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Arbeit VII

Hello, Freunde der Arbeit (VII),

der tiefste Konflikt des Abendlands ist die Rivalität zwischen Kreis und Linie. Der Kreis ist die ewig bewegte und ewig in sich ruhende Natur. Was ewig fließt und dennoch in sich ruht, ist das Vollendete.

Den vollendeten Kreisläufen der Natur, dem Symbol des Mütterlichen, stellt der Mann das Lineare gegenüber, das Unvollendete, das sich in Zukunft vollenden wird, die sich aber niemals einstellen wird. Stellte sie sich ein, würde die Linie zum Kreis, der Mann hätte den Urkampf gegen das Weibliche verloren.

Was die übermütige Natur sich bei der Erfindung des Geschlechterkampfes dachte, wissen wir nicht. Sie spielt gern mit sich selbst. Nicht der Mann ist das spielende Wesen, wie Schiller träumte. Zum Spiel fehlt ihm jede sorglose Heiterkeit. Der Mann muss kämpfen. Kampf um Sein oder Nichtsein ist der einzige Zweck seiner linearen Verbissenheit.

Weil Natur in sich vollendet ist, ist sie auch göttlich. Naturgötter sind Teile der Natur, keine Schöpfer, Erhalter, Richter und Zerstörer derselben.

Männliche Götter sind nicht Teile der Natur, sondern stehen ihr despotisch und feindlich gegenüber, sind ihre allmächtigen und allwissenden Herren. Und sind doch nicht allmächtig, sondern stümpern und pfuschen, dass es eine Art hat. Der Schöpfer, sich selbst bescheinigend, dass alles sehr gut war, wird kurze Zeit nach seiner Meisterleistung derart wütend auf seinen grandiosen Pfusch, dass er ihn am liebsten unter einer Sündenflut versenkt hätte.

Der männliche Schöpfer kapituliert vor dem Kreis. Ergo muss er ihn zur Linie zerschlagen – die sich im Nirgendwo und Nirgendwann zum Kreis perfektionieren soll. Die lineare Geschichte wird zur Bewährungszeit des lächerlichen

Allmächtigen, der alles versuchen muss, seinen Pfusch in den Griff zu kriegen.

Aus der Not macht er eine Tugend und erfindet die gnadenreiche Zeit. Um sich von seinen Übeln zu befreien, erhebt er den Anspruch, als wolle er seine missratenen Geschöpfe erlösen. Die Linie wird zum Übungsgelände, um durch Not und Tod den Kreis dennoch zu erreichen.

Um seine Unfähigkeit zu vertuschen, macht er das Manjana zum Geheimnis seiner Erlösung: morgen, morgen, in der Zukunft wird der Herr erscheinen, um Nägel mit Köpfen zu machen. Doch die Zukunft wird nie erscheinen. Die lineare Überprüfung seiner nachhinkenden Perfektionierung wird ständig verschoben. Die Zukunft wird zur Fata Morgana, zum Sankt Nimmerleinstag.

Was nicht ist, muss immer werden. Und wenn es nicht gestorben ist, wird es in alle Ewigkeit. Das lineare Werden wird zur Heilslinie, das kreisförmige Sein zur unerträglichen Pein – für den kreativen Berserker. Wie könnte der schaffenswütige Mann sein Leben ertragen, wenn er nicht titanisch versuchen dürfte, seinen Versager-Vater im Himmel zu rehabilitieren?

Die vollkommene Gegenwart der natürlichen Kreisläufe wird zur ewig verziehenden Zukunft, die sich am nie endenden Fortschritt beweisen soll, sich aber nie beweisen kann. Denn die Vollendung liegt im verziehenden Dunst männlicher Großreden.

Wiederum wird aus der Not eine Tugend: wenn das Ziel, die Befriedigung, die Lust der Vollendung, nie erreicht werden kann, muss der Weg zum Ziel werden. Nichtankommen wird zum Ziel der männlichen Pfuschergeschichte. Die Unfähigkeit des Schöpfergottes und seines gottähnlichen Geschöpfes wird zur Religion stilisiert.

In linearer Geschichte und ewigem Fortschritt betet der Mann seine eigene Unfähigkeit an. Das Fortschreiten ins Bessere muss die ständigen Opfer des Fortschritts rechtfertigen. Der Gott, der seine Fehler in der Geschichte überwinden will, kann sie nicht einfach in Nichts auflösen. Die vielen Armen und Abgehängten sind die Opfer des Fortschritts, eine Rechtfertigung des fehlbaren Gottes, der seine Schwächen auf Kosten der Ärmsten ausagieren muss.

