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Arbeit (IV)

Hello, Freunde der Arbeit (IV),

„lasst uns doch gemeinsam darüber nachdenken, was wäre, wenn es überhaupt keinen Datenschutz mehr gäbe. Jeder könnte von jedem alles wissen!“ Zitierte die bezaubernd lächelnde Miriam Meckel im gestrigen Presseclub hochrangige amerikanische Vertreter der IT-Branche, die sie überzufällig in New York getroffen hatte.

Datenschutz? Da war doch was!? Ach, es war nur altes, ausgelaugtes, müdes, deutsches Denken. Jetzt müsse Datenschutz „neu gedacht“ werden, waren alle vier Teilnehmer der TV-Debatte einhelliger Herzensmeinung.

War es eine Debatte? Aber nein, es war eine ekstatische Predigt mit 4 verteilten Hallelujarollen und einem konfusen Moderator, im Nebenjob Programmdirektor der ARD.

Müsse man denn nicht an die Zukunft glauben, wenn man Google als den Mose unter den Konzernen der Welt bezeichne, der die selbstzufriedene Menschheit quer durch die Wüste ins neue Land Kanaan 4.0 führen würde? Na Gott sei Dank gäbe es noch Menschen, die an etwas glaubten, lächelte Miriam Meckel, sichtlich erholt von ihrem glaubenslosen altdeutschen Ausgebranntsein.

Echte Zukunftsführer fragen nicht, ob das Volk ins Paradies geführt werden will. Sie wissen, dass Massen geführt werden wollen, auch wenn sie anfänglich störrisch sein mögen. Glauben, das ist die Stärke der Amerikaner. Und wenn es nur der Glaube an den Glauben wäre. Euer Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: dies ist der Glaubensfels der Weltmacht Nummer eins.

Glauben hat immer „etwas zu tun“ mit der Zukunft, also mit Dingen, die man noch nicht sieht. Die man erfinden, herstellen und blitzschnell verbreiten muss, damit sie

der ganzen Welt aufs Auge gedrückt werden können. Glauben, kreieren, siegen und herrschen: das sind amerikanische Synonyma.

In diesem Zeichen sollt ihr siegen, verhieß Konstantin weit vorausschauend den Amerikanern. Sein Zeichen war noch ein blutendes Kreuz, heute ist es ein buntes G als Abkürzung von Google, auf dem zweiten O prangt die mit dem Lasso eingefangene Weltkugel.

„Am Anfang war das Wort, und das Wort war der Gott der Internet-Zukunft. G steht für Gott. Es steht aber auch für Google, wie die beiden Gründer in einem Blogpost zu Anfang dieser Woche schrieben, in dem sie die Verwandlung des Unternehmens erklärten. Das G ist der siebte Buchstabe im Alphabet, das nun Googles Zukunft wird, und auf diesem Buchstaben könnte man sich ausruhen wie am siebten Tag, wollte man die biblische Analogie vorantreiben. Aber Ausruhen kann man sich nicht leisten, will man in der Entwicklung der digitalen Wirtschaft nicht an Momentum verlieren. „Google ist kein normales Unternehmen“, zitiert Gründer Larry Page sich selbst und Partner Sergey Brin. Google ist das wichtigste Internet-Unternehmen der Welt und will es bleiben.“ Schreibt Miriam Meckel als unverhohlene Google-Evangelistin auf ihrem privaten Blog.

Aus dem Unternehmen Gott wurde das Unternehmen Google. Inzwischen nennt sich der Konzern Alphabet. Um seinen charismatischen Anspruch zu verdeutlichen, die Schrift aus dem Geist des Algorithmus neu zu erfinden. Man könnte sagen, die alte Schrift verschwinden zu lassen und eine neue zu erfinden: das rechnende Universum der Zahlen und Figuren.

