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Tagesmail

Amerika, du musst abtreten

Hello, Freunde der USA,

die Amerikaner spielen ihr Lieblingsspiel. Es heißt Weltuntergang. Nicht mehr am Spieltisch, sondern in Wirklichkeit. Wer ist der kaltblütigere James Dean? Republikaner oder Demokraten?

James Dean und seine Horde rasten in vollem Karacho einem Bergabhang entgegen. Wer zuerst bremsen würde, hatte die Glaubensprobe verloren. Den Glauben an den Gott im Abgrund, der den Tollkühnsten und Gläubigsten auffangen würde. Wer zuerst bremsen würde, hätte sein mangelndes Vertrauen in den gnädigen Gott entlarvt. Im letzten Augenblick hätte er der Vernunft nachgegeben.

Wer glaubt, muss mit verbundenen Augen in die unsichtbare Hand Gottes springen. Hie Vernunft, dort Glaube. Ein Drittes gibt es nicht. Jeder Kompromiss im Namen der Vernunft ist ein Akt des Misstrauens in Gottes Erbarmen.

Wahrscheinlich finden die Politiker in letzter Sekunde einen finanziellen Kompromiss. Doch für diesen Glaubensverrat wird das Land beim nächsten Apokalypse-Spiel büßen müssen, indem man noch später – oder nie abbremsen wird. Es wird Zeit für die Endzeit. Wenn der Herr nicht freiwillig kommt, muss man Ihn zur Wiederkunft nötigen.

Sören Kierkegaard, der dänische, christliche Philosoph, sprach vom Sprung in den Glauben. Man muss den Verstand und seinen eigenen Lebensentwurf überfliegen und in einem gewaltigen Sprung alles in Gottes Hände legen. Nur heidnische Vernunft geht prüfend und vorsichtig in logischen Trippelschritten. Ein echter Glaube ist mit Vernunft nicht vereinbar und

überfliegt alle Warnungen.

Vernunft ist eine Hure, die zum Unglauben verführt. Der Glaube riskiert alles. Je höher das Risiko, umso fester der Glaube. Einen vernunftlosen Glauben nannten die Griechen den „göttlichen Wahnwitz“.

(Es gab drei „Nobelpreise“ für jene Disziplin, die die Welt schon mehrfach in den Abgrund stürzte. Ein Preisgekrönter vertritt die kühne These, Börsenspieler hätten, hört hört, eine Psyche und ließen sich von unvernünftigen Stimmungen beeinflussen. Da muss der homo öconomicus rationalis irgendwann einen Dachschaden abbekommen haben. Zudem hat der Gelobte die Katastrophe vorhergesehen, man sollte ihm einen Nobelpreis für Prophetie überreichen. Gottlob hörte niemand auf den prophetischen Spinner, sodass die Krise, wie geplant, ablaufen konnte.

Wer Krisen verursacht, will an ihnen verdienen. Wie der Prophet die Krise verhindern wollte, davon hören wir nichts. Vorsichtshalber wurde auch der Rivale des Propheten ausgezeichnet, der ihm in allen Dingen widerspricht. Sollte sich eines Tages erweisen, wer von den beiden Recht hatte, der Prophet oder der Antiprophet: das Nobelpreiskomitee lag immer richtig.)

Die Apokalypse ist nur für Ungläubige eine Katastrophe. Für Gläubige öffnet sich die Pforte ins Himmelreich. Endlich dürfen sie schauen, was sie bislang geglaubt. Apokalypse heißt nicht Untergang oder Katastrophe, sondern schlicht: Offenbarung.

Was wird geoffenbart? Offenbar wird, wer zu den Erwählten und wer zu den Verworfenen gehört. Bislang musste man sich mit Glauben, Fürchten und Hoffen begnügen. Ab dann wird Glauben zum Sehen. Jeder sieht, ob er dazu gehört oder nicht. Alles wird offiziell und transparent. Auf Erden „ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich völlig erkennen, wie ich auch völlig erkannt worden bin.“ Alle Menschen sind erkannt und durchschaut, die Würfel sind gefallen. Ende der Geschichte.

Das zwiefache Ende der Welt mündet in Gottes Reich der Herrlichkeit – und in Teufels Reich der Hölle. Die Geschichte hat ein Doppelende. Einer winzigen Minderheit wird’s glänzend ergehen, die gigantesque Mehrheit erleidet ein nimmer endendes Guantanamo. Das Ganze nennt sich Religion der Liebe.

