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Alles hat keine Zeit XCIX

Tagesmail vom 02.04.2021

Alles hat keine Zeit XCIX,

Du wirst gegeißelt und mit Dorn gekrönet,
ins Angesicht geschlagen und verhöhnet, …
ich, mein Herr Jesu, habe dies verschuldet,
was du erduldet.
Wie wunderbarlich ist doch diese Strafe!
Der gute Hirte leidet für die Schafe,
die Schuld bezahlt der Herre, der Gerechte, …
Ich lebte mit der Welt in Lust und Freuden,
und du musst leiden.   
(1630)

Die Welt in Lust und Freuden muss vergehen, um Gottes Tod überflüssig zu machen. Gott erträgt nicht die Lebensfreude seiner Geschöpfe, für deren „Schuld“ er leidet und stirbt, um ihnen jede Daseinslust zu vergällen. Für welche Schuld? Die er ihnen durch unerreichbare Normen imputiert hat.

Die Welt muss gekreuzigt werden, damit ein Rachegott auf seine Kosten kommt. Entweder ER – oder Mensch & Natur. Ein Drittes gibt es nicht, weshalb die Deutschen die Logik zur Strecke brachten, damit sie die Grausamkeit ihrer Religion nicht wahrnehmen müssen. Entweder-Oder verwandeln sie in Versöhnung von Mensch und Gott. Mit Lügen lebt es sich leichter.

Sterbende und auferstehende Götter waren im griechischen Mythos Symbole der sich zirkulär erneuernden Natur. Ohne Tod keine Erneuerung der Natur. Am Tod des Menschen aber änderte das nichts.

Die biblischen Patriarchen wollten sich mit dem Tod nicht abfinden, weshalb sie unsterblich sein wollten. Die „Recken der Urzeit“ erreichten bereits  ein biblisches Alter von fast 1000 Jahren. „So betrug Methusalahs ganze Lebenszeit 969 Jahre.“ Schon ihre Zeugungsfähigkeit begann in einem für heutige Verhältnisse unerreichbaren Alter.“ „Als Methusalah 187 Jahre alt war, zeugte er den Lamech.“

Freilich: mit wem zeugten sie? Denn erst „als die Menschen anfingen, sich auf der Erde zu mehren, sahen die Gottessöhne, dass die Töchter der Menschen schön waren und sie nahmen sich zu Weibern, welche sie nur wollten.“

Die Griechen waren stolz auf ihre Schönen. Die biblische Liaison mit den Schönen hingegen führte zur Katastrophe. Wieder waren die Frauen mit ihrer Brut an allem Elend der Männer schuldig.

„Als aber der HERR sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar, da reute es den HERRN, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen, und er sprach: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis hin zum Vieh und bis zum Gewürm und bis zu den Vögeln unter dem Himmel; denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe.“

Auch der spätere Messias sollte „ohne Gestalt und Schöne“ sein. Am Kreuz wurde Christi Gesicht im Leid entstellt. Das Bilderverbot tat ein Übriges, um das Vergleichen Gottes mit den Menschen unter dem Gesichtspunkt des Schönen, Wahren und Guten zu verbieten.

Woher die Allergie der Frommen gegen das Schöne? Das Schöne ist das Maß des Vollkommenen auf Erden. Das Heilige ist das Maß des Jenseits, weshalb es sich verbittet, mit irdischen Maßstäben gemessen zu werden.

Die religiöse Umkehrung aller Normen des Diesseits gilt nicht nur für das Wahre und Gute des Irdischen, sondern auch für dessen ästhetische Vollkommenheit. Der Himmel akzeptiert nicht das Irdische, auch nicht in dessen gelungenster Ausprägung. Deshalb widersetzt er sich dem Stolz des Selbsterdachten und Selbstfabrizierten und kontrastiert es mit dem puren Gegenteil.

