschaft ist betont christlich und sexualfrei.

Merkel ist die asexuelle Mutter der ganzen Kompanie, sie gibt sich wie eine untadelige Madonna jenseits allen fleischlichen Begehrens. Pastor Gauck predigt zwar gerne, doch nie über orgasmische Lust. Das ist die evangelische Flanke der Gesellschaft.

Die katholische wird von zölibatären Priestern geprägt, die gefeit sein sollten gegen alle Versuchungen des weiblichen Satans und sich dennoch anheischig machen, das sexuelle Leben ihrer Schäfchen schulmeisterlich zu reglementieren.

Die feministische Seite wird von einer zunehmend sexualfeindlichen Dame repräsentiert, die alle Unzucht mit Feuer und Schwert ausrotten will. Vor allem die sündigen und ehebrecherischen Triebe der Männer. Sie selbst gibt sich nicht wie eine Liebhaberin der Sinnlichkeit. Offenbar hat sie Wichtigeres zu tun als erotischen Flair zu verbreiten und widmet sich verbotenem Mammon in Schweizer Tresoren.

Die Männerseite wird ganz vom Kapitalismus regiert. Fast seine ganze Energie hat der ehrgeizige Mann im Dienst des Wirtschaftswachstums zu verdampfen. Erst der klägliche Rest darf in der karg bemessenen Freizeit zur – moralisch halbseidenen – Pornolust resteverwertet werden.

Porno ist erotisches Kastratentum. Die Kunst des Eros erfordert vollwertige Menschen, die im protestantischen Malocherethos nicht geduldet werden. Der Kapitalismus ist mit ekstatischem Eros und Sexus nicht vereinbar. Was bleibt, ist quantitativ unbegrenzter Schmuddelsex als Konsumware.

Linke sprächen von repressiver Entsublimierung. Wilhelm Reichs These von der Unverträglichkeit entfremdeter Maloche mit reifer Sexualiät wurde schon von Herbert Marcuse in ästhetisches Ersatzvergnügen umgebogen.

Kultur beruht nach Freud auf Triebverzicht, womit er dem herrschenden Wirtschaftssystem einen großen Gefallen getan hat. Seitdem darf sich jeder Profit als sublimiertes Ergebnis eines Triebverzichts nobilitiert fühlen.

Nein, Triebe sind weder böse noch sind sie allesverschlingend. Sie sind lernfähig. Nicht Triebverzicht, sondern Denk- und Autonomieverzicht machen den Menschen unsinnlich, krank und minderwertig.

Nicht der ödipale Vatermord ist das Urelement aller Neurosen, sondern die Übertretung des Bilderverbots. Der Gott – und der irdische Vater als sein Stellvertreter – darf nicht in seiner Blöße wahrgenommen werden. Diese Schaulust ist direkte Blasphemie und eine Sünde wider den Geist, die nicht vergeben werden darf.

Noah, von Wein berauscht, lag entblösst im Innern seines Zeltes. „Als nun Ham, der Vater Kanaans, seines Vaters Blöße sah, sagte er es seinen Brüdern draussen. Da nahmen Sem und Japhet das Gewand, legten es auf ihre Schultern und gingen rückwärts hinzu und bedeckten ihres Vaters Blöße, indem ihr Angesicht rückwärts gewendet war, sodass sie ihres Vaters Blöße nicht sahen. Als aber Noah von seinem Rauch erwachte und erfuhr, was ihm sein jüngster Sohn getan, sprach er: Verflucht sei Kanaan, Knecht der Knechte sei er seinen Brüdern.“

Edathy hat keine nackten Väterbilder bestellt, aber das heutige Äquivalent: die Bilder unschuldiger Knaben, über die der Heiland gesagt hatte: wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr das Reich der Himmel nicht erringen. „Wer aber einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zur Sünde verführt, für den wäre es besser, dass ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er in die Tiefe des Meeres versenkt würde. Wehe der Welt der Verführungen wegen.“

Nur wer dieses Wort verstanden hat, versteht die hysterische Pranger-Atmosphäre der Regierungskrise. Wer Kinder ansieht, ihrer zu begehren, hat bereits Hand an sie gelegt. Dass die Bilderlust gerade dem Zweck dienen könnten, die Lust zu ventilieren, bevor sie zur Aktion werden muss, interessiert keinen anständig erbosten Christen.

Der pädophile Missbrauch tat ein Übriges, um die Sünde ins Unermessliche zu steigern. Denn wer will noch zwischen legaler Schaulust und illegaler Bubenschändung unterscheiden?

Prantls Kommentar, der zwischen verbotener Moral und legalem Tun genau zu unterscheiden weiß, ist vorbildlich. Die Deutschen sind unfähig, zwischen Gesetz und Moral zu unterscheiden. Hier wird vorverurteilt, dass die Schwarte kracht. Man kann vieles für anrüchig, bedenklich oder pervers halten, doch was ungesetzlich ist, bestimmt allein das Gesetz. (Heribert Prantl in der SZ)

Moral ist mehr als Gesetz. Wer gegen Moral verstößt, muss noch kein Gesetz gebrochen haben. Ein Staatsanwalt erklärt ohne zu erröten: die Erfahrung lehrt, dass Bildergucker bald zur Tat greifen.

Das ist die Logik der Algorithmen, die die Täter schon ergreifen, bevor sie die Tat begangen haben. Verdacht ist Verdacht, aber noch kein Indiz. Weiß man das nicht mehr in Hannover und dem Rest der Republik?

Edathy hat die Blöße der christlichen Gesellschaft aufgedeckt, das Bilderverbot ignoriert und unter eigenem Namen die anrüchigen Bilder bestellt. Das war ein dreister Schlag in die Standardheuchelei der christlichen Gesellschaft. Dafür wird er lebenslänglich büßen müssen.

Mit dem Wiedererstarken der Religion verschärft sich der Kampf der Frommen gegen alle Lust der Welt. „Flieht die vergänglichen Lüste der Welt.“ „Denn alles, was in der Welt ist, die Lust des Fleisches und die Lust der Augen, stammt nicht vom Vater, sondern es stammt von der Welt. Und die Welt vergeht und ihre Lust, wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit.“ „So tötet nun eure Glieder, die auf Erden sind und in ihnen Unzucht, Unkeuschheit. Leidenschaft, böse Lüste, um welcher Dinge willen das Zorngericht Gottes kommt.“ „Wenn immer dein Glied dich zur Sünde verführen will, so reiss es aus und wirf es von dir, denn es ist besser für dich, dass eins deiner Glieder verloren geht und nicht dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird.“

Diesen fürsorglichen Rat befolgte Kirchenvater Origenes und kastrierte sich selbst um des Himmelreichs willen. Edathy hat noch eine Chance, dem Gericht Gottes und der BILD-Zeitung zu entkommen.