Apokalypse in Probehandlung: das ist Amerikas liebstes weltpolitisches Spiel. Woran man glaubt, das stellt man her. Lässt die Welt sich dieses christliche Selbstvernichtungsspektakel gefallen? Amerikas Führerschaft geht ihrem Ende entgegen. Die Welt – noch nicht gänzlich vom christlichen Virus verseucht – spürt die nachlassende Kraft des Weltgiganten und beginnt sich aufzubäumen. China hat Amerika wirtschaftlich überrundet und fordert eine neue Weltordnung.

Die Wirtschaft der Völker muss von Amerika unabhängig werden. Ein Fall des Kolosses darf nicht mehr den Globus in Trümmer legen. Noch ist eine von Amerika unabhängige Wirtschaft weit und breit nicht zu sehen. Doch durchdacht wird sie schon. Hätten die großen Schwellenländer – die die Schwelle schon lange überschritten haben – bereits das nötige Selbstbewusstsein, sie hätten sich von der Dominanz des Westens längst abgenabelt.

Die Abnabelung ist nur eine Frage der Zeit. Der amerikanisch-europäische Westen scheint keine Regenerationsfähigkeiten zu besitzen. Sein Glaube an Demokratie verfällt kontinuierlich. Es zeigt sich, dass unter der demokratischen Hülle noch immer mittelalterliche Theokratien lauern, die im Verfall des Westens ihre Chancen wittern, um die gotteslästerliche Hülle zu entfernen und zum europäischen Ursprung zurückzukehren.

Zurück ins gottgläubige Mittelalter: das war der Ruf der deutschen Romantiker, um nach der Niederlage gegen Napoleon ins sichere Gehäuse des Glaubens zurückzukehren und die Aufklärung ungeschehen zu machen. Die Geschichte wiederholt sich auf westlicher Ebene. Nach dem Ersten Weltkrieg war allgemeines Aufatmen, westliche Selbstbesinnung nach der deutschen Vorlaufapokalypse.

Die Geschichte der westlichen Moderne könnte man als ansteigende Reihe von Probe-Apokalypsen definieren. Immer wieder verzögert und ausgebremst durch erfolgreiche Gegen-Apokalypsen, die durch Fortschritt und politische Erfolge den Himmel auf Erden versprachen.

Schon seit dem Jahre 1000 wähnte sich Europa kurz vor der Wiederkunft des Messias. Luther glaubte, zu seinen Lebzeiten den finalen Triumph seines Glaubens zu erleben. Doch kaum schien die Welt unterzugehen, kam ein gigantischer Gegenschlag und der Mensch fühlte sich wieder als Sieger der Geschichte. So wirkte die Entdeckung Amerikas, der unvergleichliche Glorienzug der Wissenschaften, die phänomenale Entdeckung des Kapitalismus, die überwältigende Eroberung der Natur.

Die lineare Heilsgeschichte ist ein „dialektischer“ Zopf, geflochten aus dem erwarteten Doppelende der Geschichte: aus absolutem Endsieg und endgültiger Niederlage. Fragte sich nur, wer ins Lager der Sieger und wer zu den Verlierern gehören würde. Der Glaubens-Kampf um die Frage, wer zur Spreu und wer zum Weizen gehört, bestimmte die Geschichte des christlichen Westens.

Die Geschichte der Moderne ist projektive Vorwegnahme des christlichen Endzeitglaubens. Was muss getan werden, um die Heilsgeschichte zu beschleunigen und das Doppel-Ende herbeizuzwingen: den Himmel für die Erwählten und die Hölle für die Verworfenen zu schaffen?

Wir müssen aufhören mit der Meinung, die Zeit der Kreuzzüge sei auf das Mittelalter beschränkt gewesen. Die Zeit der Kreuzzüge mit Ungläubigen, Osmanen und sonstigen Muslimen: diese Zeit war vorbei. (Ausnahme: die Türken vor Wien, die mit einer europäischen Gesamtmacht aus Europa vertrieben wurden.)

Doch jetzt kam die Zeit der internen europäischen Auserwähltheitskriege. Jede europäische Nation fühlte sich zunehmend als die auserwählte, der sich die anderen Staaten unterzuordnen hätten. Es war unausweichlich, dass diese Frage auf dem Boden der Waffen mit dem glühendsten Glaubensschwert ausgefochten werden musste. Der Krieg wurde zum Gottesbeweis, welche Nation die wahre auserwählte Nation auf Erden sei.

