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Alles hat keine Zeit XXXVI

Tagesmail vom 30.10.2020

Alles hat keine Zeit XXXVI,

Mit unsrer Macht ist nichts getan,
wir sind gar bald verloren;

Und wenn die Welt voll Teufel wär,
und wollt uns gar verschlingen,
so fürchten wir uns nicht so sehr,
es soll uns doch gelingen.
Nehmen sie den Leib,
Gut, Ehr, Kind und Weib:
Laß fahren dahin,
sie habens kein‘ Gewinn,
das Reich muß uns doch bleiben.

REFORMATION.

Mit unserer Macht ists doch getan. Noch sind wir nicht verloren. Und wenn die Welt voll Teufel wär, so werden wir sie verschlingen. Das Väterreich über den Wolken kann ihnen bleiben – Wir retten Kind und Weib. Unser Gut und Ehr ist Mutter Natur.

Unsere Reformation an Haupt und Gliedern steht in Artikel 146:

„Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“

Eine freie Entscheidung hat es hierzulande nie gegeben. Demokratie wurde den Deutschen von Oben verpasst. Damals ein Segen, heute eine Fremdbeglückung.

Demokratie ist eine Verfassung des Volkes. Das Grundgesetz muss von Mündigen verfasst und beschlossen werden.

Ob die Deutschen mündig sind, sich eine autonome Verfassung zu geben: das müssen sie jetzt beweisen – in der NOT!

Jetzt, da die Welt brennt, die Nation in Panik erstarrt. Einst, in der Not, wurden sie Helden in Tod und Verderben.

Heute müssen sie Helden des Friedens und Überlebens werden.

Früher wurden sie zum Glück genötigt – ein eminentes Geschenk unserer Befreier in schrecklichen Zeiten.

Heute haben sie sich und der Welt zu beweisen, dass sie erwachsen geworden sind. Inzwischen taumeln unsere Befreier. Zeit, uns dankbar zu zeigen und solidarisch mit ihnen zu werden – indem wir zeigen: unsere Lektion haben wir gelernt. Wir sind mündig geworden.

Wir wissen, wie man Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit buchstabiert. Wissen wir es?

„Weder die Bundesdeutschen noch die Ostdeutschen haben dem Grundgesetz jemals demokratisch zugestimmt. In der neuen Fassung, die nach der Wiedervereinigung verabschiedet wurde, steht im Artikel 146: Dieses Grundgesetzt verliert seine Gültigkeit, sobald „eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist“. Die Bundeszentrale für Politische Bildung (BPB) erläutert den Artikel 146 dahingehend, „dass sich ein Volk kraft seiner verfassunggebenden Gewalt stets seiner bisherigen normativen Fesseln entledigen und auf revolutionärem Wege zu einer neuen Grundgestalt seiner politischen Existenz schreiten könnte.“ (Berliner-Zeitung.de)

Jetzt, wo die Not uns den Mund verschließt, müssen wir ihn aufreißen und in die Welt brüllen: auch wir können Demokratie.

Nicht irgendeine, die jenen die Chance gibt, auf Kosten der Demokratie stark und reich zu werden – um sie zu verderben.

Sondern eine, in der jeder Mensch ein Mensch werden kann.

Humanität.

Humanität ist Ehr-Furcht vor dem Menschlichen und der Natur. Nein, keine Furcht, sondern Zuversicht und vitale Freude.

Natur strotzt vor Leben. Mitten in der Natur setzt der Mensch sein eigenes Leben aufs Spiel und unterlässt nichts, um die Natur in Mitleidenschaft zu ziehen.

„Humanität ist nichts Fertiges, sondern eine von Generation zu Generation fortschreitende Aufgabe. Ihr Betätigungsfeld ist die Erde, das diesseitige Leben. Das Übel und das Böse sind Widerstände, die überwunden werden müssen. Ein Böses an sich gibt es nicht. Die Kraft zur Bekämpfung des Unmenschlichen liegt im Wesen des Menschen. Falscher Optimismus kann die Übel nicht wegdisputieren. Aber es gibt kein Leid, das mit Menschenkraft nicht getragen werden könnte.“ (Wilhelm Nestle)

Es gibt nur einen Fortschritt, der diesen Namen verdient: der Fortschritt des Wesentlichen. Das Wesentliche aber ist die Einmütigkeit des Menschen mit der Natur.

