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Amerika und Deutschland

Hello, Freunde des Weinens,

„das ist sowas von blöd, über so viel Dummheit kann man nur weinen“, sagte der dienstälteste deutsche Minister über die besten Freunde Deutschlands – und weinte dennoch nicht. Misstraute er seiner eigenen Diagnose? Gut unterrichtete Verschwörungstheoretiker glauben zu wissen, dass die ersten amerikanischen Flugzeugträger bei Helgoland gesichtet wurden.

Das mentale Vernichtungsurteil über eine befreundete Nation sei unerträglich, heißt es aus offiziellen Kreisen des Weißen Hauses. Im übrigen: wie lange die beiden Nationen befreundet seien, bestimme noch immer Washington. Obama sei bereit, jeden Wettstreit um den höchsten IQ mit Mörkel vor einem internationalen Gremium auszufechten.

Die CIA zeigte sich erschüttert über die unverhältnismäßige Kritik Mörkels an ihrem fürsorglichen Spähdienst an der Kanzlerin, nur, um sie vor ihren eigenen Freunden zu schützen. Mörkel hatte erklärt, mit gesundem Menschenverstand betrachtet, sei das Ausspähen von Freunden und Verbündeten ein Vergeuden von Kraft.

Den gesunden Menschenverstand wies der Chef der amerikanischen Schlapphüte mit Entrüstung zurück. Das Ausspähen von Feinden könne jeder, doch die Entlarvung von so genannten Freunden, die keine sind, dazu gehöre höhere Algorithmenmathematik, worüber die Deutschen nicht ansatzweise verfügten und deshalb auf die Amerikaner neidisch seien. Zudem: wie der CIA

seine Kräfte einsetze, bestimme noch immer er selbst. Amerika verfüge über derart viele Kräfte und Energien, dass Mörkels postsozialistische Vorstellungskraft gar nicht ausreiche, um sie zu erfassen.

Als Gegenzug zum ausgewiesenen US-Spion habe Obama angeordnet, den deutschen Trainer der amerikanischen Fußballnationalmannschaft, Klinsmann, sofort in seine Spätzle-Heimat zurückzuschicken. Habe er doch mit Absicht gegen die Deutschen verlieren lassen, um die Amerikaner vor der Welt lächerlich zu machen.

Die deutschen Kicker seien nur deshalb so gut, weil Mörkel ihren mütterlichen Charme in der Kabine der Löw-Elf ungehemmt als Aphrodisiakum einsetze, um die Jungs scharf zu machen. Armstrongs Drogen seien harmlos, verglichen mit der neuartigen Mutterdroge der mächtigsten Frau der Welt, die genau wisse, dass Macht sexy mache. Vor allem, wenn weibliche Macht sich potenziere mit dem ungeschlachten Ödipus-Komplex neugermanischer Spieler.

Es ist tatsächlich zum Heulen, was Schäuble und Merkel über Amerika zu sagen haben. Sie haben nicht verstanden, dass es um Macht geht und dass ein Kontinent mit der Eigenbezeichnung Gottes eigenes Land mit gottfernen Ländern wie Deutschland keine intimen Beziehungen pflegen kann.

Der hierzulande kaum bekannte Begriff „amerikanischer Exzeptionalismus“ bezeichnet die amerikanische Einmaligkeit am schärfsten. Jeder Mensch ist einmalig, wenn aber Christen einmalig sind, sind sie noch einmaliger, nämlich von Gott erwählt.

Die meisten modernen Begriffe sind Überlappungsbegriffe. Einerseits haben sie einen rationalen Inhalt zumeist griechischen Ursprungs, andererseits einen christlichen, der sich dem rationalen überlagert hat. Da Griechisches und Christliches sich grundlegend widersprechen, müssen die Begriffe Widersprüche in sich selbst sein.

Die griechische Einmaligkeit widerspricht nicht der Tatsache, dass alle Menschen über die gleiche Naturvernunft verfügen, aus der eine allgemeine Menschheitsmoral abgeleitet werden kann. Gleiche Vernunft ist die Voraussetzung der allgemeinen Menschenrechte.

