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Alles hat keine Zeit LVIII

Tagesmail vom 23.12.2020

Alles hat keine Zeit LVIII,

Kinder helfen Kindern. Wo sind die Erwachsenen?

„Im September brannte das Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos. Das Camp wurde dabei fast völlig zerstört. Das Unicef-Foto des Jahres 2020 zeigt Kinder, die sich aus dem brennenden Lager in Sicherheit bringen. Das Bild wurde ausgewählt, weil es die „Tapferkeit, Fassungslosigkeit und Hilfsbereitschaft von Kindern“ zeigt, sagt die Kinderhilfsorganisation Unicef.“ (ZDF.de)

Immer sind es Bilder von Kindern, denen von Erwachsenen Leid zugefügt wird, die am Fest des heiligen Kindes in die Welt gesandt werden. Sie sollen Mit-leid erwecken und die Menschheit in Unruhe versetzen. Sie erreichen das Gegenteil. Bild und eigene Betroffenheit werden gewürdigt, dann ist die jährliche Ablasspflicht getan, es darf gefeiert werden.

Deutsche Politik tut nicht, was sie könnte, um das Elend zu mildern. Sie schaut zu, wie europäische Grenzschützer rechtswidrig das Elend vermehren. Der Innenminister deckt das Verbrechen, die Kanzlerin den Innenminister:

„Im Auftrag der EU-Grenzschutzagentur Frontex patrouillierten die deutschen Einsatzkräfte am 10. August in der Ägäis, nur wenige Hundert Meter von der griechischen Insel Samos entfernt. Dabei entdeckten sie ein Schlauchboot mit 40 Flüchtlingen an Bord. Auftragsgemäß hielten sie es an, allerdings nahmen sie die Menschen auf dem völlig überfüllten Boot nicht an Bord. Stattdessen warteten sie mehr als eine halbe Stunde, bis die griechische Küstenwache das Schlauchboot übernahm. Wenig später fanden sich die Flüchtlinge plötzlich in türkischen Gewässern wieder.“ (SPIEGEL.de)

Niemand ist alarmiert, niemand fordert den Rücktritt. Die mächtigste Frau Deutschlands handelt nach dem Motto: laisser faire, laisser passer: machen lassen, laufen lassen. Das hat sie der Wirtschaft abgeguckt. Ist Wirtschaft nicht erfolgreich?

Bislang war es nur unmoralisch, allmählich geht’s ins Verbrecherische. Ex-Kanzler Schröder ist ein Verbündeter Putins, der den Oppositionellen Nawalny vergiften lassen wollte.

An den europäischen Grenzen werden Menschenrechte gebrochen, die zwei Führerinnen Europas, beide deutsch und christlich, rühren sich nicht. Schon lange haben sich die Deutschen jegliche Kritik an ihrer Obrigkeit verboten. Kritik ist Besserwisserei, also unchristlich.

Wie lautet der heftigste Vorwurf gegen oppositionelle Gruppen? Dass sie Sekten seien. Wer bestimmt, was Sekten sind? Die Sektenbeauftragten der Kirchen, die noch immer jene Gruppen hassen, die sich einst von ihnen abspalteten, um ihren eigenen Heilswegen zu folgen.

Nicht selten waren es Gruppen, die sich von Ideen der Aufklärung inspirieren ließen.

Den neuen Sektierern wird vorgeworfen, dass sie ihrer eigenen Unfehlbarkeit folgten. Tun die Großkirchen etwas anderes? Dass sie privaten Offenbarungen folgten. Tun die Großkirchen anderes? Dass sie selbst bestimmten, was Wahrheit ist. Ist das nicht die Pflicht jedes Demokraten, zwar keiner Offenbarung, aber seinem eigenen Denken zu folgen?

Deutschland ist auf dem Weg zur Sekten-Demokratie. Von Quäkern lernten sie das Verstummen, um bereit zu sein für die Botschaft von Oben (heute von der Kanzlerin), von Pietisten die Aversion gegen heidnische Vernunft, von anarchischen Revoluzzersekten die Missachtung aller Regeln – um erfolgreich zu sein. Von allen Frommen die kritiklose Unterwerfung unter Gottes Regiment, identisch mit dem Regiment des Staates.

