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Alles hat keine Zeit XLVI

Tagesmail vom 25.11.2020

Alles hat keine Zeit XLVI,

„Der gewählte US-Präsident Joe Biden hat den Führungsanspruch der USA in der Welt betont. In seiner Heimatstadt Wilmington stellte er seine Kandidaten für außen- und sicherheitspolitische Schlüsselposten in der künftigen Regierung vor. Er sagte: »Es ist ein Team, das die Tatsache spiegelt, dass Amerika zurück ist, bereit, die Welt anzuführen, statt sich aus ihr zurückzuziehen.«“ (SPIEGEL.de)

Endlich übernehmen weiße amerikanische Großväter wieder die Führung der Welt, die seit vier Jahren orientierungslos dahin taumelt – notdürftig zusammengehalten vom globalen Kampf gegen einen unsichtbaren Feind aus der Natur, die sich offenbar entschlossen hat, die außer Rand und Band geratene Menschheit zu bändigen.

„Mensch, beachte deine Grenzen!“ ist die gütige, aber strenge Botschaft der Natur an den ungebärdigen Sprössling. „Millionen Viren, die ihr nicht kennt, lauern in den Tiefen meiner Urwälder, um euch daran zu erinnern: wer nicht hören will, muss fühlen.“

China, schärfster Konkurrent der USA, hat bereits signalisiert, sich dem Führungsanspruch der auserwählten Nation zu beugen. Vorausgesetzt, das Land der Mitte könne seine Überwachungsmaschinen ungehindert ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten exportieren.

Unausgesprochen war zu hören: könnten wir uns die Führung der Welt nicht aufteilen? Wir erhalten den Osten, ihr bleibt im Westen, mit dem es ohnehin abwärts geht. Die Erben von Kung-fu-tse und Karl  Marx erinnerten an die Worte eines deutschen Dichterfürsten:

Wer sich selbst und andere kennt,
Wird auch hier erkennen:
Orient und Okzident
Sind strikt zu trennen.

Bidens Führungsdenker aus den besten Elite-Universitäten der Welt hatten keine Probleme, die Umgarnungsversuche Pekings mit Worten aus ihrer glorreichen Vergangenheit zurückzuweisen:

„Ich glaube, wir würden unsere edle Mission schmählich verraten, sollten wir es ablehnen, dem höheren Zweck einer weisen Fügung zu gehorchen. Krieg hat seine Schrecken. Zu allen Zeiten war er der Überbringer von massenhaftem Sterben und unerträglicher Verzweiflung; aber wie unverständlich dies auch für uns sein mag, so hat der Allwissende Urheber allen Geschehens ihn doch auch zum Instrument dafür gemacht, das große Ziel menschlicher Erhebung und menschlicher Glückseligkeit zu erreichen. Aus dieser Perspektive heraus stehe ich zur Doktrin der „manifest destiny“.“

Eine NewYorker Zeitung schrieb „halb spielerisch, halb ernsthaft“, also unmissverständlich:

„Lasst uns in den Krieg ziehen. Die Welt ist allmählich fade und abgestanden, alle Schiffe sollten eingenommen, die Städte zerschlagen und die Welt niedergebrannt werden, damit wir von vorn beginnen können. Das würde Spaß machen. Etwas Interessantes – etwas, worüber man reden kann.“

Was bedeutet Führung der Welt? Dass Amerika im Falle unlösbarer Konflikte seinen Willen mit Waffen durchsetzen wird?

Die Rivalen müssten sich entweder der Waffengewalt Amerikas beugen oder es käme zum Endkampf mit atomarer Weltzerstörung.

Bislang bedeutete die amerikanische Führungsfunktion, den Völkern der Welt mit Gewalt demokratische Strukturen aufzuzwingen oder die unersättlichen Interessen des Landes überall auf der Welt beliebig zu befriedigen.