Alle Menschen sind Geschöpfe der gleichen Natur, also müssen sie im Grundlegenden gleiche Wesen sein. Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit sind ohne Abkunft von der gleichen Natur nicht möglich – vorausgesetzt, man hält Mutter Natur für eine gerechte Mutter, die niemanden ihrer Sprösslinge bevorzugt oder benachteiligt.

Da Natur aber selbst nicht sprechen kann, muss der Mensch für sie sprechen. Da kann es nicht verwundern, dass Mutter Natur zur Projektionsfläche wird.

Die einen halten Natur für gerecht. Alle Wesen, die sie erzeugt hat, sind ihr gleich viel wert. Die anderen behaupten, Natur möchte unterschiedliche Wesen hervorbringen. All ihre Geschöpfe sind für sie ungleich, also müssen auch ungleiche Folgerungen für das Leben gezogen werden.

Die gleiche Natur ist die projektive Mutter des Naturrechts der Gleichen oder Schwachen, die ungleiche Natur die projektive Mutter des Naturrechts der Ungleichen oder Starken.

Wenn die verleumderische christliche Moderne vom Naturrecht der Griechen spricht, meint sie nur das letztere: die Berechtigung der Starken, die Schwachen zu kujonieren. Vom Naturrecht der Gleichen oder Schwachen spricht sie nicht, denn von ihr stammen die modernen Menschenrechte, die inzwischen die Erfindung der Christen sein sollen.

Ernst Topitsch lehnte den Begriff Naturrecht ab, weil er im Verlauf der Geschichte mit völlig unterschiedlichen Inhalten gefüllt worden sei. Da hat er Recht. Doch das gleiche Schicksal erleiden fast alle Begriffe, die im Verlauf der Jahrhunderte sich ins Gegenteil ihrer ursprünglichen Bedeutung verwandelt haben.

Die Forderung Topitschs, diese vieldeutigen Begriffe ersatzlos zu entsorgen, ist nicht hilfreich. Dann müsste man alle modernen Sprachen so zusammenstreichen, dass wir nur noch fragen könnten: wohin, bitte, geht’s zum Bahnhof?

Die angelsächsische Sprachphilosophie wollte die historischen Verkrustungen der Sprachen säubern, indem sie den Großteil der Sprache für sinnlos erklärte. Das ist eine Säuberung der stalinistischen Art, wo am Ende der Säuberung der Großteil der Bevölkerung nicht mehr vorhanden war.

Wir sollten den Unmut an den verseuchten Sprachen nicht an ihnen selbst ablassen. Sie sind unschuldig. Wenn wir nicht aneinander vorbeisprechen wollen, haben wir nur eine Möglichkeit und die ist zum Kern der sokratischen Mäeutik (Gesprächskunst als Entbindung) geworden:

Im Verlauf des Gesprächs müssen wir klären, was wir mit diesem oder jenem Begriff meinen. Wir müssen definieren und einkreisen. Was verstehst du unter Tugend, mein Freund? Ist Tugend etwas, was wir von unserer Tradition übernehmen sollen – oder müssen wir uns bemühen, unsere eigene Vernunft einzuschalten und unsere Meinung der Tradition gegenüberzustellen, um zu erforschen, welcher Begriff der wahre sein könnte.

Diesem mühsamen Verfahren liegt die Erkenntnis zugrunde, dass jeder Mensch seine Privatsprache nach seinen Erfahrungen getönt oder gemodelt hat. Ist jemand in seiner Jugend von Moralpredigten gepeinigt worden, wird er den Begriff Moral verfluchen. Hier entsteht die Fraktion der Gutmenschenallergiker oder der Relativisten.

Wenn jeder seine eigene Moral entwickelt, kann er von keiner allgemeinen Moral zum Versager degradiert werden. Hat jeder seine eigene subjektive oder relative Moral, ist er vor allgemeinen Moralpredigten geschützt. Dasselbe gilt für Wahrheit, Gerechtigkeit, Solidarität und alle relevanten Begriffe der Moderne.

