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Alles hat keine Zeit LXXVIII

Tagesmail vom 12.02.2021

Alles hat keine Zeit LXXVIII,

Komm, süßer Tod, komm, selge Ruh!
O Welt, du Marterkammer,
ach! bleib mit deinem Jammer
auf dieser Trauerwelt.

Die Welt ist müde geworden. Das Rennen und Hasten muss ein Ende haben. Die unerreichbaren Ziele, das Beschleunigen und Überholen, es muss ein Ende haben.

Weltschmerz, „die tiefe Traurigkeit über die Unzulänglichkeit der Welt“, „der Schmerz über die Vergänglichkeit irdischer Herrlichkeit“, will und will nicht den Tiefen des Unbewussten entkommen und die politische Öffentlichkeit bestimmen. Er würde die deutschen Weltmeisterposen strangulieren. Ökonomen würden emigrieren, Virologen hätten es gewusst, Freudianer alles vorausgesehen.

Der deutsche Weltschmerz, in viele Sprachen übernommen, würde – über Massengräbern – Triumphe feiern. Die unstillbare Sehnsucht nach dem Unendlichen will unerbittlich ans Ende.

„In den letzten zwei oder drei Jahren haben wir eine Menge von dem gesehen, was als „Tod aus Verzweiflung“ bezeichnet wurde. Männer zwischen 25 und 50 begehen einfach Selbstmord. 80% der Bevölkerung glauben an ein Wunder, 40% sind fundamentalistische Christen und sehen nicht mal die Gefahr der Klimaerwärmung, da Jesus sich darum kümmern würde. Wir stehen vor der Frage, die sich die menschliche Art in ihrer Geschichte noch nie gestellt hat und rasch beantwortet werden muss: Hat die menschliche Gesellschaft eine langfristige Zukunftschance? Diese auschlaggebende Frage ist für einen Großteil der Bevölkerung von nebensächlicher Bedeutung, da die zweite Wiederkehr des Messias nur eine Frage der Zeit sei und sich dann alles von selbst regeln werde. Mittlerweilen wird anerkannt, dass wir uns heute in der Periode des sechsten Massenaussterbens befinden. Das fünfte Massenaussterben vor 66 Millionen Jahren wird einem riesigen Asteroiden zugeschrieben, der auf der Erde einschlug und 75 % sämtlicher Arten auf dem Planeten vernichtete.“ (Noam Chomsky, Rebellion oder Untergang!)

Chomsky – Pflichtlektüre für alle, die noch nicht wissen, was die Glock geschlagen hat. Sollte es eine Rebellion geben, die ins Leben führt, wird sie aus Amerika kommen. In Deutschland ist der Weltschmerz, eine Droge aus Todesangst und Seligkeitshoffnung, unter Ablagerungen und Schlammmassen begraben. In Amerika zeigt er sich unverhüllt in seiner urchristlichen Anfangsgestalt.

„1999 glaubten 45 % der befragten Christen, dass die Welt mit der Schlacht von Armageddon zwischen den Truppen Jesu und denen des Antichrists enden wird. 68% davon waren überzeugt, in den Himmel zu kommen, nur 3 %, ihr Platz werde in der Hölle sein.“ (Thomas Grüter, Faszination Apokalypse)

„Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin. Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.“

Der Untergang des Römischen Reiches war der Untergang der Welt – zugleich der Triumph des Christentums, dessen Glaube die Welt überwinden wird. Woher wird der Retter der Welt kommen? Wird es der römische Kaiser sein – oder der bei Ochs und Esel geborene Messias der Christen?

Welches heilige Kind wird die Welt erlösen: das von Vergil prophezeite – oder der Spross Davids?

