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… zum Logos XLIV

Tagesmail vom 14.03.2022

… zum Logos XLIV,

„Da die Bauern alles zum Leben Notwendige haben, besteht für sie kein Anlass zu einem Angriffskrieg.“

Grundlegende Fragen erfordern grundlegende Antworten oder:

Weltkrisen erfordern prinzipielle Fragen und neue Antworten, oder alte, die vergessen und verdrängt wurden, obgleich sie modernen Zeiten noch immer nützlich sein könnten.

Das Vergangene ist kein Friedhof des Bornierten, das Neue nicht der Springquell zukünftiger Intelligenz und Kreativität, die uns den Himmel auf Erden bringen werden.

Das Vergangene ist keineswegs immer minderwertiger, das Zukünftige nicht immer kreativer und einfallsreicher. Dieser Auffassung liegt eine Zeit zugrunde, deren Verlauf in sich die Gewähr des immer Besseren in der Zukunft birgt.

Das Frühere ist das immer Schlechtere, das Zukünftige das immer Bessere und Heilbringende. Wir reden von einer Heilszeit: das Urböse (nicht ganz) am Anfang der Zeiten, die Erscheinung des Heils in der Mitte, die Rückkehr zum Heil am Ende aller Zeiten.

Die Heilszeit leidet jedoch an einer Denkschwäche: eine Rückkehr zum Heil kann kein Fortschritt sein.

Wollten wir einen wirklichen Neustart, wäre es notwendig, die Heilszeit zu überwinden und zu einer zirkulären Zeit überzugehen.

Das Vollkommene am Anfang der Zeiten, das Unvollkommene als Abweichung vom Ursprünglichen, das nach bestimmten Zeiten zurückkehren muss zum perfekten Ursprung, um sich zu regenerieren – und den Reigen des Seins von vorne zu beginnen.

Die Heilszeit hat noch andere, elementare Schwächen: von vorneherein spaltet sie die Menschheit in Sieger und Verlierer im Rennen der Zeit. Heilszeit ist Wettlauf, Konkurrenz, Kampf um Sieg oder Niederlage. Eine Gleichheit der Menschen kennt sie so wenig wie die Ruhe des Seins, in der sie sein kann, wie sie ist.

Leben in der Heilszeit ist Kämpfen. Unermüdliches Kämpfen um Alles oder Nichts. Demokratische Verhältnisse kann es in der Heilszeit nicht geben. Von vorneherein trennt sie die Menschheit in zwei unterschiedliche Gruppen; die eine gewinnt den Preis des Wettbewerbs um ewige Seligkeit, die andere verliert alles in ewiger Verdammnis.

Hier das Leben als immerwährender Kampf, dessen Sinn nicht in sich ruht, sondern im verdienten oder unverdienten Preis des ganzen Lebens:

„Kämpfe den guten Kampf des Glaubens.“ „Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist.“ „Du hast mit Gott und den Menschen gekämpft.“

Dort das Leben als irdisches Glück des Daseins.

„Es gibt nur ein wirkliches Glück im Leben: gut oder gerecht zu handeln. Das ist nicht nur eine Erkenntnis, sondern eine Kraft: der gute Mensch ist stärker als der böse, dieser kann jenem keinen wirklichen Schaden zufügen, denn eine unerschütterliche seelische Haltung ist ein höherer Wert, als alle äußeren Güter. Das ist für Sokrates eine unbedingte Wahrheit, die in keiner Weise davon abhängig ist, ob es ein jenseitiges Leben gibt oder nicht. Diese Ethik ruht auf den Pfeilern der Autonomie und der Autarkie. Wer sie einhält, der ist der wirkliche starke und tapfere Mensch, der nichts, auch den Tod nicht fürchtet und unabhängig von allen Dingen, sich selbst genügend, fest und sicher im Sturm des Lebens steht. Die Übereinstimmung von Denken und Handeln, diese schlichte Rechtschaffenheit ohne alles Pathos, diese Bedürfnislosigkeit ohne die Eitelkeit des Asketen, diese ruhige Sicherheit und Festigkeit in allen Lebenslagen, nicht zuletzt die heitere Gelassenheit im Tode: das ist es, was an diesem einzigartigen Manne bei Mit- und Nachwelt einen unauslöschlichen Eindruck hinterließ.“

Womit wir bei der Autarkie der Bauern wären, dem wirtschaftlichen Komplement autonomer Menschen. Man kann nur über sich selbst bestimmen, wenn man am wenigsten von anderen abhängig ist. Was keine asoziale Freiheit wovon bedeutet, sondern die selbstbestimmte Freiheit wozu.