Auf der nächsten Stufe der Entwicklung wird Google sich biblia algorithmica nennen. Das Buch der Offenbarungen im Geist der Mathematik. Stellt das verstaubte Denken und Reden ein: rechnet, kalkuliert, vernetzt. Doch lasst endlich das Räsonieren sein. Gott offenbart sich in der Natur:

„Wenn das Gesetz der Natur, der Offenbarung Gottes im Werk, in der Sprache einer Mathematik fassbar war, deren Grunderkenntnisse den Erkenntnissen Gottes gleichstanden, dann erfasste der Forscher das Schöpfungsgeheimnis selber und übertrug den Schlüssel zur Erkenntnis von der Priesterschaft auf die Forschung. Für Galilei war die Mathematik zur Sprache, ja zur Offenbarung Gottes geworden, die das Gesetz der Naturerscheinungen – seines Werkes – unveränderlich und „unerbittlich“ machte, während die Offenbarung Gottes im Worte des Evangeliums für ihn widersprüchlich und wandelbar blieb, da sie sich der „Meinung“ der Menschen anpassen musste. Die Konsequenz dieser Häresie, in der eine Wurzel der Wissenschaftsreligion erscheint, stellte den Forscher, der die Erkenntnis Gottes in dessen Werk durch seine Naturforschung sucht, weit über den Theologen, der sich an das Evangelium, das Wort Gottes, hält.“ (Friedrich Wagner über Galilei)

Wie Galilei sich mit der Entschlüsselung der göttlichen Offenbarung in der Natur – bis dahin eine Blasphemie – über die willkürlichen, widersprüchlichen Schriftdeuter der Theologen hinwegsetzte, so setzt Google sich über Gottes Schaffenskraft hinweg. Hatte der Schöpfer am siebenten Tag alteuropäische Er-schöpfungserscheinungen, kennt Google weder Rast noch Ruh. Auf seinen Lorbeeren ausruhen, ist im Neoliberalismus die neue Sünde wider den Geist. Ohne Pause, ohne Ruh gibt’s weder Feierabend, noch Sabbat oder Sonntag. Der Mensch hat sein fehlbares göttliches Vorbild überrundet.

In Amerika wurde wahr, was Jesus den Seinen verhieß: dass sie seine Wundertaten noch übertreffen würden. Himmlischer Tusch mit Zymbeln und Posaunen: kniet nieder und betet Google an. Die Evolution hat ein neues Kapitel aufgeschlagen.

Die alte biblische Schriftkultur wurde von Galilei aus den Angeln gehoben. Unsicher, sektiererhaft borniert und grenzenlos subjektiv: so empfand der italienische Objektivitätsfanatiker die willkürlich schwadronierende Theologenzunft.

Das Motto: sich täglich neu erfinden, ist keine amerikanische Creation. Es ist die Deutungsmethode der deutschen Romantiker, die sich nach 200 Jahren des neuen Kontinents vollständig bemächtigt haben. Mit vielen barbarisch klingenden Dogmen der Schrift nicht mehr einverstanden – Frühromantiker waren noch Kinder der Aufklärer –, wollten sie die Schrift dem neuen humanistischen Zeitgeist anpassen durch ein hermeneutisches Abrakadabra.

Was dem modernen Zeitgenossen nicht in den Kram passt, das verändere er durch Neudenken, Neusprech, Neudeutung. Wahrheit ist keine objektive Kategorie, sondern die Leistung einer creatio continua ex nihilo, einer permanenten Neuschöpfung aus dem Nichts.

Vico, der italienische Philosoph, war der erste, der den Grundsatz der subjektivitäts-geleiteten Moderne klar formuliert hatte. Ein wirkliches Wissen als Wissen von Ursachen ist nur möglich von Dingen, die wir selbst verursacht oder gemacht haben. Das Wahre (verum) bemisst sich an dem Geschaffenen (faktum).