Der Vorteil des Relativismus ist die Immunisierung des Einzelnen vor anderen Meinungen. In einer totalitären Gesellschaft kann jeder Widerspruch als Putschversuch gegen den unfehlbaren Despoten gedeutet werden. Die geringste Meinungsverschiedenheit führte zur Ausgrenzung oder zum Tod.

Beispiele dieser Faschismen sind der perfekte Staat Platons, Hitlers, Stalins und alle Theokratien mit unfehlbaren heiligen Schriften und Oberhäuptern. Extra ecclesiam nulla salus, neben der Kirche, der Partei, dem Staat, dem alleinseligmachenden Glauben gibt’s keine Wahrheit. Wer der unfehlbaren Wahrheit widerspricht, ist ein Ketzer, Dissident oder Terrorist und wird schrecklich bestraft.

Faschismus und Totalitarismus sollen nach Meinung deutscher Gelehrter ganz unterschiedlicher Unheilsqualität sein. In der Tat, Mussolinis Faschismus war lange nicht so antisemitisch und menschenfeindlich wie der deutsche Nationalsozialismus. Doch auch hier wird, wie immer, das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Quantitative Unterschiede – die für die jeweiligen Opfer ganz schrecklich sein können – können qualitativ oder strukturell dennoch identisch sein.

Es hat keinen Sinn, vor lauter Bäumen den Wald zu leugnen. Es ist sogar gefährlich, mit Wortkaskaden eine Kakophonie herzustellen. Genau jenes Chaos, in dem wir heute leben, weil wir vor lauter Spitzfindigkeiten die wesentlichen Punkte nicht nennen können.

Ist Putin ein Faschist? Wenn Putin einer ist, warum nicht auch Obama, obgleich beide internationale Menschenrechte über den Haufen werfen?

Das Ergebnis der Sprachverhunzung durch übermäßige Sprachreinigung oder irreführende Scheingenauigkeit ist die heutige Unfähigkeit, uns zu verständigen. Alles bleibt im Vagen, alle Probleme sind komplex und unentwirrbar. Wie immer führt dieser Purismus zur Sprachvernichtung und zur Dauerkonfusion in der Gesellschaft. Nichts kann geklärt werden, was durchaus geklärt werden müsste.

Das chaotische Ergebnis ist das Wunschergebnis der „Relativisten“, die schon immer wussten, dass es bei unendlich vielen Wahrheiten eine Wahrheit für alle nicht geben kann.

Hätten die Relativisten Recht, könnten wir uns Verständigungsversuche sparen. Sie wären Zeit- und Energieverschwendungen. Gespräche wären nur noch als Monologe und persönliche Positionsbestimmungen möglich. Entweder ist man zufällig derselben Meinung, dann darf man sich freuen – wenn man auf Harmonie eingestellt ist. Oder man trennt sich im Dissens und freut sich seiner Unvergleichlichkeit.

Doch was, wenn man sich einigen müsste? In Gesellschaft und Politik? Im Privaten können wir uns – außerhalb der Familie – Relativismus erlauben. Gibt’s keine Einigung, geht der eine zur Linken, der andere zur Rechten.

In der Familie ist das nicht möglich. Sind bei Konflikten die Familienmitglieder unfähig, sich durch Gespräche zu verständigen, bleibt als Ergebnis nur das Chaos – oder die Diktatur der elterlichen Autoritäten.

Dasselbe in der Demokratie: gibt’s keine Verständigung in Gesellschaft oder im Parlament etwa über die Frage der Steuergerechtigkeit, werden die Bevorzugten sich glücklich preisen. Die Benachteiligten isolieren sich, können sich am politischen Spiel nicht mehr beteiligen, werden krank oder kriminell und fallen der Gesellschaft immer mehr zur Last.

In grundlegenden Dingen herrscht in Demokratien Einigungszwang. Die Einigung kann auch ein Kompromiss sein. Kompromisse aber, die nur mechanischer Natur sind, können sich nicht lange halten, wenn sie allzu sehr abweichen von der Überzeugung der Einzelnen. Ein echter Demokrat will mit seiner Überzeugung hinter seinen Entscheidungen stehen.