Der Mann kann es einfach nicht – und das hält er für göttlich. Immer muss er werden, nie darf er sein, nie darf er ankommen, nie zur Ruhe kommen: das sind die Götzen seiner Lächerlichkeit, die er mit Himmelsreizen und Höllendrohungen ausstatten muss, damit die Menschheit an IHN, an den gottgleichen Mann, glaubt.

Am siebenten Tage ruhte der Herr. Gewiss doch. Nur, wann wird der Sonntag anbrechen? Manjana. Der Mann lebt von Versprechungen, die er in Ewigkeit nicht erfüllen wird. Er spricht von prophetischen Verheißungen, erhebt den Anspruch, in die Zukunft zu sehen, sie zu enthüllen und ihr entgegen zu gehen. Das ist die Scharlatanerie der phallischen Linie, die immer nur verheißt, verkündigt und in Aussicht stellt – doch alles vergebens. Männlein Mann wird die vollendete Natur nie erreichen.

Um sein Versagen auf der ganzen Linie ein Versagen im Kreis kann es nicht geben – zu vertuschen, erfindet er den nächsten Trick: die Natur als Vorbild lehnt er ab. Da hätte er viel zu tun, sich zum Imitator der Natur degradieren zu lassen. Weg mit der verfluchten Natur, er wird etwas Besseres aus seinem Apriori – seinem Geist, der über aller Natur schwebt – hervorzaubern. Wir sind in der Moderne angekommen.

Der kreative Moloch überwindet die Demütigung, von der Natur lernen zu müssen, sie zu erkennen, sich an ihr zu vervollkommnen. Sein Subjekt, die unendliche Tiefe seiner natur-unabhängigen, natur-transzendierenden Persönlichkeit, wird zur Quelle einer neuen Schöpfung, die er im edlen Schweiße seines maladen Gehirns – verspricht, aber nie, nie einhalten wird.

Der Mann, das Großmaul vom Dienst. Immer versprechen, verheißen, voranschreiten, Risiken eingehen, in die Zukunft investieren, erfinden und kreieren, dass die Schwarte kracht. Ein einziger Gründungsschwindel, der sich Religion nennt, damit niemand ihn verlachen kann. Die Zukunft wird zur heiligen Bratwurst, die man den Menschen vors Maul hält, damit sie als heilig anbeten, was ein gigantischer Betrug der Linie ist. Der Schwindel des christlichen Westens, der seinen Betrug der Welt mit List und Gewalt überstülpen musste, damit sie ihn nicht aufdeckt. Doch allmählich bemerkt sie ihn.

Nur der Westen verehrt die lineare Heilsgeschichte, die ihre Erfüllung im Nirwana erleben wird. Naturreligionen und Philosophien der anderen Völker kennen im Grunde nur die mütterliche Vollendung der Natur. Der sind sie bangen Herzens untreu geworden, um sich gegen die überflutenden Brutalitäten des Westens zu wehren. Je mehr sie bemerken, dass sie einem aufgenötigten, ungedeckten Scheck aufgesessen sind, je mehr werden sie sich ihrer ureigenen Weisheiten erinnern und zurückkehren zur Erfahrung ihrer Tradition.

Am Anfang ihrer erzwungenen Wendung zum Westen waren die nichtchristlichen Völker noch voller Hoffnung, das Eigene mit dem Fremden zu harmonisieren: „Das neue Birma sieht keinen Widerstreit zwischen religiösen Werten und wirtschaftlichem Fortschritt. Geistige Gesundheit und materieller Wohlstand sind keine Feinde, sie sind natürliche Verbündete. Wir können die religiösen und geistigen Werte unseres Erbes erfolgreich mit den Wohltaten der modernen Technik verschmelzen.“ (Zitiert bei Ernst Friedrich Schumacher, „Jenseits des Wachstums“)

So klangen viele gute Absichten buddhistischer und naturreligiöser Länder. Heute wissen sie es besser. Dem Westen geht es nicht um Wohlstand. Das ist die süße Versuchung, welche sie jenen vor die Nase halten, deren Land sie wirtschaftlich hopps nehmen wollen. Das Ziel des Kapitalismus ist nicht rationales Wohlergehen für alle, sondern Reichtum und Macht für wenige, Elend für viele und der Tod der Natur – um ihrem Erlöser die Landebahn zu ebnen, damit er endlich kommt. Doch er wird nie kommen.