Wie wirbt ein Magazin für Mars-Elon? „Wie der Tesla- und SpaceX-Chef die Regeln bricht – und damit Erfolg hat“. Welche Regeln? Allen, die den Genies im Wege stehen, seien es rechtliche, ethische oder demokratische. Regelbrecher sprechen stolz von Risikogesellschaften.

Ohne Risiko kein Fortschritt, kein Vorankommen. Risiken können schief gehen, das führt zu unvorhersehbaren Folgen. Wenn sie aber gelingen, ist die Welt beeindruckt und der Konkurrenzkampf gewonnen. Ohne blindes Vertrauen sind Risiken nicht zu ertragen. Früher war es Vertrauen in Gott, heute in das eigene Ich. Gott ist Ich, Ich ist Gott geworden.

Risiken eingehen, heißt, einen faustischen Pakt mit dem Bösen zu schließen. Wer nur gut, sanft und verträglich sein will in dieser korrupten Welt, der wird untergehen. Gegen die Macht des Bösen hat er keine Chancen. Also muss er das Böse durch einen Pakt fesseln, um dessen feindliche Macht zu brechen.

Als gläubiger Mensch weiß er, dass der Teufel Fürst dieser Welt ist. An dem kann sich niemand vorbeischleichen. Also muss man ihn an sich binden. Wie Bacon sich der Natur unterwarf, um sie zu beherrschen, so muss man es mit dem Bösen probieren. Die Natur war die Sündige, die durch Macht des Wissens überwunden werden musste, um in den Garten Eden zurückzukehren. Risiken eingehen, heißt, alle Regeln brechen, um die minderwertige und sündige Natur zu unterwerfen und das Paradies auf Erden zu errichten.

Kein westlicher Denker von Format, der dies anders gesehen hätte. In die messianische Zukunft voranschreiten, heißt den Teufel an die Kette legen, indem man mit ihm kooperiert – und ihn am Ende übers Ohr haut. Der Teufel muss mit seinen eigenen Waffen geschlagen werden. Wie wird er am Ende dämlich schauen, wenn er als dummer Teufel entlarvt wurde?

Das Böse ist Motor des Fortschritts. Das Gute hingegen begnügt sich mit der präsentischen Meeresstille der Seele: alles, was ist, ist gut. Wann hätte Mephisto gegen Faust die Wette gewonnen? Wenn dieser sagen würde: Verweile, Augenblick, du bist so schön. Der Augenblick wäre kein Nichts mehr im linearen Fluss der Zeit, sondern zur erfüllten Dauer oder zyklischen Wiederkunft aller Dinge geworden. Wenn man wünschen kann, dass alles sich wiederholen möge, wie es war, dann ist sie eingetreten: die erfüllte Ewigkeit.

Nunc stans, das stehende Jetzt, hatten die Scholastiker von den Griechen übernommen. Das Ziel der Menschen ist Glück. Dauerhaftes Glück kennt kein Fließen der Zeiten mehr. Erfülltes Leben ist ewiges Leben. Eine unbewältigte Vergangenheit gibt es nicht mehr, so wenig wie eine Zukunft, die bringen könnte, was man im Jetzt vermissen würde. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind zur ewigen Gegenwart verschmolzen.

Dieses Stehende Jetzt, das verlässliche Glück auf Erden aber ist für sündige Menschen nicht erreichbar. Erst bei Gott kann es zur Realität werden. Die Scholastiker verlegten das Nunc Stans in den Himmel.

„Denn das Böse ist des Menschen beste Kraft“: Nietzsches Wiederkehr des Gleichen will Griechentum und Christentum vereinen. Die Geschichte soll nicht in ein Weltgericht münden, sondern endlos zirkulär sein. Nicht, weil sie im Grunde gut wäre, sondern weil sie böse ist. Das Böse ist Ingrediens des Seins, wie es ist – und sein soll.

