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Bigotterie

Hello, Freunde der nach oben offenen Bigotterieskala,

gibt es noch eine Steigerung von Bigotterie? Wann erfindet das ZDF eine Rankingsendung mit dem bewährten Johannes B. (Bigott?) Kerner unter dem Titel: Unsere besten Heuchler? Den Sieger kennen die Mainzer bereits. Durch heimliche Umfragen unter ZDF-Kollegen wurde er intern festgelegt.

Wie nicht anders zu erwarten, machte Pastor Gauck, im Nebenberuf Bundespräsidenten-Darsteller, das Rennen. Dicht gefolgt von der Pastorentochter Merkel und allen Koryphäen der beiden Kirchen, die – seit einem objektiv-monotheistischen Gutachten von Dieter Graumann – ihre christliche Nächstenliebe zu den Palästinensern als Antisemitismus betrachten und dem Teufel übergeben haben.

Der Palästinenser an sich, so das Gutachten, falle nicht mehr unter die Rubrik des „Nächsten“. Das Freiluftgefängnis sei geographisch doch zu weit entfernt, um von Nächsten sprechen zu können. Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter fiel „ein Mensch“ in der Heimat unter die Räuber und nicht 1000e Kilometer weit weg in der großen Welt.

Das gescheite Carlchen Schmitt hat das sofort erkannt und den Nächsten als privaten Nächsten und nicht als offiziell-öffentlichen Feind definiert.

„Der Staatsrechtler Carl Schmitt, der später den Nationalsozialismus unterstützte, bezog Jesu Gebot der Feindesliebe 1927 nur auf private Konflikte. Im Sprachgebrauch des Neuen Testaments bezeichne das in Mt 5,43 verwendete Wort echthros (lat. inimicos) den persönlichen, polemios (lat. hostis) dagegen den öffentlichen Feind. Jesus verlange nicht, „daß man die Feinde seines Volkes lieben und

gegen das eigene Volk unterstützen soll“. So hätten Christen nie erwogen, „man müsse aus Liebe zu den Sarazenen oder Türken Europa, statt es zu verteidigen, dem Islam ausliefern.“

Müssen die deutschen Christen die fernen Palästinenser nicht mehr nächstenlieben? Müssen sie nur Graumann & Co und deren Freunde Netanjahu & Lieberman lieben? Christen sollen aber nicht nur ihre Nächsten, sondern auch ihre Feinde lieben, damit sie vollkommen werden wie ihr himmlischer Vater. Also müssen sie die Palästinenser nicht lieben, denn diese sind doch keine Feinde der Deutschen, oddr? Müssen die Deutschen aus Nächstenliebe zu Dieter Graumann dessen palästinensischen Feinde auch als ihre Feinde betrachten?

Christen haben es heute schwer. Fragen über Fragen und keine Offenbarung, die sie beantworten könnte.

Noch hatten wir nicht den gottlosen Nietzsche, der von Fernstenliebe spricht: „Meine Brüder, zur Nächstenliebe rate ich euch nicht: ich rate euch zur Fernsten-Liebe. Lieber noch rate ich euch zur Nächsten-Flucht.“

Soll man etwa die Fernsten lieben und die Nächsten hassen wie sich selbst? Was ist mit jenen Christen, die sich hassen? Müssen sie nicht ihre Nächsten hassen wie sich selbst? Laut Offenbarung dürfen Christen sich gar nicht lieben:

„Habet nicht lieb die Welt noch was in der Welt ist! Wenn jemand die Welt lieb hat, ist die Liebe zum Vater nicht in ihm.“

Sind Gläubige nicht in der Welt? Also dürfen sie sich nicht selbst lieben. Die Nächsten soll man sogar hassen. Denn Christus ist nicht in die Welt gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert: Ich bin gekommen, einen Menschen mit seinem Vater zu entzweien und eine Tochter mit ihrer Mutter – und die ganze Familie mit der ganzen Familie. Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert.

Auch hier ein Entweder-Oder. Entweder Liebe zu den Menschen oder zu Gott. Ein Drittes gibt es nicht.

Den Christen müsste der Kopf schwirren. Er schwirrt ihnen auch. Gottseidank schwirrt er ihnen, denn nun müssen sie erst in Evangelischen Akademien Wochenendseminare über das Thema abhalten: Die Palästinenser – auch unsere Geschwister? Und wenn sie nicht gestorben sind, konferieren sie noch heute. Da haben sie keine Zeit, sich um weit entfernte Kriege zu kümmern.