Durch die lineare Despotie des Westens ist die ganze Welt nahezu unfähig geworden, die Feier der Gegenwart als ruhiges Glück zu erleben. Arbeit ist zum Motor der Neurotiker geworden, die ohne himmlisch verordnetes Tamtam zur Pein der Muße verdonnert wären. Wenn der sündenlose Schöpfer ununterbrochen an der Welt arbeitet, um sie von ihren Mängeln zu befreien, so erst recht das sündige Geschöpf. „Unser Leben währet siebenzig Jahre und wenn es hoch kommt, sind es achtzig Jahre und wenns köstlich gewesen ist, ist es Mühe und Arbeit gewesen.“

Gottes Erlösungswerk ist Arbeit. Arbeit als Kampf gegen das Böse, als Erweckungsarbeit, Schmerz-, Todes- und Auferstehungsarbeit, als Vernichtungsarbeit des Alten und Schöpfungsarbeit des Neuen. Christen müssen ihr Kreuz auf sich nehmen und die imitatio christi als Erlösungsarbeit durchführen. Wer nicht ständig wühlt und malocht, der verfällt der Sinnenlust der verführerischen Natur.

Faust war ein frommer Bibelleser, als er deklamieren musste:

„Werd ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,
So sei es gleich um mich getan!
Kannst du mich schmeichelnd je belügen,
Dass ich mir selbst gefallen mag,
Kannst du mich mit Genuss betrügen –
Das sei für mich der letzte Tag!
Die Wette biet ich!“

Der dezidierte Nichtchrist Goethe schuf in Faust einen dezidierten Paulusverehrer: Niemals darf ich satt werden. Faulbett ist Sünde, Genuss ist Betrug. Natur ist das verführerische Weib, die Hure, deren Verlockungen der Fromme widerstehen muss.

„Denn die Lippen der Hure sind süß wie Honigseim, und ihre Kehle ist glätter als Öl, aber hernach bitter wie Wermut und scharf wie ein zweischneidiges Schwert. Ihre Füße laufen zum Tod hinunter; ihre Gänge führen ins Grab. Sie geht nicht stracks auf dem Wege des Lebens; unstet sind ihre Tritte, daß sie nicht weiß, wo sie geht.“

Warum ist Gott auf das Irdische eifersüchtig wie ein krankhafter Galan? Weil seine Geschöpfe nichts Besseres zu tun haben, als der Sinnlichkeit der Natur zu verfallen. Die Natur ist die große Versuchung für die Gläubigen eines sinnenfeindlichen Gottes. Man kann sie verfluchen und verdammen, die Lustgöttinnen zerbrechen, ihre Tempel verwüsten. Noch besser aber wäre – arbeiten, um die Versuchungen erst gar nicht zu bemerken.

Das irdische Leben soll trist und öde sein, auf dass die zukünftigen Freuden des Himmels umso heller leuchten. Der Mensch darf sich nicht der Natur und der Menschen erfreuen. „Freuet euch im Herrn.“

Arbeit im Schweiße seines Angesichtes muss freudlose Arbeit sein. Das wiederum soll die Motivation erhöhen, die freudlose Arbeit an der Natur durch „kreative“ Intelligenzarbeit zu ersetzen. Als ob das „Arbeiten mit Maschinen“ das Lustvollste wäre, was Menschen erleben könnten. Das Gegenteil ist der Fall. Arbeiten mit Algorithmen ist wie Sex mit Maschinen.

Die schwersten Arbeiten können Spaß machen, wenn sie vom Menschen selbst gewählt wurden. Wenn er beim erkenntnisreichen Rackern ein beglückendes Gefühl für seine Fähigkeiten erhält. Die Modernen müssen täglich neue und wahnwitzige Risiken erfinden, um ihre eigenen Grenzen zu erfahren – doch das Grenzüberschreiten ist das Gegenteil befriedigender Arbeit.

Da sollte man sich gelegentlich in Erinnerung zurückrufen: „Was uns heute nachzufühlen fast schon versagt ist, sogar die Arbeit wurde zur Feier. Nicht im Wandern und bei festlichen Gelagen nur, man sang auch beim Winden des Ankers und zum Rhythmus des Ruderschlages, beim Tragen schwerer Lasten und beim Treideln der Schiffe, beim Binden der Fässer, zum Takt des Schmiedehammers, beim Streuen der Saat, beim Mähen, Dreschen, Mahlen der Körner, beim Flachsbrechen, Weben und Flechten. Nicht nur ergrauen ließ der „Fortschritt“ das Leben, er hat es auch stumm gemacht.“ (Ludwig Klages, „Mensch und Erde“)

Freilich, die Früchte der mühsamen, dennoch lustvollen Arbeit müssten den Arbeitenden gehören. Eine Sklavenarbeit, die für andere den Profit erwirtschaftet, wäre ausgeschlossen.