„Immer Bessere eurer Art sollen zugrunde gehen – denn ihr sollt es immer schlimmer und härter haben. So allein – so allein wächst der Mensch in die Höhe, wo der Blitz ihn trifft und zerbricht – Ihr leidet mir noch nicht genug! Ihr leidet alle nicht, woran ich litt. Ich aber erfreue mich der großen Sünde als meines großen Trostes. Überwindet mir, ihr höheren Menschen, die kleinen Tugenden, das erbärmliche Behagen, das „Glück der Meisten“!“ (Also sprach Zarathustra)

Nietzsche will das Christentum überwinden durch Rückkehr zur griechischen Wiederkunft alles Gleichen. Der „ungeheure Augenblick“ des Menschen geschähe, wenn er zur alles verändernden Einsicht käme:

„Dieses Leben, wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch einmal und noch unzählige Male leben müssen; und es wird nichts Neues daran sein, sondern jeder Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke und Seufzer und alles unsäglich Kleine und Grosse deines Lebens muss dir wiederkommen, und Alles in der selben Reihe und Folge – und ebenso diese Spinne und dieses Mondlicht zwischen den Bäumen, und ebenso dieser Augenblick und ich selber. Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht – und du mit ihr, Stäubchen vom Staube!“ „Aber der Knoten von Ursachen kehrt wieder, in den ich verschlungen bin, – der wird mich wieder schaffen! Ich selber gehöre zu den Ursachen der ewigen Wiederkunft.
Ich komme wieder, mit dieser Sonne, mit dieser Erde, mit diesem Adler, mit dieser Schlange – nicht zu einem neuen Leben oder besseren Leben oder ähnlichen Leben:
– ich komme ewig wieder zu diesem gleichen und selbigen Leben, im Grössten und auch im Kleinsten, dass ich wieder aller Dinge ewige Wiederkunft lehre, 
– dass ich wieder das Wort spreche vom grossen Erden- und Menschen-Mittage, dass ich wieder den Menschen den Übermenschen künde.“

Der jämmerliche Mensch will nichts als Glück, alles Böse und Unglückliche will er eliminieren. Der Übermensch will alles noch einmal, wie es war: Glück und Unglück, und Leid und Unglück mehr als Glück. Nur wer die Kraft zum Bösen hat, hat das Zeug zum Übermenschen.

Die Fraktion heutiger Amoralisten hechelt danach, durch Ablehnung spießiger Moral sich zu Nietzsches Übermenschen in Schrumpfformat zu adeln. Gehen sie bei Rot über die Ampeln, spüren sie bereits das Übermenschliche in sich aufsteigen. Doch kaum lesen sie in den Gazetten von wahren Bösewichtern, geifern sie gegen Unmenschen und Bestien, die in kaltblütiger Absicht ihren guten Staat zugrunde richten wollten. Das Amoralische ist ein Salon-Hobby für Gelangweilte und Blasierte.

„Jesus von Nazareth liebte die Bösen, nicht die Guten, der Anblick von deren moralischer Entrüstung brachte selbst ihn zum Fluchen. Überall, wo gerichtet wurde, nahm er Partei gegen die Richter, er wollte der Vernichter der Moral sein.“

Ist das ein Fehlurteil Nietzsches über den christlichen Messias? Keineswegs:

„Ich bin gekommen zu rufen die Sünder zur Buße, und nicht die Gerechten. Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, aber die Kranken. Ich bin gekommen zu rufen die Sünder zur Buße, und nicht die Gerechten.“

Die Gerechten waren die Juden und die Heiden. Die Juden waren sich sicher, die Gebote des Herrn vollständig und aus eigener Kraft zu erfüllen, auch wenn es die wenigsten schafften. Die Heiden wollten ihre Gebote gar selbst erfunden haben, die sie zu praktizieren gedachten, um dem Kosmos gerecht zu werden. An einen Messias glaubten die Juden zwar, aber an einen politischen, der das Ende der Zeiten einläuten und sie im goldenen Jerusalem an die Spitze der Völker setzen würde.

Nietzsches Synthese aus Griechen- und Christentum verfehlte – wie bei Hegel – sowohl das Zyklische der Heiden wie das Lineare des Christentums. Die Wiederholung des Bösen wäre kein zirkuläres Glück – für die Heiden, die Ablehnung der linearen Heilszeit keine Seligkeit bei Gott – für die Christen.

