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Alles hat keine Zeit LXXXI

Tagesmail vom 19.02.2021

Alles hat keine Zeit LXXXI,

warum ist die Menschheit unfähig, die bedrohte Lage ihres Erdendaseins zu erkennen?

Weil, so ein deutscher Astronaut, nur vom Weltall aus die Verwundbarkeit des blauen Planeten zu erkennen ist.

Ergo? Lasset uns alle Hochkomplexen ins All schießen, damit sie im schwerelosen Zustand die Narben ihres Versagens auf Erden erkennen. Warum das Berliner Kabinett zuerst?

„Schlamperei und Mängel beim Naturschutz: Die EU-Kommission verklagt die Bundesrepublik vor dem Europäischen Gerichtshof. Bereits 2015 hatte die EU-Kommission ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, bisher hat Berlin die Bedenken nicht ausgeräumt. Dabei sei die „Frist für die Vollendung der notwendigen Maßnahmen für alle Gebiete in Deutschland“ in einigen Fällen schon vor mehr als zehn Jahren abgelaufen. Die Klage war lange überfällig, sagt die Grünen-EU-Abgeordnete Jutta Paulus. Die Bundesregierung lasse es auf eine höchstrichterliche Entscheidung ankommen, statt sich an Gesetze zu halten. „Für ein Land, das sich gerne als umweltpolitischer Vorreiter inszeniert, ist das peinlich“, so Paulus.“ (TAZ.de)

Das soll peinlich sein, wenn eine Blender-Regierung unentwegt Phrasen drischt – und das Gegenteil tut? Das ist nicht peinlich, sondern wahnhaft und selbstzerstörerisch.

Wettlauf zum Mars. Was gibt es Besseres zur Ablenkung von Corona als das ganz Andere – das wir erobern müssen, um das Eigene zu erkennen? Für den Theologen Karl Barth war das ganz Andere ein Symbol des unerreichbaren Gottes. Dieses Unerreichbare müssen wir uns unter den Nagel reißen, damit wir die Dürftigkeit des Erreichbaren ertragen.

Mars, der Krieger, ist Fanal der terrestrischen Avantgarde. Venus soll für Europa stehen, jener Königstochter, die von Zeus in Stiergestalt entführt und vergewaltigt wurde? Europa will von Amerika verführt werden und ist schon wieder in Ängsten, dass Washington sich abwendet und lüstern gen China blickt, dem Rivalen um die Weltherrschaft. Was hingegen hat das verschlissene Europa zu bieten?

Steht Schlange, ihr Reichen und Hässlichen. Die Plätze im Himmel sind knapp, plündert eure Milliarden – und betet, dass ihr erwählt werdet. Es gilt ein ganz und gar Neues. Die Bibel des Mars wird mit Härten und Unsicherheiten beginnen. Das Paradies muss unter Mühen und Plagen erkämpft werden.

Am Anfang war die Gefährdung. Und siehe, Elon sprach: aus der Gefährdung werde das neue Paradies:

„Im Laufe der Zeit ließe sich auf dem Mars der gleiche Prozess durchlaufen, den die Erde mit dem CO2 und dem Sauerstoff, mit Pflanzen und flüssigen Ozeanen vollzogen hat. Wir müssen in der Lage sein, Nahrung anzubauen. Wir werden uns Wasserquellen erschließen, müssen die Treibstofftanks für die Raketen auffüllen.“ (WELT.de)

Da kam der Widerpart des heiligen Elon und pfuschte ihm – eine Schlange war nicht zur Hand – persönlich ins Getriebe:

„In der Vergangenheit gab es auf dem Mars große Mengen Wasser, richtige Ozeane. Das Wasser ist aber ins All verdampft. Der Planet trocknete völlig aus. Hasinger: „Dieses Schicksal wird uns erspart bleiben.“ Ja, aber wegen der fehlenden Atmosphäre und der gefährlichen Weltraum-Strahlung nur unter der Erde. Prof. Hasinger: „Dort ist kein gemütliches Leben möglich, wir sollten also unsere Erde lebenswert erhalten.“ (BILD.de)

Noch nie enthüllte die Wissenschaft ihre Hybris entlarvender als in diesem Unternehmen, das endlos viel Geld, Energie und autistische Kompetenz kostet. Sollte die Menschheit auf Erden krepieren, die Zukunft der Genialen ist gesichert.

