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Asymmetrische Friedensführung

Hello, Freunde der asymmetrischen Friedensführung,

auf dem Weg zum ewigen Frieden kann es nur asymmetrische Bemühungen geben. Denn gleichstarke Nationen oder Friedenspartner gibt es so wenig wie symmetrische oder identische Menschen. Selbst, wenn sie äußerlich gleich schienen, hätten sie unterschiedliche Motivationen und moralische Einstellungen zum Leben. Die einen wären kampfentschlossener, herrschsüchtiger, tollkühner als die friedfertigen, unterwerfungsbereiten und mutlosen.

Faktische Unterschiede bei Menschen aber dürfen nicht unterschiedlich bewertet werden – wenn es denn um gleichberechtigte demokratische Rechte gehen soll. Der Begüterte ist nicht mehr wert als der Obdachlose, der Muskelmann nicht mehr als sein neugeborenes Kind, der Einheimische nicht mehr als der Fremdling.

Flüchtlinge werden bei uns quantitativ abgewertet: was haben sie, was können sie, was nützen sie uns? Menschen werden zu ambulanten Zahlen degradiert.

Was ist die Ursünde der wirtschaftsdominierten Demokratie? Dass quantitative Fakten eins zu eins in moralische und politische Qualitäten übersetzt werden. Wer reicher, schöner, gebildeter ist, soll moralisch wertvoller, politisch einflussreicher sein als der unansehnliche, analphabetische arme Schlucker.

Die ins Grenzenlose wuchernden Rankings der westlichen Gesellschaften erwecken den Anschein, als seien gesellschaftliche Ungleichheiten gerecht, wenn sie die Ungleichheiten der Realität exakt wiederspiegeln.

Carl Friedrich von Weizsäcker war stolz auf seine Physik, als auf einer der ersten Wissenschaftskonferenzen der Nachkriegszeit amerikanische und sowjetrussische Atomphysiker die Ergebnisse ihrer furchterregenden Experimente miteinander

verglichen und siehe, bis auf viele Stellen hinter dem Komma waren sie identisch. Wissenschaftler verfeindeter Ideologien waren fähig, zu gleichen Erkenntnissen der objektiven Realität zu gelangen. Das war eine eindrucksvolle Bestätigung der Überlegenheit objektiver Naturwissenschaften über die Geisteswissenschaften, die – bis heute – trübsinnige Mischungen aus quantitativen und qualitativen Elementen geblieben sind.

Mit Quantitäten kann man subjektunabhängig bestimmte Aspekte der Realität konstatieren und berechnen. Ob sie die wichtigsten Aspekte der Realität darstellen, weil sie mit mathematischen Methoden die Natur gefügig und beherrschbar machen, darf bezweifelt werden. Urväter der modernen Naturwissenschaften wie Galilei, Newton und Kepler haben ihren Erkenntnisfortschritt damit erreicht, dass sie nicht-quantitative Aspekte wie Schönheit, Bestaunen der verlässlichen Naturgesetze und sinnliche Erfahrungen in Wald und Flur – die Düfte der Blumen, die Schönheit des Regenbogens, das existentielle Erschauern vor dem „gestirnten Himmel über mir“ – systematisch ausklammerten.

Der Ausschluss der Schönheit und Erhabenheit der Natur ist ein Hauptgrund für die ökologische Verwüstung und Verhässlichung der Natur. Naturwissenschaft wurde zur Domäne „abstrakter, kalter, asinnlicher, rechenhafter Männerhorden“.

Dem androgynen Goethe widerstrebte die sinnen- und emotionsfeindliche Lichttheorie Newtons, weshalb er seine eigene Farbenlehre als Kampfansage gegen den einflussreichen Engländer in Form eines Kompendiums aller möglichen Gefühlsreaktionen auf Lichtbrechungen und Farbvariationen herausgab. Diese „subjektive Engführung“ wurde von Schellings und Hegels Naturphilosophien aus dem spekulativen hohlen Bauch (so Poppers ätzende Kritik an Hegel) ins Absurde geführt. Erst nach dem Tode Hegels fanden die deutschen Naturwissenschaftler Anschluss an das kühle Niveau der französisch-englischen Weltspitze.

Der deutsche Sonderweg begann nicht in politischen Kleinigkeiten, sondern in wissenschaftlichen Grundsatzstreitigkeiten – die bis heute noch nicht beendet sind. Gegner der Ökologie werfen neugermanischen Naturrettern noch immer einen sentimentalen, schwärmerischen Umgang mit harten Daten vor.