Also machen wir dem Spuk ein Ende und sagen: was ihr liebt – ob in der Näh oder in der Fern –, das tötet ihr. „Wenn dich aber deine Hand oder dein Fuss zur Sünde verführt, so haue ihn ab und wirf ihn von dir. Es ist besser für dich, dass du verstümmelt oder lahm in das Leben eingehst, als dass du zwei Hände oder Füße hast und in das ewige Feuer geworfen wirst.“

Das ist die wahre Liebesbotschaft der Kreuzzüge, der Inquisition, der Missionierungen in aller Welt: Besser tot in den Himmel als lebendig in die Hölle. Liebe – und töte, wie du willst. Töte und foltere nach Belieben – wenn du nur glaubst. Mit besten Grüßen von eurem Augustin und eurem geliebten Doktor Martin.

Das also ist die hehre Ethik des Neuen Testaments, von der die Deutschen nicht lassen können. Selbst Gottlose lieben den hochmoralischen Jesus. Warum nur entfliehen diese Wahnsinnsdeutschen den Kirchen, da sie von der Bergpredigt so hingerissen sind?

Wenn man den hiesigen Gazetten folgt, die unbesehen die Erklärungen der Kirche übernehmen, so kann es nur der schnöde Geiz sein, der sie zur Flucht bewegt. Sie wollen Kirchensteuern sparen.

Fragt man die Leute selbst, weisen sie entrüstet von sich, dass sie etwas gegen Jesus hätten. Nein, sie protestieren gegen die Heuchelei der Kirchen, die Wasser predigen und Wein saufen. Womit wir wieder beim Thema Bigotterie wären.

Gibt es noch eine Steigerung von bigott? Natürlich: Sein im Heiligen Geist. Wer im Heiligen Geist ist, der steht über allen Gesetzen (Antinomie). Gebote sind nur für den Plebs. Wer es zur Wiedergeburt im Herrn gebracht hat, der kann, wie sein himmlischer Vater, tun und lassen, was er will.

Zwischen Bigotterie und Antinomie gibt es erhebliche Unterschiede. Heucheln und bigott sein setzt klare Kriterien voraus, die man mit schlechtem Gewissen oder dreistem Zynismus unterlaufen kann.

Antinomie aber verletzt keine Regeln. Denn für Erwählte gibt es keine. Hier kann nicht geheuchelt werden. Denn Gottes Gebote sind nicht universell. Sie gelten nur für jene, die sie halten sollen, aber nicht halten können und derohalben ins Verderben wandern.

Der just zurückgetretene EKD-Vorsitzende Schneider ist ein vehementer Kritiker des selbstbestimmten Freitods. Nur Gott habe ein Recht, über Leben und Tod zu entscheiden. Es sei, es geht um seine krebskranke Ehefrau. Dann nimmt Schneider sich das Recht, seine Meinung Meinung sein zu lassen und das Gegenteil zu sagen und zu tun. Die wahren Erwählten stehen über den Buchstaben des Gesetzes. Selbst der evangelikale CDU-Kauder war entrüstet über die Doppelmoral Schneiders und mahnte den überheblichen Bruder, es mit öffentlichen Bekundungen seiner Bigotterie nicht zu übertreiben.

Margot Käßmann verurteilt radikalpazifistisch alle Kriege: über den Krieg Israels gegen ein wehrloses und unschuldiges Volk hat sie noch kein Wörtchen verloren.

Ex-Bischof Huber ermahnt die Gemeinden, den Schwachen zu helfen. Er selbst treibt Millionen ein, um in Potsdam jene Garnisonkirche wieder aufzuerbauen, in der Oberprotestant Hindenburg seinem treuen Knecht Hitler die Macht übergab, der sich mit der frommen Empfehlung um das Amt des Führers beworben hatte: indem ich mich der Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn.

Heute verleugnen die Kirchen, dass sie die Motoren und geistlichen Wegbereiter des Nationalsozialismus waren. Im Gegenteil, mit beispielloser Unverfrorenheit erklären sie die NS-Ideologie zu verruchtem Atheismus und sich selbst zu einer exemplarischen Garde von Widerständlern.

Deutschlands psychischer Untergrund stinkt von morastigen Lügen.

Pastor Gauck ist in Bigotterie unschlagbar. In Frankreich und Belgien vergießt er bittere Tränen für das Unrecht der Deutschen im Ersten Weltkrieg, dann fordert er sein Publikum auf, sich wehrhaft für die Menschenrechte einzusetzen. In Deutschland aber kein Sterbenswörtchen zu den Völkerrechtsverbrechen seiner besten Freunde in Jerusalem. Stattdessen verurteilt er jeden Protest gegen Israel unterschiedslos als neuen Antisemitismus. Palästinenser scheinen für ihn keine menschlichen Wesen mit Rechten zu sein.