Ein Wissenschaftsredakteur hält diese Skrupel für abwegig:

„Ich habe Christoph gefragt, ob er die riesigen Ausgaben für solche Missionen für vernünftig hält und ob die Kritik mancher Menschen berechtigt ist, dass man das Geld für Ausflüge ins All besser einsetzen könnte. »Mich überzeugt das Argument nicht wirklich, dass man mit dem Geld für solche Missionen Sinnvolleres anstellen könnte«, sagt er. Und dann hat mir Christoph noch etwas Erstaunliches verraten: »Um die Faszination für die Marsmissionen der Nasa zu befeuern, hat ›Persevereance‹ mehrere kleine Speicherchips an Bord, auf denen mehr als zehn Millionen Namen gespeichert sind. Meiner ist auch dabei.«“ (SPIEGEL.de)

Mit Speck fängt man Mäuse, mit Abendessen bei der Kanzlerin staatstreue Edelschreiber, mit Marslisten die Wissenschaftsjournalisten der Welt. Wer sich dies aus seinen neidischen Fingern gesaugt hätte, wäre wegen Verschwörungstheorie an den Pranger gekommen. Es geht ja nur um Milliarden, die hier von der Creme der Menschheit ins All verschleudert werden. Was kann man mit dieser jämmerlichen Summe schon Sinnvolles anstellen? Journalisten können diese Fragen nicht beantworten, sie schreiben ja nur drüber:

„Da sitzen Schüler und Schülerinnen ohne Drucker oder schulfähige Endgeräte zu Hause in einer beengten Wohnung und sollen digital für die Schule lernen, obwohl das Internet viel zu schwach ist. Da zocken Kids PC-Spiele und werden immer süchtiger danach, weil Alternativen fehlen. Sie nehmen immer mehr zu, weil das Geld oft für gesunde Ernährung fehlt. Der fehlende Sportunterricht führt zu Energiestau und gesundheitlichen Einschränkungen. Es sind bereits 25 Jahre, in denen ich für Kinder und gegen Kinderarmut kämpfe. Leider stelle ich fest, dass eine abgehängte Generation mittlerweile noch abgehängter ist. Alle schreien nach Kinderschutz, doch wo sind vernünftige Beispiele zum Schutz unserer Kids in beengtem Wohnraum und extremen existenziellen Herausforderungen?“ (BILD.de)

Oder wie wär‘s mit Folgendem, wenn einem nicht einfällt, wie man den Reichtum der Welt verpfeffern kann?

„Zwei Millionen Menschen in Deutschland können sich keine warme Wohnung leisten, sagt das Statistische Bundesamt.“

Oder wie wär‘s damit?

„Pandemie-Historiker sagen, wir in Europa seien nicht sicher, solange Inder oder Südafrikaner nicht sicher seien. Aus Indien und Südafrika kommt die Bitte, Patente freizugeben, damit die Impfstoffe weltweit hergestellt werden könnten – haha, antwortet Europa, undenkbar für unsere Wirtschaft. Und dann kommt der Klassiker unter den Ablehnungen: So etwas haben wir noch nie gemacht. An dieser Stelle muss ich eine traurige Nachricht überbringen: So wird das nichts.“ (TAGESSPIEGEL.de)

Über Flüchtlinge in Bosnien, Griechenland und aller Welt haben wir noch gar nicht gesprochen. Pardon, ganz vergessen, dass Geld nicht erfunden wurde, um es für moralische Zwecke zu schänden.

Wie lösen objektive Gazetten die Probleme der Welt? Indem sie sich streng an ihre Regel halten, nur zu schreiben, was ist. Probleme, die sie nicht erwähnen, kann es also nicht geben. Quod erat demonstrandum.