By the way: es versteht sich, dass wissenschaftliche Phallokraten ihre Einfälle im erigierten Erregungszustand gewinnen. Weshalb sie bei ihren prophetischen Vorträgen gern zu schäumen pflegen: eine orale Form des geistigen Onanierens.

Die bevorzugte Körperhaltung der Silicon Valley-Genies beim futuristischen Predigen sind ihre rhetorischen Arme, die sie symmetrisch anordnen, als hielten sie etwas sehr Eindrucksvolles zwischen den Händen. Womit sie sagen wollen: die gigantische Größe ihrer Erkenntnisse entspricht der ihrer imaginären Penetrationswerkzeuge, die sie hiermit der Welt präsentieren. Lutherische Tropfgeister werden das für übertrieben halten. Sie sollten einmal hinhören, wie oft amerikanische Tycoons – und nicht nur Mister Trump – ihren riesigen Erfolg ungeniert mit den Ausmaßen ihres besten Körperteils vergleichen – und begründen.

Nichts geht über einen ordinären Freudianismus und verlässliche, anschaulich-quantitative Erfolgskriterien. Harte Daten, hart wie Kruppstahl, harte Pädagogik, harte Regeln – besonders gegenüber mediterranen Weicheiern: das gehört alles in einen „semantischen“ Macho-Zusammenhang. „Landgraf, werde hart“, entstammt einer uralten deutschen Sage und feiert heute in Wirtschaft, Pädagogik und Politik fröhliche Urständ:

„Nach dieser Sage herrschte der Landgraf Ludwig von Thüringen so nachsichtig, dass die Adligen und Mächtigen das Volk hemmungslos ausbeuten konnten. Der Landgraf verirrte sich eines Tages auf der Jagd und gelangte schließlich zum Schmied von Ruhla im Thüringer Wald, der ihn beherbergte. Bei der Arbeit am Amboss schimpfte der Schmied, der seinen Gast nicht erkannt hatte, über die Zustände im Lande und die zu große Milde des Landesfürsten. Beim Schlagen auf den Amboss rief er aus: »Nun werde hartDer Landgraf besann sich daraufhin auf seine Pflichten als Herrscher und sorgte für gesittete Verhältnisse in seinem Land.“

Gutmütigkeit kommt vor Liederlichkeit, ist die schwäbische Alb-Weisheit der Großmutter Schäubles. Womit erneut bewiesen, dass erfolgreiche Frauen die besten Apologeten der Männer sind. Sorget also, dass wache Frauen weder in Vorstandetagen noch in exquisite Chefredaktionsstuben eindringen – dann werden sie endlich das Nudelholz aus dem Keller holen und ihre hart-gesottenen Genies zur tätigen Buße – in die Kitas zum Putzen der Böden treiben. Stopp, auf keinen Fall, das wäre eine zu harte Strafe für unschuldige Kinder.

Friede Springer ist ein weiteres Beispiel für macho-imitierende Frauen in der Männerwelt. Sie erhält den renommierten Adenauerpreis für ihr herausragendes Hass- und Giftblatt BILD. Hass gegen Griechen und parasitäre Flüchtlinge, die just for fun in unsere Sozialnetze eindringen wollen. Begründung:

„Friede Springer verkörpere „außergewöhnlichen Unternehmergeist und große Verantwortung für unser Gemeinwesen“ begründete die Jury die Auszeichnung.“

Die Diekmänner geben nicht Ruhe, bevor Tsipras seinen putschistischen Ex-Minister Varoufakis nicht eigenhändig im ägäischen Meer ersäuft haben wird. Und erst die hartleibige Alice Schwarzer, die den Eigenverkauf sinnlicher Frauenleiber verbieten will, gegen den leib-seelischen Ganzheitsverkauf von Frauen und Männern an die heiligmäßige Wirtschaft aber nicht die geringsten Einwände hat. Es wäre auch zu ordinär, den ganzen Ökonomiezirkus als globalen Puff zu bezeichnen, in dem sich Zuhälter zu Arbeitsplatzerfindern adeln dürfen.

Kapitalismus ist eine wirtschaftliche Asymmetrie zwischen Reichen und Schwachen, in der Abhängige nicht nur ihre Arbeitskraft, sondern ihre ganze Phantasie, Erfindungskraft und Lebensenergie gegen Spottlöhne verkaufen müssen. Das Glück ihrer Familien müssen sie opfern, ihre Kinder werden ihnen entfremdet, der Familienzusammenhang wird zu einem „selbstorganisierten“ Zeitmanagement-Schaurennen.