Die selbsterarbeitete Tugend wird zur tugendverachteten Gnade, das Wahre der Vernunft zur Torheit vor Gott, das Schöne (der verführerischen Frauen) zur Entstellung des Wohlproportionierten, um alles Eitle zuschanden zu machen.

Fromme Frauen verabscheuen die Verführungskünste der Schönen. Eros ist für sie ein schmutzig Ding, keine sinnliche Erfüllung der Begegnung zweier Liebender. Alles Orgastische auf Erden, das durch Nichts übertroffen werden kann, wird vom Himmel verabscheut.

Es brauchte seine Zeit, bis das Transzendente sich in der Patriarchenreligion durchsetzte. Am Anfang bewegte sich noch vieles im Rahmen des Natürlichen. Ein gelungenes Leben fand noch einen befriedigenden Tod. Weshalb die Urväter „alt und lebenssatt“ starben.

Je mehr sich aber das Überirdische gegen das Irdische durchsetzte, je mehr widersetzten sich die Gläubigen des Himmels der irdischen Zufriedenheit. In der Moderne ist Zufriedenheit eine „Sünde wider den Geist“.

Unzufriedene und Unbefriedigte verabscheuen den Tod, weil sie stets ein Neues erwarten, um zur Erfüllung zu gelangen.

Hier kommt es zur Unvereinbarkeit zwischen männlicher Jenseits- und weiblicher Naturreligion.

„Wenn der Tod auch lange aufgeschoben war, so nahte er doch unvermeidlich. Mit diesem Gedanken konnten sich die Patriarchen nicht abfinden. Die älteren matriarchalischen Religionen waren in der Akzeptanz des Todes realistischer. Sie erhoben es zur Pflicht des Weisen, neben der Schönheit der Natur in ihr auch die Hässlichkeit, die Verderbtheit und den Zufall wahrzunehmen. Dem Tod wurde ebensoviel Bedeutung beigemessen wie der Geburt. Christliche Missionare stellten die Todesgöttin der Naturvölker nur als Teufelin dar. Für die Eingeborenen war „die blutige Göttin mit ihren reißenden Zähnen und Krallen eins mit der schönen Mutter der Liebenden. Wo immer es eine Vorstellung von der Mutter Natur gab, verband sie sich mit dem Gedanken, dass die Wurzeln jeder Blume im organisch Verwesenden stecken.“ (Walker)

Goethe wusste von der „Unvollkommenheit der Natur“.

„Sie baut immer und zerstört immer und ihre Werkstätte ist unzugänglich. Ihr Tritt ist gemessen, ihre Ausnahmen selten, ihre Gesetze unwandelbar. Auch das Unnatürlichste ist die Natur. Wer sie nicht allenthalben sieht, sieht sie nirgendwo recht. Sie ist alles. Sie belohnt sich selbst und bestraft sich selbst, erfreut und quält sich selbst. Sie ist rau und gelinde, lieblich und schröcklich, kraftlos und allgewaltig. Sie ist ganz, und doch immer unvollendet. Was wahr ist und was falsch ist, alles hat sie gesprochen. Alles ist ihre Schuld, alles ist ihr Verdienst.“ (Deutschkursd2)

Wo spielt heute die „Unvollkommenheit“ der Natur noch eine Rolle? In den Attacken der Esoteriker, Querdenker und Impfgegner gegen die wissenschaftliche Medizin, die die Vollkommenheit der Natur leugnen und mit minderwertiger „Kultur“ die Natur vervollkommnen wolle.