Haben Medien und Wissenschaften nicht gleichermaßen das Ziel, zu beschreiben, was ist – und jedes Sollen zu verschmähen?

Wer aber setzt den Naturwissenschaften das Ziel, den Mars zu erreichen – oder zu erforschen, ob es noch anderes Leben im Weltall gibt? Vielleicht sogar menschenähnliche Wesen? Soziale Utopien werden verschmäht, technische mit dem Triumphgeheul aller Medien angefeuert!

In welchem Maß sind moderne Gesellschaften von der Wissenschaft geprägt? Gehen deren Dienste über technische Hilfeleistungen hinaus? Kann es überhaupt wissenschaftliche Ziele geben, wenn jedes Sollen vermieden werden muss? Wäre das kein Widerspruch in sich?

In der coronafreien Epoche spielte die Wissenschaft keine erkennbare Rolle – außer im Berechnen von niederen Formeln, um das Wachstum der Wirtschaft zu befördern. Sie alle unterstanden den Normen des technischen Fortschritts. Wer aber bestimmt den Fortschritt? Die Medien formulieren stereotyp: was über uns kommen wird. Eine Formel hundsföttischer Ergebenheit, nicht anders als die mittelalterliche Unterwerfungsformel: was Gott bringt, das ist wohlgetan:

Herr! schicke, was du willt,
Ein Liebes oder Leides;
Ich bin vergnügt, daß Beides
Aus Deinen Händen quillt.

Wollest mit Freuden
Und wollest mit Leiden
Mich nicht überschütten!
Doch in der Mitten
Liegt holdes Bescheiden.

Mörike bat tatsächlich um etwas, wortlos hinnehmen wollte er nicht alles. Seinen Gott stellte er sich als gütigen Vater vor, dem das Wohlbefinden seiner Geschöpfe nicht gleichgültig war, obgleich sein Evangelium unmissverständlich verkündete: auf Erden Leid, im Himmel Freud.

Pastor Mörike war gelehrt genug, um die Haupttugend des Heiden Aristoteles zu kennen: die Mitte, gleichweit entfernt von schädlichem Übermaß und verderblichem Mangel. Das klingt weltklug und ist in vielen Dingen des Alltags durchaus zu gebrauchen.

Doch wenn es ans Eingemachte geht, zerbricht die Formel. Was beispielsweise ist die besonnene Mitte zwischen Nationalsozialismus und Humanismus?

Der moderne Fortschritt wird angebetet wie ein Schicksal. Niemand fordert die besonnene Mitte zwischen technischer Anbetung und Verweigerung. Es ist ein Alles-oder-Nichts-Spiel. Wer am Fortschritt nur im Geringsten mäkelt, ist ein Maschinenstürmer oder Fortschrittsfeind.

Völlig ausgeschlossen, dass das Volk entscheiden dürfte über die Frage: Wie viel technische Innovation brauchen wir, was wollen wir auf keinen Fall? Der Fortschritt der Wissenschaft ist so geschichts- oder evolutionsgläubig wie der Glaube des Sohnes an seinen himmlischen Vater: „Herr, lass diesen Kelch an mir vorgehen, doch dein Wille geschehe.“

Die freieste Epoche der Weltgeschichte ist kein Deut weniger unterwürfig als die devoten Christen im Mittelalter. Einen göttlich bestimmten Fortschritt aber gibt es nicht. Es ist der Mensch, der alles bestimmt, sich aber unter einem ominösen Willen Gottes duckt, um jeder Verantwortung für sein Tun zu entgehen.

Hier laufen Christen und Marxisten parallel. Um Marx geringfügig abzuwandeln:

Der Materialismus ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elends und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Der Marxismus ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt. Er ist das Opium des Volkes.

Der Freiheitsbegriff der Christen und Marxisten ist identisch. Sie fühlen sich umso freier, je unterwürfiger sie an eine automatische Heilsgeschichte glauben. Ich bin frei, wenn ich dem siegreichen Gesetz einer festgelegten Geschichte glaube.