Man schaue sich eine beliebige Familienserie im öffentlich-rechtlichen TV an und erlebe dauer-genervte, atomisierte Zerfalls-Gruppen, in der jeder jedem effizient auf den Wecker fällt. Dazwischen zur Erholung gelegentliche deutsche Freiheits-Sausen, wo sie etwas ganz Verrücktes unternehmen.

Freud würde von Entmischungen sprechen, einer Übertragung der aristotelischen Mitte auf psychische Entgleisungen ohne Maß und Verstand. Ihre Freiheit ist regellos, anarchisch und destruktiv, ihre Disziplin sklavischer Maschinengehorsam.

VW hat Toyota überholt. Neben Fußball sind wir auch noch Weltmeister im Produzieren umweltvergiftender Vehikel. Wenn das kein Grund zu weltmeisterlicher Selbstvergötzung ist:

„Mit dem obersten Platz auf dem Treppchen hat Winterkorn drei Dinge bewiesen. Erstens: Disziplin – eine herrlich deutsche Tugend, die sich auszahlt. Zweitens: Visionen treiben an die Spitze. Du kannst alles schaffen, wenn du es willst. Drittens: Qualität setzt sich auf Dauer immer durch.“ (BILD.de)

Womit wir die nächste Stufe der Imitation amerikanischer Slogans erreicht hätten. Wenn du nicht alles erreicht hast, was du dir vornahmst – dann hast du es nicht richtig gewollt. BILD kennt keine Berührungsängste mit weltbekannten deutschen Urtugenden:

„Aus den zunächst preußischen Tugenden wurden nach der Reichsgründung 1871 die deutschen Tugenden. Und einige von ihnen wurden Jahrzehnte später von den Schergen Adolf Hitlers, der sich in die Tradition Friedrichs des Großen hineinmogeln wollte, krass missbraucht. Treue, Disziplin, Härte gegen sich selbst – diese Eigenschaften brachten viele in Deutschland nach dem Untergang des Terror-Regimes vorwiegend mit der Wehrmacht oder der SS in Zusammenhang, die viele Völker Europas brutal in den Staub getreten hatten. „Meine Ehre heißt Treue“ lautete das Motto der SS. Als Preußen 1945 de facto und zwei Jahre später mit dem alliierten Kontrollratsgesetz Nummer 46 auch de jure aufhörte zu existieren, waren Disziplin, Treue, Gehorsam und Tapferkeit als deutsche Tugenden mit einer schweren Hypothek behaftet.“ (Abendblatt.de)

Nein, Hypotheken, die mit ihrer Vergangenheit zusammenhängen, haben die Deutschen nicht mehr. Allen historischen Ballast haben sie in den Loser-Ländern abgeworfen. Sie strotzen nur so von Treue gegen Merkel, Disziplin gegen ihre Arbeitsroboter, Gehorsam gegen den Dax und Tapferkeit gegen „Zigeuner“ und Flüchtlinge.

Nur nebenbei: überall tönen die Tapferen und Treuen herum, Spanien, Portugal und Irland hätten die harten Euro-Auflagen eingehalten – und sich damit saniert. Warum also die Griechen nicht? Harald Schumann vom TAGESSPIEGEL recherchierte und fand das Gegenteil.

Versteht sich für die liederliche Medienlandschaft von selbst, dass keine Konkurrenzgazette Schumanns Thesen falsifiziert oder verifiziert hätte. In Deutschland gibt’s keine methodischen Debatten. Gelingt es jemandem, eine Sau durchs Dorf zu jagen, jagen sie alle unisono mit Gejohle hinterher. Ist‘s keine Sau, gibt’s nicht die kleinste Meldung:

„Spanien, Portugal und Irland werden oft als Beispiele für das Funktionieren der Sparpolitik gelobt. Ein Blick auf die Zahlen aber zeigt: In Wahrheit haben sie sich das Sparen gespart. So belegen die proklamierten Erfolge der Euroretter das Gegenteil ihrer These. Nicht die Sparpolitik, sondern deren Ende einschließlich Schuldenstreckung ist die beste Methode, die Krise zu überwinden. (Harald Schumann in TAGESSPIEGEL.de)

Symmetrische Nationen und Elemente gibt es nicht. Der Mensch aber hat die Kompetenz, quantitativ Unterschiedliches moralisch gleich zu bewerten. Nicht nur die Kompetenz, sondern die Pflicht.