Da die USA den Totalitarismus Hitlers durch Waffengewalt und den Totalitarismus der Sowjetunion durch überlegene Wirtschaftsmacht besiegte, scheute sich die Welt, die vergleichsweise milden Führungsmethoden Washingtons in der Nachkriegszeit totalitär zu nennen – obgleich sie es, streng genommen, sind. Zwangsbeglückungen gleich welcher Art sind, der Kategorie nach, immer totalitär, auch wenn sie das Ausmaß und die Brutalität Hitlers und Stalins nicht erreichen und durch demokratische Strukturen gemildert werden. Auch der Neoliberalismus ist eine Zwangsbeglückung, denn er hält für rechtens, dass die Starken die Schwachen von der Tenne fegen.

Der bedingungslose Wettbewerb des Neoliberalismus wurde als Gesetz der Evolution verharmlost. Bei den amerikanischen Kriegen zum Export der Demokratie schauten die Verbündeten durch die Finger, dienten sie doch einem guten Zweck: die Feldzüge der US-Boys in Afghanistan, Irak, Syrien.

Nach dem Fall der Mauer und der Kapitulation der Sowjetunion fühlten sich die Weltbeglücker aus der neuen Welt in ihrer Überlegenheit bestätigt.

Francis Fukuyama sah bereits das Ende der bisherigen Zerwürfnis-Geschichte und blickte in eine demokratische Zukunft der Völker:

„Totalitäre Systeme, wie z. B. der Kommunismus und der Faschismus, stellen keine politischen Alternativen mehr dar. Vielmehr ist der Weg frei für eine liberale Demokratie. Totalitäre Systeme sind zum Scheitern verurteilt, weil sie dem Grundgedanken des Liberalismus widersprechen.“ (Fukuyama)

Heute wird Fukuyama wegen seines haltlosen Optimismus von damals geschmäht. Besonders die Deutschen gefallen sich in machiavellistischer Einschätzung der heillosen Menschheit, die nur durch die gebändigt werden könne.

Dabei waren es viele Menschen aus allen Völkern der Welt, die Fukuyamas hoffnungsvolle Einschätzung teilten. Gorbatschow wollte Frieden und eine ökologische Wirtschaft aller Völker, um der Gattung eine Überlebenschance zu sichern.

Putin hatte sein Regiment im Geiste Gorbatschows begonnen. Im Reichstag hielt er eine Rede vor deutschen Abgeordneten, die ihm den Beifall des Plenums einbrachte. Heute gilt er als unversöhnlicher Feind Deutschlands und des Westens. Wie konnte seine Abkehr vom Westen geschehen?

Diese Frage stellt sich heute niemand im Westen. Es war die führende Macht der Welt, die schon Gorbis „Friedenskonkurrenz“ nicht ertrug und Putins Russland zur bedeutungslosen Macht degradierte. Dabei waren es sowjetrussische Offiziere, die zweimal einen atomaren Krieg zwischen Ost und West verhindert hatten.

Das Bild einer friedlichen Nation, die sich nicht der amerikanischen Führung unterstellt, ertrug der Westen nicht. Das neue Bild russischer Friedensfreunde musste gelöscht werden, das Reich des Bösen wieder auferstehen.

Selbst Obama, die Hoffnungsgestalt eines humanen Amerika, beteiligte sich an der Diskriminierung Putins. Der wendete sich ab von Gorbis Weltutopie und regredierte zur traditionellen Politik der Stärke, die sich nicht länger von außen gängeln lässt und sich der neuen Weltmacht China nähert, um dem Westen Paroli zu bieten.

Als die Völker eine Weltminute lang zur Vernunft zu kommen schienen, regten sich plötzlich die Frommen Amerikas und bekämpften den Friedensprozess als Werk eines verführerischen Teufels, der die apokalyptische Bestimmung der Heilsgeschichte zu verhindern drohte.

Viele Jahrzehnte lang hatten sich die Erweckten still verhalten, um den Siegeszug von Gods own country nicht zu beschädigen. Doch nun, angesichts demokratischer Aussichten der Völkergemeinde, fühlten sie ihre geschichtlichen Heils- und Unheilserwartungen bedroht. Ungläubige Völker sollten die Gelegenheit erhalten, ihre vernünftige Friedenskompetenz unter Beweis zu stellen? Das wäre der Sieg des Teufels.