„Esoteriker glauben schon immer an die Selbstheilungskräfte der Natur. Dann kam die Pandemie, Alte und Kranke sterben. Wie kann man noch glauben, die Natur sei nur gut. Natürlich braucht der Mensch diese Erde, um zu überleben. Wir haben eine moralische Verpflichtung, gut mit den fühlenden Wesen umzugehen, die mit uns leben. Und natürlich sollten wir den Planeten kommenden Generationen in einem einigermaßen guten Zustand übergeben. Aber Mutter Erde ist uns nicht gnädig. Das Verhältnis des Menschen zum Rest der Natur ist ambivalent. Deshalb taugt die Natürlichkeit auch nicht als moralischer Anker. Erst eine gewisse Unabhängigkeit von der Natur – zunächst durch Ackerbau (der zugegebenermaßen zu Beginn eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse bedeutet haben könnte), später durch Glühbirnen, die die Nacht durchleuchteten, und Medikamente, die Leben retteten – hat dazu geführt, dass der Mensch heute in einer vergleichsweise gesunden, geordneten und gewaltarmen Welt leben kann. Dass der Mensch sich von der Natur emanzipiert und zivilisiert hat, hat sein Leben radikal besser gemacht. Wer aber, wie die Esoteriker, die Natürlichkeit zum moralischen Wert erhebt, oder wie Weber für eine Rückkehr in eine Art menschlichen Urzustand plädiert, verkennt etwas Wesentliches: Der Mensch hat sich seiner natürlichen Umgebung aus gutem Grund enthoben. Die Kräfte der Natur sind nicht nur milde und gütig, sondern aus menschlicher Sicht zugleich brutal und unberechenbar. Die Natur hat den Menschen durch ihre Früchte und ihre Tiere ernährt, sie hat ihn aber auch vergiftet, von Raubtieren auffressen lassen. Erdbeben, Wirbelstürme, Fluten und Pandemien haben ihn umgebracht.“ (ZEIT.de)

Die Esoteriker verwechseln Natur mit jenem Gott der Theologen, der nicht für das Böse zuständig ist. Das ist ihre Rechtfertigung Gottes (Theodizee), die alles Liebe und Gute dem Schöpfer, alles Böse dem freien Willen seiner Geschöpfe zuschiebt. Gott ist nicht Erschaffer des Guten und Bösen, der das Teuflische benutzt, um sein Gesamtwerk voranzubringen, sondern der „manichäische“ Gegenspieler des Bösen, um es in einem finalen Akt am Boden zu zerstören.

Alles vom Menschen Erschaffene ist für Glorifizierer der Natur nur Stückwerk und Torheit. Wie Theologen nicht die Antinomie Gottes, so wollen Esoteriker nicht die Ambivalenz der Natur wahrhaben. Auch Menschen und ihre Kultur sind nichts anderes als Natur, wenngleich in einer Qualität, die die idealisierenden Naturgläubigen nicht zur Kenntnis nehmen wollen.

Denn wenn die Natur gegen sich selbst wüte, könne sie nicht vollkommen sein. In einer vollkommenen Natur dürfte es keine Naturkatastrophen, Raubtiere und darwinistischen Überlebenskampf geben.

Diese „Unfähigkeit“ der Natur entspringt einer sentimentalen und irrealen Glorifizierung, die nur dem Zweck dient, die marode Natur vom Tisch zu fegen und durch einen fleckenlosen Schöpfergott zu ersetzen.

„Da wird der Wolf beim Lamm wohnen und der Panther beim Böcklein lagern. Kalb und Löwe werden miteinander grasen, und ein kleiner Knabe wird sie leiten. Kuh und Bärin werden zusammen weiden, ihre Jungen beieinanderliegen, und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein kleines Kind wird seine Hand ausstrecken zur Höhle der Natter. Man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land ist voll Erkenntnis des HERRN, wie Wasser das Meer bedeckt.“

Das ist keine realistische Utopie, sondern ein himmlischer Traum, der keinem anderen Zweck dient, als die „unvollkommene irdische Natur“ zu desavouieren. Eine realistische Ökologie hat die Natur zu nehmen, wie sie ist. Sie verwendet keine Wunder und Zauberstücke. Ökologische Politik hat das Ziel, mit der Natur, wie sie ist, verträglich zu sein. Das wäre das Optimum. Dass es innerhalb der Grenzen der Natur möglich ist, ein befriedigendes Leben zu führen: den Beweis dieser These haben viele Eingeborenenstämme überzeugend geliefert.