Von christlicher Seite wird gern betont, demokratische Kompromisse seien nicht wahrheitsfähig – im Gegensatz zu alleinseligmachenden Wahrheiten der Religion. Doch selbst, wenn das stimmte, wie wollen sie ihre göttlichen Unfehlbarkeiten der Gesellschaft vermitteln?

Mit theokratischer Gewalt? Dann wären sie Anhänger eines religiösen Faschismus und keine Befürworter einer pluralistischen Gesellschaft. Wenn sie aber auf Inquisition und Ketzerverbrennungen verzichten, sind sie in keiner andern Lage als jene, die ihre Meinung über einleuchtende Argumente verbreiten wollen.

Kompromisse sind sehr wohl wahrheitsfähig, aber im Modus einer streitenden Wahrheitssuche. Und in der Möglichkeit einer wachsenden Konvergenz: auf dem Forum kann sich die Gesellschaft zusammenraufen.

Über vieles müssen wir heute nicht mehr streiten. Im Gegensatz zur frühen Nachkriegszeit, wo nationalsozialistisch aufgewachsene Nachkriegsdeutsche mit den größten Trivialitäten der Demokratie nicht vertraut waren. Über viele Kompromisse können wir uns peu à peu jenen Zielen nähern, die wir für richtig halten.

Das wäre der Lernprozess einer Demokratie, die über gemeinsame Erfahrungen zu gemeinsamen Erkenntnissen gelangen könnte. Voraussetzung der Annäherung aber ist, dass die Gesellschaft nicht durch wirtschaftliches, bildungsmäßiges und moralisches Auseinanderdriften in Stücke zerfällt.

Was ist die Alternative, der Widerspruch zum Relativismus? Vom Wort her der Absolutismus. Das klingt schlimmer als Totalitarismus. Unter einem Absolutisten versteht man einen Tyrannen, dessen Wort unbedingt gilt. Wer dem Tyrannen widerspricht, lebt tollkühn.

Nun soll es auch einen aufgeklärten Absolutisten wie Friedrich den Großen geben. Ein Widerspruch in sich? Der Preußenkönig war Aufklärer und Aufklärer halten an der einen Wahrheit fest.

Im heutigen Deutschland, das sich aufgeklärt gibt, innerlich aber nie seinen Frieden mit der Aufklärung schloss, gelten Vertreter einer Wahrheit als Absolutisten, nicht selten als totalitäre Absolutisten. Dennoch wollen auch die Deutschen – verglichen mit biblizistischen Amerikanern, terroristischen Muslimen oder intoleranten jüdischen Ultras – aufgeklärt sein und mit solchen Totalitären nichts zu tun haben.

Hier zeigt sich, in welche Dunkelheit es führt, wenn eine Gesellschaft über keine präzisen Begriffe verfügt. Sokrates glaubte an eine Wahrheit und war doch kein Faschist – oder? Sein Schüler Platon glaubte auch an eine Wahrheit – und war der Erfinder des europäischen Urfaschismus.

Worin besteht der Unterschied? Sokrates glaubte an den Menschen und seine Wahrheitsfähigkeit, die er aber erst durch eigenes Nachdenken beweisen und entfalten musste. Nach dem unschuldigen Tod seines überaus geliebten Lehrers war Platon traumatisiert. Je älter er wurde, umso mehr kam er zur Überzeugung, dass die „Bestie Mensch“ zur Wahrheit gezwungen werden muss. Nur die kleine Gruppe der Weisen kann durch Erkenntnis zur Wahrheit kommen, die sie aus Dankbarkeit dem ganzen Volk vermitteln soll. Zuerst im Guten. Doch bist du nicht willig, dann brauch ich Gewalt.

Und hier liegt der nervus rerum. Aus Ungeduld, Verbitterung, Enttäuschung konnte Platon nicht mehr daran glauben, dass das Volk aus eigener Einsicht zur Wahrheit gelangen kann. Also muss der Wissende dieser Schwäche entgegenkommen: durch eine Pädagogik der Gewalt. Das ist die Urdefinition des Faschismus.