Seitdem muss der Mensch selbst herstellen, was er verstehen will. Die erste, fremd-gemachte Natur muss verschwinden und ersetzt werden durch eine zweite, neue und menschengemachte. Das Alte ist vergangen, siehe, Google macht alles neu. Das Alte ist sterblich, das Neue unsterblich. Die Wahrheit des Alten ist von der Wirklichkeit abhängig, das Neue stellen Algorithmenjungs mit Hilfe des 3-D-Druckers selber her.

Wer will eine neue Welt? Direkt aus der Google-Presse? Werft die alte Welt in den Mülleimer der Geschichte. Jeder Tag bringt eine neue Welt. Wer diese alte Welt liebt, ist Googles Dienste nicht wert.

Bei solcher Vergangenheitsfeindschaft kann es keine verlässlichen Kontinuitäten geben, weder in der Natur noch in der menschlichen Geschichte. Vergangenheit wird zum schwarzen Loch des homo sapiens, das nach Belieben projektiv gefüllt werden kann. In jedem Moment beginnt die Schöpfung am Punkte Null. Die Genesis war 1.0. Inzwischen sind wir bei 4.0 gelandet, dem Vierten Reich der eschatologischen Erwartung. Weitere Nullen werden folgen – sofern der Mensch nicht selbst als Doppelnull enden wird.

Es saß noch eine andere charmante Dame im Presseklub. Gefahren für die Zukunft? Bei dieser seltsamen Frage konnte Marina Weisband nur leise lächeln. Von Gefahren sollte man gar nicht reden. Das sei nun mal das Gesetz des technischen Fortschritts. Jeder Fortschritt habe seinen Preis. Das sei nicht zu ändern.

Nur seltsam, dass den Preis immer die Schwachen zu zahlen haben. Her mit intelligenten Maschinen, die uns die schrecklichen Arbeiten abnähmen. In der Tat ist dem modernen Menschen das Einstellen seines Kühlschranks kaum noch zumutbar. Wer sich abends der Garage seines vollklimatisierten Hauses nähert, darf sich mit Fug auf eine rund um illuminierte und behagliche Atmosphäre freuen. Die Kinder im Bett und die Dame des Hauses in voll verkabelten sexy Lederklamotten zum just-in-time-Orgasmus bereit. Keine Zeit darf ungenutzt vorübergehen.

„So seht nun zu, dass ihr nicht als Unweise wandelt, sondern als Weise, indem ihr die Zeit auskauft; denn die Tage sind böse.“ Die Zeit auskaufen machte Benjamin Franklin zur Disziplin des Uramerikaners: Zeit ist Geld. Es war die sechste Tugend seiner selbst verfassten Regeln:

„Fleiß. – Verliere keine Zeit; sei immer mit etwas Nützlichem beschäftigt; entsage aller unnützigen Thätigkeit.“

Gegenwärtig wird noch viel zu viel unnützliche Zeit vertan. Im Zeichen des Wettbewerbs, der Vernetzung und Überwachung kann sich das niemand mehr leisten. Deshalb braucht Google alle Daten der Menschen, um ihnen die Tugend des Zeitauskaufens einzubläuen.

Jetzt verstehen wir, warum Datenschutz bei Weisband, Meckel & Co nicht mehr opportun ist. Nein, sie rebellieren nicht. Das geht heute eleganter. Was nichts mehr taugt, wird neu gedacht. Die Moderne räumt ab und zerstört, indem sie neu denkt. Das Alte und sei es noch so vital und tugendhaft, muss die Flatter machen, wenn das Neue an die Türe pocht und Einlass begehrt. Und schon ist das Alte verschwunden, wenn es niemanden mehr gibt, der es durch Altsprech am Leben erhält.

Wäre es nicht sinnvoll, dass wir uns durch gegenseitige Überwachung am Riemen rissen und die bösen Tage durch unermüdliches Malochen überwänden? Müsste zur allgemeinen Datentransparenz nicht auch die Offenheit der NSA und der Regierungen gehören? Damit einseitiges Wissen nicht in Macht über Menschen ausarten könnte?