Selbst Kant, der an die autonome Moral des Menschen glaubte, entwickelte eine Fortschrittsidee, die das Gute als „gemächliche und vergnügte“ Idylle aus dem Wege räumte. Die Natur selbst nötigte den Menschen, ohne dass es ihm bewusst werden musste, den Fortschritt voranzutreiben durch die „Quellen der Ungeselligkeit, woraus so viele Übel entspringen“:

„Dank sei also der Natur für die Unvertragsamkeit, für die missgünstig wetteifernde Eitelkeit, für die nicht zu befriedigende Begierde zum Haben oder auch zum Herrschen! Ohne sie würden alle vortrefflichen Naturanlagen in der Menschheit ewig unentwickelt schlummern. Der Mensch will Eintracht, aber die Natur weiß besser, was für seine Gattung gut ist; sie will Zwietracht. Er will gemächlich und vergnügt leben; die Natur aber will, er soll aus der Lässigkeit und untätigen Genügsamkeit hinaus, sich in Arbeit und Mühseligkeiten stürzen … Die natürlichen Triebfedern dazu, die Quellen der Ungeselligkeit und des durchgängigen Widerstandes, woraus so viele Übel entspringen, die aber auch wieder zur neuen Anspannung der Kräfte, mithin zu mehrerer Entwicklung der Naturanlagen antreiben, verraten also wohl die Anordnung eines weisen Schöpfers; und nicht etwa die Hand eines bösartigen Geistes, der in seine herrliche Anstalt gepfuscht oder sie neidischerweise verderbt habe.“ (Idee zu einer allgemeinen Geschichte …)

Das war eine Theodizee oder eine Rechtfertigung Gottes, streng genommen die Widerlegung der Kant‘schen Lehre vom Selbstdenken. Denn wer selber denkt, müsste sein Geschick auch selber in die Hände nehmen. Kant aber war ein Gegner der Demokratie, der Pöbel musste einem weisen Monarchen gehorchen. So blieb das aufgeklärte Denken in Deutschland eine reine Innerlichkeit. „Räsonniert, so viel ihr wollt, aber gehorcht.“

Der moralische Fortschritt des Menschen, der schon von Bacon verhöhnt und durch den Fortschritt der Technik ersetzt worden war, wird auch von Kant zum Stillstand gebracht und seiner politischen Sprengkraft beraubt. Goethe verachtete den Pöbel ohnehin und Schiller kastrierte alle Politik zur schönen Kunst. Dort waltete sie noch heute, wenn es denn eine Kunst gäbe, die irgendjemand ernst nehmen würde. Die Kunst der Eliten erfüllt eine Funktion: sie muss den Anschein politischer Rührigkeit erfüllen – ohne dass jemand daran dächte, sich wirklich politisch zu betätigen.

Kant, der den ewigen Frieden anstreben wollte, pries den Unfrieden als unersetzbaren Motor des Fortschritts. Würde es der Menschheit gelingen, den ewigen Frieden herzustellen, wäre es mit der „Entwicklung der Naturanlagen“ durch Unfrieden, Rivalität und Missgunst für immer vorbei. Frieden wäre erst möglich, wenn technischer Fortschritt den Stand der Perfektion erreicht hätte.

Was aber, wenn der Hunger nach Macht über die Natur unstillbar und endlos wäre?

Technischer – oder moralischer Fortschritt, um die Probleme der Menschheit zu lösen? Das ist heute die Frage der Fragen. Moralischer Fortschritt wäre eine Politik des Friedens, einer Technik, die der Mensch beherrscht (und nicht umgekehrt), einer Wirtschaft der Genügsamkeit und der Absage an endlose Machtanhäufung über die Natur.

Keine Entwicklung der Technik und Wissenschaft ist per se unendlich. Sie ist so endlich, wie der Mensch über sie entscheidet. Zwangsläufige Gesetze der Geschichte gibt es nicht. Nichts kommt automatisch über uns, was wir nicht selber wollten. Der Besen des Meisters wird den Lehrling nur schikanieren, weil der Meister es wollte.