 „Die 4. Ekloge Vergils handelt von einer Prophezeiung aus den Sibyllinischen Büchern. Es wird die Geburt eines göttlichen Knaben unter dem Konsulat des Asinius Pollio im Jahr 40 v. Chr. angekündigt, mit dem auch die Herrschaft Saturns wiederkehre und das eiserne Zeitalter dem goldenen weichen werde. Des Weiteren ist die Rede vom Frieden unter den Menschen und unter den Tieren. Außerdem wachse in diesem goldenen Zeitalter alles von selbst, sodass die Landwirtschaft überflüssig werde (diese war in der Antike eine große Mühsal). Auch Handel und Wirtschaft verschwänden und die Menschen könnten in einem paradiesähnlichen Zustand leben. Dieses goldene Zeitalter wird nicht nur mit der Geburt des Kindes verknüpft, sondern reift mit diesem im Laufe des Textes auch heran.“

„Denn ein Kind ward uns geboren, ein Sohn ward uns geschenkt. Die Herrschaft wurde auf seine Schulter gelegt. Man rief seinen Namen aus: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens. Die große Herrschaft und der Frieden sind ohne Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, es zu festigen und zu stützen durch Recht und Gerechtigkeit, von jetzt an bis in Ewigkeit. Der Eifer des HERRN der Heerscharen wird das vollbringen.“

Ökologie ist keine Erfindung der Moderne. Schon Vergils heiliges Kind wollte Frieden zwischen Mensch und Tier. Die Landwirtschaft sollte ihren übermäßigen Verbrauch der Natur beenden. Der Kapitalismus sollte beseitigt werden. Der paradiesähnliche Zustand sollte zur friedlichen Symbiose aus Mensch und Natur werden, wie er einst in frühen Zeiten Realität war.

Das Paradies war keine jenseitige Gabe, sondern Vollendung des natürlichen Zyklus, der in sich selbst mündet. Einen Himmel auf Erden kannten nur Jenseitsreligionen, die Heiden verehrten die Natur. Weil sich die Menschen an die frühen Zustände erinnerten, waren sie fähig, den Verlauf der Geschichte anamnestisch in die Anfänge zurückzubiegen.

Heute ist Erinnerung an das Vergangene verboten. Es herrscht eine zwangsbeglückende Schau in eine Zukunft, die hohl und leer bleiben muss. Denn das Neue, worüber alle phantasieren, bleibt ohne Substanz. Poppers Utopieverbot ist indirekte Religionskritik. Er verbietet jenen Himmel auf Erden, an den der christliche Westen glaubt.

Rationale Utopien à la Sokrates sind dem Sokrates-Verehrer Popper unbekannt.

In welchem Maß das Alte und Vergangene dem modernen Denken verboten ist, zeigt ein Artikel über Erziehung:

„»Eltern sind nicht dafür gemacht, das Leben ihrer Kinder zu gestalten«, schreibt die Kognitionswissenschaftlerin Alison Gopnik. Sie sollten vielmehr einen geschützten Raum bereitstellen, in dem »die nächste Generation eine neue Art des Denkens und Handels entwickeln kann, die vollständig anders sein wird als alles, was wir uns jemals vorstellen konnten«.“

Spricht eine Kognitionswissenschaftlerin, offenbar eine Expertin in neuem Denken, die mit den Altlasten der Menschheit nichts mehr zu tun haben will. Finde einen Experten, der deine Meinung vertritt und du bist gerettet.

Im Geistigen beginnt die materielle Wegwerfgesellschaft. Niemand will wissen, ob wir den Weisheiten der Vergangenheit schon gerecht geworden sind. Ausmisten, den Ballast früherer Zeiten abwerfen, beim Wandern dem finalen Ziel entgegen, muss die Vergangenheit entsorgt werden.

Wer glaubt, von allen Altlasten befreit zu sein, der kann kein besudeltes Erbe der Vergangenheit kennen, das aufgearbeitet werden müsste. Wozu die alte Natur entgiften, wenn wir alles neu erfinden? Spirituelle Quelle des Neuen-Kults ist die Taufe der Wiedergeborenen. Wer aus dem geistbegabten Wasser auftaucht, ist ein rundum neues Wesen. Siehe, das Alte ist vergangen. (SPIEGEL.de)

Der Wettlauf zwischen Welt und Gott, Mensch und Erlöser beginnt. Wie steht die Konkurrenz zwischen Himmel und Erde?