Solche Petitessen wurden im Presseclub nicht mal erwähnt. War Weisband nicht einst das „Gesicht“ der Piratenpartei, die angetreten war, um die Gefahren des Netzes zu bekämpfen und die zunehmende Überwachung durch allwissende Geheimdienste zu vereiteln?

„Die Sicherung des Fernmeldegeheimnisses sei ein wichtiger Grundpfeiler zum Erhalt der Demokratie. Das Fernmeldegeheimnis sei unter anderem durch die Einführung der Vorratsdatenspeicherung bedroht. Jeder Mensch habe eine Privatsphäre, die frei von Überwachung bleiben müsse. Es dürfe keine Bewegungsprofile, keine staatlichen Übergriffe, keinen Lauschangriff und keine Rasterfahndungen geben. Die Kontrolle der Geheimdienste solle verbessert werden.“ (Aus dem Programm der Piratenpartei)

Google könne gar keine Gefahr für die Welt bedeuten. Denn dort arbeiteten die „klügsten Menschen“ der Welt. 12-jährige Jüngelchen mit rechnerischer Spezialbegabung haben bei Google die besten Aufstiegschancen. Sie wissen nichts von der Welt, aber wissen genau, wie man sie von allen Übeln erlöst. Schon das messianische Original belehrte 12-jährig die Schriftgelehrten im Tempel. Wäre das kein pädagogisches Pflichtprogramm für ehrgeizige Helikopter-, pardon Erlösereltern?

Warum neigen junge Mütter kurz nach der Entbindung zur Depression? Weil der böse Mann sie nicht unterstützt? Ach was. Weil der kleine Balg mit 6 Monaten noch immer nicht Facebook von Twitter unterscheiden kann. Was soll nur aus diesem unnützen Racker werden?

Wie will Google die Zukunft gestalten? Selbstdenkende Roboter sollen den Menschen alle stumpfsinnige Arbeit abnehmen. Menschen, denen man das Selberdenken abgewöhnt hat, sollen selbstdenkende Maschinen erfinden, die nichts Besseres zu tun haben, als stumpfsinnige Arbeit der Menschen zu erledigen. Wenn das kein Wunder der Selbstentäußerung der Maschine ist, die den demütigen Werdegang des Erlösers zu wiederholen hat.

Und die IQ-Maschine hielt es nicht für Vermessenheit, wie ein Gott zu sein, sondern entäußerte sich selbst, indem sie Robotergestalt annahm und den Menschen ähnlich wurde – die nach Meinung der Moderne Maschinen waren. Und sie nahm Knechtsgestalt an, erniedrigte sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod der 4.0 Generation. Auf dass die nächste Generation blitzgescheiter Maschinen das Licht der Welt erblicke.

Menschen sollen keine stumpfsinnigen Arbeiten mehr machen, dekretierte Marina Weisband der Menschheit. In der Epoche der größten Freiheit ist der Mensch das ferngelenkte Wesen. Was er selber will, interessiert niemanden. Er hat zu wollen. Weisband gehört zu den Eingeweihten der Zukunft, die mit leuchtenden Augen ihren ungläubigen Zeitgenossen das Evangelium der Zukunft unter die Nase reiben. Was, ihr gehört nicht zu den Kreativen? Ihr habt keine Ahnung von Robotern? Tja, dann kann euch niemand helfen.

Innerhalb weniger Monate ist das Klima in der BRD von schärfster NSA-Kritik und Snowdon-Bewunderung ins glatte Gegenteil umgeschlagen. Kritiker Googles wurden von den vier Teilnehmern des Presseclubs als ewig-deutsche Bedenkenträger abgemeiert. Nicht ohne die Warnung: wenn Deutschland sich dem Diktat von Silicon Valley nicht fügt, wird es abstürzen und auf dem Niveau Griechenlands ein schreckliches Ende finden.