Die intellektuellen Verteidiger Deutschlands vor dem Ersten Weltkrieg, ausnahmslos Professoren und Gelehrte, machten kein Hehl aus ihrer Meinung, dass Gott die Deutschen durch die Sprache der Waffen zur messianischen Nation Europas – und der ganzen Welt – ernennen würde. (Max Scheler, Rudolf Eucken, Eduard Meyer, selbst Max Weber anfänglich, e tutti quanti)

Schon seit der Romantik, Fichte und Hegel, fühlten sich die Deutschen als Heilande der Welt, die es allen Völkern zeigen würden. Marx war der deutsche Messias der Ökonomie. Derselbe Erwähltheitsdünkel hatte der Reihe nach Habsburg, Spanien, Portugal, Holland, England, Russland und das zurückgebliebene Deutschland erfasst.

(Frankreich war durch die Aufklärung theoretisch am wenigsten messianisch, doch praktisch nicht minder. Sendungsbewusst wollte Napoleon das Europa Karls des Großen unter seiner Ägide wieder herstellen. Kein Zufall, dass er dem Papst die Krone aus der Hand nahm, um als neuer Papst sich selbst zu krönen.)

Durch den Einfluss der Aufklärung wurde der Auserwähltheitsdünkel auf der Ebene der säkularen Sprache zurückgedrängt, doch die neue Wissenschaftssprache blieb mit theologischen Inhalten kontaminiert. Unmissverständliche Bibelsprache transformierte sich zunehmend in eine Abfolge wissenschaftlicher Theorien. Man sprach nicht mehr vom Sieg der Erwählten. Man benutzte die von Darwin eingeführte Biologiesprache und sprach von Evolution und dem Überleben der Stärksten.

Am Inhalt des verdrängten Erwähltheitsglauben änderte sich nichts, nur die PR-Sprache des verdeckten Heils kam biologisch, soziologisch, rassistisch, kulturell und philosophisch (Wagner, Nietzsche) daher. Der ursprüngliche Glaube zeigte sich grenzenlos variabel und verträglich mit allen neuen empirischen und metaphysischen Erkenntnissen.

Im Streit um Glauben und Vernunft hatte das Mittelalter fast jeden Kompromiss abgelehnt, obgleich es von der Vernunft der Griechen in zunehmendem Maße fasziniert war. Die Lösung des unlösbaren Problems war die Lehre von der doppelten Wahrheit. Man hätte auch von einer kirchlich abgesegneten Schizophrenie reden können.

Die Neuzeit konnte diese „klerikale Heuchelei“ nicht akzeptieren und unternahm erneut den Versuch, aus Vernunft und Glauben eine Einheit zu bilden. Der moderne Thomas von Aquin hieß Hegel – der auf protestantischer Ebene genau so scheiterte wie sein katholischer Vorgänger.

Die Sprache der Moderne ist eine krypto-christliche (eine versteckt-christliche). Griechische Vernunftelemente werden mit theologischen zu widersprüchlichen Kompromissen gezwungen.

Zum Beispiel soll Demokratie keine Moral sein, schon gar keine stabile und verlässliche. Ohne Hilfe kirchlicher Moral soll jede Demokratie auf schwankendem Boden stehen. Die Vernunft der demokratischen Moral soll der biblischen nicht das Wasser reichen können. Ohne Glauben keine verlässliche Demokratie: so das „Böckenförde-Diktum“, eine der pfäffischsten Erfindungen eines katholischen Spitzenjuristen und ehemaligen Bundesverfassungsrichters, die blitzschnell Deutschland eroberte und sogar von sogenannten Aufklärern wie Habermas abgesegnet wurde. Der religiös „unmusikalische“ Habermas übergab die Demokratie ungerührt dem moralisch überlegenen Klerus. Kant hätte sich im Grabe umgedreht.

Jeder Begriff der modernen Selbstbeschreibung ist ein undurchdringliches Gewirr aus Athen und Jerusalem, aus Denken und Glauben. Seitdem die ersten Kirchenväter ihren absurden neuen Glauben – ich glaube, weil es absurd ist – mit Hilfe philosophischer Begriffe verkäuflich und reputabel machen wollten, seitdem hat sich der Glaube mit Vernunftgirlanden behängt, um der Welt zu zeigen, dass ihr Gott die Weisheit der Welt – zuschanden macht. Ein Widerspruch?

Griechische Begriffe dienen lediglich als Lockstoffe, die gnadenlos abgestoßen werden, wenn die Suchenden endlich zu Kreuze gekrochen sind. Das Opfer des Intellekts (sacrificium intellectus) muss etwas zu opfern haben. Ohne Rösten weltlicher Weisheiten kann der welthassende Glaube nicht existieren.