Kurz nach Besiegung der NS-Völkerverbrecher war Amerika noch ein vorbildlicher Vertreter des Völkerrechts und der UNO, die die Rechte aller Völker verteidigte. Bei Reagan endete nicht nur der soziale New Deal Roosevelts mit dem Sieg der Hayekianer, sondern auch die absolute Geltung des Völkerrechts, das keine fremde Suprematie der Völker duldete. Jede Nation war autonom, unvereinbar mit jeglicher Fremdbestimmung.

„Nach seinem Amtsantritt erklärte Ronald Reagan, „er sei nicht damit einverstanden, dass die vorangegangene Regierung die (besetzten palästinensischen ) Siedlungen als illegal bezeichnete – sie sind nicht illegal.“ Außenminister James Baker erläuterte den Wandel der amerikanischen Rechtsauffassung mit den Worten: „Es sind umstrittene Gebiete, nicht aber besetzte Gebiete“; nicht nur die Palästinenser, auch Israel hat berechtigte Ansprüche auf sie. Als Konsequenz dieser neuen Auffassung haben die USA die Vereinten Nationen wiederholt daran gehindert, auf Israel Druck auszuüben, die Vierte Genfer Konvention anzuwenden. Die geänderte Auffassung der US-Regierung wurde von hochrangigen Vertretern Israels begrüßt. Auf diese Weise hat die Außenpolitik der USA seit den 80iger Jahren die religiös begründeten Ansprüche Israels auf das Heilige Land unterstützt. Schließlich erklärte Dabbelju Bush im Jahre 2004, dass die Annexion von Teilen der besetzten Gebiete durch Israel unwiderruflich sei und eine Rückkehr von palästinensischen Flüchtlingen dorthin ausgeschlossen.“ (Kippenberg, Gewalt als Gottesdienst)

Es waren die Schüler von Leo Strauss (einem Schüler Carl Schmitts), die sogenannten Neokonservativen (Neocons), die am geistigen Umschwung der USA einen erheblichen Anteil hatten.

„Den Neocons wurde und wird freilich nachgesagt, derlei humanitäre Argumente seien lediglich Vorwände für materiell inspirierte imperiale Bestrebungen; sie hätten de facto die Monroe-Doktrin – mit der im frühen 19. Jahrhundert Nord- und Südamerika zur ausschließlichen Interessenssphäre der USA erklärt wurden – zur Schaffung ihres projektierten „Neuen Roms“ kurzerhand auf den gesamten Planeten ausgedehnt.“

Als junge Theoretiker hatten die Neocons noch die Absicht, die Welt zu demokratisieren. Je älter und einflussreicher sie wurden, je mehr verkamen ihre Ideen zu Vorwänden ihrer eigensüchtigen Weltführungspolitik.

Will Biden zurück zur neokonservativen Weltführungspolitik? Das wäre eine Katastrophe. China und Russland würden diese Bigotterie nicht mehr dulden und amerikanische Weltbeglückungszwänge mit Waffengewalt erwidern.

Die Grundsätze des ewigen Völkerrechts wurden in Amerika und Israel peu à peu ersetzt durch das göttliche Recht auserwählter Völker, die Prophezeiungen der Heilsgeschichte mit imperialer Gewalt durchzusetzen.

In Israel war das ultraorthodoxe Lager gespalten. Nach Auffassung der pazifistischen Frommen war die gesamte Existenz des jüdischen Staates, geschweige sein aggressiver Imperialismus, biblisch nicht zu begründen. Wahre Gläubige müssten abwarten, bis Gott höchstselbst das Ende der Heilsgeschichte mit dem Triumph der Erwählten einleiten würde.