Quantitäten werden von der Realität bestimmt. Dem Menschen, der sich ein getreues Bild von der Welt machen will, obliegt es, die Realität unverzerrt wahrzunehmen. Das wäre die Wahrheit des objektiven Erkennens. Gleichzeitig hat der Mensch die Pflicht, die erkannten Fakten und Daten kraft seiner moralischen Kraft zu bewerten. Das wäre die Wahrheit einer menschen- und naturfreundlichen Moral.

Wertungen sind qualitative Aussagen und lassen sich auf quantitative nicht reduzieren. Als moralischer Bewerter ist der Mensch allein auf sich gestellt. Quantitativ sind alle Menschen verschieden. Doch qualitativ können Quantitäten identisch bewertet werden.

Die Demokratie bringt das Kunststück zuwege, aus verschiedenen Quantitäten gleichwertige Qualitäten hervorzubringen. Dank autonomer moralischer Setzung.

Ist der Mensch religiös, scheut er die selbstbestimmte Wertung und versteckt sich hinter göttlichen Bewertungen. Aufrechte Demokraten verabscheuen solche Feigheiten. Lessing degradierte göttliche Offenbarungen zu Lernübungen einer unreifen frühen Entwicklungsphase, die die Menschheit im Verlauf ihres kollektiven Erwachsenwerdens abwirft und in Leistungen der eigenen Vernunft verwandelt.

Der Mensch scheint außerordentliche moralische Kräfte zu benötigen, um unterschiedlichste menschliche Lebewesen als gleichberechtigte Brüder und Schwestern auszuerkennen. Doch genau besehen ist diese Kraft nichts anderes als die Wiedererinnerung an Nesterfahrungen der matriarchalischen Ursippe. Mütter, sofern sie vom hierarchischen Unterscheidungszwang nicht infiziert sind, kennen nur gleichwertige Töchter und Söhne.

Es gehört zu den Kampfbegriffen eines quantifizierenden Individualismus, dass er die politische Gleichberechtigung als gewaltsame Uniformierung des Ungleichen diffamieren muss. Der ökonomische Anbeter der Unterschiede benötigt eine objektiv scheinende Legitimation seiner moralischen Hierarchien und Klassengesellschaften. Zwar sollen alle Demokraten vor dem Gesetz gleich sein, aber niemals vor der Macht der Erwählten, die sich auf quantitativen Reichtum stützt.

Im Kapitalismus wird Quantität zur symmetrischen Qualität. Die Gleichsetzung disparater Kategorien wurde zur Ursünde des modernen Kapitalismus. Quantität will objektiv erkannt, Moral subjektiv gesetzt sein.

Auf der Agora streiten sich die subjektiven Setzungen um die demokratische Ehre, welche von ihnen in der Polis gelten soll. Dass alle BürgerInnen sich gleichberechtigt auseinandersetzen können, zeigt, dass die wesentliche Arbeit der moralisch-politischen Setzung bereits im Vorfeld der Polisbildung geschehen sein muss. Sonst hätte es nie die Gründung einer Demokratie geben können. Das Naturrecht der Starken berief sich auf natürliche Unterschiede, um die politischen Privilegien der Adligen, Gebildeten und Reichen zu begründen und zu sichern.

Bramahnen, Mächtige und Besitzende sehen, was künstlich vor Augen ist, Demokraten sehen das natürliche Herz an. Unabhängig von allen Begabungs- und Kompetenzunterschieden sieht der Demokrat, was den Menschen im Innersten ausmacht: der Mensch ist dem Menschen ein zugeneigtes Wesen, das er anzuerkennen hat, wie er selbst anerkannt werden will.

Zählen ersetzt keine Wertung. Unterschiede bereichern die Gesellschaft. Doch nur, wenn sie in aller Unterschiedlichkeit von gleicher Wertigkeit sind. Gerechtigkeit ist kein Akt des Zählens und Rechnens, sondern ein Akt der reziproken Anerkennung. Im moralischen Setzen übersteigt der Mensch die Ebene des bloßen Rechnens und Zählens. Der Mensch ist kein Objekt der Mathematik, sondern Subjekt und Objekt der Gefühle und des Verstandes.