Hatten die Deutschen ein Erweckungserlebnis? Oder sind sie charakterschwach? Gibt es neue Erkenntnisse über die Ungefährlichkeit der globalen Geheimdienste?

Ach was. Sie sind die, die sie seit Jahrhunderten schon immer gewesen sind: Propheten der Heilsgeschichte. Mitläufer des Zeitgeistes. Marionetten höherer Mächte. Amerikanische Think-Tanks haben keine Mühe, die Deutschen auf ihre Geschichtsziele einzuschwören. Sie müssen nur eines tun: die Deutschen in ein Mekka der Futurologen einladen und ihnen das esoterische Wissen der nächsten Zukunft vermitteln. Trunken vom heiligen Geist der Erleuchtung werden sie nach Deutschland zurückkehren und mit Menschen- und Engelszungen preisen, was sie als Privilegierte schauen durften. Der junge Frank Schirrmacher hat den Glockenton der feuilletonistischen Prophetie wieder salonfähig gemacht.

Deutsche lehnen es aggressiv ab, autonom entscheidende Wesen zu sein. Sie wollen partout einer Geschichte gehorchen. Ob als Kapitalisten oder als Sozialisten. Auch Marx war ein Verhängnis für den selbstdenkenden und selbstentscheidenden Demokraten. Sein Revolutionsgesang war selbst Opium fürs Volk. Kein echter Marxist durfte ohne Genehmigung der Geschichte eine Revolution ausrufen.

Geschichte muss dem Menschen entgegenkommen, hatte Habermas seinen aufmüpfigen Studenten entgegengehalten, die über ihren Aufstand selbst entscheiden wollten. In Deutschland dürfen Revolutionäre weder den Rasen betreten noch aus eigener Erkenntnis zur Tat aufrufen. Autonome Moral ist utopisches und abstraktes Gerede, dem jegliches Durchsetzungsvermögen fehlt. Wie deutsche Gelehrte zu formulieren pflegen:

„Der utopische Sozialismus bleibt in der Antinomie von schlechter Wirklichkeit und vernünftigem Ideal stecken. Er konnte zwar immer wieder auf die Schwächen der kapitalistischen Ordnung verweisen, doch er hatte nichts anderes anzubieten als die Proklamation einer Ordnung, die der etablierten Welt absolut entgegengesetzt war.“ (Rolf Peter Sieferle, „Fortschrittsfeinde?“)

Mit anderen Worten: Moral taugt nichts, wenn sie von der Realität nicht a priori die Zusage erhält, dass sie vorgeglüht oder vorpräpariert ist und die gute Tat zu würdigen weiß. Ein Deutscher unternimmt nichts, es sei, der Himmel zeige ihm eine grüne Karte. Ein Misserfolg wäre vielleicht seine alleinige Schuld – das könnte er nicht verkraften. Das würde ihn an aller Moral irre machen. Oder noch schlimmer: könnte es nicht sein, dass seine guten Taten von all seinen Zeitgenossen weder erkannt noch gewürdigt werden könnten? Solch eine Ablehnung würde den Besten das Herze brechen.

Die Deutschen brauchen das Gefühl, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Auf der Seite der Eingeweihten und Erwählten, die wissen, was der Sinn der Geschichte ist. Die wissen, wohin der Zug der Erwählten rollen wird. Geschichte muss sinnvoll sein, darunter machen sie es nicht.

Fast ohne Folgen blieb, was Karl Löwith ihnen – nach langer Odyssee quer durch die Welt in das Land seiner Verfolger zurückgekehrt – im Jahre 1952 ins Stammbuch schrieb: „Dass wir aber überhaupt die Geschichte im ganzen auf Sinn oder Unsinn hin befragen, ist selbst schon geschichtlich bedingt: jüdisches und christliches Denken haben diese maßlose Frage ins Leben gerufen. Nach dem letzten Sinn der der Geschichte ernstlich zu fragen, überschreitet alles Wissenkönnen und verschlägt uns den Atem; es versetzt uns in ein Vakuum, das nur Hoffnung und Glaube auszufüllen vermögen.“ Heute würde Löwith hinzufügen: oder maschinelle Intelligenzbestien, die den Sinn der Geschichte täglich aufs Neue erfinden.