Der Fortschritt muss kein zweiseitiges Schwert sein, wie die Wissenschaftler leichtsinnig daherplappern. Jede Erfindung sei wie ein Messer, man könne Brot damit schneiden oder seinem Rivalen den Hals aufschlitzen. Wäre die Menschheit sich einig, könnte sie alle technischen Ungeheuer, die die Welt mit einem Knopfdruck vernichten können, selbst vernichten. Wozu brauchen wir endlose Atomwaffenlager, wenn niemand mehr seine Rivalen zu Feinden dämonisieren und bedrohen würde?

Was ist das für eine Unmündigkeit, durch Fortschritt Probleme zu schaffen, die nur durch weiteren Fortschritt zu lösen sind, die erneut zu unvermeidlichen Problemen führen …

Der Mensch fühlt sich in der Lage, Maschinen zu bauen, die seine Probleme lösen, doch er selbst fühlt sich unfähig, seine Probleme direkt zu lösen? Geht’s noch? Maschinen können den Menschen in quantitativen Dingen übertreffen, Menschheitsprobleme aber sind geistig-qualitativer Natur. Er selbst muss entscheiden, wie er leben und seine Konflikte lösen will. Alles andere wäre ein Rückfall in die Unmündigkeit von Gotteskindern, die zu Sklaven der Maschinen wurden. Vielleicht wird gerade dies von den polit-klerikalen Machteliten der Welt gewollt? Vorsicht, Verschwörungstheorie.

Die inflationäre Schelte gegen Verschwörungstheorien ist selbst zur Verschwörungstheorie geworden: denkt nicht so viel über Machenschaften in der Politik nach, ihr Unterkomplexen. Die Welt ist grundsätzlich in Ordnung. Es gibt nur das, was die Medien zu verkünden haben. Wer geheime Machtintrigen wittert, ist selbst ein Schwein, behaupten die Medien – und versuchen wieder durchs Schlüsselloch zu linsen, wo die Gewaltigen die Welt unter sich verteilen.

Das Geschwätz über Verschwörungstheorien geht inzwischen so weit, dass Warnungen vor Kapitalismus oder Imperialismus als Verschwörungstheorien abgemeiert werden. Jede Abmachung der Mächtigen hinter den Kulissen, die nicht in die Öffentlichkeit dringt, nicht vom demokratischen Souverän debattiert und entschieden wird, sondern durch ungewählte Macht in Realität verwandelt wird, ist eine Verschwörung oder ein Komplott.

Selbst wenn philanthropische Milliardäre die Welt mit Almosen beglücken und weitreichende Entscheidungen über das Wohlergehen von Völkern treffen, ohne dass diese durch Parlamente und gewählte Regierungen der Völker bestätigt werden, sind diese Entscheidungen als Verschwörung zu deklarieren – hier der wohlgemeinten Absicht. In Demokratien muss restlos alles von gewählten Regierungen und Volksvertretern geprüft und verabschiedet werden.

Da die Menschen über viele Vorgänge der Mächtigen nicht informiert sind, ist es unvermeidlich, dass sie zu Vermutungen getrieben werden, um sich das Unbekannte zusammenzureimen. Da mag viel Stuss dabei sein, allein die Beteuerung der angeblich Wissenden, all diese Vermutungen seien blanker Unsinn, muss solange als Gegen-Verschwörungstheorien angeprangert werden, solange keine Beweise auf dem Tisch liegen.

Solche Beweise legen die „selbsternannten“ Zensoren so gut wie nie vor. Nicht nur Thesen, auch Antithesen müssen überprüfbar sein. Es geht nicht, dass jener automatisch im Recht ist, der als erster in die Welt posaunt: Achtung, Verschwörungstheorie.

Wie lange wurden Warnungen vor der Klimagefahr als Verschwörungstheorien verhöhnt? Als Besserwissereien von Gutmenschen? Als apokalyptischer Alarmismus der Wichtigtuer? Wie lange wurden die Gefahren der NSU geleugnet?

Automatischer Fortschritt war vor allem ein Fortschritt in Naturverstümmelung und Menschheitsgefährdung. Das permanente Risiko als Pakt mit dem Bösen erbrachte wenig Gutes, aber sehr viel Bedrohliches.