Warum bereitet die Arbeit heute keine Freude mehr? Weil es keine selbstbestimmte Arbeit mehr gibt. Arbeit ist heute zur ent-fremdeten Maloche im Dienste mächtiger Arbeitgeber geworden. Ausgerechnet in den Hierarchien heteronomer Industrieführer soll das Selbstbewusstsein der Männer – und jetzt auch der Frauen – entwickelt und gestärkt werden. Ist das Ganze Wahnsinn, so hat es doch eine uralte Methode.

Arbeit wird im Abendland identisch mit Dienst an Gott. Ora et labora ergänzen sich, ja verschmelzen miteinander. Ohne Beten um Gottes Segen keine Arbeit, ohne Arbeit kein gottesfürchtiges Leben.

„Ihr seid wohl eingedenk, liebe Brüder, unsrer Arbeit und unsrer Mühe; denn Tag und Nacht arbeiteten wir, daß wir niemand unter euch beschwerlich wären, und predigten unter euch das Evangelium Gottes.“ Selbst der Missionar, der anderen das Evangelium predigt, besitzt keine Lizenz zum Müßiggehen. Die Arbeit am Wort dispensiert den Prediger nicht vor der Pflicht, sich der manuellen Straf-Arbeit der Selbsternährung zu unterziehen.

Würde der heutige Klerus dieser Pflicht nachkommen, sähe die Welt der Kirche anders aus. Doch die Priester lassen sich ihre geistigen Tätigkeiten mit dem Geld und der Maloche ihrer Schafe teuer bezahlen.

(Tebartz-van Elst ist nur die Normalausgabe der Popen, die mit dem Geld ihrer Gemeinden zur höheren Ehre Gottes schlampampen. Der Bischof muss seine Verschwendungen nicht zurückbezahlen. Der Papst mag ihn. Und wen er mag, den mag er. Das muss echte Gnade sein.)

Wer hart arbeitet, leistet sinnenfeindliche Askese. Wer abends ausgepumpt ist, kommt auf keine dummen Gedanken mehr. Arbeit ist im Amerikanischen identisch mit hard work. Was nicht hart und entbehrungsreich ist, gilt nicht als Arbeit, die vor Gott und Menschen angenehm macht.

„Auch als Mittel der Erziehung zu Nüchternheit, zur Fernhaltung bedenklicher Elemente wird sie geschätzt. Arbeitsscheue werden abgewiesen, Arbeitslose mit Arbeit versorgt. Die Liebe zur Arbeit und zum Arbeitsprodukt darf man hier nicht suchen; sie setzt eine positivere Schätzung der Welt, als den Christen eigentümlich war, voraus.“ (Ernst Troeltsch)

Die Liebe zum Arbeitsprodukt sucht man im christlichen Kapitalismus vergeblich. Kein Zufall, dass das Erwerben der Produkte Konsumieren heißt. Consumere bedeutet „verprassen, aufreiben, erschöpfen, vernichten, hinraffen.“ Was sie unter entfremdeten Bedingungen zum Wohle anderer produzieren, lieben sie nicht. Sie hassen es, kaufen es, um es so schnell wie möglich zu verbrauchen und zu verschleißen – und um das nächste Produkt in heißhungriger Hassliebe zu erwerben und schnellstmöglich dem Müll zu übergeben.

Wer kann noch stolz auf das Endprodukt seiner Arbeit sein, an dessen Entstehung er nur minimal beteiligt war? Die Arbeitsscheuen werden von den Frommen bestraft. Wobei Arbeitslose immer als Arbeitsscheue gelten. Das gilt von Augustin bis zum heiligen Kanzler Schröder, der seiner Wut auf die Opfer seiner neoliberalen Unterwerfung freien Lauf ließ. Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen. Das ist die härteste Todesstrafe für Arbeitslose auf der ganzen Welt. Schließlich heißt es: selig sind die die Armen, und nicht: selig sind die Faulenzer.

Bettler und Obdachlose sind schlimmere Sünder als Bill Gates, der mit seinen Milliarden unzähligen Arbeitenden den mühsam erarbeiteten Lohn aus der Tasche zieht. Margaret Thatcher und Tony Blair gaben keinem Bettler einen Penny. Wenn sie ihn nicht von der Polizei vertreiben ließen.