Der weltenweite Unterschied zwischen einer Freiheit der Unabhängigkeit und einer selbstbestimmten sozialen Empathie ist in Deutschland bis zum heutigen Tag nicht wahrgenommen worden. Freiheit ist für wilde Germanen entweder asoziale Ich-Besessenheit oder gar nichts.

Würden Menschen in Autonomie und Autarkie leben, könnten Kriege und mörderische Streitigkeiten nicht entstehen.

Heilszeit allerdings lässt keine Selbstbestimmung zu. Hier muss es zur Auseinandersetzung um Sein oder Nichtsein kommen.

Alle Geschehnisse in der Heilszeit werden bestimmt vom unerbittlichen Wettbewerb, vom Sieg im Lauf des Lebens um ewige Seligkeit.

Schließt Autarkie eine globale Vernetzung aus? Auf keinen Fall. Doch nur, wenn Globalisierung eine allgemeine Friedensordnung voraussetzt. Nur wenn ich in freier Entscheidung allen Menschen vertrauen kann, wird Autarkie nicht zur asozialen Falle von Ich-Besessenen. Indem ich mich freiwillig abhängig mache, muss ich nicht um den Verlust meiner Selbstbestimmung fürchten. Denn Vertrauen ist ein Akt auf Gegenseitigkeit.

Autarke Bauern am Anfang unserer Kulturen waren noch die freiesten, sie konnten durch Abhängigkeit nicht erpresst werden – wie die Deutschen von heute, die einen Despoten bekämpfen wollen, sich aber nicht entscheiden können, ob sie sich von seinen Gaslieferungen unabhängig machen sollen. Sie würden sich ja selbst schädigen, wenn sie einen konsequenten Kampf führen würden.

Die Menschheit wollte sich nach den Weltkriegen weiterentwickeln zu einer global zusammenarbeitenden Gattung, die sich vertrauensvoll voneinander abhängig macht, ohne sich gegenseitig erpressbar zu machen. Das hätte die Abschaffung aller sozialen und ökonomischen Unterschiede und Ungerechtigkeiten vorausgesetzt.

Zu dieser grundlegenden Reform ihres beschämenden Wirtschaftssystems aber konnten die UN-Völker sich nicht entschließen. Sie führten die Globalisierung ein, ohne die egoistische Art des Wirtschaftens grundsätzlich zu verändern.

Zwar sollten Kriege mit der Globalisierung grundsätzlich vermieden werden, nicht aber das Ziel des Wirtschaftens: mit überlegenem Reichtum den Seligkeitswettbewerb zu gewinnen, die Armen als Verlierer der Konkurrenz „mitleidig“ zu bedauern, in Wirklichkeit aber sie als Loser ewig zu verachten.

So, wie im Gleichnis vom reichen Mann und vom armen Lazarus der bei Gott Angekommene auf ewig getrennt wird vom reichen Mann, der zu spät sein ungerechtes Leben auf Erden bedauert:
„Abraham aber sprach: Gedenke, Kind, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun wird er hier getröstet, du aber leidest Pein. Und in all dem besteht zwischen uns und euch eine große Kluft, dass niemand, der von hier zu euch hinüberwill, dorthin kommen kann und auch niemand von dort zu uns herüber.“

Die Ökonomen, wie immer an der Spitze der rechnenden Solipsisten, vermasselten den Sinn des Globalisierens, indem sie den Wettbewerb verschärften und den Siegeszug der Reichen weltweit unkorrigierbar machten. Aus nationalen Starken wurden Masters of Universe, mit unermesslichen Reichtümern und einer Macht, die von keinem Staat mehr eingefangen werden konnte. Die eigentlichen Bestimmer auf Erden sind nicht die Gewählten, sondern die Eigentümer jener Reichtümer, die ihre Schätze selbst nicht mehr überblicken können.

Was ist Globalisierung für Wirtschaftler?

„Sie ist die Strategie einer grenzüberschreitenden Unternehmung, bei der Wettbewerbsvorteile weltweit mittels Ausnutzung von Standortvorteilen aufgebaut werden sollen. Oder um Wettbewerbsvorteile mittels Skaleneffekten zu erreichen. Zu den nationalen Unterschieden zählen unterschiedliche Lohnniveaus.“ (Gabler, Wirtschaftslexikon)

Von menschlicher Ökonomie in globalem Ausmaß kein Wörtchen. Aus der Globalisierung als einem Fortschritt weltweiter Humanität wurde das Gegenteil: wie kann ich die Nationen gegeneinander ausspielen, um aus allen Unterschieden meine Vorteile zu ziehen?

Wieder einmal schafften es die Haie, aus sinnvollen Grundsätzen das Gegenteil zu machen.