„Am Beginn des Christentums stand der Glaube an das baldige Ende. Die ersten Christen glaubten unbeirrt daran, dass die Welt immer schlechter werde – bis Gott große Zeichen an den Himmel schreiben und das Weltgericht ausrufen werde. Dann werde der Friedensfürst vom Himmel zurückkommen, um zu richten über die Guten und Bösen. Sein neues Reich werde ewig währen, ebenso die Qual der Verdammten.“ (Grüter)

Die Unterschiede zwischen beiden Visionen sind frappant. Vergils Utopie ist politisch und ökologisch, ein Friedensreich des Menschen in der Natur. Das Alte wird nicht vernichtet, sondern regeneriert. Alles Neue wird identisch sein mit dem Alten. Nichts geht verloren, die Erde als Heimat des Menschen währet ewiglich.

Im neuen Reich des Himmels bleibt nur ewiglich, was der Schöpfer ex nihilo neu schaffen wird: die Seligkeit und die übernatürliche Qual der Verdammten.

Gelegentlich gibt es auch in der Schrift hellenisch beeinflusste tierische Idyllen:

„Da wird der Wolf beim Lamm wohnen und der Panther beim Böcklein lagern. Kalb und Löwe werden miteinander grasen, und ein kleiner Knabe wird sie leiten. Kuh und Bärin werden zusammen weiden, ihre Jungen beieinanderliegen, und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein kleines Kind wird seine Hand ausstrecken zur Höhle der Natter….Und es wird eine Straße da sein für den Rest seines Volks, das übrig geblieben ist in Assur, wie sie für Israel da war zur Zeit, als sie aus Ägyptenland zogen.“

Das ist der berühmte heilige Rest des Volkes Israel, den Gerhard von Rad als Ergebnis eines göttlichen „Sichtungsvorgangs“ bezeichnet. Am Ende werden nur wenige der Kinder Gottes ins Endreich einziehen.

Diese tierische Idylle – die der Natur, die sich gegenseitig ernährt, nicht gerecht wird – geht in naturfeindlichen Erlösungsphantasien des Neuen Testaments verloren. Jesus verflucht den Feigenbaum, der es wagt, keine Früchte zu tragen, wenn es dem anonymen Herrn des Universums danach gelüstet. Im selben Sinn: „Sorget sich Gott um die Ochsen?“

Natur, wie sie ist, gilt als minderwertig und muss auf den Jüngsten Tag warten, bis sie erlöst wird. Erst muss sie vernichtet werden, bis sie in himmlischer Qualität neu geboren werden kann. Die Qualität der alten Natur wird verworfen.

„Denn der Nichtigkeit wurde das Geschaffene unterworfen, nicht freiwillig, sondern um dessen willen, der es ihr unterwarf, auf die Hoffnung hin, dass auch die Geschaffene selbst befreit werden wird von der Knechtschaft des Verderbens zur Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass alles Geschaffene insgesamt seufzt und sich schmerzlich ängstigt bis jetzt.“

Das ist die Stelle, die das politische Motto der Grünen von der Schöpfungsbewahrung als Kokolores entlarvt. Der sündige Mensch ist unfähig, die kaputte Natur zu reparieren oder zu bewahren. Das könnten nur Wiedergeborene im Auftrag des Herrn. Die bekannte Natur muss am Boden zerstört werden, bis der Pantokrator sie aus Nichts neu erschaffen wird.

Theologisch gesehen, maßen sich die Grünen an, als sündige Menschen das übernatürliche Heilswerk des Erlösers an sich zu reißen.

Die Lieblingsstelle der grünen Politikerin Claudia Roth:

„Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie? Wer ist aber unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt? Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: Sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen? Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.“

Seid ihr nicht mehr wert als alle Tiere und Pflanzen? Das ist die uralte Hierarchie der Schöpfungsgeschichte: macht euch die Erde untertan. Die Menschen sollen unumschränkte Herren der Natur sein. Arbeit, als autonome Fähigkeit des Menschen, sich selbst zu ernähren, wird als fluchwürdige Folge des Sündenfalls abgeschafft.