Die neue Verfassung muss dem Menschen die Chance geben, in demokratischer Gleichwertigkeit am Glück aller Menschen mitzuarbeiten. Nicht am Glück einer Nation, sondern am Glück der gesamten Gattung.

Die Völker sind derart miteinander verflochten, dass es besondere Schicksale nicht mehr geben kann. Wer ein gutes Leben führen will, muss sich für das gute Leben aller einsetzen. Das Zusammenwachsen aller Menschen auf Erden hat den Gegensatz zwischen Egoismus und Uneigennützigkeit, Selbstliebe und Philanthropie beseitigt.

Die Demokratien der Neuzeit haben dem Besonderen zu viel Platz eingeräumt und das Allgemeine sträflich vernachlässigt.

 Das Allgemeine ist das Wohlbefinden aller Menschen. Das Besondere, unter dem falschen Begriff des Individuellen, hat das Allgemeine beschädigt. Das wahre Individuelle ist identisch mit dem wahren Allgemeinen.

Der Konflikt zwischen westlichem Individualismus, der nur seine eigenen Interessen verfolgt und dem östlichen Sozialismus oder Kollektivismus war ein Streit zwischen falschen Alternativen. Ein anarchischer Kapitalismus zerstört das Allgemeine, ein kollektiver Sozialismus das Besondere.

In einer reifen Demokratie sind Allgemeines und Besonderes keine Widersprüche. Sie korrigieren und komplettieren sich – zur Gerechtigkeit. In einer gerechten Gesellschaft kann jeder sein individuelles Glück erproben, ohne das Glück der anderen zu behelligen.

Die neue Demokratie der Deutschen muss gerecht sein.

In einer gerechten Demokratie spielt Ökonomie eine dienende Rolle. Sie muss fähig sein, alle Menschen sorgenfrei zu ernähren. Darüber hinaus ist sie bedeutungslos. Die humane Qualität des Einzelnen zeigt sich nicht in quantitativen Leistungen. Der Mensch ist keine Maschine, die berechenbare Leistungen ausspucken muss. Gefragt sind seine menschlichen Fähigkeiten, mit anderen mitzuempfinden, zu verstehen und mitzudenken.

Wirtschaft darf kein Wettbewerb sein, der Gewinner und Verlierer hervorbringt. Konkurrenz überträgt alle lobenswerten Charaktereigenschaften auf den wirtschaftlich Erfolgreichen.

Wer reich ist, ist demnach nicht nur klüger, listiger, durchsetzungsfähiger, sondern auch edler und menschlicher, weil er problemlos mit guten Gaben brillieren, Arbeitsplätze für andere schaffen und für ein allgemeines Wirtschaftsniveau sorgen kann.

Milliardäre schaffen es, eine Unmenge Geld zu verdienen, um Almosen als gigantische Uneigennützlichkeiten erscheinen zu lassen. Die Gesellschaften müssen ungerecht bleiben, damit superreiche Samaritaner ihre Defekte alibi-gerecht aussehen lassen, um sich übermäßig politischen Einfluss zu ergattern. Der wahre Vorteil des Reichtums ist weniger eine sorgenfreie und luxuriöse Selbstversorgung als die Aneignung illegitimer Macht.

In Jahrtausenden privilegierter Aneignungsweisen haben es die Mächtigen geschafft, sich den Reichtum der Gesellschaft überproportional unter den Nagel zu reißen. Durch übermäßigen Einfluss in der Politik gelang es ihnen, die Gesetze so zu formulieren, dass es gerecht schien, wenn sie die größte Beute einstrichen.

In jeder Krise werden die Reichen vom Staat übermäßig unterstützt, mit der Begründung, die wichtigsten Arbeitgeber müssten die größten Happen erhalten, um die Kleinen und Unbedeutenden über Wasser zu halten.

Soziale Ausgaben für die Kleinen müssten permanent reduziert werden, weil der Staat sich Wohltaten nicht leisten könnte. Kommt eine Finanz- oder sonstige Krise übers Land, siehe da: plötzlich hat der Staat keine Probleme mehr, den Banken und Monopolen Unsummen zuzuweisen.