Warum macht niemand den großen Denkern den verschwörungstheoretischen Vorwurf, mit dem Bösen einen teuflischen Pakt eingegangen zu sein?

Was das Motiv des Risikos angeht, scheint sich gerade eine Wende anzubahnen:

„Die Moderne lässt sich verstehen als Großprojekt gegen die Unsicherheit. Wenn es gut läuft, bewirkt die Coronakrise eine Rückbesinnung auf aufklärerische Tugenden.“ (SPIEGEL.de)

Eben war die Moderne noch ein Risikospiel um Allwissenheit und Allmacht. Über Nacht nun soll sie das Gegenteil sein? Windschlüpfrige Medien wittern ein Neues und drehen sich um 180 Grad. Sie haben es nicht mal nötig, ihren Kurswechsel auszuweisen und zu begründen. Wo die Mehrheiten hinströmen, da muss man sein Fähnchen nach dem Wind drehen.

Wäre die Moderne ein Projekt gegen Unsicherheit gewesen – wie hätte sie dann einen suizidalen Kurs der Menschheit zustande bringen können? Waren da plötzlich böse Elemente im Spiel, die die Menschen ihres Weges führten, ohne dass diese es merkten? Achtung, Verschwörungstheorie!

Wie sollte eine Rückbesinnung auf aufklärerische Tugenden notwendig sein, wenn die Prä-Corona-Entwicklung von solchen Aufklärungsideen bestimmt worden wäre? War die Epidemie deshalb möglich, weil plötzlich und unerwartet mitten im Fortschrittslauf böse Geister eingegriffen hätten? Und vor allem: an welche Tugenden der Aufklärung haben wir zu denken? Die Medien sind vollständig unfähig, ihre Begriffe zu definieren. Ja, sie versuchen es gar nicht. Kann es sein, dass sie selbst nicht verstehen, was sie meinen?

Die Moderne begann bei Roger und Francis Bacon als Entwicklung von Wissenschaft und Technik, um die unnütze und gefährliche Missionierung der Heiden allein durch das Wort zu ersetzen durch die Missionierung durch die Tat: die Gewalttat von Waffen und Maschinen, die den Christen von Gott gegeben wurden. Sie waren Versuche, die Überlegenheit der christlichen Religion mit Mord und Totschlag unter Beweis zu stellen.

Weil sich die Christen der göttlichen Lenkung der Geschichte sicher waren, konnten sie ein wahnwitziges Risikospiel beginnen. Bei allen Gefahren waren sie sich sicher, nur Gott werde der Geschichte ein Ende setzen. Menschen seien dazu gar nicht fähig – und wenn sie noch so sehr mit fürchterlichen Endzeit-Verwüstungen drohten.

Da die Wiederkehr des Herrn ständig erwartet wurde, aber nie eintraf, begannen die Christen nervös zu werden und sannen auf Mittel, um den Herrn zur Rückkehr zu nötigen: durch die Erfindung apokalyptischer Waffen. So hofften die religiös gestimmten Wissenschaftler, die erwartete Parusie durch selbsterfüllende Prophezeiung zu erzwingen. Der Mensch setzte sich an die Stelle Gottes. Die Moderne wurde zum Versuchslabor, in dem der Mensch seine Gottwerdung vorantrieb.

Gott erschuf seine Schöpfung aus Nichts, um sie am Ende der Tage wieder dorthin zurückzubefördern. Der Mensch ist gerade dabei, die finale DestruktionsKompetenz seiner Gottebenbildlichkeit unter Beweis zu stellen. Mit Sicherheit wird er es schaffen, sich selbst zu eliminieren, um die Natur von seiner Gegenwart zu befreien. Ob die Menschen zur Neuschöpfung der Erde fähig sein werden, bevor sie ihre globale Heimat zerstört haben – darf bezweifelt werden.

Die Moderne tut nichts anderes als die Prophetie des Johannes mit technischen Mitteln zu inszenieren:

„Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind verschwunden und das Meer ist nicht mehr.“

Nur Liebhaber der Natur und Freunde der Menschen können diesen Wahnsinn verhindern. Auf Gottähnlichkeit müssten sie verzichten.

Fortsetzung folgt.