Der Mensch lebt von den Gnadengaben des Himmels, die er sich durch Frömmigkeit verdienen muss. Das ist keine Utopie des tüchtigen Menschen, der sich sehr wohl selbst ernähren könnte, ohne die Natur zu beschädigen. Vergessen wird, dass Arbeit, die nicht unter dem Joch des Kapitalismus steht, zur beglückenden Erfahrung des Menschen werden kann. Die Idylle des Matthäus ist eine Entmündigung des homo laborans.

„Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht. Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise.“

Das ist das Gegenteil der friedlichen Symbiose mit der Natur. Der Mensch ernennt sich zum allmächtigen Herrn der Natur.

Das Gleichnis vom Unkraut im Weizen dämonisiert das Unkraut als teuflische Erfindung seines Widersachers, das vom Menschen nicht beseitigt werden darf. Am Ende aller Tage wird der Herr höchstselbst das Unkraut vertilgen.

„Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut? Er antwortete: Das hat ein Feind von mir getan. Da sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen? Er entgegnete: Nein, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus. Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Wenn dann die Zeit der Ernte da ist, werde ich den Arbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune.“

Die Erklärung folgt auf dem Fuß:

„Der Mann, der den guten Samen sät, ist der Menschensohn; der Acker ist die Welt; der gute Samen, das sind die Söhne des Reiches; das Unkraut sind die Söhne des Bösen; der Feind, der es gesät hat, ist der Teufel; die Ernte ist das Ende der Welt; die Arbeiter bei dieser Ernte sind die Engel. Wie nun das Unkraut aufgesammelt und im Feuer verbrannt wird, so wird es auch am Ende der Welt sein: Der Menschensohn wird seine Engel aussenden und sie werden aus seinem Reich alle zusammenholen, die andere verführt und Gottes Gesetz übertreten haben, und werden sie in den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt. Dort werden sie heulen und mit den Zähnen knirschen. Dann werden die Gerechten im Reich ihres Vaters wie die Sonne leuchten. Wer Ohren hat, der höre!“

Wie Gott der absolute Herr des Menschen, ist dieser der absolute Herr der Natur. Was ihm nicht in den Kram passt, kann er bedenkenlos vernichten. Diese „Triage“ der Natur oder ihre Trennung in Menschenwohlgefälliges und -verabscheuenswertes ist ein treffliches Gleichnis für die Spaltung der Natur in Nützliches und Unnützes – das gnadenlos vertilgt wird. Dass Unkraut auch Natur ist, die man nicht verbrennen muss, sondern vielfältig an anderer Stelle verwendet werden kann, scheint Himmelsexperten unbekannt. In der Natur gibt es nichts, was keinen Sinn hätte in ihrem Beziehungsnetz. Nur der Mensch hält sich für berechtigt, das Gute vom Bösen zu trennen.

Hass gegen die Natur scheint ein wesentliches Motiv gewesen zu sein, eine Religion auf Kosten der Natur zu erfinden.

Wer wird das geschichtliche Rennen gewinnen: das irdische oder das jungfräulich gezeugte Kind?

Das Urchristentum lebte von der Naherwartung des Herrn oder vom baldigen Ende der Geschichte. Und das seit 2000 Jahren. Wundert es jemanden, dass die Christen immer mehr in Bedrängnis gerieten, je länger sich die Parusie verzog? Mussten sie nicht innerlich gepeinigt werden vom Verlust ihrer Glaubwürdigkeit? Machten sie sich nicht lächerlich vor der Welt? Also mussten sie sich Mittel ausdenken, die wachsende Blamage vor der Welt zu verdecken oder zu überspielen.

Sie erfanden – mit Hilfe der griechischen Ratio – die Technik und den Fortschritt, der sie befähigen sollte, das vom Messias versprochene Reich Gottes mit eigenen Mitteln herzustellen. Die flagrantesten Folgen dieser Hatz ins Unendliche erleben wir gerade:

a) die Sterblichkeit des Menschen soll überwunden werden. Die Überwindung des Todes durch den Erlöser am Kreuz soll durch Wissenschaft und Technik realisiert werden.

b) die ausgepowerte Erde soll verstoßen und verlassen werden durch Flucht ins Universum: das endgültige Todesurteil der terrestrischen Natur.