Wenn es einen wahren Gott im Himmel gäbe, würde er einen Blitz schleudern, um dem Pastor die Sonnenbrille von der Nase zu holen. Ob er noch rot werden kann hinter seiner Charaktermaske, der vielzüngige Hirte des Herrn?

Wegen einer elitären Sondermoral sind die Deutschen in die Katastrophe gerutscht. Jetzt unterstützen sie wieder eine Erwählten-Moral in Form einer besonders treuen Freundschaftspflicht. Geht’s noch perverser?

In einem exzellenten Interview, das man in allen Schulen zur Pflichtlektüre machen müsste, sagt der jüdische Psychologe Rolf Verleger, was er von der Heuchelei unserer Eliten hält:

„Man kann doch nicht mit Verweis auf schreckliche Dinge in der Vergangenheit weiter heute Unrecht geschehen lassen. Das ist die völlig falsche Lehre, die da gezogen wird. Ich kann das nicht mehr verstehen. Ich finde, das sind Angsthasen, und ich finde, sie sollten mal das sagen, was sie nach abgeschalteten Mikrofonen sagen. Das sollten sie mal bei laufenden Mikrofonen sagen.“ (Deutschlandfunk/Jüdische Stimme)

In Israel ist die Situation für Netanjahu-Kritiker noch schlimmer. In einem ZEIT-Gespräch spricht der israelische Schriftsteller Etgar Keret über die zunehmend bedrohte Situation der „Linken“ in seiner Heimat:

„Der Begriff „Linker“ ist zum Schimpfwort geworden. Er ist gleichbedeutend mit: Du bist kein Israeli, du bist ein Verräter und solltest nach Gaza ziehen. Die sozialen Netzwerke werden benutzt, um Gift und Galle zu verbreiten. Die Rechte missbraucht ihre Meinungsfreiheit, um diejenige anderer einzuschränken. Aber Intoleranz ist immer ein Zeichen für Schwäche.“ (ZEIT-Interview mit Etgar Keret)

Deutsche waren einst stolz auf ihre Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit. Deutsch sein hieß, Charakter haben. Deutsch sein, hieß, eine Sache um ihrer selbst willen tun. „Der eine fragt, was kommt danach? Der andere fragt nur: ist es recht? Und also unterscheidet sich der Freie von dem Knecht.“

Nach Storm wären die Deutschen zu einem Volk der Knechte geworden. Wenn die Deutschen soviel Heuchelarbeit leisten und einen Großteil ihrer Denkenergie blockieren müssen, darf sich niemand wundern, dass auch ihre sonstige Intelligenz in den Keller rutscht.

Man denke nur an ihre Großprojekte, die sie mit Zuverlässigkeit in den Sand setzen. Die Infrastruktur ihrer Gesellschaft wird marode, die Medien können keine transparenten Artikel schreiben, Literatur und Kunst sind öde, das Öffentlich-rechtliche TV ist an Trostlosigkeit nicht zu überbieten, die Talkshows sind üble Selbstdarstellungen.

Nun kommt noch die Justiz und zelebriert in aller Öffentlichkeit rechtlose Anarchie und den Verkauf des Rechts gegen Bares als letzten juristischen Pfiff. Dazu Christian Bommarius in der BLZ.

Wer schrieb die folgende Kritik über Heinrich Manns Buch „Der Untertan“?

„Dieses Buch Heinrich Manns ist das Herbarium des deutschen Mannes. Hier ist er ganz. In seiner Sucht zu befehlen und zu gehorchen, in seiner Roheit und in seiner Religiosität, in seiner Erfolganbeterei und in seiner namenlosen Zivilfeigheit.“

Das war Kurt Tucholsky im Jahre 1919. 100 Jahre sind vergangen, als sei die Zeit stehen geblieben. Deutschland degeneriert zu einem grenzdebilen Satrapenstaat des Neoliberalismus.

Nach uns die Sintflut. Kommen apokalyptische Gefühle auf, darf die Lust am Untergang nicht fehlen. Tuvia Tenenbom sucht seinen hedonistischen Kick im Land der Täter, das ein Land der Opfer sein will. Den Krieg betrachtet er wie ein spannendes Fußballspiel:

„Vermutlich werden Sie sich bis an Ihr Lebensende an den 7:1-Sieg Deutschlands gegen Brasilien erinnern. Aber überlegen Sie mal: Wenn die israelische Mannschaft dieses Spiel gewinnen will, müssen sie die Hamas 2.000 zu 1 schlagen. Denken Sie mal darüber nach. Natürlich ist das hier nicht bloß ein Spiel zwischen Feldspielern; es gibt auch Trainer. Der Trainer der israelischen Mannschaft ist im Augenblick Benjamin Netanjahu, genannt Bibi.“

2000:1? Die Quote wird doch nicht bedeuten, 2000 Palästinenser seien so viel wert wie ein Israeli? Bleibt nur übrig, den Krieg wie ein überdimensionales Fußballspiel zu beschreiben. Wenn Israel einen einzigen Treffer erhält und nicht mindestens 2000 Treffer erzielt, wird es in den Augen der hämischen Welt als Verlierer dastehen.