Die Rede vom Staat ist eine weitere Verdunkelung der Volksherrschaft. Nicht der Staat gewährt dem trägen Volk Wohltaten, denn es gibt keinen demokratischen Staat. Es gibt nur eine vom Volk gewählte Regierung, die als Beauftragte des Volkes agiert. Sätze wie: kann sich der Staat solche Sozialausgaben leisten?, wird der Staat vom Volk nicht ausgenutzt?, sind Fangfragen, die eine gewählte Regierung absichtlich mit einer autoritären Obrigkeit verwechseln.

Der internationale Handel hat in der Entwicklung der Demokratie eine wichtige Rolle gespielt. Die ersten Händler waren eher Weltforscher und erkenntnishungrige Weisheitsfreunde als raffgierige Profiteure. Handel zu treiben mit fremden Völkern war mehr von philosophischer Neugier getrieben als von der eitlen Absicht, reicher und mächtiger zu werden als andere. (Nathan der Weise)

Doch kaum war die Epoche der Erforschung anderer Länder gesättigt, schlug der Handel um in ordinären Reichtumserwerb. Die akkordierenden Qualitäten internationaler Beziehungen reduzierten sich auf ordinäre Quantitäten bloßen Mehrhabenwollens.

Der internationale Handel der christlichen Neuzeit war ohne jede Erkenntnisneugierde und verstand sich als Diener barbarischer Missionare, die sich als Herren der Erde ausgaben.

Der globale Handel von heute ist nichts als Degradierung der „Partner“ unter dem bigotten Vorzeichen gegenseitiger Nützlichkeit.

Je mehr die „unterentwickelten“ Partner den technischen Vorsprung des christlichen Westens einholen, je weniger sind sie auf die Importe der führenden Nationen angewiesen.

China ist das Paradebeispiel einer einst unterlegenen Riesenmacht, die den Vorsprung des Westens längst eingeholt, ja, überholt hat, sodass die Abhängigkeitsverhältnisse sich inzwischen auf den Kopf gestellt haben.

Solange es unterschiedliche Fähigkeiten der Länder gibt, solange wird der globale Handel ungerecht bleiben. Die Stärkeren werden die Schwächeren aussaugen. Entwicklungshilfe der Starken hat nur die Funktion, die Ausbeutung der Schwachen mit christlicher Nächstenliebe zu kaschieren.

Um internationalen Abhängigkeiten zu entgehen, beginnt China allmählich, seine autarken Kapazitäten zu stärken. In vorkapitalistischen Zeiten war Autarkie das Ziel jeder nationalen Wirtschaft.

Dass Deutschlands Reichtum vor allem aus Exportleistungen besteht, beweist die geistige Zurückgebliebenheit der deutschen Möchtegerne. Das Land wird sich radikal umstellen müssen, wenn die Welt seine Exporte immer weniger benötigt.

Eine humane Wirtschaft konkurriert mit niemandem, um die größte zu sein. Sie begnügt sich, ihre Bevölkerung befriedigend zu ernähren – um rechtzeitig Feierabend zu machen und selbstbestimmte Arbeit in lustvolle Muße übergehen zu lassen.

In einer humanen Demokratie ist Arbeit keine abhängige Fron als Strafe einer sogenannten Sünde. Sondern Selbstentfaltung eigener Fähigkeiten im Dienste des Überlebens. Die Selbstentfaltung ist nicht angewiesen auf ständig neu erfundene Maschinen, um die angebliche Fronarbeit zu reduzieren.

Bereits Laotse wusste: wer mit Maschinen arbeitet, erhält eine maschinenmäßige Seele. Die Atomisierung der modernen Beziehungen ist das Ergebnis einer jahrhundertelangen Mechanisierung und Quantifizierung sozialer Verhältnisse.

In einer humanen Demokratie kann es keinen automatischen Fortschritt, keine über den Köpfen ablaufende Geschichte oder Heilsgeschichte geben. Der Mensch ist kein Knecht übergeordneter Instanzen, sondern Herr seines Schicksals. Die ständige Rede: was unaufhaltsam über uns kommen wird, ist fahrlässig und despotisch. Es kann keine demokratische Selbstbestimmung geben, wenn übermenschliche Geschichte, Heilsgeschichte oder endloser Fortschritt den Menschen in Ketten hinter sich herschleifen.