Nicht der Mensch als guter bestimmte den Fortschritt, sondern der kaltblütige Egoist, der aus moralischen Prinzipien Gewinnprinzipien schuf.

Während A. Smith auf Nächstenliebe verzichten wollte, um dennoch eine national zusammenwirkende Ökonomie zu schaffen, so schufen die Neoliberalen eine hemmungslos-eigensüchtige Wirtschaft, die angeblich jede Eigensucht überwunden hatte, indem jede Ethik aus der Ökonomie ausgeschlossen wurde.

Ganz im Sinne der neuen Naturwissenschaft ersetzten Zahlen und Figuren die nicht messbare, emotionale Moral und verwandelte sie in ein System legitimer Eigensucht.

Zuerst machte der „naive“ Kapitalismus sich unabhängig von Imperativen des Guten, dann unabhängig von der angeblichen Bosheit der Moralsysteme.

Heute hat das System des Gewinnenwollens die ganze Weltwirtschaft in eine rechnende und berechenbare Gewinnmaschine verwandelt. Dass solche Gewinnmaschinen – im Kampf globalen Gegeneinanders – zu gelegentlichen Gewaltexplosionen führen können, verwundert niemanden mehr, der die politische Weltlage beurteilen muss.

Was den angeblich wirtschaftlichen Fortschritt betrifft, betrifft auch den technischen. Fortschritt muss sein und wenn er die ganze Welt in Geiselhaft nähme.

Ein glühender Lobredner des Fortschritts spricht von einer „kollektiven Heldenreise“, die wir alle, dank genialer Fortschrittsunternehmer wie Musk oder Jeff Bezos, erleben würden:

„Auch wenn Raumfahrt von privilegierten Nationen und Personen betrieben wird, geht es am Ende doch immer darum, das Leben auf dem „Raumschiff Erde“ zu verbessern. Letztlich sind wir alle …Teil eines groß angelegten Zivilisationsexperiments, dessen Ausgang noch ungewiss ist. In diesem Sinn lässt sich die Menschheit als Gemeinschaft von Sinnsuchenden verstehen, die sich auf einer ständigen Pilgerfahrt zur Vollkommenheit befindet. Auf der Suche nach dem neuen Wunderland rüstet sich die Menschheit dafür, ihr angestammtes Terrain auszuweiten, neue Habitate zu erschließen und teils wilde soziale Experimente zuzulassen. Die Magie des Wunschlande besteht darin, dabei immer wieder an den eigenen Ansprüchen zu scheitern und dennoch weiterzumachen.“ (Stefan Selke, Wunschland)

Wir sind – welch eine Ehre – unfreiwillige Teilnehmer eines Experiments geworden. Versuchskaninchen einiger Superreicher und wahnsinniger Techniker, die die Erde als ihr Labor betrachten, in dem sie machen können, was sie wollen. Zudem sind wir fromme Pilgerreisende nach Golgatha, um unsere Erniedrigungs- und Demutssteuer zu entrichten und voll gerüstet zu sein, um nach Belieben zu scheitern, das Scheitern zu überleben und als Unbesiegbare in der Stadt auf dem goldenen Berg Einzug zu halten.

Was ist moderner Fortschritt? Nichts als eine säkularisierte Reise ans Ende der Zeiten. Die einen werden gewinnen, die anderen haben‘s nicht besser verdient, wenn sie auf der Pilgerfahrt nach der Vollkommenheit ein bisschen scheitern werden. In Gottes weiter Welt können nicht alle zusammen gewinnen. Irgendjemand muss sich mit Geringem begnügen.

Putins Feldzug gegen die Bösen ist keine Ausnahme von der christlichen Regel, für Kriege zu sorgen, die in alten Büchern prophezeit worden sind:

„Seht zu, dass euch nicht jemand verführe. Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen. Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn es muss geschehen. Aber es ist noch nicht das Ende. Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort. Das alles aber ist der Anfang der Wehen.“

Wo bleiben die Helden der Humanität, die demokratischen Vorbilder? Man muss sie mit der Lupe suchen, denn alle Verehrer des Guten sind verdächtig. Wem? Der Sabine Rennefanz, der die Bewunderungswelle für Selensky verdächtig vorkommt:

„Es liegt etwas Unmoralisches im Beobachten von fremdem Mut und fremdem Risiko, das hat Swetlana Alexijewitsch in ihrem Buch »Zinkjungen« geschrieben. Der Satz fällt mir ein, wenn ich die Reaktionen auf Selenskyj betrachte. Mir ist diese Heldenverehrung unheimlich. Mich erschreckt eher, mit welcher Einmütigkeit und Kritiklosigkeit der ukrainische Präsident gefeiert wird. Das sagt allerdings weniger etwas über den Mann aus, als über den Teil der Welt, der sich als Westen begreift. Ausgerechnet Männer in Deutschland, dem Land des selbst erklärten Pazifismus, dem Hauptquartier des Postheroischen, scheinen sich angesprochen zu fühlen und sich danach zu sehnen, dass endlich mal einer sagt, wo es langgeht. Männer, die Zivildienst gemacht haben, denken angesichts des Krieges in der Ukraine darüber nach, ob sie mit der Waffe kämpfen würden. Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende des Springer-Verlags, ist schon unterwegs: Was ist an Selenskyj Männerbild modern? Sein Auftreten ist ungewöhnlich, stark, selbstbewusst, vielleicht sogar bewundernswert. Aber modern? Die Werte, für die er steht, wirken auf mich eher archaisch: Ehre, Kampfbereitschaft, Stärke, Nationalismus. Als die Nato die Einrichtung einer Flugverbotszone Anfang der Woche erneut ablehnte, um russische Angriffe abzuwehren, machte Selenskyj seiner Wut Luft und warf dem Westen  vor: »Menschen werden Ihretwegen sterben, wegen Ihrer Schwäche.« Aber ich wäre eben auch vorsichtig, das aus der Ferne zum Heldentum zu stilisieren oder gar zur »modernen Männlichkeit«. Dadurch wird die Not von Selenskyj romantisiert und verkitscht, und es verdeckt, welchen Anteil der Teil der Welt, die sich der Westen nennt, an seiner Lage hat.“ (SPIEGEL.de)

Helden im Bösen darf es nach Belieben geben, denn im Loslösen von jeder Moral feiern wir unsere Freiheit. Helden im Guten aber – da muss man verdammt misstrauisch sein. Diese Bewunderung dient nämlich nur der Selbstbewunderung. Wie können Deutsche, die sich eben noch als Pazifisten deklarierten, sich plötzlich als Heldenverehrer aufspielen? Diese „Heldenverehrung“ ist doch nichts als romantischer Kitsch.

Wären da unsere deutschen Tugenden nach der Niederlage nicht ehrlicher und aufrichtiger? „Als Deutsche, die nun in dritter Generation die schweren seelischen und körperlichen Folgen von Krieg und Vertreibung aufarbeiten, die sich von Generation zu Generation weiterreichen, sollte man dafür empfänglich sein und die Not der Ukrainerinnen und Ukrainer nicht zum Heldentum stilisieren.“

Nichts geht über das Deutsche, gleichgültig, in welcher Form. Sei es als militantes Heldentum, sei es als ehrliche Demut. Wir treffen immer den richtigen Ton. Da müssen wir uns von ausländischen Windmachern nichts vorgaukeln lassen.

In Deutschland gibt es schon lange keinen Pazifismus mehr. Allerdings auch nicht das Gegenteil. In den letzten Dekaden halten sich die Deutschen aus allem raus. Sie sind weder lau noch kalt und ihr Herr wird sie aus dem Munde spucken.

Ja, Selensky fordert auch Ehre, Kampfbereitschaft, Stärke, Nationalismus. Moment: auch Nationalismus, wenn er die Ukrainer auffordert, für demokratische Freiheit zu kämpfen? Eben nicht! Was er fordert, sind keine völkische Verklärungen, sondern das Verteidigen allgemein menschlicher Werte.

Man kann grundsätzlicher Pazifist sein, doch wer demokratische Werte verteidigt, ist noch lange kein Bellizist. Deutsche kümmern sich bekanntlich nicht um klare Begriffsbestimmungen.

Merkwürdig, diese Bewunderung eines tatsächlichen demokratischen Vorbildes für neurotisch zu erklären, aber die Madonnenverehrung für eine Kanzlerin als nationale Selbstanbetung in höchsten Tönen feiern zu dürfen – obgleich sie den Staat in jeder Hinsicht verrotten und verkommen ließ. Die Bewunderung eines deutschen Ex-Kanzlers für einen Menschheitsverbrecher, der den Täter für unschuldig und die ukrainischen Opfer für schuldig hielt.

Im werte-basierten Deutschland sind alle demokratischen Grundwerte verkommen.  

Nein, die Kampftugenden eines überzeugten Demokraten sind nicht dieselben wie die eines despotischen Tyrannen.

Deutschland hat alle klaren Begriffe abgeschafft. Nur eins muss beachtet werden: das Deutsche an sich, in welcher Form auch immer, muss stets an erster Stelle stehen.

Fortsetzung folgt.