Im Gespräch mit Elon Musk hielt es Mathias Döpfner für überflüssig, dem Fluchtwilligen zum Mars die klare Frage zu stellen, warum er so viel Energie und Geld in eine Mars-Expedition investiert, anstatt sich für das Überleben der Gattung auf Erden einzusetzen. Das scheint unter der Würde eines wahren Genies zu sein. Musk will etwas, das es vorher noch nie gab. Er will eine creatio ex nihilo:

„Die Wissenschaft entdeckt Dinge im Universum, die bereits existieren. Technik hingegen heißt, etwas zu erschaffen, das es bislang noch nicht gab. Etwas zu erschaffen, das es im Universum so noch nie gegeben hat, ist etwas Großartiges.“ (WELT.de)

Wissenschaft will Natur erkennen, wie sie ist. Wissenschaftler sind also von der Natur abhängig. Gottgleiche Techniker hingegen wollen mehr als erkennen, sie wollen Natur neu schaffen. Die Erschaffung einer gottgleichen neuen Welt wäre die selbsterfüllende Prophetie jener Welt, die der Messias bislang nicht beischaffen konnte. Elon wird Jesus übertreffen.

Die machtvolle Bewegung, uneingelöste Verheißungen per Technik selbst herzustellen, nennen einige Transhumanismus. Nicht der Mensch ist das Ziel dieser Bewegung, sondern die Überwindung des Menschen. Oder mit Nietzsche: der Mensch ist etwas, was überwunden werden muss.

„Der Transhumanismus propagiert die Überwindung von Krankheit und Tod durch die Verbindung von Mensch und Computer. Im Verlauf einer Endzeit, die noch in diesem Jahrhundert beginnen soll, werden sich Menschen zu gottgleichen, machtvollen und unsterblichen Wesen vereinen.“ (Grüter aaO)

Der Wettkampf zwischen Mensch und Erlöser ist mittlerweilen abgesagt. Die Widersprüche sind dialektisch harmonisiert. Himmlisches und Irdisches haben sich vermählt. Technik hat sich überirdischen Zwecken unterworfen, die sich irdischer Mittel bedienen, um ihre missglückte Heilsgeschichte selbständig zu realisieren.

In rasender Beschleunigung will die Menschheit gottähnlich und unabhängig werden von der Natur, indem sie etwas völlig Neues schafft: eine bis dahin unvorstellbare Übernatur. Das wäre der Tod der Natur.

Doch diese Gefahr scheint der Menschheit nicht zu genügen. Dass atomare Bedrohung die Welt schon mehrere Male beinahe zerstört hätte, kommt noch hinzu: Naturzerstörung durch Hitzewellen und atomare Austilgung der Menschheit sind Gefahren, die uns alle bedrohen.

Noam Chomsky, der bald 100-Jährige ist es, der unermüdlich vor diesen Todesgefahren warnt:

„Alle unsere Probleme sind international und kennen keine Grenzen. Die Erderwärmung ignoriert alle Grenzen. Ein Nuklearkrieg wird uns alle vernichten. Und die Zerstörung der Demokratie hat leider ansteckenden Charakter.“ (Rebellion oder Untergang!)

Verglichen mit den wahren Problemen der Menschheit sind alle Corona-Verbissenheiten lächerliche Sandkastenspiele. Deutsche Politik und deutsche Öffentlichkeit scheinen von allen guten Geistern verlassen zu sein. Sie leiden unter nationaler Geistesabwesenheit. Was sie wirklich treibt, ist ihre suizidale Sehnsucht nach dem Ende.

Noam Chomsky ist Pflichtlektüre für jeden, der sich dem Leben und seinen Kindern verpflichtet fühlt.

Fortsetzung folgt.