Heißa, was für ein unterhaltsames Match, wenn in Israel fast nichts passiert und Gaza in Schutt und Asche liegt. Doch nicht in Gaza lebt man gefährlich, sondern – in Deutschland, wo ein ganz nagelneuer Antisemitismus sein fürchterliches Gebrüll erhebt: „Die Gefahr, in Jerusalem das Leben zu verlieren ist gering, und die Gefahr, in Berlin den Verstand zu verlieren, sehr groß.“ (Tuvia Tenenbom in ZEIT Online)

Es gibt keinen neuen Antisemitismus. Auf uralten Resten türmen sich aktuelle Hasswellen gegen die israelische Vernichtungspolitik. Dass Menschen jene Feinde hassen, die ihre Familien auslöschen, das scheint die emotionale Intelligenz vieler Antisemitismus-Röntgenologen zu übersteigen.

Gefühle sind selten monolithisch und verklumpen nach gewissen Gesetzen der Assoziation. Nein, es ist nicht schön, zu hören: Juda, verrecke. Dennoch wäre darüber nachzudenken, wie solche Übererregungen zustande kommen. (Inzwischen sind die meisten Demos absolut koscher. Dennoch verhallt das Geschrei über eine ganz neue Art des Antisemitismus nicht.) Alles hat seine Ursache.

In Deutschland gibt es eine sich seriös gebende Antisemitismus-Forschung, die gänzlich ohne den Begriff Christentum auskommt. Sie nimmt wahr, was sie wahrnehmen will und unterstützt – rein zufällig – stets die bellizistische Fraktion der Netanjahu-Vasallen. Würde man die Untersuchungskriterien der Antisemitismus-Forscher auf sie selbst anwenden, würde sich ergeben, dass sie vor lauter negativen Palästinenser- und Deutschen-Klischees nicht aus den Augen schauen können.

Es ist wie in der Intelligenzforschung. Sucht man zu beweisen, dass Intelligenz vor allem mathematischer und technischer Art ist, stellt man mathematische und technische Aufgaben. Lars Rensmann, renommierter Antisemitismus-Forscher, hat es nicht mal nötig, seine Fragebögen zu veröffentlichen und zu debattieren.

Unbewusste Gefühlsregungen mit Hilfe messbarer Indizien zu erfassen, ist ein heikel Ding. Da ist schon Adorno in Amerika gescheitert. Früher wurde gefragt, ob Israel als relativ kleines Land nicht zu viel Macht in der Welt besitze. Bejahte man die Frage, war man ein verruchter Antisemit. Heute prahlt die Regierung in Jerusalem selbst, dass sie Amerika nach ihrer Peitsche tanzen lässt.

Mit dieser Art der Forschung – einer deutschen Version des Kreationismus – könnte man auch beweisen, dass Störche die Kinder bringen. Was haben diese Antisemitismus-Forscher mit der NSA gemein? Normale Menschen sehen, was vor Augen ist, Antisemitismus-Forscher durchschauen das dunkle Herz der Menschen bis auf den Grund.

„Widerlegt wird durch die Forscher zudem die Vorstellung, dass es sich nur dann um Antisemitismus handele, wenn man es explizit judenfeindlich „gemeint“ hat oder wenn Antisemiten sich offen als solche verstehen – was heute selbst bei Rechtsextremen selten der Fall ist. Antisemitischer Sinngehalt kann auch unreflektiert artikuliert werden; weswegen die meisten derjenigen, die sich in ihren Briefen judenfeindlicher Ressentiments bedienen, „Antisemitismusvorwürfe“ meist empört von sich weisen.“ (Lars Rensmann in der WELT)

Mit anderen Worten: je mehr die Untersuchten leugnen, je antisemitischer sind sie. Es ist wie in der Inquisition. Bekennen sich die Angeklagten schuldig, werden sie verbrannt. Verweigern sie das Geständnis, werden sie erst recht schuldig gesprochen und verbrannt.

Eindeutige Indizien und manifeste Taten – die von allen Beobachtern in gleichem Maße bestätigt werden müssten: Mangelware. Man vermutet – und also ist es. Man konstatiert – und es darf nicht anders sein. Diese Forschung hat die Qualität päpstlicher Unfehlbarkeit.

Vor dieser neuen Form parteiisch-militanter Alchimie sollte die gesamte empirische Sozialforschung in Deutschland das Haupt verhüllen.