Die wahre Verbindung von Arbeit und Glauben zog der Protestantismus. „Erst der Protestantismus zog auch hier Natur und Gnade zusammen, indem für ihn der erlösende Gnadenwille zugleich die weltliche Arbeitsleistung zuwies und sie zum normalen, für jeden erforderlichen, Spielraum seiner Gnadengesinnung machte. Die Folgen dieses Berufsbegriffes in ökonomischer und sozialer Hinsicht waren außerordentlich, indem dadurch die Berufsarbeit und die Intensität des weltlichen Arbeitsinhaltes selbst zu einer religiösen Pflicht an sich, aus einem Mittel bloßer Bedarfsdeckung zu einem Selbstzweck der Betätigung des Glaubens in der Berufsarbeit wurde. Damit entstand jenes Ideal der Arbeit um der Arbeit willen, das die geistig-moralische Voraussetzung für die Durchsetzung des modernen bürgerlichen Lebensstiles ist. Für Luther blieb der Beruf die Betätigungssphäre, in der man bleiben und die man nicht verlassen soll. Anders bei Calvin. Hier war der Beruf ein Mittel, um die heilige Gemeinde zu ordnen, zu reinigen und anzufeuern. So ist hier das Ideal nicht die Ergebung in ein fertiges, von der Vorsehung geleitetes System der Berufe, sondern die freie Verwendung der Berufe als Mittel für die heilige Gemeinde. Die Berufe sind frei zu behandelnde Mittel, durch deren zweckmäßigen Gebrauch die Liebe erst möglich und der Glaube erst wirklich wird. Daraus ergibt sich eine beweglichere Auffassung des Berufssystems, eine zweckvolle Steigerung der Arbeitsintensität.“ (Ernst Troeltsch, „Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen“)

Hier gabeln sich die Wege der Moderne. Für den Deutschen ist das Bleiben im Stand, in den ihn Gott berufen hat, zur Gehorsamsübung geworden. In aller Stille und Treue seine Arbeit ein ganzes Leben lang verrichten: das war ein gottesfürchtig Leben.

Erst durch den Einbruch des neucalvinistischen Neoliberalismus erlitt das lutherische Arbeitsleben einen Schock. Dass man grenzenlos flexibel und mobil werden soll, um schnell wechselnden Anforderungen des Arbeitsmarktes zu genügen, war bislang im Leben eines Protestanten nicht vorgesehen. Ja, dass man selbst zum Unternehmer werden sollte, um der Wettbewerbsfähigkeit seines Landes zu dienen, war außerhalb aller Vorstellungen eines braven Deutschen.

Erbarmungslos geißelten die Propagandisten der Mobilität die lutherische Untertänigkeit und Passivität als geistige Trägheit und Bequemlichkeit. Noch heute wird die Bevölkerung von wirtschaftspädagogischen Schreibern regelmäßig vor Zufriedenheit und Selbstgefälligkeit gewarnt. Der Deutsche darf auf seinen Lorbeeren nicht ausruhen. Unruhe ist die erste Bürgerpflicht. Der Arbeitnehmer wird immer mehr zum frei flottierenden Atom im anonymen Gehäuse des Kapitals, das keine solidarische Vernetzung mit anderen Atomen suchen darf.

Teile und herrsche: je unzusammenhängender die isolierten Teile der Malochergesellschaft, je besser sind sie zu manipulieren. Der Mensch ist kein Citoyen, sondern ein aus allen sicheren Zusammenhängen der Familie, des Dorfes und der Stadt herausgesprengter Fremdling. Ein unsteter Wanderer, der immer unterwegs sein muss, um „auf der Skala des Seins zu steigen. Der Segen des Wanderns liegt gerade darin, dass es gefährlich ist und Fertigkeiten verlangt, um Übel abzuwehren. Daher erwarten wir, dass die Zukunft Gefahren enthüllen wird. Es ist die Aufgabe der Zukunft, gefährlich zu sein. Der gegenwärtige Pessimismus der Mittelklasse erklärt sich aus einer Verwechslung von Zivilisation mit Sicherheit. In der Zukunft wird es weniger Sicherheit, weniger Stabilität geben als in der Vergangenheit. Die großen Zeitalter waren immer instabile Zeitalter gewesen.“ (Whitehead, „Wissenschaft und moderne Welt“)

Wer wundert sich, dass die Welt immer unsicherer und gefährlicher wird? Just so soll sie werden. Lebe gefährlich; das Motto des italienischen Faschismus hat die Welt der Arbeit und der Maschinen erobert. Kein schönes, angenehmes Leben darf angesteuert werden. Der Mensch soll immer größere Gefahren auf sich nehmen. Anschwellende Risiken steigern die Qualität seines Seins.

Wachsen ihm die Risiken über den Kopf, fällt die Spitze seines Seins zusammen mit seinem – Tod. Tod und Verklärung – die Gleichung der NS-Erlöser – wird zur Apotheose der Menschheit. Die Verlierer haben ihre Sieger besiegt.

Fortsetzung folgt.