Die Geschichte der europäischen Moderne ist eine ständige Pendelbewegung zwischen vorauseilendem himmlischem und vorweggenommenem höllischem Finale. Da jeder Glaube sich selbst verwirklicht, muss das Doppelende der Apokalypse ununterbrochen in Pendel-Politik übersetzt werden. Trat Düsternis und Weltuntergangsstimmung ein – die latent immer vorhanden war –, brachte jeder weltliche Erfolg die Düsternis zum Erliegen und stimmte die Siegesposaunen von Jericho an.

Die europäische Geschichte ist eine Geschichte des stets verzögerten Untergangs und des stets aufgehaltenen Endsiegs. Kaum erblickte man von weitem den Messias, musste man höllische Gegenfiguren ins Spiel bringen, um jenen zum Teufel zu jagen. Kaum kündigte sich das Weltende an, kam ein neuer Kolumbus, Newton oder Kant, um mit stolzgeschwellter Brust die Entdeckung eines nagelneuen Kontinents zu verkünden – sei es eines materiellen oder geistigen Kontinents.

Die ständigen Pendelbewegungen in der westlichen Geschichte sind in China und anderen Kulturen unbekannt. Es sind die Pendelbewegungen zwischen dem vorweggenommenen Doppelende der christlichen Heilsgeschichte. Als Amerika entdeckt wurde, fühlten sich die europäischen Siedler wie im neuen Paradies. Als böse Terroristen mitten in New York das 9/11-Massaker veranstalteten, brach eine Hysterie in Neukanaan aus, als ob die Hölle mitten in Manhattan ausgebrochen wäre. Die Gegenmaßnahmen gegen die Höllischen verbreiten sich seitdem als NSA-Allmachtswünsche über die ganze Welt.

Die ständige Verzögerung des Gesamtendes hat noch einen anderen Grund, der im Dritten Reich eine Rolle spielte. Es ist die Rede vom „Aufhalten des Reiches Gottes“, eine Glaubensfigur, die bei Carl Schmitt, dem Bewunderer Hitlers, eine wichtige Rolle spielte. Das Aufhalten des Reiches Gottes (oder Katechon, siehe 2.Thess. 2,6 ff) ergibt sich dadurch, dass vor dem endgültigen Kommen Christi zuerst der Antichrist kommen muss. Diesen Zeitplan hat der Herr der Geschichte festgelegt.

Der Antichrist aber ist das absolute Böse, das zuerst da sein muss, damit ihm der später kommende Christus zum letzten Mal den Garaus machen kann. Durch diese Zeitenfolge aus primärem Bösen und danach kommendem Guten sind die Gläubigen in eine unangenehme Double-Bind-Situation versetzt. Einerseits sollen sie das Böse bekämpfen. Andererseits die Ankunft des Bösen selbst herbeiführen, um dem folgenden Messias die Pforten zu öffnen.

Das ist verwirrender als die Wahl zwischen Pest und Cholera. Das Böse müssen sie zugleich bekämpfen und willkommen heißen. (Möglicherweise hat das von keinem Theologen erklärbare Wort: widerstehet nicht dem Bösen, eben den Sinn, das Maß des Bösen erst voll werden zu lassen, damit der Messias eilen kann, den Widersacher auf die Matte zu legen.)

Es kann nicht verwundern, dass die Glaubensfigur des Aufhaltens bei Bewunderern des Hitler-Regimes (der „Konservativen Revolution“) eine bedeutende Rolle spielte. Wenn man das Böse nicht aufhalten darf, muss man es bewusst und gewollt zulassen und herbeizwingen. Das Böse war für Hitleristen: der Jude und der stalinistische Bolschewismus, deren geballte Macht man provozieren musste, um sie im Namen der Vorsehung zu vernichten.

(Dieselbe Glaubensfigur bei ultraorthodoxen Juden, für die Hitler der Antichrist, das notwendige Instrument Gottes war, um die vom Glauben abgefallenen Kinder Israels zu züchtigen und das erhoffte Erscheinen des Messias zu ermöglichen. Hitler war wie Judas das Instrument Gottes, das in Gehorsamkeit böse sein musste, um den Willen des Höchsten zu erfüllen. Um gut und vorbildlich zu sein, mussten die Deutschen böse werden. Theologisch könnten sich die Deutschen als Opfer des göttlichen Willens betrachten und auf „nicht schuldig“ plädieren.

Doch wer autonom sein will, muss sich solche theologischen Alfanzereien aus dem Kopf schlagen. Was der mündige Mensch tut, tut er in eigenem Namen. Die Ursünde der Deutschen war: sie hätten autonom sein und sich von allen theologischen Einflüssen lösen müssen. Das taten sie nicht, das muss ihnen für immer angerechnet werden. Zum Verstehen aber der deutschen Völkerverbrechen sind die theologischen Motive der Täter unerlässlich.)