„Während der längsten Zeit der Menschheitsgeschichte gab es die Idee des Mangels nicht“, sagt James Suzman. „Es stimmt nicht, dass Jäger und Sammler ständig am Rand des Verhungerns lebten“. Nichtstun und Müßiggang, also das, womit der Homo sapiens vor der landwirtschaftlichen Revolution den größten Teil seiner Existenz zubrachte, haben viele Menschen verlernt. Vielleicht kehre die Menschheit aber eines Tages zu den Arbeitszeitmodellen unserer frühen Vorfahren zurück, meint Suzman. Die Wissenschaft verkaufte die Entwicklung der Menschheit lange als eine einzige Erfolgsgeschichte. Dabei arbeiten wir heute vor allem mehr – und schaden uns und dem Planeten.“ (Sueddeutsche.de)

Zu den ökologischen Phantasmagorien gehört das Parteidogma der Grünen von der Bewahrung der Schöpfung. Wie kann man Schöpfung bewahren, wenn der Schöpfer selbst ihre apokalyptische Zerstörung in furchterregenden Bildern angekündigt hat?

Zu einer nüchternen Ökopolitik gehört die Zertrümmerung der automatischen Fortschrittsidee. Fortschritt darf kein Geschehen sein, das nach Belieben über die Menschheit hinweg rollt. Der Mensch muss alles prüfen und das Beste behalten. Wie viel Fortschritt die Menschheit übernehmen will, muss sie selbst entscheiden – und kein Gesetz einer Heilsgeschichte, die die Menschen zu Marionetten degradiert.

Gegner der Esoteriker und Impfgegner begehen einen komplementären Fehler, wenn sie Technik und Naturwissenschaft als übernatürliche Fähigkeiten auszeichnen, die die Mängel der Natur ausgleichen könnten. Auch Technik und Naturwissenschaften sind natürliche Ereignisse, die Natur mit sich selbst zu „heilen“. Der Mensch ist kein transzendentes Wesen, das die Natur „erlösen“ kann.

Generalfehler heutiger Wissenschaften ist die Behandlung der Natur wie eine seelenlose Maschine. Auch der Geist des Menschen ist Teil der Natur und kann seine spezifische Empathie und Intelligenz einbringen, um Natur mit Natur in Ausgleich zu bringen.

Von Galilei bis zum heutigen Positivismus wurde der Mensch dazu bestimmt, wissenschaftliche Gesetze zu erkennen und durch „Gehorsam zu beherrschen“. (Francis Bacon)

Das Erkennen der Gesetze ist noch keine Antwort auf die Frage: was soll der Mensch mit diesen Erkenntnissen beginnen? Es ist wie bei den Medien: die Erkenntnis des Ist ist noch lange keine Erkenntnis dessen, was sein soll.

Hier ist Denken gefragt. Der Sieg der Naturwissenschaften und naturwissenschaftlich sich aufblähender Geisteswissenschaften (wie Ökonomie) hat den autonomen Geist des Menschen systematisch aus dem Haus gejagt. Nun haben wir Virologen, die ihre partiellen Erkenntnisse zugleich als politische Anwendungskompetenzen begreifen. Doch es genügt nicht, Zahlen kaskadenhaft aufzuzählen und die Gesellschaft mit Warnungen kirre zu machen. Wo soziologische Gesamtübersicht, psychologische Empathie und politische Fairness fehlen, gibt es keinen guten Klang. Wir brauchen weder Kassandras noch Leisetreter oder Wirrköpfe, sondern etwas, was in Deutschland seit Jahrhunderten verpönt ist: gesunden Menschenverstand.

Das Himmlische entzieht sich dem Vergleich mit dem Irdischen. Um diese Schwäche zu kaschieren, wird dem Irdischen das Überirdische in äffischer Karikatur gegenübergestellt. Wie der Leidende den Mächtigen, so wird das Hässliche das Schöne, das Unvollkommene das Vollkommene, das Törichte vor Gott das Weise der Welt besiegen.