Wollen Faschisten nicht das Böse, weil sie böse Menschen sind? So können nur dualistische Christen fragen, die an den schwarzen Teufel und an den weißen Gott glauben. In Wirklichkeit gibt es kein Böses, das nicht aus dem Guten durch unendlich viele Verirrungen und Verstrickungen entstanden wäre.

Hitler, Stalin, der Papst: sie alle wollen das Gute für die Menschen: Glück und Wohlstand im Diesseits oder Jenseits. Nicht für alle Menschen, sondern nur für Erwählte. Um den perfekten Endzustand zu erreichen, müssen die Feinde des Glücks – die Bösen, Andersgläubigen, Fremden – ausgerottet werden. Die Welt muss geheilt werden, indem alle Krankheiten ausgerottet werden. Die Ausrottung ist eine moralische Tat. Nur sie ermöglicht die finale Heilung (Himmlers Geheimrede).

Faschismus oder Totalitarismus ist eine Zwangsbeglückung. Mit Gewalt muss das Gute den Heil- und Glückssuchenden aufgezwungen werden. Sokrates – schreibt Popper, dem wir diese fundamentalen Erkenntnisse verdanken, – wäre im vollendeten Staat seines Schülers am ersten Tag ins KZ gesteckt worden. Hätte er auch im Umerziehungslager seine Meinung nicht geändert, hätte man ihn zum Tode verurteilt.

Es gibt viele Bereiche des demokratischen Lebens, in denen man sich auf keine allgemeine Wahrheit einigen muss. In allen ästhetischen Fragen, in Geschmacksdingen, sexuellen Vorlieben, Hobbys, Freizeitgestaltung, ja, auch in Glaubensfragen – sofern der Glaube nur den Gläubigen betrifft. Doch in Grundsatzfragen müssen wir uns einigen, wenn wir nicht in Bürgerkriegen und Chaos enden wollen.

Schon die Frage: Demokratie – ja oder nein, kann nicht relativistisch beantwortet werden. Auch nicht die Frage: Rechtsstaat: ja oder nein? Hier muss jeder seine Position in schärfster Klarheit formulieren – andernfalls riskiert er, dass eine politische Strömung an die Macht kommt, die ihn und seinen Relativismus auszurotten droht.

Wer die Probleme des Kapitalismus für unlösbar hält und diesen nicht bekämpft, der unterstützt den Kapitalismus. Genau wie jener, der nicht wählen geht und dann eine Regierung erhält, die er am meisten ablehnt.

An der einen Wahrheit festhalten, heißt nicht automatisch: ich bin im Besitz der Wahrheit. Wahrheit gibt’s nicht als Sonderangebot in Aldi. Sie muss in allen Nuancen und Differenzen gesucht und erarbeitet werden.

Das heißt aber genau so wenig, ich müsste in falscher Bescheidenheit die Wahrheiten, von denen ich überzeugt bin, mit vielen Vielleichts und Vielleichtnichts vortragen. Von der Demokratie, den allgemeinen Menschenrechten, der Solidarität unter Menschen können wir felsenfest überzeugt sein.

Zwangsbeglückungen, um Demokratie mit Gewalt unter der Menschheit zu verbreiten – wie Dabbelju Bush mit dem Irakkrieg – sind kategorisch ausgeschlossen. Demokratische Wahrheiten können nur durch Argumente und vorbildliches demokratisches Verhalten verbreitet werden. Jeder, den wir gewinnen wollen, muss sich selbst entscheiden, ob er unser Angebot annehmen will oder nicht.

Für einen demokratischen Lebensstil zu werben und unterdrückten Menschen eine humanere Welt aufzuzeigen, das ist nicht nur erlaubt, das ist moralisch geboten. Es ist Unsinn, zu sagen, man dürfe niemanden für seine demokratische Meinung gewinnen wollen.

Es ist ein Armutszeugnis für die deutsche Demokratie, wenn sie für sich keine Überzeugungsarbeit leisten darf. Es ist ein Armutszeugnis für die amerikanische Demokratie, wenn sie für ihre Überzeugungen immer mehr zur Gewalt greifen muss: vom offenen Krieg bis zum geheimen Spähkrieg der NSA.