Dasselbe trifft zu für Hayek, der bestreitet, dass der Mensch ein selbstständiges Vernunftwesen sei:

„Er fühlt sich in der römisch-katholischen Tradition verwurzelt, von der er sich formell nie trennt. Ihm ist bewusst, dass viele Menschen einer Religion zur Sinnstiftung bedürfen.“ (in Hennecke, F. v. Hayek)

Er widerspricht sogar seiner eigenen Formel, dass jede soziale Utopie zur Hölle auf Erden führen muss:

„Wir Marktwirtschaftler haben noch eine Utopie zu bieten – der Kommunismus hat keine mehr.“ (ebenda)

Irrtum: der Kommunismus Marx‘scher Prägung hat denselben Geschichtsglauben wie Christen und Hayekianer.

Wohin man schaut in Ost und West: alle führenden Bewegungen sind fatalistisch und geschichtsgläubig. Nicht anders als Habermas, der die Geschichte nur für veränderbar hält, wenn sie dem Menschen entgegen kommt. Komm, ach komm, du holde Geschichte und stärke mich, wenn ich meine ungläubigen Feinde in die Flucht schlage. Auch die führende Stimme der Aufklärung ist eine Unterwerfung unter übermenschliche Mächte.

Inwiefern ist die Kanzlerin eine echte Wissenschaftlerin? Unentwegt wird sie als nüchterne Physikerin gerühmt. Ist das schon die Beantwortung unserer Frage? Echte Wissenschaftler müssen mehr sein als engbrüstige Laborhandwerker – die man einst Fachidioten nannte. Sie müssen den Geist freier Wahrheitssuche mit der Fähigkeit zur agonalen Debatte zu verbinden wissen.

Popper benutzte den Begriff des Falsifizierens, um das Widerlegen aller angeblich sicheren Erkenntnisse zu bezeichnen. Erst, wer allen Widerlegungsversuchen widerstand, konnte den Anspruch auf vorläufig sichere Wahrheit erheben. Eine dogmatische Unfehlbarkeit gibt es nicht.

Vollends bei der Übersetzung von Wissenschaft in Politik zeigt sich, ob Wissenschaftler nicht nur Mechanisten bestimmter Regeln sind, sondern mit Verve alle Antithesen zur Kenntnis nehmen, um sie fair von allen Seiten zu prüfen. Davon kann bei der Pastorentochter keine Rede sein. Ihre dialogischen Künste lassen zu wünschen übrig. Die seltenen Male, in denen sie öffentliche Gespräche führt, zeigen vor allem ihre Fähigkeit, den Fragen mit subjektiven Sorge- und Gefühlsäußerungen aus dem Weg zu gehen. Jedes Gespräch – von ihren Paladinen als großes Ereignis gefeiert – ist vor allem eins: eine Audienz ohne Erkenntnisinteresse.

Nicht nur das. Im Coronastreit schmückt sie sich mit veritablen Virologen – die seltsamerweise genau die Meinung vertreten, die sie zuvor schon hatte. Öffentliche Debatten konträrer Meinungen gibt es in Deutschland nicht:

„Die Regierung ziehe „derzeit vor allem jene Wissenschaftler zu Rate, die bereit sind zu sagen, was die Regierung auch hören will“, so Esfeld zu BILD. Dies schade „massiv der Reputation der Wissenschaft“, führe „zu einer populistischen Gegenreaktion gegen die Wissenschaft als ganze“. Man dürfe sich „nicht wundern, dass viele Menschen sich deshalb von der Wissenschaft abwenden und anfangen, ganz grundlegende Fakten zu leugnen“. Esfeld vermutet, dass die Bundesregierung die beratenden Wissenschaftler auch instrumentalisiert, um die öffentliche Debatte zu bestimmen. „Das Kanzleramt entschied sich gleich zu Beginn der Pandemie für eine Politik, die sie in einem transparenten, öffentlichen und kritischen Diskurs nie hätte durchsetzen können“, sagte Esfeld zu BILD. „Dafür setzte man Wissenschaftler ein, die mit großer Autorität in der Öffentlichkeit den Regierungskurs verteidigten. Diese Wissenschaftler haben sich von der Regierung für Propaganda einspannen lassen.“ (BILD.de)

Der notwendige Streit der Meinungen um die besten Lösungen gerät unter den Händen der Kanzlerin zu einem Glaubenskrieg mit verdeckten Karten.