Das konkurrierende Lager der Ultraorthodoxen lehnte diesen Quietismus ab und forderte aktive Mitarbeit mit dem Herrn des Himmels. Dieses Lager prägt heute die Kontaminierung des Landes mit theokratischem Triumphalismus. So entstand eine neue Synthese aus Nationalismus und Religion, aus Waffendienst und imperialer Besetzung:

„Nach dieser neuen Auffassung schreitet die Heilsgeschichte unabhängig von den Absichten der Akteure voran: Gläubige, die dies begriffen haben, können die Geschwindigkeit dieses Prozesses durch eigenes Zutun erhöhen. (Politisches Placebo, Thomas-Theorem). Der völkerrechtlich bedenkliche Vorgang der Besiedlung der von Israel besetzten Gebiete wird in Heilsgeschichte eingebettet und damit religiös legitimiert. Während Messianismus häufig die Antwort auf eine Erfahrung von Entwürdigung und Entrechtung ist, war es in diesem Fall anders: es war ein Messianismus des militärischen Erfolges.“ (ebenda)

Jede Erlöserreligion besteht aus einem totalitären Rahmen und einem mehr oder minder moralischen Inhalt, der durch den Rahmen totalisiert wird. Der Großteil der Gläubigen aller drei Erlöserreligionen hat sich zwar vom Rahmen gelöst. Doch dadurch, dass sie sich noch immer als Gläubige ihrer Religion definieren, rechtfertigen sie – zumeist, ohne es zu wollen – die Gewalttaten fundamentalistischer Terroristen.

Die schrecklichen Sätze ihrer Heiligen Schriften deuten die Meisten um oder negieren sie. Doch das genügt nicht: konsequent müssten sie ihren Glauben als privaten aus aller Politik lösen. Doch das ist ausgeschlossen: Erlöserreligion ist Welteroberungspolitik. Die Welt, die dem Schöpfer durch die Macht des Bösen entrissen wurde, muss durch antinome Moral zurückerobert werden. Antinome Moral ist Gleichwertigkeit des Guten oder Bösen:

Die Protagonisten der israelischen Ultraorthodoxen sympathisieren mit der Idee, „dass Gewalt gegen Araber das einzige Mittel sei, sich von der Ghetto-Mentalität zu befreien. Was einst das Schicksal der biblischen Kanaanäer besiegelte – das biblische Banngebot (5. Mose 7, 1-5; 20, 16 f) – müsse heute den Palästinensern angedroht werden. Sie hätten im biblischen Land nichts verloren und müssten gehen. Die Faust in das Gesicht eines Palästinensers sei die wahre Heiligung des Namens Gottes (kiddusch haschem).“ (ebenda)

Noch steht Deutschland auf dem Boden der UN-Charta und müsste die israelischen Völkerrechtsverbrechen missbilligen. Aus falsch verstandener „bedingungsloser Loyaliät“ gegenüber Israel aber fühlt sich die Täternation nicht berechtigt, das Land der Opfer zu kritisieren. Diese Zerrissenheit führt zur Dauerheuchelei Merkels , die sich zwar alibimäßig der europäischen Missbilligung anschließt, sich in Wirklichkeit aber jeder Bewertung enthält.

Das ist der Grund, warum Merkel sich mit Macrons Philippika gegen muslimischen Terror nicht solidarisch erklärt. Wer sich gegen die Gewalt fundamentalistischer Islamisten wehrt, müsste dasselbe mit christlichem und jüdischem Terror tun. Die totalitäre Basis des Christentums aber muss hierzulande tabuisiert werden. „Seit Wochen schon fühlt sich Emmanuel Macron missverstanden und bemüßigt, in anderen Ländern das französische Prinzip der Laizität und der Meinungsfreiheit zu erklären. Macron fühlt sich aber nicht nur missverstanden, sondern auch alleingelassen. Anders als im Januar 2015 nach dem Anschlag auf die »Charlie Hebdo«-Redaktion folgte der Enthauptung des Lehrers Samuel Paty keine weltweite Solidarität. Im Gegenteil, Élysée-Berater konstatierten in den Tagen nach dem Attentat eine »ohrenbetäubende Stille«.“ (SPIEGEL.de)