Im späten Mittelalter drang die Rechenkunst in die doppelte Buchführung der reichen Kaufleute. Alles Wertvolle und Käufliche lernten sie, mit exakten Zahlen zu kennzeichnen. Es konnte nicht ausbleiben, dass die erfolgreiche Quantifizierung der Realität auch auf den Menschen übergriff. Die Legitimation der Oberschichten hatte ein neues Fundament gefunden, das für alle Herrschaftszwecke unerschütterlich schien.

Die Gewalt der alles einordnenden Zahl überzog die alte Welt in rasender Geschwindigkeit. Friedrich Wagner spricht vom „Panmensurismus, dem alles in der Welt als messbar erschien. Das kalkulatorische Rechnen (das Leonardo Pisano in seinem Rechenbuch von 1202, dem liber abaci, eingeführt hatte), wurde zur mathematischen Grundlage für die exakte Kalkulation der Wirtschaft wie für die exakte Messung der Wissenschaft.“ („Die Wissenschaft und die gefährdete Welt“)

Es muss ein berauschendes Machtgefühl gewesen sein, alle Dinge der Welt dem theologischen Geschwätz zu entziehen und einer objektiv scheinenden Bewertung zuzuführen. Die Hoffnung trog. Am Ende waren alle theologischen Willkürbewertungen rehabilitiert und mit quantitativer Scheinobjektivität abgesegnet. Der Fortschritt wurde zum wissenschaftlich kodierten Rückschritt, der bis heute unaufbrechbar scheint.

Bacons „Wissen ist Macht“ verwandelte Wissen in eine abzählbar-berechenbare Quantität. Was sich diesem Verfahren entzog, war nicht mehr satisfaktionsfähig und wurde keiner Wahrnehmung mehr gewürdigt. Da Berechnen und Messen gleich Beherrschen war, wurde alles nicht Beherrschbare vom Menschen ignoriert. Nicht die Schönheit eines Weizenfeldes, sondern die Größe der verkaufbaren Ernte, nicht die bestaunenswerte Souveränität der Tiere, sondern ihr Ernährungswert für hungrige Mäuler wurde zum Kriterium allen menschlichen Machens und Tuns.

Es konnte nicht ausbleiben: das kaufmännische Messen und Berechnen drang in die Erkenntnis der Natur und verwandelte sich in die noch heute gültige quantitative Naturwissenschaft. Die Geisteswissenschaften hatten das Nachsehen und versuchten krampfhaft, ihre qualitativen Elemente mit quantitativen zu unterfüttern. Das Ergebnis dieser Unzucht lässt sich heute besichtigen: Geisteswissenschaften, die zwischen Konstatieren und Bewerten nicht unterscheiden können. Sie nennen Bewerten, was sie objektiv messen, und nennen Messen, was sie subjektiv bewerten.

Herfried Münkler, historischer Gigant, spricht von asymmetrischer Kriegführung, wenn ungleiche Gegner aufeinander einschlagen. Eine andere Kriegführung ist seit Erfindung der Geschichte unbekannt. Völlig gleichartige Gegner hat es nie gegeben.

Im Boxen wäre die Empörung groß, wenn Klitschko gegen ein Fliegengewicht anträte. Doch jeder andere Schwergewichtler wäre ebenfalls nicht identisch. Anders müssten die beiden gar nicht antreten, um den Besseren zu ermitteln. Bei gleichen Klassen sind die Unterschiede nur nicht so flagrant. Erst der Kampf bringt sie an den Tag – wenn auch nur in ihrer momentanen Tagesform, die morgen eine andere sein kann.

Es hilft alles nichts, die Welt wird von Asymmetrien geprägt. Schulische Zensuren, die alle Rankings dieser Welt dominieren, wollen unterschiedliche Leistungen nicht nur mechanisch zählen, sondern die gewonnenen Zahlen in objektive Charaktereigenschaften verwandeln. So sollen die ungerechten Klassen und Schichten der Gesellschaft vor den Unterdrückten und Benachteiligten rechtfertigt werden.

„Wir wollen die Besten“ heißt heute: Wir wollen die Schlauesten und Skrupellosesten. Die moralisch Besten sind nicht quantitativ messbar. Sie müssen qualitativ beurteilt werden. Vollends die politische Gleichberechtigung jedes Menschen ist durch kein Rechnen und Zählen ableitbar. Die Würde aller Menschen kann nur garantiert werden durch freie Setzung mündiger Menschen.

Moralische Qualität verleiht sprachloser Quantität eine humane Stimme. Das wäre eine wahrhaft asymmetrische Friedensführung.