Der Automatismus einer linearen Geschichte ist die Entstellung der zyklischen Naturzeit in angebliche Triumphzeit des genialen Menschen. In Wirklichkeit ist der Triumph die wahnhafte Umdeutung sklavischer Unterlegenheit in illusionäre Gottähnlichkeit. Wir glauben zu treiben und werden getrieben.

Ob Erfindungen sinnvoll sind, muss jeweils die Menschheit entscheiden. Wir haben mehr als genug intelligente und überintelligente Golems, die unser Leben nicht befreien, sondern ins Joch zwingen. Wir sind zu Marionetten unserer eigenen Schöpfungen geworden. Den in endloser Ferne liegenden Zweck des Fortschritts sehen wir darin, uns mit technischen Genieleistungen selbst zu tyrannisieren.

Fortschritt diente von Anfang an der Unterjochung des Menschen und der Schändung der Natur.

Worin bestand Fortschritt? Auf das Verbot, mit übernatürlichen Erkenntnissen zu konkurrieren, reagierten die Naturwissenschaften mit der List, die Niederlage in einen Sieg umzumünzen. Wenn die Schrift verbot, mit göttlicher Weisheit und Moral zu konkurrieren, konterte die neue Naturwissenschaft mit der Aussage: wir brauchen keine Moral. Unsere quantitative Erkenntnis ist jedem qualitativen Kanzelgeschwätz überlegen.

Wissenschaft wurde zum Inbegriff der Werturteilsfreiheit.

„Folgt dem Prinzip der Neutralität: Eine Aussage, die von sich selbst beansprucht, wissenschaftlich zu sein, muss sich gänzlich von den Vorstellungen und der Moral desjenigen, der die Aussage trifft, distanzieren. Es wird ausschließlich gesagt, was ist und nicht was nicht ist oder sein sollte.“

Die Natur braucht keine Moral, keine Aufforderung zum Sollen. Sie ist perfekt, wie sie ist. Jedes Sollen wäre ein Herumpfuschen in ihren goldenen Eingeweiden.

„Wenn man etwas sieht, was einem technisch reizvoll erschient, dann packt man es an und macht die Sache, und die Erörterung, was man damit anfangen kann, kommt erst, wenn man technisch erfolgreich war. So war es mit der Atombombe; erst nachdem sie da war, gab es ein paar Debatten darüber, was man mit ihr anfangen solle.“ (Oppenheimer)

„Im Bann dieser Spaltung, die bis in die Galilei‘sche Wendung zurückreicht, begannen die Kernphysiker, die Anwendung ihrer „schönen Erfindung“ als „Missbrauch“ zu geißeln, als wäre das Werk zwar gut, seine Nutzung aber von Übel oder vor ihm zu warnen, als wäre es nicht ihr Werk.“ (Friedrich Wagner)

Die moralfreie Faszination der Naturwissenschaften übertrug sich auf Geistes- und Wirtschaftswissenschaften. Was szientifisch, berechenbar und sicher schien – verglichen mit Erleuchtungen und Offenbarungen –, musste zugleich moralisch sein. Das IST spricht für sich selbst. Es ist vernünftig, weil es ist; weil es ist, ist es automatisch vernünftig.

Die Geschichte bedurfte keiner Belehrung mehr, sowenig wie die materialistische Ökonomie, das positivistische Recht, das Dogma des Fortschritts – und nicht zuletzt die neutrale und objektive Berichterstattung der Medien.

Die neue Demokratie unterscheidet streng zwischen dem, was ist, und dem, was sie für moralisch notwendig hält. Die Amoral der Wissenschaften infizierte die machiavellistische Politik der Neuzeit und trieb das Schifflein der Menschheit dem Abgrund entgegen. Sich moralfrei einer Geschichte oder dem Fortschritt unterstellen, heißt, sich jeder übermächtigen Amoral zu unterwerfen.

Knechte höherer Gewalten waschen ihre Hände immer in Unschuld.

Eine humane Demokratie erobert sich die Schuldfähigkeit des Menschen zurück – der versuchen wird, sein Versagen zu erkennen, um es zu überwinden. Der mündige Mensch vertraut der Navigationskraft seiner humanen Vernunft.

Und wenn die Welt voll Teufel wär: wir sind noch nicht verloren. Herrgottsakrament.

Fortsetzung folgt.