Schäubles und Merkels Wahrnehmungen der amerikanischen Verfallsdemokratie sind katastrophal und gefährlich. Schon seit den 80er Jahren sind führende Köpfe der USA philosophisch dazu übergegangen, die Grundlagen der Demokratie zu demontieren.

Zu ihnen gehört der weltberühmte Politologe Samuel Huntington, der keinen Zweifel daran ließ, dass er an eine friedliche Einheit der Menschheit nicht mehr glauben könne. Jeder Staat gehöre zu einer kulturell-religiösen Geprägtheit, die seine unwandelbare Identität begründe. „Statt einer Politik der Menschenrechte fordert Huntington eine Geopolitik der Macht, angeführt von den Vereinigten Staaten.“ Identitäten sind für Staaten überlebensnotwendig. Eine Identität erkennt man daran, dass man nicht nur weiß, wer man ist, sondern weiß, wer man nicht ist. Das Ich einer Nation setzt die strikte Abgrenzung von jedem anderen nationalen Ich voraus.

In seinem Buch „Kampf der Kulturen“ zitiert Huntington zustimmend die Meinung eines Romanciers: „«Ohne wahre Feinde keine wahren Freunde! Wenn wir nicht hassen, was wir nicht sind, können wir nicht lieben, was wir sind. Das sind die alten Wahrheiten, die wir heute, nach dem sentimentalen Gesülze von Hundert Jahren, unter Schmerzen wieder entdecken. Wer diese Wahrheiten leugnet, der verleugnet seine Familie, sein Erbe, seine Kultur, sein Geburtsrecht, sein ganzes Ich! Das wird ihm nicht so leicht vergessen.» An der betrüblichen Wahrheit dieser alten Wahrheiten können Staatsmänner und Wissenschaftler nicht vorbeigehen. Für Menschen, die ihre Identität suchen und ihre Ethnizität neu erfinden, sind Feinde unabdingbar, und die potentiell gefährlichsten Feindschaften begegnen uns an den Bruchlinien zwischen den großen Kulturen der Welt.“

Amerika hat Abschied genommen von seiner Nachkriegshaltung, durch demokratische Vorbildlichkeit die Welt für Freiheit und Selbstbestimmung zu gewinnen. Globalisierung ist für Washington ein wirtschaftlicher Vorgang, um waffenlos die Suprematie über die Welt zu gewinnen.

Die Identität der christlichen Supermacht besteht darin, sich von den Identitäten anderer Kulturen und Glaubensrichtungen rigoros abzusetzen. Welt, was du bist, ist für uns ohne Belang. Nur wer sich uns unterwirft, darf auf erträgliche Gängelung hoffen. Wer auf eigene Faust, in Widerspruch zu unserem Glauben, auf Erden glücklich werden will, muss mit unserer unsichtbaren Herrschaft rechnen, die wir uns inzwischen mit technischen Mitteln erworben haben. Unsere digitale Herrschaftstechnologie ist aller Welt derart überlegen, dass wir auf falsche Freunde keine Rücksichten mehr nehmen müssen. Zu diesen falschen Freunden gehört – seit Snowden – Deutschland.

In zunehmender Geschwindigkeit wirft Amerika alle demokratischen Regeln ab, die den Koloss hindern, die Welt an die unsichtbaren Ketten ihrer Algorithmen zu legen.

Die Berliner Regierung befindet sich im Tiefschlaf und will nicht wahrhaben, dass Deutschland nicht mehr zum Kern des westlichen Bündnisses gehört. Aus dem Allerheiligsten der westlichen Heilsgeschichte hat man die Deutschen an die Luft gesetzt.

Nun stehen wir draußen vor der Tür und es ergeht uns wie dem Ich-Erzähler in Kafkas Kurzgeschichte „Eine kaiserliche Botschaft“, der vor dem Palast auf die lebensrettende Botschaft des Kaisers wartet vergeblich. „Du aber sitzt an deinem Fenster und erträumst sie dir, wenn der Abend kommt.“