Immer mehr Deutsche verlassen die christlichen Kirchen. Doch von den Rändern der pietistischen Freikirchen weht immer heftiger ein aggressiver Wind in die Mitte der Gesellschaft: „Auch in Deutschland geht es plötzlich recht religiös zu. „Gott liebt Dich“ lassen großflächige Anzeigentafeln neuerdings mitten in der Berliner City wissen. Und eins der meistverbreiteten Fotos von der Anticoronamaßnahmendemo am Mittwoch zeigt eine Frau, die der Polizei am Brandenburger Tor ein riesiges Holzkreuz entgegen hält. Der Glaube als Widerstandssymbol, in einer Reihe mit Deutschlandflaggen und weißen Friedenstauben auf himmelblauem Grund. Ähnliche Holzkreuze, nur weiß angemalt, waren zuletzt beim sogenannten Marsch für das Leben von Abtreibungs- und Sterbehilfe-gegnerInnen durch die Stadt getragen worden. Schon komisch, dass ausgerechnet Christen, die jeden Morgen zur besten Sendezeit ihre Predigten im öffentlich-rechtlichen Radio verlesen dürfen, für die der Staat die Kirchensteuer einzieht und die ihre Missbrauchstäter erfolgreich vor den Nachstellungen staatlicher Behörden schützen können, weil sich der Staat nicht traut, sich mit ihnen anzulegen: Wenn diese religiöse Gruppierung sich jetzt zusammen mit selbsternannten Patrioten als von einem wissenschaftsgläubigen Staatsapparat unterdrücktes Heer der Widerständigen inszeniert.“ (TAZ.de)

In der Kluft zwischen Frankreich und Deutschland sehen wir eine Wiederholung prinzipieller Differenzen der beiden Länder in der Frage der Beziehung zwischen Staat und Kirche. Deutschland ist bis heute stolz auf die lutherische Reformation, die den Papst entthronte, doch zum Preis totaler Unterwürfigkeit unter die Obrigkeit und der Verdammung der Vernunft als Hure. Die deutsche Aufklärung war ein verspäteter Reflex auf die englische, vor allem auf die französische Aufklärung. Der französische Laizismus, die strikte Trennung von Staat und Religion, wird in Merkels Deutschland verachtet. Bei uns ist Demokratie nichts als die äußere Spielwiese eines allesbestimmenden Glaubens, der sich dezent im Hintergrund hält.

Der französische Aufklärer Holbach (im pfälzischen Edesheim geboren) war einer der unerbittlichsten Kritiker des Christentums. Die deutschen Aufklärer hingegen, zumeist professorale Pastorensöhne, wollten fromm und aufgeklärt zugleich sein. Sie erfanden dialektische Synthesen aus Athen und Jerusalem. Ihr Grundsatz der Lauheit: nur nicht übertreiben, weder in religiöser noch in religionskritischer Hinsicht, gilt bis zum heutigen Tag. Noch heute wäre Holbach nirgendwo im Lande Luthers satisfaktionsfähig:

„Holbach hielt das Bündnis zwischen Kirche und Staat für das grundlegende Übel in Frankreich. 1770 veröffentlichte der Baron sein Meisterwerk, den heftigsten Angriff auf das Christentum, der je im Rahmen eines einzelnen Buches erfolgt ist: „Anstelle von Moral werden dem Christen Fabeln von Wundern erzählt, die mit dem gesunden Menschenverstand unvereinbar sind.“ Moralität auf Glauben zu gründen, sei eine gefährliche Methode, denn Glaube könne sich wandeln und das Sittengesetz erschüttern, das mit ihm verbunden sei.“

Von einem anderen Aufklärer stammen die Zeilen:

„So müsst ihr also einsehen, oh Theologen, dass euer Gott bösartiger ist als der bösartigste der Menschen … Die Priester haben aus Gott ein boshaftes, grausames Wesen gemacht …“

Nicht Trump hat Amerika zerrüttet, sondern die religiöse Regression des Landes seit Reagan. Die Frommen können nicht abwarten, bis der Herr kommt. Also produzieren sie selbst apokalyptische Zeichen und Naturkatastrophen, um die Wiederkehr des Heiligen zu beschleunigen.