Die deutsche Presse, jahrzehntelang unter dem Diktat der wahrheitslosen Postmoderne, war unfähig, den Abschottungsgeist der Physikerin zu erkennen. Ihre unbeteiligte Objektivität ist kein liebender Streit um Wahrheit, sondern will gleichmäßig entfernt sein von allen relevanten Positionen. Der Frage nach Wahrheit weicht sie aus und begnügt sich, vor den Toren des Tempels mit blinden Fakten stehen zu bleiben. Als ob Fakten nicht in sich selbst wahr oder unwahr, willkürlich oder repräsentativ sein könnten. Weshalb hatte die Presse solche Schwierigkeiten, die Lügen eines Trump zu zerreißen? Weil es ihnen vorkam wie populistischer Moralismus.

Eine leidenschaftliche Wissenschaftlerin hätte jeden Abend in TV einen anderen Virologen zum Streitgespräch geladen und coram publico demonstriert, wie man sich behutsam der Wahrheit nähern kann. Wie viele Deutsche gibt es, die dieses „Falsifikationsverfahren“ vermissten? Wenn Wissenschaft versagt, Parteien nur billige Kompromisse zu bieten haben, Kirchen sich aus weltlichen Torheiten raushalten: wer bleibt dann noch? Deutschland ist nicht erkenntnisbegierig. Das verhindern Schulen und Universitäten, die dem Nachwuchs streng getaktet ihre Weisheiten eintrichtern. Dessen Erkenntnissuche wird durch epidemische Quiztests zerstört, die ihre Objektivität mit subjektiven Skalen erschlichen haben.

Welche Folgerungen zogen die Schulbehörden aus dem Coronadebakel? Diese Generation müssen wir leider leider abschreiben. Ihren zukünftigen kapitalistischen Kärrnerdiensten wird sie nicht gerecht werden können. Trotz dieses Totalausfalls gibt es Zwischenzeugnisse mit Zensuren über ausgefallene Fächer. Dazu ein Gnadenakt: wer unbedingt will, kann freiwillig die Klasse wiederholen. Ob die Welt einstürzt oder nicht: staatstreue Zensoren walten ihres Amtes.

Ohne Dauer-Ranking der Jungen keine Schichtenbildung der Alten. Die wirtschaftliche Konkurrenz beginnt in den Klausuren der Kinder und Jugendlichen. Bildungsgerechtigkeit als Mittel zum Aufstieg ist Zynismus. Seltene Glückskinder werden es vielleicht schaffen. Doch die wenigen, die aufsteigen, trampeln über die Mehrheit jener hinweg, die unten bleiben müssen.

Der folgende Artikel will Prüfungsängste zerstreuen:

„Abgesehen davon wirst du ein Thema (und zwar egal, welches) niemals perfekt beherrschen. Nicht einmal deine Professorinnen und Professoren kennen jedes Detail ihres Fachgebiets. Sie sind zwar besonders gut, vielleicht sogar ausgezeichnet – aber nicht perfekt. Und darum musst du es auch nicht sein.“ (SPIEGEL.de)

Geht es um Eindressieren willkürlicher Wissensatome – oder um liebende Begleitung beim Erkennen der Wirklichkeit? Nicht mechanisches Rekapitulieren von „Bildungsinhalten“, die von neupreußischen Beamten festgelegt wurden, kann das Ziel der Schule sein, sondern nur das selbständige Durchdenken und Beurteilen der Realität, die auf die nächsten Generationen wartet.