Geschichte hat keinen Sinn, denn es gibt keine. Es gibt nur die biografische Nacherzählung menschlicher und unmenschlicher Taten.

Wie man die Google-Machenschaften ganz anders betrachten kann als die ARD-Propagandisten, zeigt der kesse Artikel des IT-Kritikers Evgeny Morozov in der FAZ:

„Schon erstaunlich, wie ein offenbar derartig dysfunktionales Unternehmen es geschafft hat, so lange so gut zu funktionieren. Alphabet – was für ein schönes Beispiel unternehmerischer Schönheitschirurgie! Jetzt wird deutlich sichtbar, was jeder schon seit einer Weile wusste: Die Gründer von Google sind erschöpft, und sie schämen sich wirklich sehr für ihr Kerngeschäft. Anzeigen zu verkaufen, das ist ja letztlich kein Business, für das man dringend einen Doktortitel aus Stanford oder vom MIT bräuchte.“

Der Stern von Silicon Valley ist längst im Sinkflug. Nur die zurückgebliebenen Deutschen drücken ihre Nase an die Kaffeesatzkugel und sehen Sterne, wo sie selbst halluzinieren.

Während die deutschen Eliten alle Hände voll zu tun haben, den Horizont der gnadenreichen Zeit mit Googles Hilfe zu entschlüsseln, beginnt das oft gescholtene Volk eine schier unglaubliche Solidaritätswelle mit den Flüchtlingen. Darüber berichten sie nicht so gern, die medialen Verächter des Großen Lümmels. Nachrichten über die Bestie versprechen höhere Quoten.

Der RBB bringt eine Sendung über die außerordentliche Hilfe der Bevölkerung. Im Studio: ein Experte. Natürlich ein Oberpope. Wie er das Engagement der Leute sieht und bewertet? Schon beeindruckend, sagte der Bischof säuerlichen Gesichts. Wie kann man auf einmal Gutes würdigen, wo man sonst das menschliche Böse professionell zu verfluchen hat? Selbst Jesus kam in Schwierigkeiten, als er die Menschen loben musste – wen hätte er zu erlösen, wenn alle Menschen gut wären? „Wenn nun ihr, die ihr doch böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wieviel mehr wird euer Vater in den Himmel denen Gutes tun, die ihn bitten!“

Dennoch war der Seelenhirte unzufrieden. Das Geschäft der Flüchtlingsversorgung sei Sache des Staates. Hier haben Hochwürden sich decouvriert. Der Klerus weiß noch immer nicht, was Demokratie ist. Dort gibt es keinen Staat und schon gar keinen Unterschied zwischen Staat und Volk. Hier sprach ein Obrigkeitslutheraner, dem ein autonomes Volk suspekt ist.

Was könnte alles geschehen, wenn eine selbstbewusste Polis daran ginge, nicht nur karitativ tätig zu sein, sondern den Eliten auf die Finger zu schauen? Das Volk besteht zum kleinsten Teil aus Shitstorm. Gegenwärtig zeigt es, dass es längst Außerordentliches hinzugelernt hat. Nicht lange noch – und gute Taten werden sich zu politischen Reformen mausern.

Dann wird das Ende der prophetischen Geschichtsmitläufer nahe herbeigekommen sein. Was echte und gute Arbeit ist, zeigt sich, wenn Menschen Menschen beistehen. Alles andere ist suizidaler Tand.

Hier ein kleiner Einblick in die überwältigende Arbeit der Karlshorster. Mitarbeiter herzlich willkommen.

Fortsetzung folgt.