„Im Jahre 2000 bekannten 50% der Amerikaner, die Bibel sei nicht nur irgendwie eine Offenbarung Gottes, sondern von Gott wortwörtlich inspiriert und müsse wörtlich ausgelegt werden. 30% bekannten sich als Wiedergeborene.“ (M. Hochgschwender, Amerikanische Religion)

„Wenn ihr nun sehen werdet den Gräuel der Verwüstung stehen an der heiligen Stätte, wovon gesagt ist durch den Propheten Daniel (Daniel 9,27; 11,31) – wer das liest, der merke auf! –, alsdann fliehe auf die Berge, wer in Judäa ist; und wer auf dem Dach ist, der steige nicht hinunter, etwas aus seinem Hause zu holen; und wer auf dem Feld ist, der kehre nicht zurück, seinen Mantel zu holen. Weh aber den Schwangeren und den Stillenden in jenen Tagen! Bittet aber, dass eure Flucht nicht geschehe im Winter oder am Sabbat. Denn es wird dann eine große Bedrängnis sein, wie sie nicht gewesen ist vom Anfang der Welt bis jetzt und auch nicht wieder werden wird. Und wenn jene Tage nicht verkürzt würden, so würde kein Mensch gerettet werden; aber um der Auserwählten willen werden diese Tage verkürzt.“

Die trumpistische Hälfte Amerikas ist vor allem die tiefgläubige, die dem irdischen Treiben misstraut und ihre Hoffnung auf Donald, den Außenseiter setzt. Der ist anstößig – doch das war der Messias auch, da er sich mit Huren und Zöllnern herumtrieb.

„Die Zöllner und Dirnen kommen vor euch in das Reich Gottes. Die Letzten werden die Ersten sein.“

Je verachteter von der Welt, je größer wird Trumps Triumph sein, wenn er in vier Jahren wiederkehren wird.

Amerika und Israel kamen vom Kurs des Menschen- und Völkerrechts ab, als sie sich dem Einfluss ihrer Ultraorthodoxen überließen. Deutschland hatte noch nie eine klare Vernunftbasis. Stets musste der Glaube im Hintergrund lauern, um die schwankenden Gestalten der civitas terrena zu stabilisieren. Eines Tages werden sie ausgedient haben, dann wird sie der Herr verwerfen. Doch bis zu diesem Ereignis braucht man sie noch, die Mächte des Bösen.

Es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, Amerika nur im Besitz der Frommen zu sehen. Die andere Hälfte kommt in deutschen Medien kaum zu Wort. Zu den leidenschaftlichen Demokraten gehört Lewis Mumford, dessen Vernunft-Utopie in Deutschland im Abfall landen würde:

„Die radikale Umwertung der Werte wird darin bestehen, dass sie nicht länger eine Überfülle überflüssiger Güter, technischer Spielereien und Werkzeuge des Krieges und des Völkermordes produzieren müssen. Wir müssen uns vom Zwang der Marktgesetze befreien. Die freie Zeit, die uns eine Lebenswirtschaft verspricht, werden wir zu einer Schule der höchsten Entfaltung des Menschen und nicht der weiteren Expansion der Maschine machen. Wir stehen an der Schwelle eines neuen Zeitalters, des Zeitalters einer offenen Welt und eines Selbst, das fähig ist, diesen größeren Lebensbereich auszufüllen, eines Zeitalters, in dem Arbeit und Muße und Lernen und Liebe sich vereinigen werden.“ („Die Verwandlung des Menschen“)

In einer Welt selbstbestimmter Arbeit und Muße, des Lernens und der Liebe gibt es keinen Platz für Weltführer – sondern nur für solidarische Völker.

Fortsetzung folgt.