Der Bildungshistoriker Elmar Tenorth zitiert kühn die schwedische Reformpädagogin Ellen Key:

„Das Kind nicht in Frieden zu lassen, das ist das größte Verbrechen der gegenwärtigen Erziehung gegen das Kind.“ (SPIEGEL.de)

Was folgt aus dem behüteten Frieden des Kindes? Das Gegenteil:

„Man lernt in der Schule ja nicht nur lesen, schreiben und rechnen, das ist eher der Ausgangspunkt, nicht das alleinige Ziel. Vor allem geht es doch darum, sich gemeinsamen Normen zu unterwerfen, gesellschaftsrelevante Prinzipien einzuüben, Tugenden wie Gemeinschaftlichkeit, Verbindlichkeit, Ordnung, Leistungsorientierung zu erfahren und an solchen Herausforderungen seine Individualität zu bilden. Die Kinder lernen dort, mit anderen gemeinsam zu handeln, sich zu messen, mit Differenzen umzugehen. Schule, das ist im Grunde Demokratie in nuce, in der Nussschale.“

Und wie kam dieses Wunder zustande? Man höre und staune: durch die Schulpflicht, mit der Friedrich der Große seinen Untertanen das stolze Räsonnieren austreiben wollte: räsonniert, so viel ihr wollt, aber gehorcht!

„Eine der erstaunlichsten Errungenschaften der Menschheitsgeschichte: Für einen gewissen Zeitraum lernen alle Kinder eines Altersjahrgangs gemeinsam an einem Ort außerhalb der Familie, unabhängig von sozialer Herkunft, Geschlecht oder Religion. Das geschieht zum einen zum Wohl des Kindes, weil Schule ein Schutzraum ist und eine kompensatorische Funktion besitzt, indem sie allen die gleichen Bildungschancen eröffnet. Zum anderen profitiert die Gesellschaft davon, dass wir uns auf gemeinsame Normen und Werte verständigen.“

Die Werte werden eindressiert, von Verständigung keine Rede. „Vor allem geht es darum, sich gemeinsamen Normen zu unterwerfen. Unterwerfen des Kindes ist die Wahrung seines Friedens? Und diese kollektive Unterwerfung soll – Demokratie sein!???. Komm, heilige Corona und verseuche diese unbelüfteten, heruntergekommenen Klassenräume, in denen Lohn- und Strafzensuren für Orgien der Unterwerfung sorgen.

„In gewisser Weise nimmt der Staat den Eltern die Kinder weg, was ein enormer Eingriff ist. Wem gehört das Kind? Dem Staat, den Eltern, der Kirche? Dass das Kind auch ein Eigenrecht besitzt, wurde jahrhundertelang ausgeklammert.“

In Familien ist alles miserabel, in staatlichen Zuchtanstalten alles bestens. Das Kind, das kein Mitspracherecht für sein Hineinwachsen in die Gesellschaft hat, soll plötzlich „ein Eigenrecht“ besitzen?

Wie konnte es nur so weit kommen, dass deutsche Pflichtschulen derart in Verruf gekommen sind?

„Öffentliche Schulen besaßen keinen guten Ruf und galten vielen als Hort der Verrohung. Zudem wurde der Eingriff des Staates in das Elternrecht von bürgerlicher Seite als ein Akt der Kriminalisierung gesehen: als unzulässiger Übergriff, gegen den man sich wehren müsse.“

Da müssen wohl alle Pöbelfamilien ihren Frust abgeladen haben, weil man ihnen ungefragt die Kinder nahm.

Dann der Höhepunkt des gebildeten Bildungsforschers. Der Zwangsbesuch der Schule ist die ideale Voraussetzung, sich zum politischen Menschen zu bilden:

„Der Mensch ist ein Zoon politikon, ein Gemeinschaftswesen, das auf sozialen Austausch angewiesen ist.“

Warum sind Deutsche so unfähig, ihre bedrohte Lage zu erkennen? Warum müssen sie tatenlos und voller Ängste zuschauen, wie ihre Demokratie verkommt?

Weil sie durch Schulzwang und Notenterror zu vorbildlichen Demokraten geschliffen werden.

Fortsetzung folgt.