Auch das Dritte oder 1000-jährige Reich – beides eschatologische Begriffe – war eine Vorwegnahme der Apokalypse. Als sie gescheitert war, schlug der Pendelschlag der Völker in der Nachkriegszeit zurück ins Friedliche und Demokratische. Amerika sonnte sich als Musterdemokratie und wurde zum Vorbild aller Demokratien der Welt.

Inzwischen ist die Besinnungszeit vorüber, die Erinnerung an die Verbrechen verblasst. Die westliche Normalität der Vorkriegszeit hat sich seit Reagan wieder eingestellt. Man will weder eine pax americana, noch die demokratische Gleichheit aller Völker. Man will einen amerikanischen „Siegfrieden“. Nicht primär mit militärischen Waffen, sondern mit „friedlichen“ Waffen der Wirtschaft.

Der amerikanische Neoliberalismus hat die Welt mit überlegener Wirtschaft erobert. Doch der Erfolg hat seine eigenen Gegner erzeugt. Wenn immer nur die Besten und Ersten gelten, wollen auch andere die Ersten und Besten sein und streiten mit Amerika um den Titel der globalen Führung.

Amerika ist an seine Grenze gestoßen und fällt in seine alten, nie bearbeiteten Widersprüche zurück. Das ursprüngliche Amerika war eine puritanische Theokratie, die sich aus Machtlosigkeit in einem unübersehbaren Kontinent dem demokratischen Willen einiger englischer Gentlemen ergab. Bis heute war Demokratie bei biblischen Fundamentalisten nur geduldet, da sie den Siegeszug zu Macht und Reichtum nicht behinderte. Unterschwellig aber war die Abneigung gegen Washington, die Zentrale des Staates, nichts anderes als eine tiefsitzende religiöse Ablehnung der Demokratie.

In Krisen zeigt sich erst der Mann – und die Nation. Je mehr Amerika in Schwierigkeiten gerät, je mehr taucht aus den Urgründen des Landes der theokratische Kern seiner Anfänge an die Oberfläche und spaltet den Staat in ein messianisches Neukanaan und eine weltliche Demokratie.

Die religiösen Omnipotenzwünsche erkennen wir am unkontrollierten Ausbau der Weltüberwachungsbehörde NSA, der papistischen Unfehlbarkeit der kapitalistischen Heilsökonomie und an vermessenen Fortschrittsphantasien des Silicon Valley, demnächst Tod und Vergänglichkeit zu überwinden und das Universum zu erobern.

Wer die Utopien des Jesuiten Campanella (16. Jahrhundert) gelesen hat, wird den theokratischen Sonnenstaat des Theologen als Urbild des maßlosen Amerika von heute erkennen. Amerika streift die nie geliebte, immer nur erduldete demokratische Hülle ab und wird, was es von Anfang an sein wollte: das zweite Kanaan, das wiedergewonnene Reich Gottes auf Erden.

Der Rest der Welt ist weit davon entfernt, sich die „eiserne Faust des zwangsbeglückenden Kapitalismus“ bieten zu lassen. Überall auf der Welt wachsen die Unruhen über ein System, das ständig Freiheit im Munde führt, nur um den Rest der Welt mit der Diktatur dieser Freiheit an die Kette zu legen.

Man muss kein Prophet sein, man muss nur die Gegenwart entziffern, um zu sagen: die Epoche einer ökonomischen Zwangsbeglückung geht zu Ende. Die Menschen haben es satt, im Namen eines schädlichen Luxus und eines naturzerstörenden Reichtums sich das Leben zu vergällen, sich von Tycoons manipulieren und demütigen zu lassen, vor lauter Segnungen des Mammons zu verarmen, zu verelenden und zu verhungern.

Wenn die Flut steigt, heben sich keine Boote: die Sintflut verwüstet die ganze Erde. Nur eine auserwählte Clique wird überleben.

Amerika, Du musst runter von deinem hohen Ross. Als demokratisches Idol hast du ausgedient. Für uns Deutsche warst du der Retter aus Schande und Menschheitsverbrechen. Wir haben dich bewundert und dir nachgeeifert. Doch aus deiner verdienten Heldenrolle hast du falsche Schlüsse gezogen. Dein Erfolg ist dir zu Kopf gestiegen.

Täglich mehr verachtest du Menschen- und Völkerrechte. Deine Freunde überwachst du, als seien sie deine zukünftigen Feinde. Die Welt wendet sich von dir ab und entzieht dir die letzten Sympathien. Amerika, lange schon hast du es nicht besser.

Einst warst du eine Leuchte allen Völkern. Allmählich wirst du zur globalen Gefahr für die Menschheit.