„Denn das Törichte von seiten Gottes ist weiser als die Menschen und das Schwache von seiten Gottes stärker als die Menschen.“

Die Ziele der Frommen sind dieselben wie die der Heiden: die Stärksten und Klügsten sollen sich durchsetzen. Doch die Mittel sind konträr: die Schwächsten sind die Stärksten, die Bornierten die Klugen.

Das Verbot, Irdisches mit Himmlischem zu vergleichen, beginnt mit dem Bilderverbot der 10 Gebote:

„Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott:“

Gott will den Seinen ein Unvergleichlicher sein: der Schönste, Mächtigste, Wissendste und Gütigste. Doch er fürchtet den Vergleich mit den Menschen. Was, wenn sie ihm das erhoffte Lob der Einmaligkeit und Unvergleichlichkeit vorenthielten? Dann wäre seine göttliche Aura zertrümmert. Also entzieht sich Gott dem realen Vergleich und fordert blinden Glauben an seine unsichtbare Hoheit. Seitdem muss alles Heilige unvergleichlich sein – aber im Akt des Glaubens.

Was ist aus dem Schönen geworden? Seit Winkelmanns gescheitertem Rettungsversuch des griechischen Schönen (das er nur in Form römischer Skulpturen kennenlernte) hat das Schöne in Deutschland keinen guten Klang. Die Kunst ist des Glatten und Vollendeten überdrüssig geworden. Interessant wurden alle Variationen dessen, was Hegels Schüler Karl Rosenkranz als „Die Ästhetik des Hässlichen“ beschrieb. Außer Heidi Klum will niemand mehr das Schöne, höchstens das Sinnliche und Verführerische. Deutsche Schauspieler dürfen nie schön, sondern müssen genial verschroben, genervt und gereizt, nie ausgeglichen und menschenfreundlich sein.

Die moderne Kunst hasst das Schöne, sie will den Zerfall der Formen, die Rückseite des Geglätteten offenlegen.

Für Rosenkranz war die Perspektive des Hässlichen noch unerträglich:
„Das Hässliche erscheint als existenzielle Bedrohung. Das Hässliche als solches ernst zu nehmen, damit zu arbeiten oder es auch nur unaufgelöst stehen zu lassen, ist für Rosenkranz noch undenkbar.“

Schon vor Rosenkranz hatte Schiller den Tod des Schönen konstatiert:

„Auch das Schöne muß sterben! Das Menschen und Götter bezwinget,
Siehe! Da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle,
Daß das Schöne vergeht, daß das Vollkommene stirbt.“ (Nänie)

Heute weint niemand mehr über den Tod des Schönen. Weder in der Kunst, noch in der Natur.

Der Vorrang des Hässlichen in der Kunst ist eine parallele Absegnung der globalen Vernichtung der Natur, die von Tag zu Tag hässlicher wird. Kunst will nicht mehr nachahmen, sondern aus den Tiefen ihres Genies erschaffen. Imitieren? Das wäre sklavische Abhängigkeit vom Bestehenden. Wie Fichte die Natur nicht imitativ erkennen, sondern die Gesetze der Natur aus Nichts kreieren wollte, so will der moderne Künstler die Welt nicht kopieren, sondern seine ureigene erschaffen. So hässlich die Natur, so hässlich soll die Kunst sein. Spießer und Langweiler müssen erschreckt und davongejagt werden. Dann lacht das Herz des Provokateurs. Kunst unternimmt alles, um das Misslungene und Abstoßende der Naturverwüstung salonfähig zu machen.

Wenn die Sinne des Menschen beim Spaziergang in der Natur, beim Schauen in der Kunstausstellung, beim Flanieren in hässlichen und stinkenden Großstädten brüskiert werden dürfen, dann kann der Mensch beruhigt zum Augenblicke sagen:

Verweile doch, du bist so – unerträglich.

Fortsetzung folgt.